Von Beileidsbekundungen bitten wir abzusehen..

[jpg] Es war "Wahlparty" in der Kantine des Ennepetaler Rathauses. 18:00 Uhr ZDF gab die Nachwahlumfragen als Prognose heraus. Die CDU landete auf 34% und die SPD auf 35%, und, was noch schlimmer  – war die Wahlbeteiligung war wieder um 4% gesunken.
Betretene Gesichter bei den anwesenden CDU Leuten und freudige Gesichter bei den SPD Mitgliedern. Die CDU war in dem Moment um 10,8 % eingebrochen und die SPD hatte 2,1% verloren. Spontan entfuhr mir der flotte Spruch: "Von Beileidsbekundungen bitten wir abzusehen",und weiter, "statt Kranzspenden erbitten wir Geldspenden auf Konto..". Die SPD Anhänger lachten, die CDU Anhänger hatten nichts zu lachen. Für die CDU war es ein Desaster.

Was mich zu diesem spontanen Ausruf bewegt hat war folgendes:

  1. Frau Kraft (SPD) hat zwar fulminant aufgeholt, jedoch nicht mit überzeugenden Argumenten, vielmehr hat sie von den Fehlern des politischen Gegners profitiert.
  2. Der CDU waren in Massen die Stammwähler abhanden gekommen, denn die CDU profitierte immer von niedrigen Wahlbeteiligungen, diesmal jedoch nicht.
  3. Der Gegenwind der ehemals der SPD 2005 aus Berlin entgegenschlug,
    schlug nun der CDU voll ins Gesicht.
  4. Die Bündnisgrünen haben einen Zuwachs errungen der auf ihren sehr guten
    argumentativen Wahlkampf auf Bundes- und Länderebene zurück zu führen ist.
    In Ennepetal selber sind sie allerdings farb- und profillos  und sind mehr oder weniger
    ein Anhängsel der CDU. Offensichtlich sind die Bündnisgrünen nicht mehr eine Nischenpartei.
  5. Die rund  4% weniger an Wählern ist wieder ein Schritt weg von unserem demokratischem System.

Es wäre zu kurz gedacht, wenn man dieses Desaster alles Guido Westerwelle (FDP) ankreiden würde. Ja, es stimmt, er hatte das richtige Thema, nur der Ton und die Art des Vortrages waren unangemessen und falsch. Was aber ist der Grund für dieses Wahlergebnis?

Angela Merkel kann man sehen wie man will, eines bleibt ihr unbenommen, sie hat die CDU auf einen strikten Modernisierungskurs nach der Kohlzeit gebracht. Sie hat die alten konservativen Ideen aus der Kohlära mit modernen Ideen versehen. Während der großen Koalition hat sie gelernt auch die sozialen Themen ihrer Partei schmackhaft zu machen.

Dafür sollte ihr ihre Partei auch dankbar sein. Was sie allerdings in die Bredouille brachte war ihr Koalitionspartner die FDP, mit welcher sie eine "Liebesheirat" eingehen wollte. Und wie das so in Zweierbeziehungen manchmal ist, welche sich für später aufsparen, sie entfremden sich.

 

