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Die jüdische Religion und Kultur auf der Schwelmer Agenda

Frau Dr. Ulrike Schrader Foto: (c) Linde Arndt

Frau Dr. Ulrike Schrader Foto: (c) Linde Arndt

 

[jpg] Vom Verein für Heimatkunde Schwelm e.V. wurden wir für den 17. Tishri 5777 zu einem Referat oder Gespräch geladen. Nein, das Datum zuvor ist ein jüdisches Datum, nach dem gregorianischen Kalender wurden wir zum 19. Oktober 2016 geladen. Kein Problem, für einen Journalisten der mit einer guten Allgemeinbildung ausgestattet ist und sich vorbereitet hat.

Die Referentin Frau Dr. Ulrike Schrader, Stellv. Vorsitzende Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal, sprach über das jüdische Fest Sukkot (Laubhüttenfest). Es beginnt und geht vom 15.-23.Tishri 5777 umgerechnet vom 17.-23.Oktober. Es endet am 23. Oktober 2016 mit dem Hoschana Rabba (Hosiana, hilf doch!).

Die religiösen Feste der Juden sind ohne Zweifel sehr anmutende Feste und wenn man sich etwas bemüht, sieht man auch Zusammenhänge mit den christlichen und islamischen Festen. Denn alle drei Religionen haben den gleichen Gott. Nur im Religionskalender unterscheiden sich die Lage und Inhalte der Feste und die Begehung derselben. Das Laubhüttenfest (Sukkot) wird in Israel nur bei den observanten Juden gefeiert, wobei nur der erste Tag und der letzte Tag eine wesentliche Beachtung findet.

Der letzte Tag, auch Hoschana Rabba genannt, ist da schon der wichtigere Tag. Denn dieser Tag ist der letzte Tag an dem der strenggläubige Jude, Gott um ein gnädiges Jahr bitten kann. Hoschana Rabba ist der Tag an dem Gott, dem jüdischen Glauben gemäß, dem Gläubigen für ein Jahr sein Urteil auferlegt. Dieses Urteil richtet sich nach der religiösen Lebensweise in der Vergangenheit.

Wie gesagt, es ist nur für die noch praktizierenden Juden in Israel wichtig, also für die Orthodoxen und Konservativen.

Schön ist jedoch das darauffolgende  Simchat Tora, Torafreude auch Torafreudenfest genannt, hier werden die Kinder mit einbezogen. Kinder müssen an diesem Tage nicht still herumsitzen, sondern sie tanzen, lachen und bekommen von allen Anwesenden Süßigkeiten und Leckereien. Das Laubhüttenfest mit Hoschana Rabba korrespondiert mit dem Jom Kippur Feiertag, es ist der Tag an dem sich der gläubige Jude mit Gott versöhnt, alles ist vergeben.

Die religiösen Regeln und die aktive Religionsausübung wird in der Regel nur von den orthodoxen, konservativen und ultraorthodoxen Religionsanhängern ausgeübt. Anders in der Diaspora (Religionsanhänger in der Fremde), dort hält man sich an die Religionsausübung.

Es war eine schöne Stunde die der Heimatverein für etwa 60 ältere Herrschaften des Verein für Heimatkunde Schwelm e.V. und deren Bekannten ausrichtete.

Mitglieder und Zuhörer des Heimatvereins Foto: (c) Linde Arndt

Mitglieder und Zuhörer des Heimatvereins Foto: (c) Linde Arndt

Denkt man jedoch an das aktuelle politische Tagesgeschehen, wo der Antisemitismus und der Rassismus inzwischen wieder zum Alltag gehört, sollte man sich heute fragen ob es nicht weitergehende Veranstaltungen geben sollte. Und ob solche Veranstaltungen noch zeitgemäß sind.

In solch unruhigen Zeiten sollte man sich positionieren und solidarisieren, gegen den alltäglichen Antisemitismus, so der damalige Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland  Dr. Dieter Graumann anlässlich eines Empfangs in Dortmund.

Die jüdische Religion gehört, wie die christliche und islamische Religion zu Deutschland und damit auch zu Schwelm. Schwelm hatte bis 1939 sogar eine Synagoge die von der jüdischen Gemeinde in Barmen mit genutzt wurde. Wenn jedoch in Schwelm ein Friedensfest gefeiert wird, ( EN-Mosaik berichtete http://en-mosaik.de/abend-des-friedens-schwelmer-friedensfest/) ,welches die jüdische Religion nicht mit einschließt, fragt man sich schon ob die Schwelmer Provinz die Zeichen der Zeit gehört hat.

Dr. Dieter Graumann hat es im Gespräch treffend gesagt: Wir Juden sind wieder da und zwar qicklebendig. Und wenn Frau Dr. Schrader Israel als ein beschauliches Land beschreibt, dann hat sie offensichtlich nicht die vielen Diskussionen über die politische Zukunft Israels in Israel mit bekommen. Die NGO Peace Now, mit Amos Oz oder Amir Peretz als Gründer, sorgte in Israel mehrfach für Druck um die Probleme mit den Palästinensern einer Lösung zu zu führen. Mit Emil Grunzweig gab es schon einen der ersten Toten, die Peace Now zu beklagen hat.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mag zwar einen Deckel auf die tiefen gesellschaftlichen Diskurse halten, er hat es aber nicht geschafft seine konservative Sicht der politischen Situation in alle Kreise einzuführen. Wir haben wieder jüdisches Leben in Deutschland und das sollten wir pflegen – mit den Juden zusammen.  Hoschana!

Und das bedeutet, wir wollen am Leben der Juden teilhaben.

