Der Beginn der Moderne ist da wo unsere Gegenwart beginnt
v.l.: Festspielleiter Dr. Frank Hoffmann / Ulrich Khuon / Oliver Reese / Markus Langer / Martin Kušej Foto: © Linde Arndt |
[jpg] Es ist wieder soweit. Die Ruhrfestspiele sind am Horizont zu sehen. Dieses Jahr werden die Festspiele vom 1. Mai bis 16. Juni 2013 stattfinden. Im Schlepptau wird wieder das „schräge Festival“ Fringe vom 21. Mai bis 8. Juni seine Zelte den Besuchern in der Innenstadt und am Festspielhaus öffnen. Seien sie wieder wie immer, nämlich, neugierig auf das was für uns gespielt wird. Hatte man in 2012 noch den Fokus auf das Thema: "Im Osten was Neues – Von den fernen Tagen des russischen Theaters in die Zukunft" gelegt, steht diesmal alles im Fokus des Themas „Aufbruch und Utopie.“
Es geht um die „Moderne“ die 1880/1890 bis 1933 einen ungeheueren Schub für die internationale Kultur brachte und damit auch für Deutschland. Wobei Deutschland eines der größten Zentren in der Kulturentwicklung war. Deutschland das große Land der Dichter und Denker, dieses Land welches immer weltbewegende kulturelle Impulse gab. Der Beginn wird in etwa an dem Dramatiker Gerhart Hauptmann festgemacht, Ibsen aber auch Fallada waren weitere Stationen und das Ende dieser Zeit markiert Ödön von Horváth in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts – deutschschreibende Künstler waren die Avantgarde. Es war aber auch die Zeit der aufkommenden Sozialkritik, der großen industriellen Entwicklungen und des wissenschaftlichen Sozialismus eines Karl Marx. Was aber die Festspielleitung geschickt in das Zentrum der Festspiele einbindet ist die neue Rolle der Frau in der Gesellschaft in der damaligen Zeit. Es waren Zeiten der Eitelkeiten, des Glamours neben Zeiten großer sozialer Spannungen. Das utopische war sowohl aufbauend als auch zerstörerisch. Danach fiel Deutschland zurück in die tiefste Barbarei der Nazizeit.
Der rote Faden der diesjährigen Festspiele ist der Aufbruch und die Utopie. Sie sind Teil einer Allgemeinbetrachtung, indem das Theater die damaligen Probleme aufgreift und sie in seinen Werken umsetzt. Wo wir diese Zeit verherrlichen, öffnen uns die Dramatiker die Augen und führen uns die von uns geschaffene Welt vor.
Und so ist das Credo vieler Stücke: Wolltet ihr diese Welt? Und diese damalige Welt könnte eine Blaupause der heutigen Welt sein. Äußerlichkeiten und Marginalien haben sich verändert, inhaltlich scheinen wir stehen geblieben zu sein.
Zu den Frauen in diesem diesjährigen Festival. Die Produktionen zeigen starke Frauen in den Stücken, die auch von starken Schauspielerinnen wie, Nina Hoss und Birgit Minichmayr, Sibylle Canonica, Cornelia Froboes, Jacqueline Macaulay, Angela Winkler oder Hannelore Hoger und Miriam Goldschmidt – um nur einige zu nennen – gespielt werden. Kennenlernen durften wir Maria Milisavljevic, die mit einer Uraufführung in der neuen Halle König Ludwig 1/2 ihres Stückes „Brandung“ sicherlich glänzen wird. |
Plakat Brandung Foto: © Linde Arndt |
Zum Festival und einzelnen Stücken.
Wir sprechen von starken Frauen, stark in vielerlei Hinsicht.
Da ist Ibsens „Hedda Gabler“ mit Nina Hoss und dem deutschen Theater Berlin.
Hedda eine Frau die einen hilflosen, unselbstständigen und durchschnittlichen Mann heiratet der ihr nichts bedeutet. Hedda eine stolze Frau fügt sich bis das Gegenteil von ihrem Mann in ihrer beider Leben eintritt. Es kommt wie es kommen muss, Lügen werden gewandelt, Verdrängtes bricht auf und Hedda will in diesem für sie wertlosen Leben nicht mehr sein.
Gerhart Hauptmann „Rose Bernd“ soll heiraten nur sie liebt einen anderen, nämlich den Mann ihrer Ziehmutter. Die junge Frau wird bei diesem Verhältnis erwischt und darauf erpresst. Sie erstickt an den nun folgenden Verhältnissen und zieht sich in den Wahnsinn zurück. Hauptmann interpretiert Sigmund Freud, den Begründer der modernen Psychologie.
„Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Ödön von Horváth hier eine Frau an der sämtliche Träume schon zerschellt sind. Desillusioniert schaut man auf ein Leben welches noch gelebt werden müsste aber nicht mehr gelebt wird. Ödön von Horváth zeichnete die Akteure dieses Stückes in einem sozialen Umfeld, welches Menschen nur auf das Funktionieren reduziert. Dieses Stück macht auch in unserer Zeit nachdenklich.
Karl Schönherr „Der Weibsteufel“ , „Der Mann – sein Weib – ein junger Grenzgänger. Schauplatz: Die Stube“ Es geht um Geld, Macht und Sex, eine Frau die die Männer in ihrem Sinne manipuliert.
Männerrituale werden aufgebrochen und gegen Männer verwendet, die in ihrer Rückständigkeit in irgendeiner Vorzeit stehen geblieben sind.
Und das wollten sie sicher immer schon wissen. Carl Sternheim „Die Hose/Bürger Schippel“
Der typische deutsche Untertan der in der Öffentlichkeit ein sozial mitfühlender Mitbürger und hinter seiner Wohnungstür jedoch brutal und rücksichtslos ist. Nach unten treten nach oben bücken, so arbeitet sich Schippel zur Macht. Es ist das Monster welches die Nazis an die Macht gebracht und den Rückhalt geboten hat. Ein Kind des Faschismus.
Sophie Rois liest im kleinen Haus aus „Die Geschichten von der 1002. Nacht“ von Joseph Roth.
Rois ist geradezu prädestiniert für diese Lesung. Das Freudenmädchen Mizzi wird durch einen Schah zu einer reichen Frau und die Welt verliert ihre Realität. Alles ist arabesk und verspielt, die Wirklichkeit hat einen Sprung bekommen.
Zwischendurch möchte ich noch eine Neuerung und zukünftige Umorganisation mitteilen, wir haben ja jetzt immerhin die 67. Ruhrfestspiele. In Zukunft wird es in der Halle König Ludwig 1/2 der ehemaligen Lehrwerkstatt an der Alten Grenzstrasse, die hergerichtet wurde während der Festspielzeit, alle Uraufführungen geben. Und leider wird der alte Saalbau, mit der die Ruhrfestspiele begonnen haben, abgerissen – schade.
Und in dieser Halle König Ludwig 1 – 2 wird es mehrere spannende Uraufführungen geben, eben das oben beschriebene Stück „Brandung“ von Maria Milisavljevic.
Hannelore Hoger wird im Theater Marl von Yasmina Reza ein weltweit viel beachtetes Stück „Ihre Version des Spiels“ mit dem St. Pauli Theater zur Aufführung bringen. Und in der Vestlandhalle wird von Franz Xaver Ott „Ein Dorf im Widerstand“ gespielt. |
Um es einmal klar zu sagen: Mit 100 Produktion und 318 Aufführungen in 16 Spielstätten haben die Ruhrfestspiele wieder die Redaktionen an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit getrieben. Nach Durchsicht aller Pressematerialien haben wir, wie alle anderen Redaktionen, ein Riesenproblem: Es gibt keine Aufführung die wir ablehnen wollten oder nicht empfehlen würden. Redakteure haben eine natürliche Neugier und diese Neugier würde uns in alle Aufführungen treiben um der Welt mitzuteilen welches faszinierendes Stück man gesehen hat. Es sind Stücke von denen man nur gehört hat; SchauspielerInnen deren Spiel man mit Freude mit erleben würde. Nur jeder Tag hat 24 Stunden und Artikel müssen auch geschrieben werden – nicht nur Festspielartikel.
Um unseren Lesern jedoch die Qual der Wahl zu lassen, haben wir das Festivalheft mit
dem Ruhrfestival 2013: http://www.ruhrfestspiele.de/publikationen/downloads/rr_2013_web.pdf verlinkt.
Noch etwas. Die Koproduktion „Danses Nocturnes“ mit Charlotte Rambling und der US amerikanischen Cellistin Sonia Wieder-Atherton muss aus terminlichen Gründen entfallen. Stattdessen wird „LE NAVIRE NIGHT/DAS NACHTSCHIFF von Marguerite Duras mit Fanny Ardant und der US amerikanischen Cellistin Sonia Wieder-Atherton gezeigt.