Als die CDU 2009 ihr Ziel erreicht hatte mit dem Wunschpartner zusammen zu kommen, stellten alle Beteiligten fest, der Partner FDP war der CDU fremd geworden. Es lag nicht mal an dem neuen Selbstbewusstsein der FDP, vielmehr hatte die FDP sich nicht entwickelt. Die Themen der FDP, aber auch das Auftreten der FDP,  es war die Politik der 80er Jahre, die nochmals aufgewärmt wurde. Die Sozialversicherungen, die Wirtschaftspolitik, die Finanzpolitik, die Klientelpolitik und zu guter letzt die Arbeitsmarktpolitik, alles Ansätze aus den 80er Jahren. Andreas Pinkwart (FDP) versuchte sich von dem Vorsitzenden Westerwelle vergebens abzusetzen. Er mahnte die FDP müsse sich breiter aufstellen und war zeitweise mit der Forderung präsent, die Steuersenkung für Hoteliers wieder zu kassieren. Es war ein Miniaufstand gegen den FDP Vorsitzenden. Lars Becker von den Jungliberalen, Philipp Rößler aber auch der Generalsekretär Christian Lindner störte es, nur als reine Steuersenkungspartei wahrgenommen zu werden. Dann diese Verengung auf die CDU und die Verweigerung einer Ampel. Dies bringt die FDP in die Ecke, Steigbügelhalter der CDU zu sein. Die CDU selber hält sich jedoch alle Optionen immer offen. Guido Westerwelle störte dies wenig er prollte weiter in der bundespolitischen Politszene. Ja teilweise hyperventilierte er sogar, als er mit dem Dekadenzvorwurf kam. Das Thema Sozialkosten sollte aber eine seriöse Betrachtung erfahren und nicht über die bundesrepublikanischen Stammtische gezogen werden.
Das brennende Thema der Finanzkrise, welches dringende gesetzgeberische Maßnahmen erforderte, wurde den Marktkräften überlassen. Griechenland war erst der Anfang, die PIIGS (Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien) Staaten gefährden massiv den Euroraum.
8 Billionen Dollar vagabundieren durch die Welt und suchen sich Spekulationsopfer, da ist Griechenland nur ein Appetithäppchen. Und Merkel musste auf Grund der Wahlen in NRW zögern und dieses Zögern kostete den deutschen Steuerzahler einiges. Dieses Zögern war aber auch durch ihren Koalitionspartner verursacht, der einer Hilfe zu lange kritisch gegenüberstand.
Die Entscheidung für eine Griechenlandhilfe, die dann gefällt wurde, konnte jedoch nicht nachvollziehbar kommuniziert werden. Gute Führung sieht eben anders aus. Die Kommunikation überließ sie der Boulevardpresse. Und die zerriss diese Entscheidung in der Luft um die Stammtische der Republik zu bedienen.
Dann der Afghanistaneinsatz mit den sieben Toten in den Wochen vor der Wahl, der Luftangriff auf die Tanklastzüge und diese ewigen widersprüchlichen Rechtfertigungen, kamen beim Wähler nicht gut an.
Letztendlich wachte der Wähler morgens auf und fragte sich was macht die "Chaotentruppe" in Berlin heute. Das war nicht mal eben mit einem holprigen Start zu vermitteln, es war und ist ja kein Ende in Sicht. Und dies beförderte den Unmut der alten CDU Stammwähler aber auch der neuen FDP Wähler, die den Parteien auch letztendlich den Rücken zu drehte. Der Wähler wartete geradezu darauf dieser Politik einen Denkzettel zu verpassen.

Und Jürgen Rüttgers? Der fiel durch  viele kleine und größere Skandale auf. Da war die Bildungspolitik die nur bedingt auf dem Papier nach vorne gebracht wurde. Die Justizpolitik die mehrere Skandale in den Justizanstalten vermeldete. Die Innenpolitik die die Kommunen im Regen stehen ließ. Oder dieser unsäglich dumme Brief an die Firmen in dem der Eindruck erweckt wurde der MP wäre käuflich. Dr. Norbert Lammers (CDU), unser Bundestagspräsident,  soll beim lesen dieses Schreibens ob solcher Dummheit nur kopfschüttelnd durch die Gänge gegangen sein. Dann wurde der politische  Gegner mit Video überwacht. Rumänische und chinesische Volksangehörige wurden diffamiert. Oder die Steuersenkungen aus Berlin, erst war Rüttger dagegen, dann stimmte er aber für die Steuersenkung im Bundesrat.

Und die Bündnisgrünen? Sie verstärkten die richtigen Themen und brachten sie in den Kurzbotschaften auch gut auf den Punkt. Es hat sich für sie auch ausgezahlt. Dazu kommt, dass die Bündnisgrünen zunehmend der FDP den Rang ablaufen. Die FDP die vormals die Bürgerrechte vehement verteidigte, gibt es so nicht mehr, sehr zum Leidwesen der Herren Baum und Hirsch. Diesen Bereich haben die Bündnisgrünen klar für sich reklamiert. Auch die modernen Themen im Zusammenhang mit dem Web 2.0 finden sich bei den Bündnisgrünen.
Allerdings sind sie vielerorts lokal nicht gut aufgestellt. Hier in Ennepetal ist die Truppe um Sabine Hofmann vollkommen unpolitisch ziel- und orientierungslos.

