Wie viel Merkel darf´s sein für eine lebendige Demokratie?

François Hollande und Angela Merkel Foto und Collage: Linde Arndt

François Hollande und Angela Merkel Foto und Collage: Linde Arndt

[jpg] Sechs Minuten soll der Applaus gedauert haben als Angela Merkel mit 95,9 % der Delegierten am 10. April 2000 in der Essener Grugahalle zur Nachfolgerin des damaligen Übervaters Helmut Kohl zur neuen Parteivorsitzenden gewählt war. Angie, Angie, der Stones, trällerten die anwesenden CDU Delegierten überglücklich. Angela Merkel sollte wieder die damals zerrissenen CDU zusammenführen und ihnen eine neue Perspektive geben. Angela Merkel führte die CDU zu neuen Ufern, sie, die ja schon die Mitte für sich in Anspruch nahm, rückte die CDU mehr nach links und eroberte sich die Politikfelder der SPD. Rechts von ihr hielt ihr die bayrische Schwesterpartei den Rücken frei. Mit der Zeit entwickelte sie eine Strategie wo nach Bedarf die CSU als Opposition auftrat oder auch als Mehrheitsbeschaffer. Zwischen CDU/CSU passte und passt kein Blatt Papier.

Alles Schauspiel? Ich denke ja. Wobei sich die Frage stellt, wer die/der bessere Schauspieler ist, Angela Merkel CDU oder Horst Seehofer CSU.

Der chinesische General Sun Tsu, dessen Weisheiten von den Eliten der damaligen DDR, und zu diesen gehörte eben eine Angela Merkel, gerne gelesen wurde, umschrieb die Strategie einer guten und effizienten Führung mit, „Siegen, ohne zu kämpfen“ (Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen.). Denkt man an Roland Koch oder an Friedrich Merz und deren Verschwinden von der politischen Bühne, immerhin stellten beide eine Alternative zu Angela Merkel, so kommen die Weisheiten des chinesischen Generals unweigerlich ins Gedächtnis. Ja, Angela Merkel könnte von General Sun Tsu gelernt haben.

Nur General Sun Tsu hatte nichts mit unserer heutigen Demokratie zu tun, vor 2.500 Jahren hatte man in China den „Absolutismus“ in dem der oberste Herrscher Gottgleich regierte.

2017 sehen wir die Demokratien in Europa und damit auch in Deutschland in der Krise. Brexit, Ukraine, Russland, Rechtspopulisten, EU, Protektionismus, Nationalismus oder auch Isolationismus um nur einige Baustellen in Europa und damit auch Deutschlands zu nennen, erfordern Köpfe die überzeugend die Demokratie vertreten können. Deutschland kommt hierbei als europäischer Staat eine besondere Rolle und Verantwortung zu. Der Motor Frankreich – Deutschland ist ausgefallen, Frankreich hat Präsidentenwahl und Deutschland Bundestagswahl.

Vor der Wahl wird immer ein Spitzenkandidat gesucht und da machte die CDU es sich leicht, allzu leicht, sie verschwand in die Hinterzimmer und kam mit einer Kandidatin zurück – Angela Merkel.

Kein Gegenkandidat, keine Alternative und auch keine Vision. Bei einer Partei mit über vierhunderttausend Mitgliedern, eine beschämende und nichtssagende demokratische Vorstellung.

So wählten die CDU Delegierten „ihre“ Angela Merkel mit 89,5% zu ihrer Spitzenkandidatin, wen sollten sie denn auch wählen? Viele der Delegierten blieben der Abstimmung fern indem sie sich mit dem Buffet befassten.

Was machen eigentlich unsere Nachbarn, unsere Freunde?

Schauen wir bei unseren französischen Nachbarn, wie dort die „les Républicains (früher UMP)“, also die Konservativen ihren Spitzenkandidaten auswählten, denn auch die Franzosen haben die gleichen Probleme mit der Demokratie.

Sieben Kandidaten hatten die Konservativen öffentlich aufzubieten, alle Kandidaten mit einer eigenen Agenda, alle stellten sich den Fragen von unabhängigen (!) Journalisten.

  • Jean-François Copé       
  • François Fillon    
  • Alain Juppé       
  • Nathalie Kosciusko-Morizet    
  • Bruno Le Maire    
  • Jean-Frédéric     Poisson    
  • Nicolas     Sarkozy    

 

François Hollande (Frankreich) Foto: Linde Arndt

François Hollande (Frankreich) Foto: Linde Arndt

Zur Wahl, bzw. Vorwahl wurden alle Franzosen aufgerufen die die Parteistatuten respektieren konnten. Und die Franzosen kamen und wählten – 4 Millionen Wähler fanden sich ein. Es war neu, dass die Franzosen über einen bzw. ihren Spitzenkanditaten,zumal von einer anderen Partei, selber bestimmen sollten, selbst die Linken wählten mit, wen sie denn als ihren politischen „Gegner“ haben wollten. Wäre es nach den Parteimitgliedern gegangen hätten Nicolas Sarkozy oder Alain Juppé das Rennen um die Kandidatur gemacht. Durch die allgemeine Vorwahl und die nachfolgende Stichwahl wurde jedoch ein Außenseiter, nämlich François Fillon, ein Erzliberaler, zum Kandidaten der „les Républicains“ erkoren.

Und die Linken, sie schaffen es nicht nochmals eine „Front de Gauche“ („Linksfront“) wie 2005 entstehen zu lassen. Zu groß war die Enttäuschung über den derzeitigen Präsidenten François Hollande, der Sozialistischen Partei (PS). François Hollande zog denn auch die Konsequenzen und kündigte an, nicht mehr zur Wahl 2017 anzutreten. Von der Linken sonderten sich Jean-Luc Mélenchon, der Deutschland mit seiner derzeitigen Regierung sehr kritisch gegenübersteht und Emmanuel Macron, ein Querdenker der zwischen links und rechts nicht unterscheiden mag und mit seiner Partei „En Marche“ (Vorwärts oder voran) den Rückwärtsgang aus der französischen Politik rausnehmen möchte. Und dann sind da noch die sieben Kandidaten die sich im TF1/RTL/LÓBS eine erste Debatte lieferten und sich den Fragen von Journalisten stellten.

  •     Jean-Luc     Bennahmias
  •     Benoît     Hamon    
  •     Arnaud     Montebourg    
  •     Vincent     Peillon        
  •     Sylvia     Pinel    
  •     François     Rugy    
  •     Manuel     Valls    

 

Fast alle Kandidaten waren schon mal im Kabinett François Hollandes als Minister, wobei Valls sogar Ministerpräsident war. Nach einer ersten Umfrage führten Arnaud Montebourg mit 29% und Manuel Valls mit 26%. Man darf gespannt sein welcher der sieben Kandidaten die Sozialisten anführt. Bei dem öffentlichen Auftreten, sah man ein breitgefächertes politisches Tableau, welches jeder der Kandidaten zu bieten hat.

Und dann ist da noch Marine Le Pen Parteivorsitzende des Front National (FN) und Europaabgeordnete, sie treibt mit ihren politischen Äußerungen, die mehr oder weniger populistisch geprägt sind, Linke und Konservative vor sich her. Sie ist die Analogie der deutschen AfD. Beide Parteien, in Frankreich die FN und in Deutschland die AfD, bestimmen die Marschrichtung der Politik. Wobei man Marine Le Pen sogar den Sieg der Präsidentschaftswahl zutraut. Anfang Februar werden wir mehr wissen, weil dann alle Kandidaten feststehen.

Die eigentliche Präsidentenwahl wird am 23. April 2017 stattfinden  und am 7. Mai 2017 wird in der Stichwahl der neue Präsident feststehen.

