No education and adults only

 

[jpg] In The Wall von Pink Floyd gibt es einen Titel „We don’t need no education“ der unmissverständlich das Gefühl vieler junger Erwachsener ausdrückt. Dagegen grenzt sich die Welt der sogenannten Erwachsenen ab mit „Adults only“. Unversöhnlich stehen sich diese beiden Welten in unserer Gesellschaft gegenüber. Gibt es denn noch eine Möglichkeit des Brückenbaus zwischen diesen Welten? Agressionen und Gewaltausübungen sind die erste Wahl der Erwachsenenwelt um eine Unter- oder Einordnung in die „Adults only“ Welt zu erreichen. Schien es Ende der sechsziger Jahre mir Riesenschritten nach vorne in eine gemeinsame gewaltfreie Welt zu gehen, konstatieren wir heute Rückschritte die gesellschaftlich sogar toleriert werden. Es sind die einzelnen Steine die wieder diese Mauern für Kinder entstehen lassen. Wobei jeder Stein eben nur ein Stein sein soll und nicht so schlimm sein kann – so sagt man.

 Was soll das?

Nun, uns geht dieser Artikel in der Westfälischen Rundschau vom 21. September 2012 nicht aus dem Kopf, nachdem ein Kind in Ennepetal Urlaub bis Weihnachten von der Prügelei seines Vaters bekommt. Nun hat die Stadt Ennepetal eine etwas eigenwillige und konservative Einstellung zu Kindern, Jugendlichen oder Heranwachsenden. Was heißt Einstellung? Sie müssen nur das machen was man ihnen sagt. Mehr nicht.

Da mutet es doch etwas komisch an, wenn man sich ein paar Kilometer weiter im Zusammenhang mit der Ruhrtriennale 2012 mit dem Projekt „no education“ befasst. Es faszinierte schon ungemein, wie die Intendanz der Ruhrtriennale mit Heranwachsenden umging. So hatte sich die Intendanz entschieden, Jugendliche als offizielle Festivaljury einzusetzen und sie zu anmieren im Rahmen des „The Children’s Choice Awards“ Preise in unterschiedlichen Klassen zu vergeben. Die Jugendliche der Gesamtschule Gelsenkirchen Ückendorf, der Herbert Grillo-Gesamtschule Duisburg und der Erich-Kästner Gesamtschule Bochum reisten von Stadt zu Stadt und von Aufführung zu Aufführung um unvoreingenommen und mit kritischem Blick die Aufführungen zu prüfen.

Und das lief dann so ab: Der rote Teppich lag schon vom Eingang bis zur ersten Reihe. Die Gäste mit der Presse setzten sich. Eine Musikeinspielung ertönte und die Jury wurde angekündigt. Die Jugendlichen kamen herein und setzten sich wie selbstverständlich in die erste Reihe. Die Aufführung begann. Zum ersten mal war das Folkwang Museum in Essen Spielstätte mit dem Stück „12 Rooms“ einer Live Art Gruppenschau.

   

Auch hier der rote Teppich, Aufregung, die Jugendlichen wurden angekündigt und kamen herein, hier konnten wir einzelne Jugendliche interviewen.

Am 30. September 2012 war es dann soweit, die 72 Jugendlichen, die zur Festivaljury gehörten, kamen mit Musik, tanzend herein um die 31 Preise zu verleihen. Preise die sie selber benannt hatten und dazu auch noch gestaltet hatten. Während des gesamten Zeitraumes hatten sie Darren O´Donnel als künstlerischen Leiter und keinen geringeren als Dr. Gerard Alfons August Mortier, den Gründungsindendanten der Ruhrtriennale, als Schirmherrn an ihrer Seite. Mortier kam extra aus Madrid, wo er Leiter des Theadro Real ist.

Die Preise der Jugendlichen hatten es in sich, da gab es Preise für

 

  • das peinlichste Kostüm

  • die beste Geschichte

  • die meiste Phantasie

  • die Show in der ich eingeschlafen bin

  • die schlechtesten Sitze

  • die kreativste Show

  • die perverseste Pose

  • der beste Schnurrbart

  • die witzigeste Stimme

  • und, und, und

 

Hinter allem stehen Menschen, die sich Gedanken machen über das Verhältnis von Macht und Ohnmacht und sich Fragen zu Fairness, Ausgrenzung und der Würde des Kindes stellen.

Gemeint ist die Mammalian Diving Reflex Forschungs- und Performancegruppe aus Toronto unter der Leitung von Darren O´Donnel, Eva Verity und Jenna Winter. Es entstand das Mammalian Protokoll für die Zusammenarbeit mit Kindern die einen anderen Blick auf Kinder ermöglichen soll und letztendlich eine utopische Situation schaffen soll wo die gegenseitigen Erwartungen aneinander angeglichen werden. Im Endstadium soll sich die Erwachsenen- und Kinderwelt  emanzipieren und auf Augenhöhe begegnen. Dieses von einander lernen wird ein neuer Weg sein der nicht nur zwischen Erwachsenen und Kindern  eine neue Qualität des Zusammenlebens ermöglicht, vielmehr entsteht  auch unter Erwachsenen eine neue Akzeptanz des Zusammenlebens.

EN-Mosaik hat erlebt wie 72 Kinder/Jugendliche die Erwachsenenwelt durchdrang und zumindest einen positiven Effekt des Nachdenkens erreichte.

Warum dies alles? Es ist beschämend und stimmt traurig wenn in der Stadt in der ich meinen Wohnort habe Kinder wie im vorigen Jahrhundert verprügelt werden. Diese Stadt es aber nicht interessiert,  den Vater zu einer Therapie zu bewegen. Auf der anderen Seite diese Stadt sich über den Kauf einer Tribüne in Millionenhöhe in einem Fußballstadion erregt, jedoch kein Geld für die Maßnahmen übrig hat, die den Kindern in ihrer Stadt ermöglicht  zumindest ein würdevolles Leben zu führen.

Ennepetal hat sich damit seiner Verantwortung gegenüber seinen Kindern nicht gestellt und lässt diese mit ihrem Schmerz alleine. Dies in unserer heutigen Zeit und mit den materiellen Mitteln die uns zur Verfügung stehen. Die Stadt sollte sich schämen. Es bleibt zu hoffen die Stadt würde sich der Verantwortung gegenüber den Kindern und Jugendlichen in ihren Stadtmauern stellen und die finanziellen Prioritäten so verändern, dass diese Gruppe ein würde-und angstfreies Leben in Ennepetal führen kann.

 

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Ennepetal und Bochum.

 

 

 

Prometheus der Menschenfreund

Prometheus Aufführung der Ruhrtriennale 2012[jpg] Es geht um Wort, Tat, Raum und Zeit. Dieses sind die hervorstechendsten Inhalte des Prometheus nach Aischylos. Carl Orff erkannte offensichtlich die Zeitlosigkeit dieser Tragödie und schuf dieses eindrucksvolle Musiktheater. So ändern sich die Zeiten, in meiner Schulzeit hätte ich für dieses Aischylos Drama in der Übersetzung die größten Probleme bekommen. Damals kannten die Altphilologen unserer Schule keine Gnade, es musste übersetzt werden. Am 16. September war Premiere des Prometheus nach Aischylos von Carl Orff in der Duisburger Kraftzentrale Im Rahmen der Ruhrtriennale. Das ganze Stück in Altgriechisch und das mit meinen weniger als rudimentär zu nennenden Sprachkenntnissen. Es kam aber ganz anders, denn Peter Rundel (Musikalische Leitung) und Lemi Ponifasio ( Regie, Bühne und Kostüm ) brachten einen Prometheus zur Aufführung,  der die Inhalte erfahr- und erfühlbar machte. Musik als Sprachverstärkung,  die aber die Sprache nicht unterdrückt, vielmehr die inhaltliche Dramatik des Stückes verstärkt um der Erfahrbarkeit des Stückes wegen. Und das Stück hat es in sich und konnte in der Duisburger Kraftzentrale aus dem Vollen schöpfen. Die Halle, rund 170 meter lang, die noch vorhandenen Industrieaufbauten, die morbide erscheinenden Wände  mit dem verspiegelten und indirekt beleuchteten Bühnenbild, mit einer zerklüfteten Wand (Felswand)auf der rechten Seite, auf der das Orchester mit seinem Dirigenten spielte. Eine unendliche Fläche tat sich dem Betrachter auf. Dies alles ließ ein diffuses Gefühl der Hoffnungslosigkeit aufkommen.

Zum Inhalt und Hintergrund der Tragödie:

In der griechischen Mythologie herrschte Kronos über die Welt. Kronos der seinen eigenen Vater Uranus durch Kastration entmachtet hatte, fürchtete selber durch seine Kinder gewaltsam entmachtet zu werden. Um dem zu entgehen fraß er seine eigenen Kinder die er mit seiner Schwester Rhea hatte. Rhea versteckte das jüngste Kind Zeus und gab dafür Kronos einen in Windeln gewickelten Stein, den Kronos auch sogleich verschlang. Als Zeus groß wurde überwältigte er seinen Vater Kronos und verbrachte ihn für immer auf die „Insel der Seligen“. Einer der Helfer und Freunde von Zeus war unter anderem Prometheus. Als Zeus nun über die Welt herrschte kümmerte sich Prometheus  um die Menschen, er brachte ihnen das Feuer aber auch die Hoffnung. Nur für Zeus waren die Menschen wegen ihrer Sterblichkeit aber auch mangelhaften Einstellung zum Recht unvollkommen, er verbot jedem ihnen in irgendeiner Form zu helfen. Prometheus, höchst moralisch, stellte sich mit dieser Tat gegen Zeus,den Herrscher der Welt. Prometheus dachte allerdings auch, dass seine Freundschaft mit Zeus belastbarer wäre. Ein Irrtum! Zeus schickte Kratos (Macht) mit seiner Schwester Bia (Gewalt) und dem Schmied Hephaistos um Prometheus im fernen Kaukasus für immer an einen Felsen zu schmieden, denn töten konnte Zeus den unsterblichen Prometheus nicht. Um dem Ganzen einen weiteren dramatischen Aspekt zu geben, musste der Adler Ethon jeden Tag dem gefesselten Prometheus die Leber aus dem Leib zerren und verzehren. Prometheus hatte aber noch eine weitere Eigenschaft, er war ein „Seher“ oder Voraussehender und als solcher wusste er auch um das Ende der Herrschaft des Zeus. Zeus schickte Hermes um von Prometheus diese Information zu bekommen, dieser verweigerte sich dem Zeus. Soweit die Inhalte dieser Tragödie mit einigen Hintergrundinformationen des Stückes, um ein Verständnis für dieses  zu erreichen. Es ist ein hochdramatisches Stück welches gerade von dem amerikanischen Regisseur Ridley Scott adaptiert und umgeschrieben wurde. Die Ruhrtriennale 2012 brachte nun den Orffschen Prometheus in Duisburg zur Aufführung. Lemi Ponifasio und Peter Rundel ist es gelungen die Tragödie in Altgriechisch zu inszenieren ohne beim interessierten Besucher das Gefühl aufkommen zu lassen, man benötige die dafür notwendigen altgriechischen Sprachkenntnisse.

Kommen wir nun zur Duisburger Aufführung:

Wenn der Besucher seinen Platz eingenommen hat, sieht er links vorne Prometheus im Halbdunkel sitzen. Das Licht für die Besucher geht aus und die Bühne erscheint einem unendlich weit, in der „Ferne“ sieht man eine Gestalt sich vor einer Wand  bewegen. Je nach Inhalt wird die Bühne mittels Licht, Video oder Spiegelung erweitert. Von rechts oben erkennt man den Dirigenten, der die Verbindung zur Handlung und seinem Orchester aufrecht hält.

Kratos, Bia und Hephaistos kommen wie Schattenmenschen herein um über die Fesselung des Prometheus zu sprechen. Hephaistos zögert den Befehl von Zeus auszuführen, da er mit Prometheus verwandt ist – verständlich. Kratos und Bia sind als typische Befehlsempfänger angelegt, die über den Befehl hinaus Prometheus gequält sehen wollen. Hephaistos ist dabei nur ausführendes Individuum. Prometheus erkennt seine Not und ruft sie in die Welt. Prometheus ist nun physisch zweigeteilt indem er im hinteren Teil der Bühne auf einem „OP-Tisch“ oder „Opferstein“ liegt und vorne links rezitierend oder singend das Geschehen begleitet. Durch seine Anklage erscheinen die Okeanidentöchter die an dem Leid des Prometheus teilnehmen wollen. Die Töchter bieten ihre Hilfe an, erwarten aber eine andere Grundhaltung des Prometheus gegenüber Zeus. Der Frauenchor, ChorWerk Ruhr unter der Leitung von Florian Helgath, erscheint Libellen gleich und  die Okeanidentöchte rumringen  schützend die Gestalt des Prometheus .Stimmlich und sprachlich ein hervorragend besetzter Chor. Aus diesem Chor treten 3 Solistinnen hervor, die die Qualität dieses Chores besonders unter Beweis stellen.

Okeanos tritt auf um Prometheus zum Einlenken gegenüber Zeus zu bewegen. Auch er versucht Prometheus die Schuld an dieser Strafe zu zuweisen. Nun geht zum ersten mal auf allen Vieren im Hintergrund ein "Mensch" über die Bühne. Okeanos will vermitteln, will aber Zeus die Nachricht vom Nachgeben des Prometheus überbringen. Prometheus lehnt die Vermittlungsbemühungen jedoch ab.

Es tritt Io Inachis auf die Bühne. Io hatte eine Beziehung mit Zeus. Io ging diese Beziehung nur ein, weil in ihrem Umfeld ihr alle dazu rieten. Letztendlich wurde sie von ihrem Vater Inachis verstoßen, von Hera der Frau des Zeus bestraft und irrt als Kuh verbannt in der Welt herum. Io haderte mit ihrem Schicksal und hörte vom gleichgelagerten Schicksal des Prometheus. Trotz ihrer eigenen scheinbar unlösbaren und belastenden Probleme bot sie Prometheus ihre Hilfe an. Prometheus lehnt jedoch auch hier ab. Warum? Beiläufig erzählt Prometheus Io, dass er wisse wann die Zeit des Zeus gekommen wäre und auch er (Zeus) untergehen würde. Io versucht Gesprächsweise den Zeitpunkt des Untergangs von Zeus herauszubekommen. Prometheus schweigt hierzu jedoch. Io geht.

Hermes tritt auf und will von Prometheus wissen wann der Zeitpunkt und die Umstände des Sturzes von Zeus kommen würden. Prometheus will diese Information jedoch nur heraus geben wenn Zeus seine Fesselung an den Felsen rückgängig macht. Hermes kündigt Prometheus aufgrund dieser Weigerung den Untergang in den Tartaros an ( Das ist die Hölle (Hades) unter der Hölle, also eine Steigerung der Hölle.) Die Oceaniden bitten Prometheus dem Verlangen von Zeus zu entsprechen. Prometheus lehnt kategorisch ab; denn er weiß um seiner Unsterblichkeit und sein vorausschauendes Wissen. Prometheus will das sich die Oceaniden um ihrer selbst in Sicherheit bringen, sie bleiben jedoch.

Prometheus bezichtigt nun Zeus der Ungerechtigkeit aber auch der „Tyrannei „ Prometheus versinkt mit den Okeaniden und dem Felsen in den unendlichen Tartaros. Soweit den Ablauf der Handlung.

Versuch einer Interpretation der Aufführung

Als Carl Orff 1968 das Stück zur Aufführung brachte, wollte er es nicht psychologisiert sehen. Orff, ein Humanist, wollte der alten Sprache und den Inhalten der großen griechischen Dichter wieder zur neuen Geltung verhelfen. Nur er wusste damals sicher nicht wie die Psychologie sich entwickeln würde. Heute kennen wir auch massenpsychologische Zusammenhänge und deren Ursachen. Prometheus ( Wolfgang Newerla ) spielt seine Rolle unaufgeregt und souverän im Bewusstsein seiner eigenen Macht. Stimmlich  ein Heldenbariton, der weit über die für einen Heldenbariton notwendigen Oktaven verfügt, schauspielerisch ist dies (immerhin) 2 ½ Stunden ohne Pause von Wolfgang Newerla als herausragende Leistung anzusehen. Die Wechsel vom Gesang zu den Rezitationen und umgekehrt waren wie gewollt und ohne Brüche. Und dieser Wechsel ist notwendig um vom klagenden oder anklagenden Prometheus zum souverän agierenden Wissenden zu gelangen, der –  immerhin  noch – ein Faustpfand gegenüber Zeus in der Hinterhand hat. Die Macht des Wissens ist das Thema. Aber auch die Macht des Wortes. Auf der anderen Seite zieht er seine Stärke aus den der Menschen erbrachten Taten. Immerhin hat er die Menschwerdung nicht nur unterstützt sondern sie wesentlich vorangetrieben. Ponifasio lässt wie unbeabsichtigt einen Menschen auf allen Vieren ab und an über die Bühne laufen, Prometheus suchen und letztendlich auch finden. Ein rührendes Erlebnis, wie der auf allen Vieren gehende Mensch sich aufmacht auf „beiden Beinen“ zu stehen. Vor ihm stehen seine Spezies auf zwei Beinen und er steht langsam auf und geht in die Spezies Mensch über. Mag sein, er geht auch unter; denn alle verschwinden in einer Dunkelheit ( Der Geschichte?). Dies alles als Schattenspiel angelegt. Ein Traum, ein Wunschdenken? Zeus der immer das Stück bestimmt, ist klar in seiner Anlage ein Tyrann und hat nicht umsonst die Ängste seines Sturzes entwickelt. Io eine Frau die alles richtig gemacht hat und doch bestraft wird. Brigitte Pinter mit einer gewaltigen Stimme ausgestattet, bringt die widersprüchliche Persönlichkeit der Io über alle Maßen zur Geltung. Der Wechsel von hysterisch, jammernd zu neugierig oder erzählend gelingt Brigitte Pinter ohne Probleme. Sie will nicht mehr verbannt und als Kuh durch die Welten gehen, jeder Verbündete ist ihr da recht um an ihr Ziel zu gelangen. In soweit haben Prometheus und Io die gleichen Probleme, die sie zu Verbündeten machen müsste. Ponifasio legt zwar eine starke Io an, erkennt aber die Schwäche in dieser Frau, die nichts in der Hand hat.

Stichwort die Zeit.

Ponifasio lässt auf beiden Seiten der Bühne im Halbdunkel die Okeaniden als auch die Menschen in langsamem Takt die Seitenbühne abschreiten, ein nicht abreißender Strom. Als sich alles zuspitzt und das Schicksal Prometheus unausweichlich ist, sind auch Mensch und Okeaniden verschwunden – die Zeit ist um.

Stichwort Raum.

Ponifasio benutzte die gesamte Länge der Duisburger Kraftzentrale um die Tat, also Prometheus Fesselung im Hintergrund und das Wort, also die Klage und das Anklagen des Prometheus im Vordergrund darzustellen. Durch diese Anordnung tritt die Handlung der Fesselung durch Zeus in den Hintergrund. Das Mitleiden der Okeaniden und das schützen wollen ist eine Großtat auf der Handlungsebene. Und im Hintergrund geht Prometheus physisch auch unter, nicht jedoch das Wort als Ideal, dies verbleibt vorne bei dem Menschfreund. Mag der Körper auch vergehen, die Idee, ist sie einmal gesagt und getan, bleibt für immer.

Stichwort Politik.

