Marktwirtschaft ist doch was schönes

 

[jpg] 120 Redakteure bzw. Journalisten der Westfälischen Rundschau werden durch den WAZ Konzern entlassen. Heute am 19. Januar 2013 demonstrierten rund 1200 oder auch 500 Menschen vor dem Dortmunder Verwaltungsgebäude der Westfälischen Rundschau. Wie bei solch einer Demo immer, hörte man starke Worte von den anwesenden GewerkschafterInnen oder PolitikerInnen. Da wurde der Untergang der Presse heraufbeschworen, die Kälte der Marktwirtschaft attestiert und zu guter Letzt die Solidarität der Anderen eingefordert.

 
Screenshoot der WR
 

Ja, EN-Mosaik erklärt sich solidarisch mit den Kollegen der Westfälischen Rundschau, aber nicht nur mit diesen Kollegen. Vielmehr erklären wir uns mit den vielen, vielen Freelancern solidarisch, die sich Tag für Tag abstrampelten um auch die Informationen von dem letzten Kaninchenzüchterverein der Redaktion zu übermitteln, den freien Fotojournalisten, den (neuerdings) Bürgerjournalisten, den Praktikanten, den Volontären, den technischen Angestellten, den kaufmännischen Angestellten, und, und, und. Es sind so viele neben den hauptberuflichen Redakteuren/Journalisten, die den Betrieb einer Zeitung aufrecht erhalten. Auch wir setzen unsere Artikel über eine Agentur ab, die diesen Artikel an andere Verlage verkauft. Nur mit der Solidarität kann keiner seine Nahrungsmittel  bezahlen.

Als die Frankfurter Rundschau, die Financial Times Deutschland und viele andere in der Vergangenheit den Betrieb einstellten, wussten die Journalisten der WR die Agenturmeldungen zu drucken. Solidaritätsadresse? Nein. Seit 1993 bis heute sind rund 70 Zeitungsschließungen zu verzeichnen gewesen. Ein Auflagenschwund von rund 8 Millionen wurde registriert und die Zahl der eigenständigen publizistischen Einheiten mit einer eigener Politik-, Wirtschafts- und Kulturredaktion sank erheblich. Womit haben sich die Journalisten der WR in diesem Zeitraum beschäftigt; denn diese Zahlen sind jedem Journalisten zugänglich. In vielen Verlagen regieren nur noch die Betriebswirte, Verleger haben sich zurück gezogen. Das konnte man doch nicht übersehen haben. Und die Konsequenz? So lange es mich nicht betrifft soll mir das alles egal sein? In den letzten Jahren waren doch ganz deutliche Signale von der WAZ aus Essen zu vernehmen. Wusste man diese nicht richtig einzuordnen? Man wollte die Kosten drücken, weil man keine probaten Konzepte hatte die greifen könnten. Und jetzt?

Der WAZ Konzern wird den Mitarbeitern sicher einen neuen Vertrag unter dem Dach der Westfalenpost anbieten. Nicht mehr die gleichen Bedingungen, wie vorher. Wenn das nicht klappt wird es eine „angemessene“ Abfindung geben. Und ab die Post. So geht das seit Jahren in unserem Land und alle finden es gut, solange es einen nicht selber betrifft. Es gibt kaum Presseerzeugnisse die diesen neoliberalen Zug in unserer Republik anprangern, im Gegenteil dieser Neoliberalismus wird sogar als alternativlos beschrieben. Auch die Zeitungen des WAZ Konzerns, einschließlich der WR haben mit der Kritik an dieser neoliberalen Wirtschaftspolitik nicht gerade jemanden hinter dem Ofen her geholt. Man beißt eben die Hand nicht, die einen füttert. Und weiter: Es war und ist ja alles so bequem nicht nachzudenken über die Art und Weise der Presse im digitalen Zeitalter. Wie kann ich meine Nachricht, meinen Kommentar, meine Glosse, meine Rezension usw. an meinen Leser bringen. Einem Leser in einem veränderten Umfeld. Das Netz als Übermittlungskanal meiner analogen Produkte, ist der weiteste Gedanke den die Nostalgiker der Redaktionstuben aus dem Printbereich dachten.

Wenn der Rauswurf der 120 und mehr Redakteure und anderer Redaktionsmitglieder einen Sinn machen sollte, so den: Es ist mit der Marktwirtschaft nicht gut Kirschen essen. Wenn man sich anbiedert wird man als zweiter gekündigt, gekündigt wird man sowieso. Und noch eines: Die Presse hat nur eines zu verlieren, ihre Freiheit und Unabhängigkeit. Und das ist verdammt viel.

 

 

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Ennepetal