Wenn ein Haus sprechen könnte

   
Schwelm, Hauptstraße 116 – Haus der Lebenshilfe Ennepe-Ruhr/Hagen e. V.                                                   Foto: © Linde Arndt
 

[jpg] Beinahe wäre es passiert. Das Haus Hauptstraße 116 in Schwelm, ein, für die Bergische Gegend üblich,  mit Schiefer  verkleidetes Wohnhaus, sollte einer Investition des Discounters Penny Platz  machen. Das Haus stand zwar unter Denkmalschutz, dies sollte jedoch kein Hindernis für diese Investition sein. Es sollte jedoch anders kommen. Die Lebenshilfe Ennepe-Ruhr/Hagen e. V. nahm sich des Gebäudes an und machte ihre Zentrale daraus. Beim restaurieren, sanieren und renovieren fielen den neuen Besitzern 20 Jahrestagebücher auf. Fein säuberlich war hier Tag für Tag von einem Chronisten festgehalten worden wie es um Schwelm, die Famlie, die Geschäfte aber auch die Politik stand. Der Chronist war Carl Kleine, Mitinhaber der ehemaligen Firma Falkenroth & Kleine in Schwelm. Immerhin war diese Firma eine der großen Mittelständler mit rund 800 Mitarbeitern in Schwelm, deren Firmengelände  seine Ausbreitung am heutigen Möllenkotten hatte. Diese 20 Jahrestagebücher der Jahre 1919 bis 1939, dem Todesjahr von Carl Kleine, wurden zuerst der Famlie Kleine angeboten und nach dem diese ablehnte wurden die Bücher dem Verein für Heimatkunde Schwelm e.V. übergeben. Nach Sichtung der Jahresbücher stellte die Vorsitzende des Vereins für Heimatkunde Anne Peter fest, es ist ein Glücksfall für den Verein, mit dem man ein Zeugnis von Schwelm und Umgebung der damaligen Zeit in Händen hielt.

Am 6. Dezember wurde nun unter dem Titel "Aus den Tagebüchern des Carl Kleine“  eine Vortragsveranstaltung im Salon des Lebenshilfe-Center Schwelm anberaumt 

So führte der Geschäftsführer Rainer Bücher der Lebenshilfe Ennepe-Ruhr/Hagen e. V.  die Teilnehmer in die Gegebenheiten des Hauses ein. Die untere Etage war so belassen worden wie sie ursprünglich bestanden hatte.  Heute wird der untere Raum an Interessenten für Sitzungen oder Besprechungen vermietet. Im oberen Stock hat sich die Lebenshilfe Verwaltung eingerichtet. 17 Mitarbeiter arbeiten in dem Haus, welches 1832 erbaut wurde und vor drei Jahren erworben wurde.

   
v.l:Dieter Ehlhardt [Vorsitzender der "Stiftung Lebenshilfe"] / Ingrid Graskamp [sie digitalisierte die Tagebücher] /
Gisela Gutknecht / Anne Peter [1. Vorsitzende des Vereins für Heimatkunde Schwelm e.V.] und Rainer Bücher
[Geschäftsführer des Lebenshilfe-Center, Schwelm]    Foto:  © Linde Arndt

Und so bleibt immer wieder eine Faszination gegenüber einem 180 jährigen Haus; denn in solch´ einem Haus lebten Menschen. Generationen die sich freuten oder traurig waren, Erfolge oder Misserfolge hatten, Enttäuschungen oder Erfüllung erfuhren, Lachen und Weinen erlagen. Dies alles sollte in diesen vorliegenden Tagebüchern und den restlichen Bänden zum Ausdruck kommen.
Frau Peter verwies auf Frau Gutknecht, die die gesamten Unterlagen gesichtet und  geordnet hatte und bei der Digitalisierung hilfreich zur Seite stand. Die Schriften waren  in einer Mischung aus Sütterlin und persönlicher Schreibweise, was für die damalige Zeit normal war. Ingrid Graskamp hatte sich die Mühe gemacht die immerhin rund 35 Bände in ihren Computer einzugeben, so dass zu einem späteren Zeitpunkt eine gebundene Ausgabe erscheinen könnte. Man wird sehen.