Dieses Stück ist hoch politisch angelegt; zeigt es doch eindringlich die Bewegungs- und Rückständigkeit eines Tyrannen und damit des Systems. Zeus, der narzistisch nur seinem Ego verpflichtet ist. Prometheus ist hierbei der Erneuerer und Veränderer der die Blockaden des Systems überwinden will, indem er einer unterdrückten Spezies hilft sich überhaupt erst zu entwickeln. Er bringt erst das System nach vorne. Aus seiner Person ergeben sich die brennenden Fragen, die jedes Individuum in seiner Uranlage fragt. Seine Erkenntnis zieht er aus einem wie immer gearteten kategorischen Imperativ im Kant´schen Sinne. Und das Macht seine Stärke aus und ist die Schwäche seines Widersachers Zeus. Durch den  Untergang von Prometheus, den Zeus nun herbeigeführt hat, wird nur eines für Zeus gewonnen – Zeit – die er aber nicht hat. So hat Ponifasio Prometheus im Schlussbild mit ausgebreiteten Armen –  noch den Qualm des Untergangs bei sich  als Mahnmal –  in den Tartaros fahren lassen. Denn eines haftet Prometheus, dem Titanen an, die Unsterblichkeit. Ich denke Orff und Ponifasio wollten beide das gleiche, die Unsterblichkeit der Menschwerdung. Hier wird es nie einen Abschluss geben, es wird ein immerwährender Prozess sein. Im Nachhinein gibt es ein großes Lob und zwar ohne Einschränkung. Ja, man hätte ein Laufband installieren können und die Übersetzung von Heiner Müller ablaufen lassen können. Aber was hätte das gebracht? Eine handvoll Altphilologen hätten Übersetzungsfehler gefunden. Aber der große Rest des interessierten Publikums wäre durch diese Laufbänder abgelenkt worden. Und nein, man hätte es eben nicht in deutsch übersetzen sollen. Denn dadurch wäre das Zusammenspiel von Musik und Sprache gefährdet worden. Die altgriechische Sprache hat einen ganz anderen Rhythmus und nur darauf war die Musik abgestimmt. Und im übrigen –  zu jeder Aufführung gehört eine Vorbereitung und ein Programmheft. Viele hatten beides und haben einen Hochgenuss gehabt. Sie auch? Es war zu jeder Zeit eine spannende Aufführung, durch die Ponifasio, Rundel und Helgath dem Besucher das tragische der Prometheus Tragödie so nahe gebracht hatte, das Lust auf mehr entstand.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Duisburg
[Fotos und Collage: © Linde Arndt]

 

    

Prometheus Aufführung der Ruhrtriennale 2012
Prometheus Untergang in den Tartarus ( Unter der Hölle)

 

 

 

………….Grundinformationen zur Tragödie ………………..

 

Prometheus nach Aischylos (Musiktheater)
Von: Carl Orff
Uraufführung: 24. März 1968 (Stuttgart, Staatstheater Stuttgart)

Zur Inszenierung der Ruhrtriennale2012:

Premiere: 16. September 2012 (Kraftzentrale, Duisburg)

Musikalische Leitung: Peter Rundel
Regie, Bühne, Kostüm, Video: Lemi Ponifasio / MAU
Licht: Helen Todd
Dramaturgie: Stephan Buchberger
Klangregie: Norbert Ommer
Einstudierung Chor: Florian Helgath

Besetzung:

Prometheus: Wolfgang Newerla, Ioanne Papalii (MAU Company)

Kratos: Thomas Moewes

Bia: Kasina Cambell (MAU Company)

Hephaistos: Eric Houzelot

Okeanos: Dale Duesing

Io Inachis : Brigitte Pinter, Helmi Prasetyo (MAU Company)

Hermes: David Bennent


Tänzer: MAU Company
Chor: ChorWerk Ruhr
Orchester: Ensemble musikFabrik, SPLASH, Studenten des Orchesterzentrum | NRW, und Statisterie der Ruhrtriennale

Deutsche Übertragung der Tragödie : Heiner Müller

Heiner Goebbels, Künstlerischer Leiter der Ruhrtriennale 2012/2013/2014, erhält morgen, 8. September 2012, den International Ibsen Award in Oslo.

Gelsenkirchen, 7. September 2012


Intendant Prof. Heiner Goebbels               Foto: © Linde Arndt
  Der von der norwegischen Regierung geförderte Preis ist mit 2,5 Millionen Kronen (330.000 Euro) dotiert und gilt als einer der wichtigsten Theaterpreise weltweit.

7. September 2012 – Der künstlerische Leiter der Ruhrtriennale, Heiner Goebbels, erhält am morgigen Samstag, 8. September 2012, in Oslo den International Ibsen Award 2012.

Der Preis, gefördert und finanziert von der norwegischen Regierung, gilt als einer der wichtigsten Theaterpreise weltweit und ist mit 2,5 Millionen Kronen (rund 330.000 Euro) dotiert.
Heiner Goebbels wird für seine wegweisende Arbeit ausgezeichnet.

 Er hat die Theaterwelt um eine neue künstlerische Dimension bereichert und mit seinen Werken „die Kunstwahrnehmung des Publikums verändert und bei zahlreichen Künstlern entscheidende Wirkung hinterlassen.“ (Zitat Jury, Langfassung siehe unten)

Ute Schäfer, nordrhein-westfälische Kulturministerin: „Ich gratuliere Heiner Goebbels zu dieser herausragenden Auszeichnung für seine wegweisende innovative Theaterarbeit. Als ein radikaler Neudenker des Theaters eröffnet er auch der Ruhrtriennale neue Horizonte.
Hier hat er ein ideales Wirkungsfeld gefunden.“

Der Preis wird im Rahmen des Internationalen Ibsen-Festivals verliehen, das noch bis 9. September im Nationaltheater in Oslo/Norwegen stattfindet. Bisherige Preisträger sind Peter Brook, Ariane Mnouchkine und Jon Fosse. www.internationalibsenaward.com

Inszenierungen von Heiner Goebbels bei der Ruhrtriennale 2012
Am 26. September 2012 feiert in der Jahrhunderthalle Bochum mit When the mountain changed its clothing eine neue Musiktheaterarbeit von Heiner Goebbels in Zusammenarbeit mit dem Vocal Theatre Carmina Slovenica Premiere. Die Saison 2012 der Ruhrtriennale eröffnete am 17. August 2012 mit Europeras 1&2 von John Cage, inszeniert von Heiner Goebbels und seinem Team. Die Ruhrtriennale endet am 30. September 2012.

Begründung der Jury:

„Heiner Goebbels – Theatermacher, Regisseur, Komponist, Musiker, Hochschullehrer und Kurator eines Festivals – ist einer der großen Kreativen unserer Zeit. Er hat ein erstaunliches Oeuvre in verschiedenen Disziplinen aufzuweisen und übt profunden Einfluss auf Theaterarbeiter und Musiker aus.Seine Theaterarbeit umspannt ein großes Spektrum: von Werken für die Oper bis zu Installationen ohne Schauspieler für das Theater. Alle Stücke sind wesentlich verschieden in Eigenart und Form und jedes ist auf genuine Weise bahnbrechend und wegweisend. Er ist ein wahrhafter Erneuerer, seine Arbeiten lassen sich von konventionellen Definitionen nicht vereinnahmen. Er hat das Terrain, auf dem Theater und Musik zusammenspielen, neu erforscht und erweitert und dadurch die Elemente des Theaters auf eine Weise weiterentwickelt, die neue Einsichten und Möglichkeiten eröffnen. So erfüllt er den grundlegenden Auftrag des Theaters, Erfahrungen unsererselbst und der Welt zu bereichern. Zudem ist er ein Pionier auf dem Gebiet der Theatertechnologie. Sein Werk ist in über 50 Ländern gezeigt worden, es hat die Kunstwahrnehmung des Publikums verändert und bei zahlreichen Künstlern entscheidende Wirkung hinterlassen. Die Ausdrucksmächtigkeit und Bedeutung seines Werkes wird wachsen und seinen Einfluss auf die Arbeit der Theater weltweit für Jahrzehnte und Generationen geltend machen.“

Mitglieder des Komitees:
Per Boye-Hansen (Vorsitz), Therese Bjørneboe, Øyvind Tvetereid Gulliksen, Sir Brian McMaster, Kamaluddin Nilu, Christiane Schneider, Hanne Tømta

Über Heiner Goebbels
Heiner Goebbels wurde 1952 in Neustadt/Weinstraße geboren. Seit den 1990er Jahren komponiert und inszeniert er Musiktheater. Zu seinen bekanntesten Werken zählen Schwarz auf Weiß, Max Black, Eraritjaritjaka, Stifters Dinge, Songs Of Wars I Have Seen und I Went To The House But Did Not Enter. Die meisten seiner Theaterproduktionen entstanden am Théâtre Vidy-Lausanne in der Schweiz.

Heiner Goebbels ist Professor am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität in Gießen und Präsident der Hessischen Theaterakademie. Er ist Künstlerischer Leiter der Ruhrtriennale 2012/2013/2014 – International Festival of the Arts.

Die Ruhrtriennale wird gefördert vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes
Nordrhein-Westfalen sowie von der Europäischen Union – Europäischer Fonds für regionale Entwicklung.
Gesellschafter: Land Nordrhein-Westfalen, Regionalverband Ruhr und Verein pro Ruhrgebiet.
Europeras 1&2 wird gefördert von der Kunststiftung NRW, 12 Rooms und Prometheus durch die
Kulturstiftung des Bundes.

„Folk“ / Drinnen – draußen – und dazwischen

[la] Wer den europaweit gefeierten Theatermacher Romeo Castellucci kennt, weiß dass er gerne mit Bildern arbeitet, wobei seine Bilder während einer Vorstellung intuitiven Wandlungen ausgesetzt sind. Er gehört zu den neuen Regisseuren, die ihre Stücke modellieren und das Publikum in einem eigenen Modulationsvorgang mit einbezieht. Und so entstand in der Gebläsehalle  des Landschaftsparks Duisburg-Nord das Stück „Folk“.

Allein die leere, einem Kirchenschiff ähnelnde etwa 50 m lange Halle, mit ihren hohen Rundbogenfenstern, strömt emotionale Empfindungen auf den Besucher aus. Das alte, fleckige, leicht morbide  Mauerwerk ist schon allein für den Betrachter eine Art Kunstwerk. In einer Form von Interaktion bezog Castellucci das Publikum in seine Planungen mit ein.

