Bundespräsident Joachim Gauck Foto: © Linde Arndt |
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[jpg] Aus dem Umfeld des Bundespräsidenten wurde immer wieder betont, es würde eine große Rede werden. Würde der Bundespräsident an die Reden von Herzog, Weizäcker oder Rau anknüpfen können? Es sollte keine Ruck Rede wie seinerzeit die Rede von Bundespräsident Roman Herzog sein . Auch sollte es keine Adlon Rede mehr geben, vielmehr wollte der Bundespräsident seine Rede in seinem Amtssitz „Schloss Bellevue“ als Forum vor 200 geladenen Gästen verstanden wissen. Thematisch wolle er sich zu Europa äußern, so der Bundespräsident. Für die Statistiker: die Rede dauerte rund 51 Minuten und wir zählten 5124 Worte.
Es war eine „rührseelige“ Rede, reinste Prosa die von einem deutschen Präsidenten an Deutschland und Europa gerichtet wurde. |
Joachim Gauck bekannte sich zwar zu Europa und der europäischen Idee, man konnte ihn allerdings nicht als überzeugten und kämpferischen Europäer ausmachen. Seine Rede war eine Erzählung über einen Traum den er, der Bundespräsident, träumt. Es ist allerdings mehr ein Wunsch den er hegt, der allerdings nicht erfüllbar ist. So bleiben nur die Facetten seiner Rede die man unterstreichen sollte und auch bejahen kann.
Da ist seine Feststellung, dass es ein bequemes Europa nicht geben wird oder das Europa, welches von seinen Mitgliedern Vertrauen abverlangt. Da ist sein Wunsch nach einer Agora für Europa oder einer überall vorhandenen und abrufbaren Kommunikation – verständliche Wünsche.
Lassen Sie uns einmal in Form von Stichworten die Rede durchforsten.
Stichwort: Vertrauen
Ja wir haben in Europa eine Vertrauenskrise, wie Gauck richtig bemerkt. Nur wer vertraut hier wem nicht? Der Vertrauensverlust spielt sich nicht auf der Ebene der Völker ab, die Griechen, Spanier oder Italiener misstrauen nicht dem deutschen Volk. Sie misstrauen der deutschen Regierung, dem IWF oder der EU und ihren eigenen Regierungen. Es ist eine Krise vom Volk zu den Institutionen, Administrationen, Regierungen, nicht zu den Bürgern des eigenen und anderen Landes. Die zweite Ebene der Vertrauenskrise ist, es misstrauen sich die Institutionen, Administrationen, Regierungen untereinander, ja sie versuchen sich sogar aus- und abzugrenzen. Man erinnere sich als die deutsche Regierung mit ihren Medien ein Dauerfeuer auf Griechenland abfeuerte um dieses Land zum Austritt aus der Eurozone zu bewegen. So sieht keine Solidargemeinschaft aus, die auf Vertrauen basiert. Und zu guter Letzt misstrauen die kleinen EU Staaten, wie Polen, Belgien oder Griechenland den großen Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Großbritannien traut Deutschland und Frankreich nicht so recht, wegen der Besonderheit der Élysée-Verträge und der daraus resultierenden beiderseitigen Konsultationen.
Stichwort: EU
Es existiert ein Spiel auf nationaler Ebene. Alles was man auf nationaler Ebene nicht lösen mag, schiebt man auf die Brüsseler Zentrale. Wir können keinen nationalen Alleingang machen, so ist die gängige Sprachregelung. Dieses „schwarze Peter Spiel“ funktioniert vorzüglich und führt die Bevölkerung der einzelnen Staaten damit zu der bekannten EU Müdigkeit oder Verdrossenheit. Die EU wird damit als Prügelknabe von allen nationalen Staaten benutzt. Nur man fragt sich doch, wieso im Consilium, wo der Rat immerhin in 10 verschiedenen Fachzusammensetzungen mehrmals im Jahr tagt, die Probleme mit den Kollegen Regierungschefs oder Fachminister nicht sofort geklärt werden? Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sieht für mich anders aus.
Stichwort. Gemeinsame europäische Erzählung
Gauck erkennt zwar den Beginn der europäischen Geschichte durch die Griechen und die Römer als wesentliche europäische Kulturbringer irgendwie an, will sie aber nicht als Beginn der europäischen Geschichte gelten lassen. Wer denn sonst als die antiken Griechen haben uns Europäern Europa gebracht? In der europäischen Erzählung sind nicht nur Paukenschläge, wie die französische Revolution, zu registrieren, nein es geht auch etwas kleiner. 1791 verabschiedete das polnische Volk die erste Verfassung in Europa, die zur damaligen Zeit eine moderne Verfassung war. Logischerweise wurde diese Verfassung in den Folgejahren durch die Nachbarstaaten Preußen und Russland wieder kassiert. Als Beispiel habe ich Polen gewählt, weil Polen zu einer Gruppe der kleinen Staaten gehört aber nicht weniger selbstbewusst als die großen Staaten auftritt. Aber diese Erzählung könnte ja weiter gehen, indem wir die großen Europäer der Geschichte erkennen und ihr Tun als europäisch einordnen. Denken wir an den Vater der modernen Marktwirtschaft den Briten Adam Smith. Moderne Volkswirtschaften auf unserem Globus nehmen diese Theorien als Grundlage für ihr wirtschaftliches Handeln.
