Geben wir unsere EU Werte jetzt sukzessive auf?

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Premierminister David Cameron Foto: (c) Linde Arndt

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Premierminister David Cameron Foto: (c) Linde Arndt

[jpg] Was will die Europäische Union? Nach dem Gipfel und dem Streit der vergangenen Monate hat es den Anschein, die EU will nur noch ein Wirtschaftsraum mit 500 Millionen Konsumenten und den dementsprechenden Produzenten sein. Seit die rechtspopulistischen Parteien UKIP, FN oder auch AfD mit dem Nationalstaat alter Prägung drohen, schrecken die EU Staatsführer auf und wollen die einmal beschlossenen Werte zurücknehmen. Mehr noch, man konkurriert mit Marine Le Penn, Nigel Farage oder Frauke Petry geradezu um einen fiktiven Preis, wer ist der beste Populist oder Nationalist. Vergessen scheint der Vertrag über die Europäische Union, sind ja nur Worte die man durch andere ersetzen kann. Stacheldraht und Zäune, hunderte Kilometer weit, werden errichtet um ja die Kriegsflüchtlinge außerhalb des eigenen Landes zu lassen. Die UNO-Flüchtlingskonvention oder die EU-Flüchtlingskonvention, von allen unterschrieben, weg damit.

Die Freizügigkeit, das Diskriminierungsverbot steht zur Disposition und wird in die Verhandlungen mit Premier Cameron geschleift.

 

Der Vertrag über die Europäische Union (Lissabonner Vertrag) Artikel 2 :

Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“

 

Für diese Werte hat die EU den Friedensnobelpreis bekommen! Diese Werte hat die EU Putin und seiner Russischen Föderation um die Ohren gehauen als dieser sich der Ukraine teilweise bemächtigte. Diese Werte sind nicht verhandelbar, so die Brüsseler Kommission. Mit Recht? Nein, wohl kaum, wenn diese Werte beliebig und veränderbar sind.

Premierminister des Vereinigten Königreichs David Cameron Foto: (c) Linde Arndt

Premierminister des Vereinigten Königreichs David Cameron Foto: (c) Linde Arndt

Premierminister des Vereinigten Königreichs David William Donald Cameron hat es der EU vorgemacht, seit Monaten beschäftigt er die EU mit seinem Referendum, wonach er es seinen Einwohnern freistellt ob sie in der EU bleiben wollen oder nicht. Es war eine Erpressung und ist es noch; denn Cameron will sein Volk dahingehend beeinflussen, für einen Verbleib in der EU zu stimmen, wenn die EU auf seine Forderung eingeht, dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland eine Sonderrolle zuweist, welche über allen Mitgliedern steht. Ein Pokerspiel welches hoch gereizt wurde und, man höre, gewonnen wurde.

Haben die Briten doch schon einen Sonderstatus, indem sie einen Rabatt auf die zu leistenden Zahlungen an die EU bekamen. Sie sind nicht Mitglied der Euro-Zone und auch nicht Mitglied des Schengen-Raumes. Die Briten wollten mehr und bekamen mehr.

 

  • Kindergeld

Aufgrund der Freizügigkeit kamen Arbeitnehmer aus Osteuropa nach Großbritannien. Die Kinder blieben in der Regel zurück, meistens bei den Großeltern, bis die Eltern in Großbritannien Fuß gefasst hatten. Nach einem Urteil des EUGH muss das Gastland die gleichen Sozialleistungen zahlen wie allen Arbeitnehmern.

In Zukunft muss nur soviel Kindergeld bezahlt werden wie das Heimatland Kindergeld zahlt. Bulgarien und Rumänien, die zu den ärmsten Ländern der EU zählen, zahlen kein Kindergeld, so dass die Arbeitnehmer in Zukunft keinen Anspruch auf Kindergeld in Großbritannien haben. Eindeutig wird hier der Ausländer gegenüber dem Inländer diskriminiert.

 

  • Eurozone

Großbritannien ist kein Mitglied der Eurozone, die Briten haben ihr britisches Pfund
behalten. Der Euro ist aber in der Zwischenzeit, trotz vieler Unkenrufe weltweit zu einer der stärksten Währungen aufgestiegen. Mit der EZB und ihrer Politik unter Mario Draghi konnten diverse Angriffe auf die europäische Währung abgewehrt werden. Die in der Vergangenheit durch die EZB gefällten Entscheidungen, beeinflussten den Finanzplatz London teilweise sehr stark.

In Zukunft können solche Entscheidungen der Mitwirkung Großbritannien bedürfen, es besteht
aber keine Möglichkeit für ein Veto. Dies gilt jedoch für alle Nicht Euro Staaten in der EU. Zukünftig können die Beschlüsse der EZB um einiges durch Einwände ausgebremst werden.

Was das heißt, bei einem Finanzplatz London der in microsekunden Milliarden umsetzt,
kann sich jeder ausrechnen.

 

  • Arbeitnehmerfreizügigkeit

Ein Kernstück der EU ist der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Finanzen und Arbeitnehmern. Diese Arbeitnehmerfreizügigkeit ist ein Grundrecht der EU und ist in Artikel 15 der Charta der Grundrechte der europäischen Union geregelt. Dieses Grundrecht stellt den inländischen Arbeitnehmer mit dem ausländischen Arbeitnehmer in allen Belangen auf eine Stufe. Dieses Grundrecht ist mit die Basis für eine Unionsbürgerschaft aller EU Bürger.

Großbritannien hat sich nun das Recht in Brüssel „erstritten“

Die EU-Kommission kann während eines Zeitraumes von sieben Jahren staatliche Lohnzuschüsse an neu ankommende Arbeitnehmer aus anderen EU-Staaten für je bis zu vier Jahren begrenzen oder aussetzen. Dies gilt jedoch nur für Zuschüsse, die aus dem Staatshaushalt gewährt werden. Also passgenau für Großbritannien und wendet sich damit an die osteuropäischen Staaten.

Damit stellt sich Großbritannien außerhalb der europäischen Idee und die Kommission lässt dies zu.

  • Nationale Parlament

Zukünftig sollen Gesetze und Richtlinien der EU durch die nationalen Parlamente zurück gewiesen werden können.

Dies bedeutet zumindest für Großbritannien die Ablehnung an die Europäischen Integration, ein Rückschlag für den Gedanken des Europäischen Hauses.

Die übrigen nicht hier beschriebenen Regelungen haben mehr oder weniger nur Symbolkraft.

Alle diese Regelungen werden wirksam, wenn Cameron den Austritt Großbritanniens aus der EU in dem angesetzten Referendum am 23. Juni 2016 verhindern kann.

Damit hat ein Verhandlungsmarathon mit der EU ein Ende gefunden. Cameron jubelte in der anschließenden Pressekonferenz und lobte den „Deal“ in den höchsten Tönen. Sein Credo: Großbritannien hat die Vorteile aus der EU vergrößert und die Nachteile aus der EU verkleinert. Und, Großbritannien wird sich nie in eine zukünftige EU integrieren.

 Ratspräsident der EU Donald Tusk Foto: (c) Linde Arndt

Ratspräsident der EU Donald Tusk Foto: (c) Linde Arndt

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte in der anschließenden Pressekonferenz: „Ich wollte einen fairen Deal für Großbritannien haben, den haben wir nun erreicht.“ Ratspräsident Donald Tusk in der selber Pressekonferenz: „Alle Forderungen von David Cameron wurden erledigt ohne die Regeln der EU zu verletzen.“ Und Bundeskanzlerin Angela Merkel? Sie hatte bei einigen neuen Regeln offensichtlich „Bauchschmerzen“. Sie sieht den Sonderstatus abschließend positiv und findet nicht, auf Frage des Wall Street Journals, dass andere EU Staaten einen Sonderstatus aushandeln könnten.

Kaum hatte Premierminister David Cameron den unterschriebenen 37 Seiten Vertrag seinen Briten durchgegeben, wurde die Kampagne für den Austritt Großbritannien in Gang gesetzt. Gegen Cameron positionierten sich seine ehemaligen Freunde Justizminister Michael Gove,der beliebte Londoner Bürgermeister Boris Johnson. Insgesamt sollen es 5 Minister sein, die sich für einen Brexit einsetzen. Nigel Farage von der UKIP (UK Independence Party) nannte den ausgehandelten Vertrag „erbärmlich“.

Im Moment stehen die Chancen für einen Brexit bei 48 %, bei 33% an Unentschlossenen.

Die schottische Nationalpartei mit Nicola Sturgeon macht das anstehende Referendum noch schwieriger. Schottland stimmt für den Verbleib in der EU, weil es sich mehr Vorteile erwartet.

Sollte Großbritannien sich jedoch für den „Brexit“ entscheiden, würde sich Schottland sofort für eine Loslösung von Großbritannien einsetzen um danach in die EU einzutreten. Kurios wird es, wenn man die britische Wirtschaft befragt, die in ihrer großen Mehrheit für den Verbleib in der EU ist. Aus den Kreisen des Londoner Finanzplatzes hört man, wenn der “Brexit” kommt werden einige Banken auf das Festland um siedeln.

Es ist schwer, sehr schwer, für Premierminister David Camero. Kommt der Brexit könnte er als der Spalter des Vereinigten Königreichs Großbritannien in die Geschichte eingehen. Und Europa? Der Schaden würde bei einem Austritt sicher sehr groß sein, was aber noch schlimmer ist, sind die Verhandlungen zwischen Großbritannien die dann notwendig wären. Personal würde über Jahre mit diesen Verhandlungen gebunden sein. Dabei haben die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU seit Oktober 2015 schon personelle Engpässe in Brüssel gezeigt. Denn die Flüchtlingskrise wurde dadurch vernachlässigt und hätte die ganze Aufmerksamkeit Brüssels verdient gehabt.
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Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik und european-mosaic aus Brüssel