Soweit ich das zur Zeit übersehe, gibt es also 17 Kandidaten*innen die sich einer Wahl stellen, jeder war aufgerufen und konnte seinen Hut in den Ring werfen. Fillon von den Konservativen war die erste Überraschung, ihn hatte keiner auf dem Radar. Bei den Linken diskutiert man über die ehemalige Justizministerin Christiane Taubira von der PRG als Kandidatin. Sie hätte zwar keine Chance gehabt in die Endrunde zu kommen, hätte der Linken jedoch eine moralische Basis gebracht.

 

Wieder zurück nach Deutschland, was macht die deutsche Linke ?

 

Bundeskanzlerin  Angela Merkel  Foto: Linde Arndt

Bundeskanzlerin
Angela Merkel Foto: Linde Arndt

Die SPD diese über 150 Jahre alte Partei will eine Linkspartei sein, zumindest betont sie es immer wieder. Tatsächlich hat sie sich unter Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 zu einer liberalkonservativen Partei entwickelt. In der großen Koalition mit Bundeskanzlerin Merkel hat sie sich so schleifen lassen, dass kaum Unterscheidungsmerkmale vorhanden sind. Wenn die CDU heute konservativ ist, so ist die SPD als konservativ light einzuordnen. Und wie das so ist, wenn man kein Alleinstellungsmerkmal mehr hat, geht man unter. Heute hat die SPD nur noch einen Bodensatz von 20% an Wählern. Die mehr als vierhunderttausend Mitglieder haben ein Durchschnittsalter wie bei der CDU von 59 Jahren, also findet man eine Mehrzahl der Mitglieder in Pflege- und Altenheimen.

Von einer Volkspartei kann man hier kaum noch reden. Interessant wie sich die SPD ihren Spitzenkandidaten, der/die ja immerhin den Kanzler stellen würde, zusammen bastelt. Der Parteivorsitzende der SPD Sigmar Gabriel hat den Vorgriff auf diese Kandidatur. Immer? Ja, immer, seit Jahren. Nun muss in Brüssel Martin Schulz, der bis dato den Parlamentspräsidenten machte, durch einen Vertrag (Demokratie?) den man mit den Konservativen 2014 geschlossen hatte, seinen Stuhl auf Kosten der Konservativen räumen. Schon wird spekuliert ob nicht Martin Schulz die Spitzkandidatur für die Bundestagswahl machen sollte; denn Schulz ist laut Umfrage beliebter als Gabriel. Ende Januar oder Anfang Februar 2017 wird man wohl den Kandidaten bei der SPD ausgeguckt haben, wie immer wird es wahrscheinlich keinen Gegenkandidaten geben.

Bei der Partei „Bündnis90/Die Grünen“ musste es eine Doppelspitze für die Spitzenkandidatur geben. Katrin Göring-Eckardt als einzige weibliche Kandidatin, ist, da die Grünen ein Paar an der Spitze haben wollen, schon mal gesetzt. Der männliche Part für die Spitzenkandidatur wird denn unter den drei Kandidaten Robert Habeck, und Anton Hofreiter und Cem Özdemir in einer sogenannten Urwahl ausgelost. Wirklich neu und mutig ist diese Art der Kandidatenfindung wohl nicht. Und was den Status „links“ angeht, so kann man das bei Bündnis90/Die Grünen nicht mehr nachvollziehen, auch sie haben sich über die Jahre emsig zur Mitte hinbewegt. Cem Özdemir hat es denn auch, zwar knapp, geschafft der zweite Kandidat neben Katrin Göring-Eckhardt zu werden. Jetzt munkelt man im Mainstream eine Koalition mit schwarz/grün herbei. Alle freuen sich wie Bolle über die beiden grünen Realos, die für politische Bewegungslosigkeit in Deutschland garantieren sollen.

Bleibt die letzte ernstzunehmende Partei in Deutschland „Die Linke“. Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, beide halten den Fraktionsvorsitz der Linken im Bundestag, sie wurden im Hinterzimmer durch den Parteivorsitz zur Spitzenkandidatur gekürt. Demokratie? Auch hier kann man keine Bewegung sehen, die die Demokratie lebendiger machen könnte.