Stichwort: Identifikation
Die Unsicherheit und Angst, die Gauck hier anspricht und eine Identifikation der europäischen Bürger verhindert, kann nur in signifikanter Weise bei den Regierungen verortet werden. Und diese Regierungen sind es auch die diese ihre eigenen Ängste an ihre Bürger weiter geben. „Mut“ sich mit Europa einzulassen und in Folge sich mit Europa zu identifizieren müsste man den Camerons, Merkels oder den Ruttes zusprechen und nicht den Briten, Deutschen oder Holländern. Bis auf kleine Niggeligkeiten sind die Bürger in ihrer Mehrheit doch schon Europäer und leben dies auch. Den Rückfall in Einzelstaatlichkeiten kann man in der Regel nur noch bei einem Länderspiel beobachten und das ist auch nachvollziehbar.
Stichwort: Integration
Hier sieht Gauck die Bürger der EU die Takt und Tiefe der Integration bestimmen. Tatsächlich ist es aber so, dass die Bürger der EU viel weiter in der Umsetzung der Integration sind und die Institutionen der EU dies nicht wahrhaben wollen. Ich denke die Regierungschefs haben in ihren Köpfen noch immer die einzelstaatlichen Grenzen, die die Mehrheit der EU Bürger schon längst beseitigt haben.
Stichwort: Gründung
„Wir haben auch keinen Gründungsmythos…“, so der Bundespräsident. Wenn Gauck sich auf die griechische Mythologie bezieht so mag er Recht haben. Dies reicht sicher nicht. Würde er sich allerdings auf die anerkannten Geschichtsbücher beziehen, so irrt er.
Der europäische Gründungsmythos bezieht sich auf die Einsicht aller europäischer Staaten eines „Nie wieder Krieg“ Gedankens und Ausspruchs unserer Väter und Großväter. Und dieses „Nie wieder Krieg“ bezog sich nicht ausdrücklich auf die beiden Weltkriege, die für Europa sicherlich einmal als die dunkelste Zeit in der Geschichte stehen wird. Sondern dieser Gedanken bezog sich auch auf die vielen Kriege in der europäischen Geschichte um Macht und Vorherrschaft auf dem Kontinent und den britischen Inseln in der Vorzeit. Und so können die Europäer sagen, unsere europäischen Gründung beruht auf der Erkenntnis, eingesehen zu haben ein Europa von feindlich gesinnten Staaten wird dem Untergang geweiht sein. Und dies ist seid langen Konsens aller Staaten.
In einem wesentlichen Punkt hat der Bundespräsident die Essenz Europas erkannt, es ist der europäische Wertekanon, der einzigartig in der Welt da steht. In dem heutigen Europa hätte es ein Guantanamo, Folter oder Verschleppung wie in den USA alltäglich nicht gegeben, hier hätte sicher der europäische Gerichtshof einen Riegel vorgeschoben.
Und was ist mit den vielen Problemen die wir Europäer haben, wie die Stärke des Euro oder die Probleme der Osterweiterungen? Auch hier gilt wieder, nichts passiert ohne die einzelstaatlichen Institutionen der EU. Wenn also die einzelnen Regierungen diese Problem nicht gelöst haben wollen, werden diese auch nicht auf die Agenda in Brüssel gesetzt.
Was hat der Bundespräsident vergessen? Europa hat ein grundsätzliches Problem, nämlich, die Souveränität des einzelnen Staates. Die Frage: Wie kann man Souveränität teilen? Die Finanzkrise hat uns folgendes vor Augen geführt: Europa war in seinen Entscheidungen um auf diese Krise zu reagieren zu langsam. Und als Europa reagiert hatte, waren Milliarden Euro an Verlusten verbucht.
Letztendlich hat die EZB (Europäische Zentralbank) mit dem seinem Präsidenten Mario Draghi reagiert und damit die Finanzmärkte wieder in die Büchse der Pandora verbannt. Happy End? Nein. Denn der Präsident Mario Draghi hatte dafür keinen demokratischen Auftrag, kurz, er hat das auf seine „eigene Kappe“ genommen. Zuständig waren die Finanzminister der einzelnen Staaten, die wollten sich aber nicht entscheiden.
Sie sehen wo die eigentlichen Probleme sind. Sie liegen fast alle auf der Ebene der Regierungen und der Institutionen. Und weiter, wenn die „Souveränisten“, die mehr nationale Autonomie fordern und damit den Zusammenbruch Europas heraufbeschwören nicht von den Europäern in ihre Schranken verwiesen werden, wird Europa wieder in die Einzelstaatlichkeit zerfallen und damit zusammenbrechen. Die Zeiten der Sonntagsreden sollten vorbei sein um das mutig voran zu bringen, was uns allen am Herzen liegen sollte – Europa.
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik