Wir weben, wir weben! á la Jacquard Ausstellung in Ennepetal

[jpg]  Manche Themen einer Ausstellung erscheinen ziemlich einfach. So auch hier.
Joseph-Marie Charles Jacquard erfand den mechanischen Webstuhl indem er mittels Lochkarte den Webstuhl steuerte. Dann könnte man einen Handwebstuhl aufstellen und zum Vergleich den lochkartengesteuerten Webstuhl daneben stellen. Eine Demo der beiden Stühle und gut wäre es. War es das dann wirklich? Oh nein!

Es war eine Ausstellungseröffnung am 4.September 2010 im Ennepetaler Industriemuseum von besonderem Kaliber, tiefsinnig, breit ausgelegt und sogar perspektivisch im Ansatz verarbeitet. Es war eine Ausstellung die Wirtschaftsgeschichte im Ansatz erfahrbar machte, die den Niedergang alter Gesellschaftsstrukturen erahnen lies, der Zusammenhänge mittels darstellender Kunst dokumentieren konnte. Wobei die bildende Kunst mit der darstellenden Kunst hervorragend korrespondierte.

Die Projektleiterin Ulrike Brux hatte mit dieser Inszenierung hervorragendes geleistet, hatte hochkarätige Menschen und Künstler um sich geschart, die es verstanden haben dieses Thema weitgehend umzusetzen. Die Ausstellungsräume im Industriemuseum waren bestens präpariert worden. Rund 300 Menschen aus der gesamten Region fanden zu dieser Ausstellung und waren augenscheinlich beeindruckt. Beeindruckt auch deshalb, weil dies für Ennepetal eine ungewöhnliche Ausstellung ist, denn außer 2009  fiel Ennepetal noch nie im Bereich zeitgenössischer Kunst auf.

Doch nun zur Vernissage:


Dr. h.c. Fritz Pleitgen
          

Ulrike Brux moderierte durch die Ausstellung und übergab an Dr.h.c. Fritz Pleitgen der die Eröffnungsrede hielt.

Das Projekt wurde relativ schnell von Ruhr 2010 akzeptiert, weil es genau im Sinne von Karl Ernst Osthaus gewesen wäre. Denn die Verknüpfung von Kunst und Handwerk wird in dieser Ausstellung hervorragend gezeigt.
Osthaus´s Ruf "Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel" wird hier klar umgesetzt.

           
Ulrike Brux

Kunst und Handwerk durchdringen sich gemäß Osthaus und dies ist Bernhard Matthes bestens mit diesem Projekt gelungen. Das besondere ist aber auch, es bringt die Regionen Görlitz und Ruhr zusammen, so Fritz Pleitgen. Denn diese Ausstellung ist ein gemeinsames Projekt mit der Region Görlitz – Zgorzelec unter der Leitung des Landkreises Görlitz. Aber das wäre nicht alles, vielmehr entwickelte dieses Projekt eine Strahlkraft zu den angrenzenden Regionen Polens und der Tschechei. Denn das damalige Schlesien teilt sich heute auf den Gebieten der beiden europäischen Staaten. Das deutsche Schlesien, polnisch Slask und tschechisch Sleszka, hatte ähnlich wie das heutige Ruhrgebiet die gleichen Strukturen im industriellen Bereich.

Zu Grunde liegen die damaligen gesellschaftlichen Zustände in Schlesien und hier im Bereich des damaligen Rheinisch bergischen Gebietes. Die erste Hälfte des 19.Jahrhunderts wurde hier in dieser Ausstellung einer Betrachtung unterzogen. Allerdings werden die Weberaustände heute in die Zeit Ende des 18.Jahrhunderts datiert, der Weberaufstand 1783 in Elberfeld.

Die Aufstände Anfang bis Mitte des 19.Jahrhunderts waren nach einhelliger Meinung so genannte "Hungeraufstände". Hungeraufstände deshalb, weil die damaligen Weber bei einer Arbeitsleistung der gesamten Familie, also Vater, Mutter und Kinder nicht den täglichen Bedarf an Grundnahrungsmitteln deckten. 30 Silberlinge benötigte eine Familie um zu überleben und zu arbeiten, verdienen konnten sie bei einem 16 Stunden Tag jedoch nur 6 Silberlinge. Nach Aufzeichnungen aus den damaligen schlesischen Gebieten wurde die Differenz an Grundnahrungsmitteln durch das verspeisen von Kartoffelschalen oder durch den Verzehr von Nagetieren, wie Mäusen und Ratten gedeckt. Jedoch ist es unstrittig dass diese Hungeraufstände Anfang bis Mitte des 19.Jahrhunderts als Beginn der industriellen Revolution gesehen werden. Auch datiert hier der Beginn einer breiten Politisierung der Bevölkerung. Friedrich Engels, der selber Sohn eines Textilfabrikanten war, formulierte damals mit Karl Marx den wissenschaftlichen Sozialismus. Dies war auch notwendig geworden, weil auf der anderen Seite die Theorien der "Marktwirtschaft" von Adam Smith Einfluss auf die gesellschaftlichen Bedingungen hatten. Es war eine Zeit der grundlegenden gesellschaftlichen Umwälzungen, ähnlich unserer heutigen Zeit. Auch heute macht die Informations-Technologie (IT) viele Berufe überflüssig und setzt ganze Heerscharen an Arbeitnehmern frei. Auch heute weiß keiner wo die gesellschaftliche Reise hingehen soll. Das marktwirtschaftliche Modell, das im Übrigen nur ein empirisches Erklärungsmodell ist, bleibt heute wie damals die Antwort schuldig.