Ach ja. Und irgendwo tingelt die FDP mit Christian Lindner durch die Lande und wärmt die 70 Jahre alten Themen von Steuersenkung und Bürokratieabbau wieder auf. Dabei hatte die FDP als sie noch in der Bundesregierung saß, die Umsatzsteuer im Beherbergungsgewerbe auf 7% (Wachstumsbeschleunigungsgesetz) herabgesetzt. Dafür gab es von der Substantia AG, die einem der reichsten Deutschen, August Baron von Finck gehört, eine 1,1 Millionen Euro Parteispende. Und August Baron von Finck ist Miteigentümer der Mövenpick-Gruppe, die von diesem Gesetz 2010 profitierte.

Lebendige Demokratie und Politikverdrossenheit

Vergleicht man Frankreich mit Deutschland; denn immerhin stehen beide ja vor einer Wahl, so sieht man schon dieses behäbige der deutschen Demokratie. Auch die Themen, welche  die Kandidaten vortragen, könnten nicht unterschiedlicher sein. In Frankreich haben alle,  ich betone alle Kandidaten, eine eigene Agenda womit sie den Wähler und ihre Partei überzeugen wollen. Der Diskurs in Frankreich ist viel tiefer als in Deutschland. Auch Frankreich lässt sich teilweise die Themen von der rechten Front National diktieren, nur, die französischen Kandidaten verlieren sich nicht so tief in die Themen der Front National (FN). Allen ist in Frankreich bewusst, Marine Le Pen könnte Präsidentin der fünften Republik werden, wenn es nicht gelingt die Nichtwähler zu mobilisieren.

Auch in Frankreich herrscht eine Politikverdrossenheit gegenüber den etablierten Parteien und ihren Kandidaten. Die Politikverdrossenheit versucht man jedoch dort mit eigenen Demokratieformaten zu überwinden, wobei sich einige Bürgerbewegungen gebildet haben.

In Deutschland haben sich vor allen Dingen die jungen Bürger und die „armen“ Bürger von der Parteipolitik abgewandt. Und die etablierten europäischen Parteien bieten keine Perspektive mehr und treiben die meisten Menschen in den Egoismus.

Lebendige Demokratie kann so nicht bestehen und wird auch niemals eine Zukunft haben, wenn es weiterhin die abgehobene Schicht der etablierten Politiker geben wird.

Was tun, wie soll es weitergehn?

Der Weg Frankreichs ist da schon der bessere, nur auch dieser Weg führt nicht zu mehr Demokratie, vielmehr werden sich die gesellschaftlichen Gruppen gegenseitig blockieren. Diese Blockade kann man sehr gut an dem Flughafen-Großprojekt von Notre-Dame des Landes (NDDL) absehen. 16 Jahre hat der Widerstand gedauert, bei einer Bürgerbefragung haben sich 55% der Bürger für den Bau des Flughafen ausgesprochen. Damit wären alle Mittel erschöpft. Nicht für die Gegner des Flughafens, sie werfen der Regierung ein falsches Spiel bei der Fragestellung vor.

Die Zukunft sollte einen erweiterten offenen Dialog zwischen der Verwaltung, der Politik und den Bürger bringen. Dieser Dialog sollte auch soweit gehen, indem Teile der Systeme in Frage gestellt werden dürfen. Im Zusammenhang mit dem Flughafen-Großprojekt von Notre-Dame des Landes (NDDL) , ergab sich die Fragestellung nach dem Flächenverbrauch, der zu einem schützenswerten Verlust von Kulturlandschaft führen würde. Bauern und Bürger haben sich im westfranzösischen Departements Loire-Atlantique über alle bürgerlichen Grenzen zusammen gefunden. Wenn die Zentralregierung nicht zu einem Dialog findet, wird die Politikverdrossenheit sich sicher verstärken.

In Deutschland würde solch ein Projekt, man denke da an Stuttgart 21, par ordre du mufti irgendwie durchgedrückt.

Deutschland muss also noch viel Merkel wählen um endlich eine lebendige Demokratie zu bekommen.

 

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik und European-Mosaik

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