Es ist nicht wie bei üblichen Theaterveranstaltungen, dass das Stück erst beginnt, wenn alle Zuschauer ihre Plätze eingenommen haben. Ganz davon abgesehen, dass es in Romeo Castellucci´s Werk "Folk" gar keine Sitzplätze gibt. Wenn die ersten Besucher die spärlich beleuchtete Halle betreten, hat das Stück schon begonnen. Mittig in  der großen Halle steht ein großes Wasserbassin mit aufblasbaren Wänden, ähnlich einem riesigen Schlauchboot – nur das das Wasser eben in diesem Becken ist.

Durch die Halle ziehen leichte Nebelschleier, verflüchten sich allmählich und geben so einen besseren Blick auf das Bassin frei. Sphärische Klänge von dem amerikanischen Komponisten Scott Gibbons, durchdringen den Raum, schwellen an und ab und begleiten die  Szenerie fortwährend, ohne Unterbrechung. Scott Gibbons ist bekannt als Composer und  Performer electroacoustischer Musik.

Mittendrin im Bassin steht ein Mann in voller Straßenbekleidung und empfängt  mit ausgebreiteten Armen vom anderen Ende des Beckens eine junge Frau, die ebenfalls in voller Montur über den Beckenrand klettert und auf ihn zugeht. Der junge Mann empfängt sie, stützt sie leicht, während sie ihre Nase zuhält und taucht sie dann – einer Taufe ähnlich – völlig unter Wasser, hilft ihr auf, sie schauen sich glücklich an, umarmen sich. Dann verlässt der Mann das Becken und die soeben von ihm getaufte Frau setzt das Ritual, nunmehr selber Täuferin, fort.

Während dieser Zeit betreten die ersten Besucher den Raum und verteilen sich rechts und links um das Becken. Mit der Zeit strömen immer mehr in den  Raum während die Zeremonie im Becken unbeirrt weiter fortschreitet.
Man kann sich diesem Eindruck der Stimmung des Raumes, der Musik, der wortlos sich ständig wie in einem Ritual erneuernden Bilder nicht entziehen und nur alles emotional aufsaugen, erspüren.

So geht es eine geraume Zeit weiter und obwohl die Szenen eine ständige Wiederholung erfahren ist alleine das Wahrnehmen der wechselnden Personen, der unterschiedlich emotionale Ausdruck ihrer Gesichter, die Art der Taufe und Umarmung ein gewisses Spannungsfeld, so dass man dem Treiben gespannt zuschaut.

Um so heftiger wird diese Betrachtung plötzlich zunächst durch einen heftigen Schlag, dann durch zwei weitere an den Fensterscheiben unterbrochen. Letztendlich endet diese Unterbrechung in einem immer stärker fordernden Poltern, das fast donnerartig anschwillt. Die Zuschauer unterhalb der Rundbogenfenster verlassen ihre Position und drehen sich den Fensterscheiben zu. Manche verlassen sogar ihren Standort und wechseln zur gegenüberliegenden Seite. Und jetzt wird klar, draussen werfen sich menschliche Körper gegen die Scheiben. Schemenhaft werden durch die milchigen Scheiben die Silhouetten der Körper und Hände sichtbar.  

Sie begehren Einlaß, nein, sie fordern ihn. Wütend das ihnen der Einlass verwehrt wird, bzw. nicht gelingt. Was ist mit ihnen? Haben sie Angst. Fliehen sie vor jemandem? Wollen sie einfach nur auch innen dabei sein, dazu gehören, oder werden sie von zerstörerischen Kräften getrieben, die dem Spiel im inneren des imaginären Kirchenschiffes ein Ende setzen wollen.

Romeo Castellucci lässt diese Frage offen im Raum. Es gibt, wie überhaupt für das Stück, keine festen Erklärungen. Die Vorstellungskraft und Deutung des einzelnen Teilnehmers ist gefragt und führt am Ende des Stückes zu reichhaltigen Diskussionen unter den Besuchern.
Ist es das, was Castellucci meinte, als er sagte: »Alles in allem widmet sich diese Aufführung den charakteristischen Verhaltensmustern des Menschen: Gemeinschaft, Trennung, Isolation. Aus der Ferne beobachten. Sich selbst in Sicherheit bringen. Alleine sein.« (Romeo Castellucci)

Innen geht trotz des teils ohrenbetäubenden Lärms der undefinierbaren Gestalten das Ritual der Taufe weiter. Die Scheiben halten zum Glück und irgendwann verlässt diese Körper dort draußen die Kraft und einer nach dem anderen fällt mit ausgebreiteten Armen ins Nichts. Die Schatten vom milchigen Fensterglas lösen sich auf und allmählich gibt es wieder nur das "Innen".

  So geht es noch eine kurze Zeitspanne weiter, bis plötzlich einer der Personen im Becken den "geheimen Vertrag" bricht und  dem  neu hinzu gestiegenen Mann den Rücken zu dreht und achtlos das Becken verlässt, ohne die taufähnliche Symbolik bei ihm anzuwenden. Das ist der trennende Punkt, der enttäuscht Zurückgelassene richtet eine Hand mit ausgestrecktem Finger nach oben und gibt so einem Außenstehenden das Zeichen zum Abbruch, zur Vernichtung des Geschehens. Mit immer wieder kehrenden Angriffen zerschneidet der Aussenstehende in zerstörerischer Weise die Wände des Gummibassins.

Das zunächst entstehende Rinnsal wird immer stärker und mit unbändiger Wucht bricht das Wasser aus dem Bassin und flutet die Halle.

Menschen flüchten seitlich auf die rettenden Roste. Andere ziehen blitzschnell Schuhe und Socken aus und verharren an Ort und Stelle, wobei das Wasser ihre Füße umspült. Spätestens jetzt sind sie ganz Teil der Inszenierung. Schauspieler, Statisten und Besucher werden ein "Folk" und es ist kaum noch auszumachen, wer wozu gehört.

Dann werden mit schweren Kränen die Seitenwände des Beckens nach oben gezogen und hängen naßglänzend und schwer von der Hallendecke, fast wie Tiere in einem Schlachthof. Auch hier wieder die immer überall vorhandene Symbolik.  Das Becken war geopfert worden, hatte seinen Sinn und seine Bedeutung verloren. Der Mann, der gerade noch das Zeichen zum Ende des Rituals gegeben hatte, schaute nun verstört in die Runde. Dann setzte er sich an ein Pult, in welchem in einem Negativkasten die "Urformen" ausgespart waren und versuchte nun, den Vertrag wieder zu erneuern, indem er die sich vor dem Kasten befindlichen Symbole eines nach dem anderen wieder in die dazu passenden Öffnungen einlegte. Bei fünf Teilen gelang es ihm auch rasch und ohne Schwierigkeiten. Beim letzten Teil, dem Viereck, war es jedoch nicht möglich, da es zu groß war. Er versuchte es wieder und immer wieder. Wartete verzweifelt auf Hilfe, aber alle schauten nur interessiert seinem Treiben zu und blieben fern. Vor Verzweiflung weinend stand er letztendlich auf und verließ mit seinem Viereck mit den Zuschauern abgewandtem Gesicht den Raum. Er hatte versagt, war verlassen.
Das Stück war beendet, ohne Vorhang, ohne Verbeugung der Darsteller, ohne Erklärung. So wie es begonnen hatte hörte es auch auf. Die Zuschauer verließen nach und nach den Raum bis die Gebläsehalle wieder leer war.

Schauspieler des Werkes sind: Silvia Costa /Diego Donna/Luca Nava /Sergio Scarlatella/Giacomo Strada/Horst Bergs und 100 Statisten aus der Metropole Ruhr, die Romeo Castellucci extra für diese Darbietung gecastet hatte und die ihre Rolle mit einer solchen Leidenschaft einnahmen, dass man meinen konnte, sie gehören ständig zum Ensemble. Aber vielleicht war es gerade diese Natürlichkeit, diese ungekünstelte Darstellung und Herzlichkeit der Statisten, die wirklich alles gaben, mit der Romeo Castelluccis seine Vision   begreiflich machen konnte.

 

Keine große Handlung, keine außergewöhnlichen Acts, aber eine spannende Stunde, die jeden Besucher auf seine Art in den Bann nahm und bewegte,  eine ganz eigene bild- und klanggewaltige Bühnenästetik.

   

 

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 24.08.2012, Gebläsehalle, Landschaftspark Duisburg-Nord, Ruhrtriennale.
[Romeo Castellucci "FOLK"]

 

 

 

Linde Arndtt für EN-Mosaik aus Duisburg

[Fotos: © Linde Arndt]

INFO:

Für die nachstehenden Termine sind noch
Restkarten
erhältlich.
Spielstätte  — Gebläsehalle, Duisburg

 
 
Weitere Termine:  30. 31. August 1. 2. September
jeweils 19.30 Uhr

Dauer — ca. 1 h

Tickets  —       25 €

Ermäßigungen ab 12,00 €

 

 

 

 

 

 

 

 

siehe auch die Gallery unserer Fotojournalistin zu diesem Thema]

En Atendant – die zweite Dunkelheit

[jpg] Man könnte es auch mit "auf das Ende wartend" übersetzten, also „En attendant la fin“. Die belgische Choreografin, Anne Teresa De Keersmaeker brachte im Rahmen der Ruhrtriennale 2012 mit ihrer Compagnie ROSAS in der Jahrhunderthalle Bochum ihr Stück „En Atendant“ am 24. August zur Premiere. Es scheint auf die „Zweite Dunkelheit“ in Europa abzuzielen. Die Zeit in Europa, in der die Pest 1/3 der europäischen Bevölkerung tötete, in der Zeit als der hundertjährige Krieg (Erbfolgekrieg) wütete und als Clemens VII in Cesena 4.000 Bürger massakrierte. Und die Zeit der Gegenpäpste, in der in d´Avignon der Mittelpunkt der römisch katholischen Kirche war. Also die Zeit des 14. und 15. Jahrhunderts. Dies alles deshalb weil  Anne Teresa De Keersmaeker die Ars Subtilior als musikalische Grundlage benutzte.

