Aus der Zeit in den Raum gefallen

 

 
[jpg] Da wird ein dichter Urwald auf der Bühne aufgezogen und jemand schwingt durch die Bäume. Steine werden mitten auf die Bühne getragen und abgelegt. Dann, etwas später,  poltern weitere Steine mit lautem Getöse ins Bild. Ein Tempel brennt ab. Ein Schiff schaukelt im Meer, welches durch Assistenten belebt bis stürmisch gehalten wird. Ein Riesenfisch mit einem wilden Reiter wird in die Szene geschoben. Und zu allem vergeht die Zeit, die mehrfach rechts und links digital angezeigt wird – Sekunden für Sekunden, die zu Minuten werden.

Wie unbeabsichtigt stehen Sänger und Sängerinnen herum, laufen auf die Bühne oder werden herein getragen,  singen und gehen wieder ab.  Schriftzüge mit Texten in verschiedenen Sprachen werden sichtbar und verschwinden wieder. Die Auftritte werden von 32 Assistenten, die als Statisten, Tänzer oder Techniker auftreten, begleitet.

Da tritt die Walküre, Carmen, Napoleon, ein griechischer Held neben einer nicht zur Rolle passenden Musik auf. Die passende Musik hört man jedoch in einem anderen Zusammenhang an anderer Stelle.

„Europeras 1 & 2“ feierte am 17. August 2012 seine Premiere und war von Heiner Goebbels die Erstvorstellung seiner Intendanz bei der Ruhrtriennale 2012. „Europeras 1 & 2“ von John Cage, der übrigens in diesem Jahre 100 alt geworden wäre, passt zu Heiner Goebbels und seinem Ruf als experimenteller Theaterschaffender.

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Überhaupt scheinen die Zahlen eine große Bedeutung in dieser Inszenierung und dem Zusammenhang zu spielen. Die 64 Felder des I Ging, 128 Opern zur Auswahl, 32 Szenen und 32 Musiker als Solisten ohne Orchestergraben und Dirigenten, all dieses nur für ein Ziel. Die Oper soll von ihren Zusammenhängen befreit werden und als unabhängiges und absichtsloses Musiktheater neu entstehen. Handlungen gibt es nicht, Aussagen auch nicht. Europera 1 stellt sich als eine Aneinanderreihung von Szenen und Elementen dar, die streng voneinander getrennt sind. Das Stichwort: Dekonstruktion kommt bei der Aufführung auf. Goebbels hat mit der Aufführung von Europeras 1 & 2 nach der Sinnhaftigkeit von Kompositionen und ihren Anordnungen gefragt, indem er eben alles aus dem Kontext einer Oper gezerrt hat und dem Besucher zur Überprüfung und Einordnung vorgelegt hatte. Selbst der Fall eines Vorhangs, der ja das Ende einer Aufführungseinheit signalisieren soll, wird als Einzelelement ohne Zusammenhang in Frage gestellt. Aus dem Dunkel der Hinterbühne wird die Technik auf einmal zum Hauptdarsteller des Stückes, indem die Technik einen Bühnenbildversuch ansetzte. Das Stichwort: Fluxus verleitet nach der Analyse von Sinn oder Unsinn einer Oper. Nein, es macht eben keinen Sinn. Der Besucher sollte loslassen von einer Einordnung der Handlungsabfolge mit Musik, Beleuchtung ( Sehr wichtig!) und Personen. Es ist! – mehr nicht. Und John Cage, lässt er uns alleine? Nein. „I welcome whatever happens next.“ (Ich begrüße, was als Nächstes passiert. ), sagte Cage in einem anderen Zusammenhang.
Sprich, für das Neue ist sicherlich der Vergleich mit Vergangenen nicht gerade förderlich.

Nun war da noch Europera 2, das ganz und gar anders angelegt war. War Europera 1 mehr offener und auch ohne Grenzen angelegt, so kam Europera 2 intimer daher. Das Bühnenbild stellte eine barocke Piazza dar, die mit einem Musselinvorhang dar gestellt wurde. Alles in schwarz und weiß. Ein Hund rennt über die Piazza, Tag- und Nacht-Stimmung wird dargestellt, indem dunkle Wolken aufziehen. Mitten im Bild wird die Tiefe mit Linien ausgelotet, die aber wieder verschwinden. Dann sind da die 10 SängerInnen in dunklen Kostümen, welche die Szene betreten, bespielen und nach links oder rechts abtreten. Die Szenen strahlen etwas Konspiratives aus. Die Kostüme erinnern an die italienischen Commedia dell’arte Gruppen, die auf den Piazzen spielten. Hier kommen die Gesten im vorübergehen zum tragen, das Übertragen von Nachrichten aus dem gesellschaftlichen Leben.

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In zweier oder dreier Gruppen steht man zusammen und überbringt das Neuste. Blicke werden gewechselt, Wissende von Unwissenden getrennt, oder auch nur ein Morgenspaziergang mit körperlichen Übungen verbunden. Sicher könnte das der Marktplatz der Eitelkeiten sein. Auch hier passen die vorgetragenen Stücke nicht zu den Bildern Es ist aber durch die etwas intimere Fläche und die einheitlicheren Kostüme eher zu akzeptieren und nicht so anstrengend.

Heiner Goebbels ist mit dieser Erstarbeit im Rahmen seiner Intendanz eine gute handwerkliche Arbeit gelungen. Aber nicht nur das, vielmehr hat er Cage mit allen seinen augenzwinkernden “ Widersprüchlichkeiten" bestens umgesetzt. Er hat sogar durch den Auftritt der Elektro-Hebewagen (Technik) noch etwas drauf gesetzt und ein zerstörerisches Element in das Werk einfließen lassen. Kritisch würde ich jedoch den etwas sparsamen Umgang mit der Beleuchtung sehen. Cage sah die Beleuchtung als eigenständiges Element mit welchem er gerne mehr gearbeitet hätte.

Wie immer ist es der Ruhrtriennale gelungen einen neuen ganz eigenen künstlerischen Akzent zu setzen, der es verdient hat auch außerhalb der Metropole Ruhr Gehör zu finden.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Bochum
[Fotos: © Linde Arndt]

[siehe auch die Gallery unserer Fotojournalistin zu diesem Thema]