Die erste Ausstellung war in Görlitz und war dort ein voller Erfolg, so ist diese Ausstellung nunmehr hier im EN-Kreis zu sehen.

                             
                              Dietmar Diesner
 
Martin Horn

Martin Horn vom Schauspielhaus Bochum trug die teils anonymen Gedichte, wie das Blutgericht, aus der damaligen Zeit der Weberaufstände vor.

Sie gaben das wieder was die damalige Zeit für die Menschen bedeutete, die Qual, das Elend oder den Hunger. Sie mussten lernen "Klagen ohne zu leiden und leiden ohne zu klagen".

   

Das so genannte Weberlied  von Heinrich Heine erzeugte bei den Zuhörern ein schauern. Dieses Weberlied wurde damals vom Königlich Preußischen Kammergericht unter Androhung von Gefängnis verboten.


Risa Tateishi
  Dann trat das Dortmunder Ballett mit den Tänzerinnen Monica Fotescu-Uta (Prima-ballerina) und Risa Tateishi unter der Leitung ihres Ballettdirektors Xin Peng Wang mit einem modernen Ballett auf.

Nach den strukturierten Klängen verschiedener Industriewebstühlen gingen die in schwarzen Anzügen auftretenden Tänzerinnen eine eindrucksvolle Symbiose zwischen Mensch und Maschine ein.

Die Dekoration von drei im Jacquardmuster gewebten Tüchern zwischen zwei Pfeilern verstärkte diesen Tanz.

 

Monica Fotescu-Uta  
(Primaballerina)

 Das rasselnde Geräusch der Schiffchen und Ketten übertrug sich auf die Bewegungen, welche die Arbeiterinnen darstellten, die den Fadenbruch verknüpften, die Spindeln wechselten, die Fäden zogen oder das Tuch legten. Die Maschinen die den Takt der Arbeit vorgaben und den Menschen zu Bewegungen zwangen, die teilweise Übernatürlichkeit erwartete. Der Mensch als Sklave seiner Maschine. Zwischendurch den Dialog zwischen den Menschen, der jedoch immer wieder jäh unterbrochen wurde. Zum Schluss ertönte eine alles tragende Händelmusik die meines Erachtens das Sinnhafte erfragte, den höheren Wert. Wang hat mit seinen Tänzerinnen die Thematik dieser Ausstellung souverän umgesetzt und war mit dieser faszinierenden Darbietung in dieser Ausstellung ein wunderbarer Programmpunkt.

Und dann war da noch  Dietmar Diesner mit seinem Sopransaxophon. Spektakulär mit seinem langen Atem der das Hereinkommen zu Beginn der Vernissage und das Herausgehen aus der Vernissage dokumentierte.

Auch er nahm das Weberdasein bestens auf und setzte es musikalisch um. Das quälende Dasein der Weber, ihr Leiden hörte man aus den teils atemlosen Tremolos welche durch mehrere Vibratos unterbrochen wurden.

Alle Künstler überzeugten durch ihre meisterlichen Darbietungen.   Insgesamt waren 15 Künstler mit 70 Exponaten beteiligt. Einige hatten sich auf den Weg nach Ennepetal gemacht, um dieser imposanten Ausstellung beiwohnen und Kunstinteressierten ihre Werke erläutern zu können.

                           

Kommen wir zu einem Teil den Exponaten der Ausstellung á la Jacquard in Ennepetal.

Der Kurator Prof. Bernhard Matthes (Deutschland), der auch ausstellender Künstler ist befasste sich in seinen Werken mit den Zusammenhängen zwischen gesellschaftlichen Umständen und dem Arbeitsalltag des Einzelnen. Versöhnlich zeigt er wie aus dem Alten etwas Neues entstehen kann. Der Produktionsprozess und die Produkte bleiben, nur die Teilnehmer wechseln. So wird das Leben geprägt von Glauben, Arbeit und Leistungserbringung. Die Dynamik der Veränderungen kann man nur erahnen. Beispielhaft sieht man dieses in dem Werk, wo Tisch und Stühle auf den Kopf gestellt von der Decke hängen und die unteren Platten mit Kresse begrünt sind, wobei beim Tisch ein begrüntes Kreuz wächst und von den Seitenrändern der Objekte  Bänder und Litzen nach unten hängen. Das Hängende symbolisch für die Produkte die weiter bestehen bleiben und das begrünte Kreuz für den  Glauben, dass etwas Neues entstehen wird.