Wir saßen an einem langen Tisch, den eine weiße Tischdecke abdeckte. An der Wand hingen die großen Porträts der Eltern von Carl Kleine in schweren ovalen Rahmen, die jeweils von schweren mit Blattgold veredelten großen Schleifen verziert waren.
Man hatte das Gefühl als wenn die Altvorderen über das Geschehen im Raum wachten. Der Raum vermittelte ein Gefühl der Schwere; denn alles war in dunklen Tönen gehalten.
 
Ahnenbilder                                        Foto: © Linde Arndt

Tatsächlich war jedoch an einer Wand eine mehr spielerische, geschwungene gepolsterte Bank eingebaut, die von einem mit dunklem Marmor verzierten Kamin geteilt wurde. Die gesamte Inneneinrichtung beengte durch die dunkle Farbgebung der einzelnen Elemente.


Gisela Gutknecht                Foto:  © Linde Arndt
  Frau Gutknecht erzählte von zwei Freunden/Bekannten, also die jungen Falkenroth und Kleine,die sich mit der finanziellen Erstausstattung ihrer Eltern selbstständig machten. Geschäftlich lief es am Anfang nicht so gut, bis ein Lotteriegewinn die Kapitalausstattung der Firma erheblich verbesserte. Holzschrauben waren die Produkte die die Firma Falkenroth & Kleine herstellte. 1912 die erste Krise. In Nordafrika, in den Erzminen  Marokkos, wurde Deutschland von der Produktion ausgegrenzt.

Zur Sicherung der Eisenerzproduktion wollte Frankreich Truppen schicken, was den Deutschen keineswegs Recht war. Zwei Jahre vorher erlebte die Firma Falkenroth & Kleine eine Streikankündigung, die die Firma beinahe lahmlegte.

Carl Kleine hatte kein großes Geschick mit den Arbeitern zu verhandeln und düpierte die Arbeiter sogar.
Trotz allem bekam man diese Firmenkrise wieder in den Griff und die Produktion ging weiter. Bis 1915 hatte die Firma ein starkes Wachstum zu verzeichnen. Infolge des 1. Weltkrieges fehlten jedoch die Rohstoffe um ungehindert zu produzieren. Als der Krieg 1918 zu Ende ging, wusste man nicht an Kohle und Stahl heranzukommen. Das Ruhrgebiet wurde von den Franzosen besetzt gehalten um mit der Lieferung von Kohle und Stahl die Reparationslast auszugleichen. Da Schwelm immer mehr zum Bergischen gehörte, wusste man nicht privilegiert an Kohle und Stahl heran zu kommen. Die Firma dümpelte vor sich hin, wobei Carl Kleine durch Firmenkäufe sich andere Möglichkeiten verschaffte.
Familiär lief es auch nicht so rund wie man es von einer Familie der oberen Klasse erwartete.
Kleines waren damals mit der Familie Müller, den Inhabern der Schwelmer Eisenwerke befreundet. Gemeinsam hatte man ein Landgut mit Obstplantage in der Nähe von Metz. Man baute Obst an und nutzte das Gut als Erholungsanlage. Die Freundschaft zerschlug sich im späteren Verlauf jedoch wieder, die Kleines hatten das Landgut dann alleine.
Die obere Gesellschaft, so auch die Kleines, traf sich im Schwelmer Kasino um über das Tagesgeschehen zu sprechen. Carl Kleines Frau, Marie, genannt Mariechen, bekam den langersehnten Kindeswunsch erfüllt. Zwei Söhne sollten es werden, die nach Carl Kleines Vorstellung so richtig nicht wurden. Sowohl der erste als auch der zweite Sohn wollten weder schulisch noch beruflich den Weg einschreiten, den der Vater Carl ihnen vorgeschrieben hatte. Es kam wie es kommen musste, die Söhne entfremdeten sich von der Familie. Politisch war Carl Kleine wohl eher ein Nationalist, wie man seinen Aufzeichnungen entnehmen konnte. So verwunderte es nicht wenn er die Reden des späteren Diktator Hitler nicht negierte sondern als Ereignis in sein Tagebuch einfließen lies. Mit keinem Wort soll er die Machtübernahme Hitlers in seinen Tagebüchern kommentiert haben. Allerdings hatte die Familie jahrelang einen jüdischen Hausarzt Namens Herz, der nach der Reichskristallnacht im Nov. 1938 nie wieder erwähnt wurde. Es gab ihn einfach nicht mehr, noch nicht einmal mit einem Wort des Bedauerns. Daraus allerdings irgendwelche negativen Schlüsse zu ziehen, wäre unredlich. Die meisten Menschen der damalige  Zeit waren keine Helden, wie meinetwegen der Unternehmer Oscar Schindler. In seinen Hochzeiten hatte die Firma Falkenroth & Kleine 850 Arbeitnehmer und ein angeschlossenes Mädchenheim. Mädchenheime  gab es damals um obdachlose Mädchen für kleines Geld beschäftigen zu können.Kleine hatte einen gesellschaftlichen Einfluss, immerhin brachte  er die Vorgesetzten eines Pfarres dazu den Pfarrer für eine missliebige Predigt zu  maßregeln.

