Die Zukunft der Jugend wurde verspielt

v.l.Premierminister des Vereinigten Königreichs David Cameron, Ratspräsident der EU Donald Tusk, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker,Parlamentspräsident Martin Schulz, Fotocollage: Linde Arndt

v.l.Premierminister des Vereinigten Königreichs David Cameron, Ratspräsident der EU Donald Tusk, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker,Parlamentspräsident Martin Schulz, Fotocollage: Linde Arndt

[jpg] Das Projekt Europa war immer ein Projekt einer jungen Generation, der jungen Generation schlechthin. Die Vätergeneration konnte/wollte die Annäherungen zwischen den Völkern damals, als die römischen Verträge aufgesetzt wurden, nicht richtig verstehen. Erkannt hatten die Alten dennoch, die persönlichen Vorteile die sich mit einem Projekt Europa ergaben. Aber es waren auch die Alten die nach dem zweiten Weltkrieg mit den römischen Verträgen die Vision eines friedliebenden Europas auf den Weg brachten. Nach dem zweiten Weltkrieg hatten De Gaulle und Adenauer die Vision, ein prosperierendes Europa wird keine Kriege führen. Warum auch? Hatten die Alten damals noch Vision und einen Gestaltungswillen, so haben die heutigen Alten nur noch Ängste und verweigern sich der Zukunft. Und dies bezieht sich nicht nur auf Großbritannien sondern trifft auf ganz Europa zu. So ist es nicht verwunderlich, wenn die Podemospartei des jungen Pablo Iglesias in Spanien die etablierten alten Parteien zum Teufel jagt. Die Methusalixe der europäischen Konservativen, der Sozialisten oder Liberalen haben doch nichts zu bieten. Sie propagieren die Globalisierung, können jedoch nicht damit umgehen. Und so schlummert der Nationalismus weiterhin unter der europäischen Kuscheldecke, die schon seit Jahren darauf wartet einmal gelüftet zu werden. Entsetzt hatten denn auch die Alten bemerkt (was für ein Wunder), dass ihnen eine junge Generation folgte, die ihr Europa gestalten wollte.

So waren es die Alten die der Jugend mit dem Referendum in die Suppe spuckten, indem sie sich nostalgisch der Vergangenheit zuwandten, indem ja bekanntermaßen alles besser war; denn den Brexit wollten mehrheitlich die über 50 jährigen. Da die Alten ihre Jugend nicht mehr in den Krieg schicken konnten, haben sie sich eine andere Missetat ausgedacht.

 

Welche Altersgruppen wollten den Austritt aus der EU
18 – 24 jährige wollten 20% den Brexit

25 – 49 jährige wollten 45% den Brexit

50 – 64 jährige wollten 56% den Brexit

65 und älter wollten 63% den Brexit

Quelle: YouGov UK Online-Umfrage

Die Wiedergeburt des Nationalismus, einhergehend mit dem Egoismus und einer großen Portion von Narzissmus, musste man dieser Brexit Wählerschicht bescheinigen.

Es waren die Eliten aus Eton und Oxford oder bei Farage das Dulwich College die die Briten jetzt in diese Situation gebracht haben, die in Brüssel nichts werden konnten oder wollten. Premierminister David Cameron zettelte dieses Referendum an, weil Teile seiner konservativen Partei mit der EU unzufrieden waren  und wusste nach seinem nicht ganz gelungenen Sinneswandel seine Landleute nicht mehr überzeugend für Europa einzustimmen.

Während des Wahlkampfes wurde von allen Parteien, durch die Protagonisten David Cameron (Conservative Party), Boris Johnson (Conservative Party), Nigel Farage (UK Independence Party (UKIP) unverschämt gelogen, unterstellt, verdreht, so dass ein Bild von dem Projekt Europa entstand, welches schlechter nicht sein konnte. Informationen für die Wähler? Wofür denn. Der politische Gegner machte Propaganda und selber machte man Wahlkampf – Bigotterie hoch drei. Alle machten Propaganda der übelsten Art. Kein Wunder, dass die über 50 jährigen die alte Zeit wiederhaben wollten, wo alles noch klar war. Das Ergebnis: Großbritannien ist zerrissen zwischen Nord und Süd, Arm und Reich, Jung und Alt; Schottland und Nordirland drohen mit Austritt aus Großbritannien.

