Dann geriet das Ganze zu einem Tribunal
[jpg] In der Vergangenheit hatten viele meiner Kollegen aus dem Pressekorps als auch ich den Eindruck, das Projekt EU ist nicht mehr so interessant für die Regierenden der EU. Denn seit Jahren tritt das Projekt EU auf der Stelle.
Nun, die Finanzkrise und Brüssel erkannten, auch Europa ist nicht sicher vor den Finanzjongleuren. 750 Mrd. Euro wurden als Schutzschild über Europa aufgespannt. Griechenland und Irland mussten erst einmal gerettet werden. Und diese Finanzkrise ging nicht ohne Getöse in Brüssel ab. Die Deutschen wollten in den Diskussionen die harte DM wieder haben und die Griechen in die Insolvenz gehen lassen. Schnell war jedoch allen klar, die Mitglieder der Eurozone sitzen in einem Boot. Es wurden Konferenzen ohne Ende abgehalten. Nebenbei, wurde auch noch das Wirtschaftssystem in der jetzigen Form in Frage gestellt. In Brüssel war man mehr die Getriebenen. Von politischer Gestaltung konnte da keine Rede mehr sein.
Und da passierte etwas unbemerkt für die Kommission und für den Rat der EU, in Ungarn wurde gewählt.
In all der Aufregung hatte man übersehen, wie Ungarn sich von einem einstmals Superstar zu einem Aschenputtel entwickelt hatte. Man hätte ja nur mal eben rüber zu Eurostat gehen können, die hatten die Zahlen. |
Verwundert bemerkte man, Ungarn erfüllte auf einmal die Kriterien für die Eurozone nicht mehr. Ungarn leidet unter einem wirtschaftlichen Niedergang. Das Tafelsilber ist verkauft, was soll man noch dazu setzen?
Aber wie gesagt, es waren Wahlen. Und wie das so ist, bei wirtschaftlich schlechten Zeiten, die Konservativen müssen her. Und Ungarn wählte konservativ und zwar so konservativ, dass auf einmal eine verfassungsändernde 2/3 Mehrheit im Parlament heraus kam. Und wenn solch eine Mehrheit heraus kam, musste die Verfassung auf den Tisch. Und was wird als erstes geändert, logisch, die Meinungsfreiheit wird eingeschränkt. Aber was in Italien für einen Berlusconi eine Selbstverständlichkeit ist, die Justiz, das Parlament und die Regierung ganz nach belieben zu manipulieren, dass darf in Ungarn natürlich nicht sein. Obwohl, es war und ist ja keine Manipulation. In der EU wird mit zweierlei Maßstäben gemessen, Italien hat 60 Millionen Einwohner, Ungarn nur 10 Millionen.
Ich will das Mediengesetz in Ungarn nicht entschuldigen, aber wenn man Ungarn an den europäischen Pranger stellt, so gehören einige andere Staaten auch an denselben. Dies vorab als Betrachtung.
So ludt die Auslandsgesellschaft NRW zu einem Vortrag und einer Diskussion ein. Der Botschafter Dr. József Czukor kam extra aus Berlin um eine Bestandsaufnahme aus ungarischer Sicht zu machen. Es versprach spannend zu werden, zumal Ungarn die Präsidentschaft der EU seit dem 1.1.2011 für ein halbes Jahr hat.
Am Panel saßen Bernhard Rapkay (SPD) MdeP, Dr.Michael Kluth (Dokumentarfilmer und Ungarn Experte), Klaus Wegener (Moderator), Präsident der Auslandsgesellschaft NRW e.V. und wie gesagt der ungarische Botschafter Dr.József Czukor.
Nachdem Frau Magdolna Wiebe von der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft ein paar einleitende Worte gesprochen hatte, ging es auch schon los.
Bernhard Rapkay sprach Ungarn indirekt die Demokratiefähigkeit ab und Dr.Michael Kluth wusste als "Ungarn Experte" auch eine lange Liste von "Unartigkeiten" die in Ungarn zu beobachten waren aufzuzählen. Das Tribunal war eröffnet. Ich fand es als Deutscher Journalist sehr peinlich, wie mit einem diplomatischen Vertreter einer Nation umgegangen wurde.
Jean-Claude Junker aus Luxemburg hat schon Recht, in der EU ist eine recht ruppige Art zu bemerken, wie die Großen mit den kleinen Ländern umgehen. Die Großen machen alles richtig und die Kleinen logischerweise alles falsch.
Der Botschafter hatte natürlich recht. Die Wahlen waren nach demokratischen Regeln abgehalten worden und er als Botschafter ist ein Bediensteter seines Landes und hat sich zu politischen Fragen nicht zu äußern. Auch wenn er wollte, er hätte nicht gedurft. Und so schlug sich der Botschafter recht wacker, klärte auf oder stellte richtig. Nebenbei stellte er noch das Programm Ungarns für die 6 Monate der Ratspräsidentschaft vor. Nur dieses Programm wollte am Panel niemand hören. Interessant wäre was Ungarn in puncto Minderheitspolitik vor hat. Es war ein unfaires Spiel und der Auslandsgesellschaft nicht würdig. Man konnte den Eindruck gewinnen, es sollte von der derzeitig desolaten EU Politik abgelenkt werden.
Die eigentliche Frage, die sich bei diesem Spiel eigentlich stellte, wurde nicht gestellt. Was ist denn eigentlich wenn ein Mitgliedsstaat so gegen die Regeln verstößt, dass er nicht mehr haltbar ist? Diese Frage wurde schon einmal "beinahe" gestellt, als Jörg Hayder in Österreich mitregierte.
In Ungarn heißt der Ministerpräsident nun Viktor Orbán, ist so dem Vernehmen nach erzkonservativ nur er ist nicht nationalistisch. Warum er in die ganz rechte Ecke gestellt wurde, war auch nicht so ersichtlich. Viktor Orbán hat aber vor der Wahl niemanden im Unklaren gelassen was er tun würde wenn er gewählt würde. Und jetzt? Weil er das tut was er versprach ist die EU erstaunt. Wie hohl und scheinheilig muss man sein um solch eine Rolle zu spielen, wie sie zur Zeit die EU spielt. Als es Ungarn noch gut ging, hat man dem Land von Seiten der Sozialisten und Konservativen auf die Schulter geklopft. Warum wohl? Klar, die Wirtschaft brummte. Und jetzt? Jetzt geht es Ungarn nicht so gut, jetzt soll es das Schmuddelkind sein und die Klappe halten? Wie dem auch sei, es war keine Veranstaltung die einer Ratspräsidentschaft entsprach. Viele auf den Fluren hatten etwas anderes erwartet. Man hätte über Europa diskutieren können. Europa braucht Impulse und da sind auch die Ungarn gefragt, aber nicht nur die Ungarn. Da sind vor allen Dingen die Menschen in Europa gefragt. Die Wirtschaft geht nur dorthin wo es Gewinne oder Margen gibt, die Staatsform ist der Wirtschaft egal. Schon öfter wurde kommentiert, Europa ist nicht die Summe der Bruttoinlandsprodukte ihrer Nationen. Europa ist ein Zusammenschluss von zur Zeit 27 freien Nationen, wovon eine Nation Ungarn ist.
Und so wurde aus einem erwartet interessanten Nachmittag ein langweiliges Tribunal, welches noch nicht einmal einen Sinn ergab.
Nun gut, dann haben wir jetzt einen Schuldigen für alles was so schief lief in Europa. Das die EU sich in außenpolitischer Hinsicht nicht äußern mag, wie jetzt zum Nordafrika Thema. Das die EU keine neuen finanzpolitischen Spielregeln erlassen will. Das das Projekt Europa der Regionen nicht weiter mit Leben gefüllt wird. Das es ein Europa der Offiziellen gibt aber keins der kleinen Leute. Der Agrarmarkt seit Jahren reformiert werden soll. Eine gemeinsame Verteidigungsarmee entstehen sollte. Das es ein Europa der Wirtschaft gibt und kein Europa der Menschen. Und Straßburg die Rechte bekommt die es durch den Souverän bekommen hatte.Und, und, und.
Ach Europa, du hast soviel zu tun und lässt alles liegen.
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Dortmund.