Elzbieta Suchcicka (Polen) webt einen ein Lebenstuch indem sie Kette und Schuss eines Gewebes mit den verschiedensten gesellschaftlichen und psychologischen Verknüpfungen gleichsetzt. Das Licht eines verhängten Fensters als Filter ähnlich der gelochten Karte, welches selektiert aber auch Lebenserfahrungen in Entfernungen rückt.

Dann sind noch drei Teilnehmer der Textilfakultät der tschechischen Universität Liberec mit Exponaten vertreten. Diese Exponate zeigen das moderne Design heutiger Textilien, die ein Höchstmaß an Professionalität voraussetzen. Kreativität fließt in die Produktion mit ein und wird mit den modernsten Technologien umgesetzt. Eben die Weberei von heute, nicht Masse hat Bestand, sondern die Klasse ernährt seinen Mann oder seine Frau. Ein weites Feld das bis in die Produktion von moderner Funktionskleidung geht.

Und so schließt sich der Kreis indem die Ausstellung die Zukunft der Weberei betrachtet, nicht mehr Lohnarbeit ist gefragt, sondern kreativ gestaltete Produkte, die eine Symbiose zwischen Funktionalität und ansprechendem Design eingeht.

Prof. Angelika Rösner von der Fachhochschule Krefeld stellt dies eindrucksvoll mit ihren Werken dar indem sie einen weiten Blick in die Zukunft wirft, wobei sie z.B. mittels Lasertechnik ihre Textilien bearbeitet.

Die Vernissage schloss ab indem die vorhandenen Webstühle des Bandmuseums Elfringhausen in Aktion gezeigt wurden.

Nicht das Schiffchen fliegt und der Webstuhl kracht, sonder die Karte klickt der Webstuhl kracht.
Und wenn ich mir was wünschen würde, so würde ich mir wünschen aus dem Industriemuseum würde ein Museum für Zeitgenössiche Kunst und Industriegeschichte werden. Also weiter so, Frau Brux.

Die Ausstellung ist noch bis 15. Oktober geöffnet.

Öffnungszeiten:

Dienstag: 10:00 – 12:00 Uhr

Mittwochs: nach Vereinbarung

Donnerstag: 10:00 – 12:00 Uhr

Freitag: 15 – 18:00 Uhr

Samstag: 11:00 – 15:00 Uhr

Sonntag: 11:00 – 15:00 Uhr

Der Eintritt ist frei.

Nach vorheriger Absprache können auch Führungen für Schulklassen durchgeführt werden. Informationen bei Herrn Volker Schlickum unter Tel.: 02052-961543

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Ennepetal

Für alle, die nicht die Möglichkeit hatten zu dieser aussergewöhnlich spannenden und beeindruckenden Vernissage zu kommen und auch nicht an einem anderen Tag diese Ausstellung besuchen können [xxl] hier eine Gallery um einmal die besonderen Eindrücke zu vermitteln:

(alle Fotos: Linde Arndt)

 

4 Kommentare
  1. Avatar
    Kunstliebhaber sagte:

    Lese ich doch in einem anederen Forum, dass ein einfach gestrickter Besucher (ich bleibe auf grund des Themas mal bei dem vergleich, sonst müsste ich d..mer schreiben) eine Führung durch die Ausstellung erwartete.
    Das ist mal wieder typisch für das Kaff. Selbst zum lesen sind sie nicht in der Lage. Alles ist bestens erklärt, samt Hinweis auf weitere Exponate im Museum in Elfringhausen.

    Na, wer auch immer Sie sind, schnackelts ?

    Also, erst lesen, dann dumm schwätzen.

    Noch besser, die Ausstellung einfach genießen.

  2. Redaktion
    Redaktion sagte:

    Man kann durchaus in solch einer Ausstellung an gewissen Tagen einen kompetenten Menschen erwarten. Denn die Ausstellung beleuchtet ja auch geschichtliche Hintergründe und macht einen großen zeitlichen Bogen bis in die Neuzeit.

  3. Avatar
    Kunstliebhaber sagte:

    Naja, man kann einen kompetenten Menschen da haben, aber woher soll der kommen ?
    Die Initiatorin des Kreisheimatbundes, die sind ja schließlich die Ansprechpartner, scheint dafür keine geeignete Lösung gefunden zu haben, sonst hätte sie diese doch bestimmt umgesetzt.
    Und geschichtliche Hintergründe kann man sich doch in Elfringhausen angucken. Hier gehts doch nur um schön. Der Rest ist Beiwerk.

  4. Redaktion
    Redaktion sagte:

    Nun, dann sollte man diese sicherlich irgendwo berechtigte Forderung eines Besuchers bedauern, jedoch nicht maßregeln.
    Abgesehen davon, dass es in dieser Ausstellung nicht nur um „schön“ geht.

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