En Atendant ist ein zeitgenössisches Ballett, welches den neuen französischen Tanzstil markiert, er leitet sich ab vom Tanztheater einer Pina Bausch und eines Alwin Nikolais.
Die Bühne in der Jahrhunderthalle ist nackt und wird vorne durch eine rund 20 Meter lange und 5 cm dicke Wulstlinie aus Erde markiert. Sie verläuft rund 10 Meter vor dem beginnenden Parkett. Links und rechts unterhalb der Industriebauten in der Halle herrscht vollkommene Dunkelheit. Im vorderen Bereich, in etwa 20 Meter Entfernung, scheint durch die großen Fenster das restliche Tageslicht in die Halle. Unterhalb der Fenster befinden sich Öffnungen durch die Luft herein strömt. Rechts vorne ist eine Bank aufgebaut. Ansonsten ist die Bühne leer.

   

 

Ein Musiker tritt mit einer Querflöte auf. Er steht vor dem Publikum, vor der Wulstlinie. Ein zuerst leichtes Rauschen aus der Flöte, leicht anschwellend eindringlich warnend erklingt und dies ohne Unterbrechung fast 10 Minuten lang. Eine Sängerin mit einer Musikerin die eine mittelalterlichen Geige mitführt  und ein Musiker der eine mittelalterliche Flöte spielen wird erscheinen. Die Sängerin mit einem zuerst eindringlich rufenden Ton, wie bei einem Lamento. Die Tänzerinnen und Tänzer treten zunächst einzelnd auf, es folgt sodann die Compagnie. Während die Sängerin ihre Geschichte singt, tanzt die Compagnie. Es ist ein Tanz voller Energie, der aufbegehrt und doch letztendlich sich selber, den Menschen zerstören wird, man ahnt es. Die Dämmerung, das diffuse Licht die schwarzen Kostüme der Tänzer lassen einen Kampf erkennen, den niemand gewinnen kann. Ein Aufbegehren des Einzelnen, ein Schutz suchen in der Gruppe. Depressive Phasen lassen die Verzweiflung erkennen. Es gibt keine Rettung mehr. Oder doch? Die Nacht als die Schwester des Todes, sie bringt die Zeit die nötig ist. Wofür? Zu entscheiden zwischen Leben und Tod. Keuchend, stöhnend, stampfend und auch schwingend wird das Band (Wulstlinie) zerrissen, Erde zerstiebt in alle Richtungen.Nichts wird nach dieser Nacht so sein wie es einmal war. Das gegenseitige Halten bringt nur weitere Schmerzen und Nöte, die letztendlich nur zu dem Einen führen, dem einen Tod der alle und alles auslöscht.

Die Musiker haben die Szene verlassen, nichts gibt es mehr zu berichten, worüber sollen wir  uns unterhalten. Die Tänzer verlassen die Szene und verschwinden in die Nacht.

Nacktheit, ohne dem was uns ausmacht, führt es uns dahin wo wir herkamen – ins Nichts. Der Mensch tritt nackt ohne alles ab. Dunkelheit ist über der Szene, der Tod hat alle geholt.

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Anne Teresa De Keersmaeker hat mit en atendant ein Werk geschaffen welches in seiner Dramatik kaum zu überbieten ist. Die von der Compagnie getanzten Botschaften reißen den Betrachter  in den eigenen Gefühlen hin und her. Depression wechselt mit Aggression, Hoffnungslosigkeit überfällt einen, die nur durch die schöne, mit Todesahnungen durchzogene Tanzlandschaft, kaschiert wird. Es sind sehr schwierige Einzelbewegungen, die in Bewegungen der Gesamtgruppe münden. Die Gruppe vollbringt dabei intuitive Gesamtbewegungen die manchmal in eine lebende Skulptur münden. Dann ein mehr beschwingter tänzerischer „danse des troi“, in  der drei Tänzer wie an einem unsichtbarem Band über die Bühne tanzen. Es ist „erschreckend“ wunderbares modernes Tanztheater welches einen über die gesamte Zeit nicht los lässt.
Als die Nacht zu Ende ist, musste man erst einmal Atem holen, so überwältigend war dieses Stück.

Wenn man sich die geschichtlichen Hintergründe ansieht, sieht man die vielfältigen politischen und sozialen Verwerfungen, denen Europa damals ausgesetzt war. Und wenn wir den Begriff der zweiten Dunkelheit an die zweite Pestpandemiewelle  heften, ergibt das die Analogie des Werkes von Anne Teresa De Keersmaeker.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Bochum
 [Fotos: © Linde Arndt]

[Schauen Sie sich auch die Gallery zu diesem Thema an]


Choreografie — Anne Teresa De Keersmaeker
Bühne — Michel François
Kostüme — Anne-Catherine Kunz
Garderobe — Emma Zune

 — Ensemble Cour et Coeur:
Musikalische Leitung und Aufnahmen — Bart Coen
Geige — An Van Laethem
Gesang — Els Van Laethem,, Annelies Van Gramberen
Flöte — Michael Schmid
Sound — Vanessa Court, Alexandre Fostier, Juliette Wion
Technik — Bert van Dyke

Tänzer:

  • Bostjan Antoncic,
  • Carlos Garbin,
  • Cynthia Loemij,
  • Mark Lorimer,
  • Mikael Marklund,
  • Chrysa Parkinson,
  • Sandy Williams,
  • Sue-Yeon Youn

Das Leben hat viel mehr Facetten – ist reicher

[jpg] PACT Zollverein, Essen, 11 leere Stühle, daneben jeweils eine Flasche Wasser. Eine Person kommt herein stellt sich vor dem Publikum auf und lässt sich 1 Minute ansehen ( Sieht das Publikum an?) schweigt und setzt sich auf einen leeren Stuhl – dies weitere 10 mal mit einer jeweils anderen Person.

Weitere Akte: Die neutrale Stimme der Schweizer Tänzerin Simone Truong führt die 11 Personen in weiteren Durchgängen dazu sich vorzustellen, ihre „Behinderung“ zu nennen und wie sie sich in ein Theaterstück einbringen wollen. Die „Behinderung“ ist Trisome 21, Down Syndrom oder Mongoloismus, der Beruf ist Schauspieler und als Tänzer nach einem selbst gewählten Stück will man sich ein bringen. Menschen/Personen, behinderte Menschen/Personen werden zu Darstellern, Schauspielern, Tänzern in einem selbst gewählten Stück.
Der Pariser "Objekte-Choreograf" Jérôme Bel ( „The show must go on“, New York ) ist mit dem  Werk "Disable Theater" Teil der Inszenierungen der   Ruhrtriennale 2012. Die Darsteller sind „geistig behinderte“ Schauspieler des Zürcher Theaters Hora. Sie tanzen, sie singen oder zeigen rührend anmutende theatralische Darbietungen. Unterbrochen werden die Einzeldarbietungen durch die  Schweizer Choreografin und Tänzerin Simone Truong, die das schweizerdeutsch der DarstellerInnen des Hora Theaters übersetzt aber auch als Inspizientin in  „Disable Theater“ fungiert.

Es ist ein Theaterstück um Normalität, den Begriff Rolle, Schöne Künste, überhaupt den Begriff Schönheit oder was und wer vermag Kunst wem wie auch immer näher zu bringen. Dürfen die das?
Ja klar, die dürfen das.  Denn Kunst war noch nie normal, Kunst hatte nie Grenzen gehabt wie der Begriff Normalität. Wenn Kunst über Liebe spricht, spricht Kunst immer über die eine Liebe, die manchmal überdehnt wird und manchmal im Mief erstickt. Wenn Kunst über das Körperliche uns etwas vermittelt, so ist Kunst immer auch ein Stück weit außerhalb von selbst gesetzten gesellschaftlichen Grenzen. So wundert es nicht wenn die SchauspielerInnen des Theaters Hora aus Zürich, ihren Beruf mit Stolz, voller Trotz aber auch mit Würde dem Besucher nennen – ich bin ein Schauspieler. Stolz können sie allemal sein, haben sie doch mit diesem Stück „Disable Theater“ beim Theaterfestival „Festival d’Avignon“ ein durchaus positives Echo erfahren.

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Und so gehen die SchauspielerInnen in ihren selbst gewählten Acts bis an ihre körperlichen Grenzen und das wie selbstverständlich. Auf den 11 Stühlen sitzen 11 Schauspieler die sich kennen, die sich schätzen und man merkt, dass sie schon lange miteinander zusammen gearbeitet haben. Sie mögen sich, haben eine Gruppe gebildet wie jede andere Gruppe auch. Ist das normal? Ja! Man muss nur eine halbe Stunde die Choreografie in einer belebten  Fußgängerzone beobachten, dann bekommt man sicher einen erweiterten Begriff von normal.Wie berichtete Damian Bright von seiner Mutter: Sie hat gesagt ich gehöre in eine Freakshow. Er sagte es abschließend so wie wenn man etwas abgelegt hat. Und weiter sagte er, er ich habe Triesomie 21, das bedeutet ich habe ein Chromosom mehr – ich bin mehr.
Nach 90 Minuten „Disable Theater“ stellt sich eine neue Grenze von Kunst ein, geweiteter, offener und vielleicht ohne Grenzen. Richtig!

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Essen

 

Der Mensch als lebende Skulptur – ein Prozess

[jpg] Live Art ist ein recht junges und spannendes Kunstformat. Es ist aus dem Format der Performance hervor gegangen. Und es geht um die Schaffung von Kunsträumen, die mit dem Mensch und seinem Körper herbei geführt werden können. Ein flüchtiges Kunstwerk, welches nur einem Moment eine fiktive neue Realität schafft. Immaterielle Realitäten, die einmal eingegangen schon wieder vergangen sind. Denken Sie bitte einmal an das flüchtige Lächeln zwischen zwei Menschen die in einer Fußgängerzone oder einem anderen Ort aneinander vorüber gehen.