Aber, wo wurde über die Erasmus Studenten, die Praktikanten die in Brüssel und Straßburg lebten und arbeiteten gesprochen? Das sind nur zwei Gruppen junger Menschen die vom Projekt Europa begeistert sind. Diese junge Generation lebt inzwischen Europa. Kein Wort davon im Wahlkampf.

Sicher haben die Farage, Le Pen, Wilders oder auch Petry Recht, wenn sie den Mangel an Demokratie der EU anprangern. Nur, sie vergessen immer dabei zu sagen, dass ihre eigenen Regierungschefs diese Mängelliste in Brüssel nicht abarbeiten wollten. Dem englischen Premier Cameron oder der deutschen Kanzlerin Merkel war es wichtiger die Interessen ihrer Wirtschaft in der EU umzusetzen, an der demokratischen Weiterentwicklung der EU war niemand interessiert, es sei denn die wirtschaftliche Interessenlage erforderte eine Weiterentwicklung der EU. Und Marine le Pen von der französischen FN und Nigel Farage von der UKIP konnten sich im Europaparlament nur provokativ gegen alles und jeden der nicht ihrer Meinung war stellen, wobei sinnlose Provokationen die erste Wahl waren. Konkretes konnte nicht registriert werden.

François Hollande, Staatspräsident der Französischen Republik, Foto: (c) Linde Arndt

François Hollande, Staatspräsident der Französischen Republik, Foto: (c) Linde Arndt

Und die Eliten der EU in Brüssel? Tusk, Schulz oder Juncker sahen dem ganzen Treiben höflich zu und wussten kaum den Mund aufzumachen. Gegen die Desinformation hilft immer nur eines Information. In Brüssel hatte man manchmal den Eindruck die Eliten der EU sitzen den ganzen Mist den diese Populisten ausbringen aus. Auch Merkel, Hollande waren in diesem Brexit Kontext verdächtig ruhig, allerdings waren beide mit sich selber beschäftigt.

Gut, jetzt ist es passiert. Die Briten haben sich mehrheitlich gegen die EU entschieden. Was also tun? Und wieder handeln die EU Eliten gegen alle Vernunft. Es wird Druck gemacht. Wie ein kleines Kind verkündet Brüssel, die Briten sollen jetzt aber hin machen, damit endlich Verhandlungen aufgenommen werden um den Austritt zu vollziehen. Die Außenminister der 6 Gründerstaaten haben mit Bundesaußenminister Steinmeier in Berlin gleichgezogen indem sie die Briten aufforderten den Austritt endlich zu melden.

Dabei ist keinesfalls solch ein Druck vonnöten, wenn man bedenkt, dass dieses Referendum anders gelaufen wäre, wenn die Wähler nicht mit solchen Ängsten konfrontiert worden wären.

Zuerst einmal muss die britische Regierung dieses Referendum nicht akzeptieren, dieses Referendum ist für die britische Regierung nicht bindend, eher eine Empfehlung. Auch die Erklärung nach Artikel 50 des „Vertrages über die Europäische Union“ muss nicht sofort abgegeben werden. Die Arbeit in Brüssel geht auch so weiter.

Wenn die Brüsseler und Londoner Eliten einmal ihre Eitelkeiten vergessen würden und sich darauf besinnen, dass beide Parteien nur verlieren können, dann sollten sie sich zusammen setzen und einen gemeinsamen Neuanfang formulieren, heißt, diese Abstimmung als Zäsur verstehen.

Zur Erinnerung, die Briten hatten weitgehend die Probleme im Zusammenhang mit der Finanzkrise 2008/2009 gelöst oder zumindest tragbare Vorschläge auf den Tisch gelegt, während die anderen Finanzminister vor Entsetzen keinen klaren Gedanken fassen wollten. Das britische Schatzamt reagierte besonnen und hatte ein hervorragendes Krisenmanagement vorzuweisen. Es war für die EU ein wertvoller Beitrag.

Der Neuanfang könnte in Kooperation mit den Briten mehr Demokratie bringen, die Kommission und die Eurogruppe müssten sich dem Parlament unterordnen. Nicht der Rat bestimmt die Kommissare oder den Chef der Eurogruppe, sondern das Parlament wählt die Personen aus seiner Mitte. Auch die Forderung nach mehr Selbstverwaltung der einzelnen Staaten könnte besprochen werden und Lösungen vorgeschlagen werden. Was hat das mit Europa zu tun, wenn jeder seine krummen Gurken oder Glühbirnen behalten will und Brüssel seine Gleichmacherei (Harmonisierung) umsetzen will? Was damit, dass die Kleinbauern auf Kosten einer überbordenden subventionierten Landwirtschaft in ihren Existenzen vernichtet werden. Oder, wie jetzt in Griechenland passiert, dem Land eine Steuerpolitik diktiert wird, welche negative wirtschaftliche Auswirkungen hatte und noch hat.

