Gevelsberger Erinnerungskultur ´15
[jpg] Jedes Jahr im November macht sich Gevelsberg auf, um sich an die Novemberpogrome 1938 zu erinnern. Es war die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 als die Verbrecherbanden der Nationalsozialisten, Juden in den Selbstmord trieben, Friedhöfe schändeten, Synagogen, (Gotteshäuser), Betstuben und sogar Wohnungen zerstörten, wobei diese Verbrecher sich die Wertsachen in ihre Taschen steckten. Zehntausende Juden wurden damals inhaftiert und später in die neu geschaffenen Konzentrationslager geschafft. Später mündeten diese Verbrechen in die industriell forcierte Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland und Europa, es war der Holocaust oder für die Juden die Shoa.
In Gevelsberg aber auch in vielen deutschen Städten erinnert man sich Jahr für Jahr an diese unseligen Zeiten. Gevelsberg hat im Laufe der Jahre Denkmäler aufgestellt und an den denkwürdigen Orten im Stadtgebiet Tafeln anbringen lassen. In diesem Jahr erinnerte man sich an das ehemalige Gevelsberger Krankenhaus in welchem damals Zwangssterilisationen durchgeführt wurden aber auch Kranke denen die medizinische Versorgung verweigert wurde, so dass sie letztendlich elendig starben. Es gab extra Gesetze für diese Maßnahmen. Die Nazis nannten diese Menschen lebensunwert, hunderttausende wurden den Krankenhäusern gerichtlich zugeführt.
Pfarrer Martin Bach appellierte denn auch, mit der Erinnerung nicht aufzuhören, denn was damals geschah ist das genaue Gegenteil von dem wonach wir leben wollen. Auch die Kirchen haben sich damals mitschuldig gemacht. Diese damalige Ideologie war und kann nicht unsere Ideologie sein. Bürgermeister Claus Jacobi schlug einen Bogen zu der heutigen Flüchtlingsproblematik, die Gevelsberg menschlich fordert. Er erwähnte noch den antifaschistischen Arbeitskreis Gevelsberg, der sich jedes Jahr um die Organisation dieser Tage einsetzt. Er verwies nochmals auf die Gevelsberger Aktionswoche „Gegen Rechte Gewalt“ (wir berichteten) hin.
70 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges und 100 Jahre nach Ende des ersten Weltkrieges
70 Jahre später – Pfarrer Martin Bach hat schon recht wenn er die Kontinuität der Erinnerungen an diese Zeit vorschlug. Aber, Erinnerung um der Erinnerung wegen führen letztendlich zu keinem Ergebnis. Denn stellt man sich die Frage, wie konnte es zu diesen Verbrechen kommen, erntet man 70 Jahre später ein Schweigen welches den aufgeklärten Fragenden irritiert. Sigmund Freud hat in seinem Band X der gesammelten Werke das Kapitel „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“, in diesem beschreibt er wie man die „menschlichen Fehlleistungen“ in der Psychotherapie erfahrbar machen kann. Zwei Psychologen, haben sich des Problems der deutschen Schuld aus der Nazizeit, diesem Massenphänomen, angenommen. Sowohl Alexander Mitscherlich als auch Horst Eberhard Richter, beide haben den Deutschen empfohlen ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Denn letztendlich bleibt die brennende Frage: Wie konnte es geschehen? Wie konnten wir, jeder einzelne, solch eine Schuld auf sich laden? Leider wurde diese Aufarbeitung nie betrieben. Heute ahnen wir mit welchen Trieben Deutsche wieder in unserem Lande die Menschenrechte mit Füßen treten. Es ist noch weit bis zu den Euthanasiegesetzen, jedoch die Sprache der braunen Massen hört man laut und vernehmlich. Die Sprache ist schon entmenschlicht, man spricht von Strömen, von Massen oder von Schmarotzern die unser Land im Zusammenhang mit den Flüchtlingen heimsuchen.
Im Film „Der ewige Jude“ von 1940 wurde der Jude mit Ratten gleich gesetzt.
Diese damalige Sprache senkte erheblich die moralischen Hürden, die letztendlich Menschen dazu brachte, sämtliche moralischen Bedenken hinsichtlich der nationalsozialistischen Verbrechen über Bord zu werfen.
Seien wir vorsichtig, sonst werden wir eines Tages als Erinnerung nur die schönen bunten Flyer haben, die uns moralisch von den Bösen unterscheiden sollten. Nur damals nutze es nichts und morgen würde es nichts nutzten, wenn wir unsere Vergangenheit nicht aufarbeiten. Millionen Menschen wurden damals ermordet und werden zukünftig ermordet, wenn wir nur einer Erinnerungskultur ohne Hintergrund nachgehen.
Der evangelisch Pfarrer Martin Niemöller wurde einmal auf die Widersprüchlichkeit seiner Biografie angesprochen. Er war U-Boot Kommandant der Kaiserlichen Marine und Friedensbewegter Ostermarschierer. Er antwortete darauf: „Dass ich meine Überzeugung in meinem Leben geändert habe, ich glaube, nicht aus Charakterlosigkeit, sondern weil ich dazugelernt habe -, dessen schäme ich mich nicht … Wir sollten darauf hoffen, dass auch die Leute, die uns augenblicklich führen, noch dazulernen können…“
Hoffen wir, das unsere führenden Leute dazugelernt haben.
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Gevelsberg
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