Und Hannelore Kraft? Sie brauchte nur am Rhein zu sitzen und warten bis die Leichen ihrer politischen Gegner an ihr vorbeischwammen. Innerhalb eines Monats hatte sie die gleichen Sympathiewerte wie Ministerpräsident Rüttgers. Auch in den Kompetenzwerten holte sie innerhalb eines Monats die notwendigen Punkte. In den Interviews wurde sie immer wieder auf die eine Frage reduziert: Wie halten sie es mit den Linken?

 In die Ypsilantifalle wollte Kraft allerdings nicht tappen. So behielt sie sich bis zuletzt alle Optionen offen. Keiner der Pressevertreter versuchte die einzelnen Politikfelder tiefer abzuklopfen.
Schade. Man weiß zwar, dass sie sich auf die Themen Bildung und Kommunen fokussiert hat, nur inwieweit sie einen Maßnahmenkatalog für die in diesen Themen steckenden Probleme hat, hat niemand erfahren. Was in ihr steckt wird sie sicher erst beweisen wenn sie an die Macht kommt.

 

Nun haben wir die Wahl mit allen ihren Konsequenzen. Steuersenkungen sind erst einmal passé. Die Tigerenten Koalition in Berlin muss jetzt noch einmal zurück auf Start. Ob die FDP aber in der Lage ist in einen Neubeginn in Berlin einzusteigen, bezweifelten viele Gesprächspartner.

Wie aber geht es in Düsseldorf weiter? Jede der beiden Volksparteien hat noch eine Chance, wobei die SPD eine gefühlte größere Chance hat. Wenn Hannelore Kraft klug und intelligent ist, wird sie die ihr nunmehr sich eröffneten Möglichkeiten nutzen und die nächste Ministerpräsidentin von NRW werden. Dazu gehört auch die Möglichkeit ein rot/rot/grünes Bündnis einzugehen. Denn eines ist sicher, die Stigmatisierung der Linken als Extremisten oder Chaoten macht keinen Sinn. Die Linke ist hier im Westen eine Nischenpartei mit vielen politisch unverständlichen Menschen deren Professionalität einem die Haare zu Berge treibt, aber waren das die Grünen nicht auch einmal?
Die Option große Koalition ist eine recht zweifelhafte Option, sie wird beide Volksparteien in den Strudel der Bedeutungslosigkeit treiben und den Wähler von den Urnen vertreiben.
Und die CDU? Ihre Chance ist mit der Person von Jürgen Rüttgers verknüpft, der für alle Beteiligten auf den Düsseldorfer Fluren in den letzten Wochen immer zweifelhafter wurde.

  Ein Neubeginn mit Jamaika wird nur mit einer neuen Personalie möglich sein. Hier sind auch schon zwei Namen in den politischen Ring geworfen worden. Beides Personen die positiv aufgefallen sind, unverbraucht und der neuen Generation angehörend. Auf der einen Seite Dr. Norbert Röttgen der derzeitige Umweltschutzminister in Berlin und Armin Laschet der derzeitige Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration in Düsseldorf.

Beide Personen können integrieren, wie es einst die NRW Ministerpräsidenten Kühn, Rau aber auch Arnold das konnten.

Lassen wir beiden Parteien Zeit die nun notwendigen Sondierungsgespräche zu führen, denn NRW ist nicht nur ein Bundesland, es ist das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Land in Deutschland. Das Amt der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten in NRW ist eines der herausragensten und politischsten Ämter welche die Bundesrepublik zu vergeben hat.

Und weil diese Wahl meines Erachtens wieder die Politikverdrossenheit ein Stück weit mehr befeuert hat, dies aber den politisch lokalen Größen in Ennepetal nicht bewusst ist, kam dieser Ausspruch der Beileidsbekundungen. Denn eines ist sicher, in Ennepetal ist man nicht politisch, da ist man halt auf einer "Insel der Glückseligen". Übrigens, gute politische Arbeit beginnt auf lokaler Ebene.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Ennepetal