Bundeskanzlerin Angela Merkel Foto: (c) Linde Arndt

Bundeskanzlerin Angela Merkel
Foto: (c) Linde Arndt

Entscheidungen, wie in der Flücht- lingskrise durch Bundeskanzlerin Merkel bedürfen der Zustimmung des Europaparlamentes oder muss von diesem auf den Weg gebracht werden. Merkel hat zwar richtig entschieden, nur die anderen EU-Mitglieder fühlten sich übergangen, abgesehen von dem nicht vorhandenen demokratischen Prozedere. Die Öffentlichkeitsarbeit muss intensiviert werden. Es kann nicht sein, dass landauf und landab bis auf die lokale Ebene jeder Vorstadtpolitiker unwidersprochen behaupten kann, Brüssel hat die Probleme zu verantworten. Hier darf man ein großes Wissensdefizit, was Brüssel macht, einer mangelnden Öffentlichkeitsarbeit der Brüsseler Behörde zuschreiben. In den vier Jahren meiner Tätigkeit in Brüssel konnte die Presse einen ziemlich großen Reformstau registrieren. Und die Wahlen 2014: Sie wurden mit gezielten Desinformationen geführt. Immer wieder wurde der Eindruck erweckt, Juncker und Schulz würden als Kommisionspräsidenten gewählt werden können, was natürlich nicht zutreffend war. Das ist einer Demokratie abträglich.

Und das letzte Problem, die Briten wollten weder Schulz noch Juncker oder Tusk, sie wollten nach der Wahl eine neuere Mannschaft die jünger und dynamischer sein sollte. Heute weiß jeder, die Briten hatten recht gehabt. Wer aber könnte die Brüsseler Führungsmannschaft abbilden. Die Deutschen auf keinen Fall, sie haben weder die Kompetenz, noch, durch ihre Vergangenheit, die Akzeptanz der EU Familie. Zumal denn Finanzminister Schäuble den altbekannten Deutschen während der Griechenlandkrise herausholte.

italienische Ministerpräsident Matteo Renzi Foto: (c) Linde Arndt

italienische Ministerpräsident Matteo Renzi
Foto: (c) Linde Arndt

Nun, gehandelt wird der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi, er ist jung, entscheidungsfreudig, hat eine schnelle Auffassungsgabe und kann strukturell denken, wobei er auch noch ein gewisses Fingerspritzengefühl besitzt. Und, er ist vermittelbar. Als Partner wird über die ehemaligen Ministerpräsidenten Schwedens John Fredrik Reinfeldt oder den Niederländer Mark Rutte gesprochen.

Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel müsste führen, kann dies weder aus persönlichen Gründen durch ihren eingeschränkten Führungsstil nicht, noch sprechen aber andere Gründe gegen sie. Das Merkel mit ihrem Herzen keine Europäerin sein will, sieht jeder; denn sie kann Europa nicht überzeugend rüber bringen. Was Merkel aber kann, über die Franzosen führen denen Europa mehr am Herzen liegt als Merkel. Wobei die Franzosen auch noch die besseren Diplomaten haben. Allerdings haben beide in 2017 Wahlen, die eine Menge an Energie bindet. Frankreich hat allerdings im Moment noch einige andere Probleme zu lösen.

Und wenn die Reformen mit den Briten umgesetzt wurden, könnte man eine neuerliche Befragung der Bevölkerung vornehmen. Und jede Wette, die Briten werden mit Zweidrittelmehrheit in der EU bleiben wollen. „In Vielfalt geeint“ ist das Motto der EU. Die Briten sind anders (Wer denn nicht), sie haben ein Referendum abgehalten, warum sollen wir Europäer sie ziehen lassen, europäische Bürger sind vielfältig und machen manchmal nicht das was ihre Eliten von ihnen erwarten. In diesem Fall setzten wir uns mit den Briten an einen Tisch weil sie die konstruktivsten Kritiker sind und kurbeln die Reformen an.

 

 

Jürgen Gerhardt für european-mosaic und EN-Mosaik aus Brüssel.