Die Einträge in die Tagebücher gliedern sich immer wieder gleich:

  • Das tägliche Wetter
  • Was machen die Familien Falkenroth und Kleine
  • Was gab es in Schwelm
  • Was bewegte Carl Kleine politisch

Am Jahresende machte Carl Kleine immer eine Zusammenfassung der Ereignisse des vergangenen Jahres.

 
Tagebuch von Carl Kleine            Foto: © Linde Arndt

Dies als Kurzfassung der noch nicht gegliederten Inhalte dieser 35 Dokumente. Es sind Dokumente der Zeitgeschichte Schwelms mit der Sichtweise eines Unternehmers im Kontext der damaligen Zeit.

1939 hörten die Aufzeichnung auf, Carl Kleine war gestorben.
 
Man darf gespannt sein, unter welchen Gesichtspunkten die Aufzeichnungen aufgearbeitet werden. Da sie ja nun digitalisiert sind gibt es vielfältige Möglichkeiten. Allerdings sollte man heute schon einen ganz großen Dank an die Damen Anne Peter, Gisela Gutknecht und Ingrid Graßkamp aussprechen, es war, so augenscheinlich, ein großes Stück Arbeit. Denn sie haben ein Haus zum Sprechen gebracht damit waren Fenster und Türen weit geöffnet worden.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Schwelm

 

                    
Am Kamin im Salon des Lebenshilfe-Center Schwelm                                                                                    Foto: Linde Arndt
 

 

2 Kommentare
  1. Avatar
    Klaus-Dieter Runge sagte:

    Hallo zusammen,
    ich bin begeistert von der Geschichte ja sogar gerührt, das so etwas gibt, seine Geschichte nieder zuschreiben und dann zum Glück das schöne Hauszu retten und die Bücher zu finden.

    Da kann man nur allen danken die das ganze in die Hand genommen haben um Haus und die Bücher für die Nachwelt zuerhalten.

    Danke

    Runge

  2. Avatar
    Brigitta Heinlee linke geb.Steinl sagte:

    Meine Ausbildung zum Industriekaufmann habe ich von 1960-1963 bei F&k gemacht. Als Lehrling bekam man, falls man keinen Tag in der Woche fehlte, DM 5,00. Die Angestellten DM 15,00.
    Eine Zeitlang musste ich jeden Morgen an jeden Angestellten 1 Glas Hohes C ausschenken, bei Herrn Kleine die Bleistifte anspitzen, die dann, so wollte er es, mit der Spitze nach links hingelegt wurden. Er unterschrieb die Post generell mit einem dicken Stift auf dem Chef stand.
    Weihnachten musste ich Päckchen für die Kunden packen. Dies geschah in einem Raum hinter seinem Büro. Eines Morgens roch es furchtbar nach Zwiebeln und meine Augen tränten. Zufällig hörte ich dann ein Telefongespräch, in dem er sagte, dass er mal eben seine Tränengaspistole ausprobiert habe. Ich fand, zurückblickend, dass die Firma seinerzeit auch sehr sozial war.

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