Und so ging die Ruhrtriennale unter Heiner Goebbels eine Partnerschaft mit dem Folkwang Museum in Essen ein, um „12 Rooms“ in deren Ausstellungsräumen aufzubauen. Der ehemalige Direktor des Folkwang Museums, Hartwig Fischer,  hatte sich spontan zu dieser Kooperation bereit erklärt. Die Live Art Arbeiten der Ruhrtriennale wurden mit dem Manchester International Festival (MIF) koproduziert. Als Kuratoren arbeiteten und unterstützten die Ausstellung „12 Rooms“ Hans Ulrich Obrist von der Serpentine Gallery, London, und Klaus Biesenbach vom MoMa ( Museum of Modern Art ) und dem PS1, New York. Dies sind nur einige Namen, die diese  Ausstellung ermöglichten, selbstredend steht hinter dieser Ausstellung auch ein Team, welches die Voraussetzungen für diese Group Show schafften. Diese Group Show wird  im nächsten Jahr mit „13 Rooms“ in Sydney kuratiert und wer weiß, vielleicht auch noch in anderen Städten.

Bevor die Austellung eröffnet werden konnte wurde der rote Teppich ausgerollt. Für wen? Für die offizielle Ruhrtriennale Festivaljury, die aus Heranwachsenden von drei Gesamtschulen der Städte Gelsenkirchen, Duisburg und Bochum besteht. Und so kamen die Heranwachsenden über den roten Teppich, ließen sich geduldig von uns interviewen und machten sich an ihr Werk die „12 Rooms“ für sich erfahrbar zu machen. Die Heranwachsenden tauchen bei allen Eröffnungen der Ruhrtriennale auf, sie sind gleichrangige Partner im Rahmen des „No Education“ Projektes. Dieses Projekt soll Schluss machen mit den >adults  only< – Bezirken. Ein schönes und auch logisches Projekt.  

Zur Ausstellung selber, die bedingt durch die zahlreichen Eröffnungsbesucher etwas verloren hatte. Denn eigentlich wäre es besser, einzeln diese Räume zu betreten und die intimen, flüchtigen Begegnungen wahrzunehmen und für sich selbst  erfahrbar zu machen.

     Allora & Calzilla, zeigten mit ihrem Werk „Revolving Door“ (2011)  ein Werk in dem Menschen  in einer Gruppe Positionen einnehmen und wie eine Menschmaschine funktionieren.  Die Sinnfrage wird hier anders beantwortet. Betritt man den Raum so gerät man in eine lebende Drehtür die von Damen und Herren dargestellt werden, die bei berühren sich tänzerisch dreht wobei man in den Raum geführt wird. Es wirkte auf mich wie eine lebende Begrüßung, die man erstaunt annahm.

      Santiago Sierra, zeigte mit seinem Werk „Verterans of the wars of Yugoslavia, Bosnia, Kosovo and Serbia facing the corner“ (2012) einen Soldaten in Camouflage Uniform, der mit seinem Gesicht in eine Ecke schaute. Kein Wort, keine Bewegung. Beim Betrachter entsteht das Bedürfnis Fragen zu stellen, Fragen nach dem Krieg, Fragen nach dem "Warum". In den Phantasien kommen Bilder von Kriegshandlungen auf. Die Sniper von Serajewo, die vielen Kriegsgräuel. Man fühlt sich allein gelassen, denn eine Antwort wird es nicht geben. Ein Gefühl des Unbehagens schleicht sich ein.

      Marina Abramovic, zeigte ihr Werk „Luminosity“ (1997). An einer Wand sitzt aufrecht ein nackter weiblicher Körper auf einem „Fahrradsattel“. Die Frau sitzt wie gekreuzigt, die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale sind klar zu erkennen. Die Frau schaut gerade aus auf die gegenüberliegenden Wand. Der Eindruck, die Frau könnte jeden Moment von der Wand fallen, blockiert das weitere Denken. Die Frage kommt auf: wie lange hält diese Frau das aus, diese Position muss doch schmerzhaft sein, zwingt sowohl zum verweilen als auch zum gehen. Es sind die Grenzen des Schmerzes, der Erschöpfung und der Gefahr die durch das Material Körper erfahrbar oder gesucht werden.


     Xu Zhen, „In just a Blink of an Eye“ (2005). Xu Zhen zeigt mit ihrem Körper einen augenscheinlich instabilen Zustand als Zwischenstatus. Durch die Bekleidung ist sie als eine von Millionen Wanderarbeiter in China auszumachen.
Aber, auch die Welt ist bei ihr instabil und bewegt sich immer in diesem einen instabilen Zustand der offensichtlich zur bleibenden Realität geworden ist.

Obige Live-Acts stellen nur einen Ausschnitt aus den insgesamt 12 Inszenierungen dar. Am Ende der Seite haben wir noch eine kleine Galerie für Sie erstellt..

Die Begegnungen in den 12 Räumen bringen dem Einzelnen die Wertigkeit von Menschsein in sein alltägliches konditioniertes Bewusstsein. Erstaunen erfasst einen bei dem Erfahren der vorhandenen oder auch abhanden gekommenen Menschfacetten.

Es ist nicht so einfach Mensch zu sein. Für mich war es eine bereichernde Erfahrung wie in 12 Räumen unterschiedliche Gefühlswelten erzeugt werden können. Aber auch, wie in einem Museum, wie dem Folkwang Museum, die darstellende Kunst mit der bildenden Kunst eine wunderbare Kooperation eingehen kann. Kunst ist eben untrenntbar, es gibt nur die eine Kunst.

„12 Rooms“ ist noch bis zum 26. August im Folkwang Museum in Essen zu besichtigen.

12 Rooms – Live Art/Group Show
Museum Folkwang Essen
Museumsplatz 1
D-45128 Essen
bis 26. August. Di-So 10-18 Uhr. Fr 10-22 Uhr


Auszugsweise wurden hier nur vier der 12 Räume beschrieben.

Künstler: Marina Abramovic (RS), Jennifer Allora (US) and Guillermo Calzadilla (CUB), John Baldessari (US), Simon Fujiwara (J), Damien Hirst (GB), Joan Jonas (US), Xavier LeRoy (FR), Laura Lima (BR), Roman Ondák (SL), Lucy Raven (US), Tino Sehgal (GB), Santiago Sierra (ES), Xu Zhen (CN)

Kuratoren: Klaus Biesenbach und Hans Ulrich Obrist


 

Übrigens: Das Ticket zu 12 Rooms berechtigt zum einmaligen freien Eintritt in die Ausstellung Current von Michal Rovner in der Mischanlage, Kokerei Zollverein, Essen [anmerkung d. Red. : eine durchaus empfehlenswerte Videokunst-Ausstellung]
Tickets: 8,– €  Ermäßigungen ab 5,– €

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Essen
[Fotos: © Linde Arndt]

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Mitten ins Herz – Pulse

 

[jpg] Der Westpark in Bochum liegt hinter der Jahrhunderthalle und ist ein beliebtes Freizeitziel für die Bochumer und deren Freunde. Als wir am vergangenen Donnerstag dort eintrafen, lagen Fahrräder  herum, nicht weit davon eine Gruppe junger Menschen die beim Picknicken waren. Dort ein Pärchen welches die letzten Sonnenstrahlen einfing. Und am Rande dieser Idylle waren die Theaterscheinwerfer installiert, 250 an der Zahl. Es war jedoch noch nicht dunkel und so sahen wir viele prominente Bochumer Kunstliebhaber durch den Park flanieren. Wie gesagt, es war noch zu hell um die  Lichtinstallation zur Aufführung zu bringen. Zeit für ein paar Gedanken.

Die Ruhrtriennale hat eine Schwester, eine vierte Säule innerhalb der Kultur Ruhr GmbH bekommen, „Urbane Künste Ruhr“. Am 16.August 2012 brachte diese vierte Säule „Urbane Künste Ruhr“ die ersten Inhalte ihrer Definition von urbaner Kunst.  Rafael Lozano-Hemmer, ein kanadisch-mexikanischer Künstler, zeigte seine interaktive Lichtinstallation „Pulse Park“ Relational Architecture 14. 2008 hatte Lozano-Hemmer diese Installation im Oval des Madison Square Park, New York zum ersten male gezeigt. Pulse Park war der Höhepunkt einer Serie, Lozano-Hemmer debütierte 2007 mit Pulse Room bei der Biennale in Venedig.

Dieser "Pulse Park" im Westpark wird einzig und alleine durch die Herzschläge, also den Puls, der Besucher Wirklichkeit, die bereit sind, ihn durch einen dafür vorgesehenen Sensor einzuspeisen. Als die Dunkelheit herein brach gaben neben dem Künstler zuerst drei ausgesuchte Bürger ihren Puls ein.  Urbane Künste Ruhr hatte Bochumer Bürger aufgerufen, ihre schönste Geschichte oder ihr bestes Erlebnis zum Westpark einzureichen. Von diesen Einsendern waren die besten drei Bewerber ausgewählt worden. Ihre Geschichte sollte bei der Eröffnung am Donnerstagabend präsentiert werden.
Anschließend wurde der Puls von mehreren Besuchern hintereinander durch den Sensor in einen Computer eingespeist. So entstand letztendlich eine Reihe von Herzfrequenzen die die Strahler zum Leuchten brachten. Zuerst wurde der Puls eines einzelnen Besuchers auf einen Strahler übertragen. Schlußendlich wurden die anderen, schon gespeicherten, auf die gesamte Installation ausgeweitet. Das ganze wurde sodann durch die akustischen Signale begleitet.

Zu Beginn das gleichmäßige Pochen eines einzelnen Herzens, welches von dem Stakkato der folgenden schon gespeicherten Herzschläge ergänzt wurde. So weit der technische Bereich.

 
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Begleitet von großen Ohs und Ahs der inzwischen angewachsenen Westpark Gemeinde, sah man wie der Westpark sich in ein Lichtermeer verwandelte. Die Übertragung der Herzschläge taten ihr übriges um die Besucher in romantische Gedanken zu führen. Die eine und andere Hand sah man in der Hand des Partners verschwinden. Köpfe legten sich an Schultern. Die entstehende künstliche Landschaft ließ die Herzen mit schwingen. Es war eine gelungene Vorstellung des Auftaktes „Urbane Künste Ruhr“; dem vierten Bein der Kultur Ruhr GmbH unter der künstlerischen Leitung von Katja Aßmann.

Als wir zum Vortrag des Künstlers Rafael Lozano-Hemmer gingen sahen wir eine Schlange von rund 120 Besuchern die sich am Pulsmessgerät anstellten.

Rafael Lozano-Hemmer wusste uns viele seiner Arbeiten näher zu bringen. Rund um den Erdball wusste er von seinen Arbeiten zu berichten. Da gab und gibt es Videos, Skulpturen, Robotics, Lichtinstallationen mit und ohne biometrische Steuerungen oder auch Performes ( Levels of Nothingness im Guggenheim Museum).

Später, als wir  wieder am Westpark vorbei gingen sahen wir immer noch vereinzelt Pärchen im Park, sicher sich ihr Herz schenken.

 

 

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Bochum

[Fotos: © Linde Arndt]

INFO:

 PULSE PARK: Relational Architecture No. 14
16. August – 16. September 2012
Westpark an der Jahrhunderthalle Bochum
täglich 21.00 bis 1.00 Uhr
Eintritt frei

 

 

 

 

 

Aus der Zeit in den Raum gefallen

 

 
[jpg] Da wird ein dichter Urwald auf der Bühne aufgezogen und jemand schwingt durch die Bäume. Steine werden mitten auf die Bühne getragen und abgelegt. Dann, etwas später,  poltern weitere Steine mit lautem Getöse ins Bild. Ein Tempel brennt ab. Ein Schiff schaukelt im Meer, welches durch Assistenten belebt bis stürmisch gehalten wird. Ein Riesenfisch mit einem wilden Reiter wird in die Szene geschoben. Und zu allem vergeht die Zeit, die mehrfach rechts und links digital angezeigt wird – Sekunden für Sekunden, die zu Minuten werden.

Wie unbeabsichtigt stehen Sänger und Sängerinnen herum, laufen auf die Bühne oder werden herein getragen,  singen und gehen wieder ab.  Schriftzüge mit Texten in verschiedenen Sprachen werden sichtbar und verschwinden wieder. Die Auftritte werden von 32 Assistenten, die als Statisten, Tänzer oder Techniker auftreten, begleitet.

Da tritt die Walküre, Carmen, Napoleon, ein griechischer Held neben einer nicht zur Rolle passenden Musik auf. Die passende Musik hört man jedoch in einem anderen Zusammenhang an anderer Stelle.

„Europeras 1 & 2“ feierte am 17. August 2012 seine Premiere und war von Heiner Goebbels die Erstvorstellung seiner Intendanz bei der Ruhrtriennale 2012. „Europeras 1 & 2“ von John Cage, der übrigens in diesem Jahre 100 alt geworden wäre, passt zu Heiner Goebbels und seinem Ruf als experimenteller Theaterschaffender.

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Überhaupt scheinen die Zahlen eine große Bedeutung in dieser Inszenierung und dem Zusammenhang zu spielen. Die 64 Felder des I Ging, 128 Opern zur Auswahl, 32 Szenen und 32 Musiker als Solisten ohne Orchestergraben und Dirigenten, all dieses nur für ein Ziel. Die Oper soll von ihren Zusammenhängen befreit werden und als unabhängiges und absichtsloses Musiktheater neu entstehen. Handlungen gibt es nicht, Aussagen auch nicht. Europera 1 stellt sich als eine Aneinanderreihung von Szenen und Elementen dar, die streng voneinander getrennt sind. Das Stichwort: Dekonstruktion kommt bei der Aufführung auf. Goebbels hat mit der Aufführung von Europeras 1 & 2 nach der Sinnhaftigkeit von Kompositionen und ihren Anordnungen gefragt, indem er eben alles aus dem Kontext einer Oper gezerrt hat und dem Besucher zur Überprüfung und Einordnung vorgelegt hatte. Selbst der Fall eines Vorhangs, der ja das Ende einer Aufführungseinheit signalisieren soll, wird als Einzelelement ohne Zusammenhang in Frage gestellt. Aus dem Dunkel der Hinterbühne wird die Technik auf einmal zum Hauptdarsteller des Stückes, indem die Technik einen Bühnenbildversuch ansetzte. Das Stichwort: Fluxus verleitet nach der Analyse von Sinn oder Unsinn einer Oper. Nein, es macht eben keinen Sinn. Der Besucher sollte loslassen von einer Einordnung der Handlungsabfolge mit Musik, Beleuchtung ( Sehr wichtig!) und Personen. Es ist! – mehr nicht. Und John Cage, lässt er uns alleine? Nein. „I welcome whatever happens next.“ (Ich begrüße, was als Nächstes passiert. ), sagte Cage in einem anderen Zusammenhang.
Sprich, für das Neue ist sicherlich der Vergleich mit Vergangenen nicht gerade förderlich.

Nun war da noch Europera 2, das ganz und gar anders angelegt war. War Europera 1 mehr offener und auch ohne Grenzen angelegt, so kam Europera 2 intimer daher. Das Bühnenbild stellte eine barocke Piazza dar, die mit einem Musselinvorhang dar gestellt wurde. Alles in schwarz und weiß. Ein Hund rennt über die Piazza, Tag- und Nacht-Stimmung wird dargestellt, indem dunkle Wolken aufziehen. Mitten im Bild wird die Tiefe mit Linien ausgelotet, die aber wieder verschwinden. Dann sind da die 10 SängerInnen in dunklen Kostümen, welche die Szene betreten, bespielen und nach links oder rechts abtreten. Die Szenen strahlen etwas Konspiratives aus. Die Kostüme erinnern an die italienischen Commedia dell’arte Gruppen, die auf den Piazzen spielten. Hier kommen die Gesten im vorübergehen zum tragen, das Übertragen von Nachrichten aus dem gesellschaftlichen Leben.

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In zweier oder dreier Gruppen steht man zusammen und überbringt das Neuste. Blicke werden gewechselt, Wissende von Unwissenden getrennt, oder auch nur ein Morgenspaziergang mit körperlichen Übungen verbunden. Sicher könnte das der Marktplatz der Eitelkeiten sein. Auch hier passen die vorgetragenen Stücke nicht zu den Bildern Es ist aber durch die etwas intimere Fläche und die einheitlicheren Kostüme eher zu akzeptieren und nicht so anstrengend.

Heiner Goebbels ist mit dieser Erstarbeit im Rahmen seiner Intendanz eine gute handwerkliche Arbeit gelungen. Aber nicht nur das, vielmehr hat er Cage mit allen seinen augenzwinkernden “ Widersprüchlichkeiten" bestens umgesetzt. Er hat sogar durch den Auftritt der Elektro-Hebewagen (Technik) noch etwas drauf gesetzt und ein zerstörerisches Element in das Werk einfließen lassen. Kritisch würde ich jedoch den etwas sparsamen Umgang mit der Beleuchtung sehen. Cage sah die Beleuchtung als eigenständiges Element mit welchem er gerne mehr gearbeitet hätte.

Wie immer ist es der Ruhrtriennale gelungen einen neuen ganz eigenen künstlerischen Akzent zu setzen, der es verdient hat auch außerhalb der Metropole Ruhr Gehör zu finden.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Bochum
[Fotos: © Linde Arndt]

[siehe auch die Gallery unserer Fotojournalistin zu diesem Thema]

Der ewige Kampf zwischen Kopf und Bauch

   
Pressekonferenz im Dampfgebläsehaus der Jahrhunderthalle, Bochum v.l. Michal Rovner / Professor Heiner Goebbels / Lemi Ponifasio
 

[jpg] Sie haben schon einmal eine Oper gesehen? Klar. Da gibt es die Ouvertüre mit einem Leitthema, drei Akte. Das wesentliche ist jedoch: Sowohl in der Komposition als auch im Libretto gibt es eine „Linie“ nach der das Stück aufgebaut wird und letztendlich zu seinem Ende kommt.Vergessen sollte man in diesem Jahr diese Regeln. Musik und Text müssen nicht einer Linie folgen. Oder doch?

Am 6. August 2012 war die Auftaktpressekonferenz der Ruhrtriennale 2012/2013/2014, es geht also wieder los.

Der amerikanische Komponist John Cage wäre in diesem Jahr ( 5. September ) 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Grunde hat sich Professor Heiner Goebbels entschlossen für die Aufführung von Europeras 1+2 die Regie zu übernehmen. Am 17. August ist Premiere und sämtliche Vorstellungen sind restlos ausverkauft, übrigens, wird an diesem Tage Professor Heiner Goebbels 60 Jahre alt.

Warum Cage? Nur weil er 100 Jahre geworden wäre? Nein. Cage deshalb, weil er als Amerikaner mit dieser Oper den Europäern zeigen wollte, dass auch die USA eine eigene Identität haben sollten. Cage deshalb, weil er mit dieser Oper ein experimentelles Werk geschaffen hat. Cage deshalb, weil gerade die Ruhrtriennale bekannt ist für ihre außergewöhnlichen Produktionen. Kurz, es gibt viele gute Gründe Cage zur Aufführung zu bringen.

Zur Oper selber.
Es gibt auf der Bühne 64 aufgemalte Felder in der 100 Meter weiten Jahrhunderthalle in Bochum. Es gibt 10 herausragende SängerInnen, die von ~ 30 Instrumentalisten und von ~60 Assistenten unterstützt werden. Und dann gibt es noch den Zufallsgenerator. Dieser Zufallsgenerator ( I Ging ) wirft nach einer bestimmten Einstellung eine Feldnummer und meinetwegen eine Arie aus 128 bekannten europäischen zur Verfügung stehenden Opern aus. Zu den Opern gibt es 32 Bilder. Kostüme und Bühnenbilder ergeben sich. Europera 1 dauert 90 Minuten und Europera 2 dauert 45 Minuten. So ist der Regisseur vor der Vorstellung teilweise selber gespannt auf den sich ergebenden Verlauf.