Auch hier muss man sagen ein unnachahmlich sinnliches und intimes Stück, ein Dialog einer Stimme mit einem Cello, wurde von den beiden Damen konzipiert.
Die Macher des Fringe-Festival v.l. Sebastian Ackermann, Dr. Frank Hoffmann, Meinhard Zanger Foto: © Linde Arndt |
Aber es gibt ja noch ein zweites Festival, nämlich das 9. Fringe Festival
Hier vorab: Es sind 25 Produktionen aus 11 verschiedenen Ländern in 135 Aufführungen in 5 Spielstätten.
Dieses Festival hat sich gemausert. Neben Edinburgh und d’Avignon als ältere Off-Festivals hat sich das Fringe Festival in Reklinghausen nunmehr etabliert. 200 Bewerbungen aus 32 Ländern standen zur Auswahl und haben der Jury Kopfzerbrechen gemacht.
Heraus gekommen sind liebevolle, fantasievolle oder auch fantastische Teilnehmer der freien Theaterszene die ihres gleichen suchen.
Da erzählt die National Peking – Opera Company Alexander Puschkins Erzählung vom „Fischer und seinem Fischlein“, eben eine Adaption des Grimmschen Märchens vom“Fischer und seiner Frau“.
Ein Stück für Kinder und junggebliebene Erwachsene.
Oder „Die Schneiderin Gardi Hutter“ eine schweizer Clownin die auf und absteigt und dadurch in den Fäden des Lebens sich verstrickt. Auch hier für Kinder und junggebliebene Erwachsene.
Irisch Dance mal anders mit der post-pop-generation mit Elektro, Pop und zeitgemäßem Folk. Die Gruppe „ UP & OVER IT“ aus Irland, mit Suzanne Cleary und Peter Harding wird ein absolut neues Level von Irisch Dance eröffnen.
Musik und Kabarett mit Cornelia Schirmer und Anne Weber. „Schuld daran sind wir,Jungs! Anne und Coco aufm Kiez“ im Foyer der Sparkasse Vest. Diesmal sind eben nicht die anderen Schuld.
Boggie und Blues spielt Siegfried Gerlich zum Gesang der beiden frechen Hamburgerinnen.
Ups, eine Sprachjonglage mit Marcus Jeroch. Po-ich, Poe-du, Poe-sie man sollte sich ruhig verhalten sonst verliert man sich in den gewundenen und wirren Worten und Sätzen.
Isobel Cohen/Großbritannien ein großes Talent des Physical Theatre zeigt „Within Range“ eine Performance über den Berliner Mauerfall von 1989. Es ist eine hochprofessionelle Choreografie.
Ein Puppenspiel und Maskentheater im Rohbau der Recklinghausen Arcaden. Perpetuum Mobile, Ton und Kirschen Wandertheater. Es ist ein bizarres Theater in der eine Szene in die nächste übergeht. Ein Spiel der Objekte, in der die Sinnlichkeit vorherrscht.
Auch das Fringe Festival ist so vielfältig und qualitativ hochwertig geworden, so dass es unmöglich wird eine Veranstaltung auszulassen. Schmerzhafte Entscheidungen werden hier abverlangt.
Man sollte im Programmheft selber stöbern und spontan entscheiden. Auch hier wollen wir nur Empfehlungen aussprechen und den Leser damit animieren sich ein paar schöne Stunden zu gönnen.
Hier der Link zum Fringefestival: http://www.ruhrfestspiele.de/publikationen/downloads/fringe_2013_web.pdf
Am Samstag, dem 15. Juni 2013, 20.00 Uhr findet als Open-Air-Veranstaltung im Stadtgarten das Abschlusskonzert mit den FANTASTISCHEN VIER statt.
Einmal mehr hat die Festivalleitung mit Dr. Frank Hoffmann gezeigt, der Geist der Ruhrfestspiele der vor 67 Jahre beschworen wurde lebt auch heute noch. Wie sagte Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters Berlin in einem anderen Zusammenhang: Vielleicht sind wir die Verbinder. Wir, die dem Besucher den Spiegel zeigen den er zur Orientierung oder Neujustierung im Hinblick auf Kultur und auch Theater braucht. Es soll ein produktives Rätsel sein, dass nicht unbedingt beantwortet werden muss.
Und Markus Langer von der Evonik Industries AG sieht durch das Theater einen Impuls von draußen um brennende wirtschaftliche Fragen anders zu beantworten als mit eingefahrenen Antworten.
Der Kartenvorverkauf hat schon begonnen.
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Recklinghausen.