Während der Aufführung entsteht somit eine neue Oper oder aber auch ein neues Gesamtwerk, welches aber so nicht wiederholbar ist. Es sind zwar alles alte Werke der letzten 200 Jahre aber durch die willkürliche Zusammensetzung entstehen neue Melodien, Szenen die zwar bekannt, aber in ihrer Zusammensetzung so noch nie gehört wurden. Problematisch wird es für Menschen die in ihrer Neugier schwach ausgeprägt sind. Man muss sich schon darauf einlassen können. Wie sagte der Intendant der Ruhrfestspiele Recklinghausen Dr. Frank Hoffmann so treffend: Seien Sie neugierig.

Außer  Cages Europera 1& 2 seien noch folgende interessante Vorstellungen erwähnt:

"Lecture on Nothing"

Robert Wilson liest John Cage
            22.  August 2012, 28. August 2012
            Jahrhunderthalle Bochum
 
Künstlergespräch Europeras 1&2

mit Heiner Goebbels und dem Produktionsteam der Inszenierung
19. August 2012, 31. August 2012, 2. September 2012
            Jahrhunderthalle Bochum

tumbletalks 1 – 8

Heiner Goebbels / Holger Noltze
            ab 17.  August 2012
            Museum Folkwang, Essen

 "Current"

Kommen wir zu der anwesenden Künstlerin Michal Rovner. Die israelische Künstlerin ist mit ihrer Arbeit „Current“, die am 18. August in der Mischanlage, Zeche Zollverein, Essen, präsentiert wird, vertreten.

„Datazone 1, cultur table #, 2003"
Parallel wird in den Räumen des  Museums Folkwang ein weiteres Werk „Datazone 1, cultur table #, 2003 zur Ausstellung gelangen.

Mit Tumbletalk 2 wird am nächsten Tag dem 19. August ein Gespräch mit Michal Rovner und Michael Morris stattfinden.

 
Michal Rovner

 Michal Rovner hat mit ihrem Werk „current“ Spuren und Zeiten der Mischanlage aufgenommen und diese in einer Videoarbeit umgesetzt. Die Mischanlage wurde für die Vermengung von verschiedenen Kohlequalitäten gebraucht. Über die Jahre entstanden Rückstände aus den vergangenen Produktionsprozessen. Nimmt man nun die Bauweise der Anlage, den Nutzungs- und Abnutzungsgrad als auch die verbliebenen Rückstände, ergeben sich drei Terminis die dem Kunstwerk zu Grunde liegen.

Rovner ist bekannt für Grenzüberschreitungen in ihrer Kunst, indem sie Grenzen überdehnt um letztendlich ihre Belastbarkeit zu erkunden. Es scheint ihr Spaß zu machen Räume zueinander in eine andere Beziehung zu setzen um sie damit einer Stresssituation auszusetzen. 

Als Israelin wurde sie einer ständigen wechselnden Realität ausgesetzt, deren Gefährdungsgrad sie immer in die Nähe eines mittleren Bebens brachte.
Zu Michal Rovner sei auch gesagt, dass sie eine international anerkannte zeitgenössische Künstlerin ist, die mit Professor Heiner Goebbels seit 2005 eine enge künstlerische Partnerschaft einging. Mit dem Werk „Fields of Fire“, einer großen Video- und Klanginstallation im Jeu de Paume/Paris, hat sie sich einen internationalen Namen gemacht.

„Prometheus“

Vorgestellt hatte sich nunmehr Lemi Ponifasio, gebürtig aus Samoa, als internationaler renommierter Regisseur  und Choreograf Neuseelands. Er wird in der Duisburger Kraftzentrale Carl Orffs ungekürztes Musiktheater „Prometheus“ nach Aischylos  am 16. September (Premiere) zur Aufführung bringen. Wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, dass dies eine Neuinszenierung sein wird und darüber hinaus Ponifasios erste Musiktheaterarbeit darstellt. Ponifasio und Carl Orff, zwei Künstler die sich beide  auf die Ästhetik des Beginns (Archetypus) eines wie auch immer gearteten  menschlichen Dialogs zurückziehen. Wobei Prometheus, der Kulturbringer schlechthin, beiden den Stoff liefert, den sie für diese, ihre Arbeit,  gesucht haben. Pontifasio setzt Prometheus in unsere heutige Zeit in der der moderne Mensch sich in der beschleunigten Welt ausgesetzt fühlt. Prometheus und der moderne Mensch begehren in ihren Welten auf um eine andere Welt einzufordern. Regie führt Peter Rundel, Chor wird von dem stimmlich bewährten „Chorwerk Ruhr“ nunmehr unter der Leitung von Florian Helgath, gestellt. Die Tänzer der MAU Company werden die Aufführung verstärken und Prometheus wird von Wolfgang Newerla gesungen.

 
Lemi Ponifasio                


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  Es ist nicht alles beschrieben worden was in der Pipeline ist. Bis zum 17. August werden 900 Künstler angereist sein, die teilweise aus Übersee kommen. Es werden über 100 Veranstaltungen, 37 Produktionen auf 12 verschiedenen Spielstätten aufgeführt. 30 Vorstellungen sind schon ausverkauft, viele haben nur noch Restkarten zu bieten. Wenn es so weiter geht, wird die Ruhrtriennale 2012 eine Auslastung von über 85% haben. Es geht um die Metropole Ruhr und nur dafür ist die Ruhrtriennale geschaffen worden. Jedoch landete der Bereich Kultur in der Metropole Ruhr in einer Studie der Hamburger Berenberg Bank  im unteren Mittelfeld.  Lediglich die Stadt Essen konnte einigermaßen im Kulturranking punkten. Stuttgart, Dresden oder Berlin sind die Städte auf den vorderen Plätzen. 
Wenn man allerdings weiß wo man steht, so kann man seine Kräfte bündeln um nach vorne zu kommen.

Kultur ist und bleibt ein inzwischen harter Faktor bei der Standortfrage eines industriellen Betriebes. Warum? Kultur ist das „Schmiermittel“ der ersten Wahl in einer intakten Gesellschaft. Ein Trost, es wird noch weitere Studien geben. Die Metropole Ruhr wird sicher seine Chancen nutzen.
Bei 900 Künstlern sollte das oben genannte nicht alles sein, woran die Ruhrtriennale arbeitet um am 17. August die Spielzeit 2012/2013 zu beginnen.

Rafael-Lozano Hemmer
Am 17. August wird im Westpark hinter der Jahrhunderthalle Bochum eine interaktive Lichtinstallation, „Pulse Park“ von Rafael-Lozano Hemmer die Besucher überraschen. Der kanadisch-mexikanische Künstler Rafael-Lozano Hemmer  verwandelt mit Einbruch der Dunkelheit den Westpark in einen Lichtpark. Die gemessenen Herzschläge der Besucher steuern einen computergesteuerten Sensor, der übernimmt diese Schläge um sie sodann in Licht- und Tonsignale umzusetzen. Der gesamte Park wird dadurch zu einem einmaligen Begegnungsraum.

"Our CenturY"

Seit dem 16. Juli werden Folke Köbberling und Martin Kaltwasser mit einem Bauprojekt „Our CenturY“ rund um die Jahrhunderthalle Bochum bis zum 30. September mit über hundert Freiwilligen eine Alternative zum derzeitigen sozialen Zusammenleben sichtbar machen. Irgendwie erinnern die beiden an Alexander Mitscherlich mit seinem „Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden“. Unsere heutigen Städte stehen alle vor dem Kollaps, sind fast unbewohnbar, so dass die Menschen aus den Städten fliehen. Folke Köbberling und Martin Kaltwasser setzen unserer eindimensionalen realen Lebensumwelt einen kritischen Widerstand entgegen. Der Fortgang der Arbeiten kann jederzeit bei freiem  Eintritt besichtigt werden. Auch ein Mitmachen ist jederzeit möglich.

 
Folke Köbberling, dahinter v.l. Martin Kaltwasser und Professor Heiner Goebbels                

Ein weiterer Schwerpunkt der Professor Heiner Goebbels am Herzen liegt, sind Studierende aller Fachrichtungen. Während der Ruhrtriennale 2012 wird es einen „Internationalen Festivalcampus“ geben. Dozenten, Studierende und Künstler aus 12 unterschiedlichen Hochschulen des In- und Auslands werden in einen Diskurs mit dem Theater als eigenständige Realität treten. 150 Teilnehmer  werden mit dem Team der Ruhrtriennale eine sicherlich spannende und interessante aber auch strittige Begegnung haben. Des weiteren wird StudentInnen < 27 Jahre auf alle Vorstellungen ein 50% iger Rabatt eingeräumt – dies ist einmalig für die Ruhrtriennale. Auch sind weitere Vergünstigungen für StudentInnen <27 Jahre durch die Intendanz der Ruhrtriennale veröffentlicht worden. Erwähnt sei das „Last-Minute Ticket“ oder der Studentenpass, aber es wurden auch 50 Freikarten für StudentInnen verlost.


Professor Heiner Goebbels im Gespräch
  Selbstredend sind die Aktivitäten die Professor Heiner Goebbels bist jetzt entwickelt hat andere als die seiner Vorgänger.

Und bis jetzt war es immer ein herausragendes Erlebnis die verschiedenen Intendanten vom Gründungsintendant Gerard Mortier angefangen über Jürgen Flimm und Willy Decker mit ihren Arbeiten zu begleiten.

Heiner Goebbels wird mit seiner Persönlichkeit einen weiteren Pfeiler für die Geschichte der Ruhrtriennale darstellen.

Gefühlsmäßig, also mit dem Bauch, sollten wir in den Stücken Wege erkennen, neue Wege, der Kopf sollte diese Wege alsdann benennen können. Kampf entsteht nur dann wenn unsere Unsicherheit uns nicht verlässt.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Bochum

[alle Fotos © Linde Arndt]