 

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Schwelm

Jahresgabe des Vereins für Heimatkunde

     [jpg] Es war wieder soweit. Relativ früh, nämlich am 12. Februar, stellte der Verein für Heimatkunde Schwelm e.V. seine diesjährige Jahresgabe in Heftform vor.
5 Artikel sind es diesmal geworden, liebevoll und sorgfältig zusammen getragen um den Schwelmern Zeugnis ihrer Stadtgeschichte zu geben.
So würdigte der anwesende Schwelmer Bürgermeister Jochen Stobbe die Arbeit, die hinter diesen Beiträgen steht.

 Weiten Raum nahm  die Erfassung der Fauna an ausgewählten Standorten von Schwelm ein. Eine wissenschaftliche Arbeit von Peter Schäfer. Die Schwelmer Kolpingfamilie, der Schwelmer Pfarrer Tobien, die Tagebücher Carl Gustav Kleine oder auch die Erinnerungen an den Schwelmer Bürger Franz Josef Degenhardt. Es sind alles Artikel die eine Stadt wie Schwelm zum Leben erweckt, der Stadt also ein Profil geben.

                      
Bürgermeister Jochen Stobbe,  Anne Peter und Dr. Wolfgang Fenner
 

Leider konnten an dieser, als Autorentagung firmierten Sitzung nicht alle Autoren krankheitsbedingt teilnehmen, was der Herzlichkeit des kollegialen Vortrages nicht schadete. Das neue Buch hat 80 Seiten, eine Auflage von 735 Stück, es ist das 61. Heft in Folge und kann in der Geschäftsstelle des Vereins für Heimatkunde e.V. im Haus Martfeld  oder im Buchhandel unter ISSN: 0343-2785 zu einem Preis von 9,90 Euro erstanden werden. Herausgeber ist Dr. Wolfgang Fenner.

 

 
Gesprächspartner der Pressekonferenz am 12. 02.2013 des Verein für Heimatkunde Schwelm e.V.
 

 

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Schwelm

[Alle Fotos © Linde Arndt]

Wenn ein Haus sprechen könnte

   
Schwelm, Hauptstraße 116 – Haus der Lebenshilfe Ennepe-Ruhr/Hagen e. V.                                                   Foto: © Linde Arndt
 

[jpg] Beinahe wäre es passiert. Das Haus Hauptstraße 116 in Schwelm, ein, für die Bergische Gegend üblich,  mit Schiefer  verkleidetes Wohnhaus, sollte einer Investition des Discounters Penny Platz  machen. Das Haus stand zwar unter Denkmalschutz, dies sollte jedoch kein Hindernis für diese Investition sein. Es sollte jedoch anders kommen. Die Lebenshilfe Ennepe-Ruhr/Hagen e. V. nahm sich des Gebäudes an und machte ihre Zentrale daraus. Beim restaurieren, sanieren und renovieren fielen den neuen Besitzern 20 Jahrestagebücher auf. Fein säuberlich war hier Tag für Tag von einem Chronisten festgehalten worden wie es um Schwelm, die Famlie, die Geschäfte aber auch die Politik stand. Der Chronist war Carl Kleine, Mitinhaber der ehemaligen Firma Falkenroth & Kleine in Schwelm. Immerhin war diese Firma eine der großen Mittelständler mit rund 800 Mitarbeitern in Schwelm, deren Firmengelände  seine Ausbreitung am heutigen Möllenkotten hatte. Diese 20 Jahrestagebücher der Jahre 1919 bis 1939, dem Todesjahr von Carl Kleine, wurden zuerst der Famlie Kleine angeboten und nach dem diese ablehnte wurden die Bücher dem Verein für Heimatkunde Schwelm e.V. übergeben. Nach Sichtung der Jahresbücher stellte die Vorsitzende des Vereins für Heimatkunde Anne Peter fest, es ist ein Glücksfall für den Verein, mit dem man ein Zeugnis von Schwelm und Umgebung der damaligen Zeit in Händen hielt.

Am 6. Dezember wurde nun unter dem Titel "Aus den Tagebüchern des Carl Kleine“  eine Vortragsveranstaltung im Salon des Lebenshilfe-Center Schwelm anberaumt 

So führte der Geschäftsführer Rainer Bücher der Lebenshilfe Ennepe-Ruhr/Hagen e. V.  die Teilnehmer in die Gegebenheiten des Hauses ein. Die untere Etage war so belassen worden wie sie ursprünglich bestanden hatte.  Heute wird der untere Raum an Interessenten für Sitzungen oder Besprechungen vermietet. Im oberen Stock hat sich die Lebenshilfe Verwaltung eingerichtet. 17 Mitarbeiter arbeiten in dem Haus, welches 1832 erbaut wurde und vor drei Jahren erworben wurde.

   
v.l:Dieter Ehlhardt [Vorsitzender der "Stiftung Lebenshilfe"] / Ingrid Graskamp [sie digitalisierte die Tagebücher] /
Gisela Gutknecht / Anne Peter [1. Vorsitzende des Vereins für Heimatkunde Schwelm e.V.] und Rainer Bücher
[Geschäftsführer des Lebenshilfe-Center, Schwelm]    Foto:  © Linde Arndt

Und so bleibt immer wieder eine Faszination gegenüber einem 180 jährigen Haus; denn in solch´ einem Haus lebten Menschen. Generationen die sich freuten oder traurig waren, Erfolge oder Misserfolge hatten, Enttäuschungen oder Erfüllung erfuhren, Lachen und Weinen erlagen. Dies alles sollte in diesen vorliegenden Tagebüchern und den restlichen Bänden zum Ausdruck kommen.
Frau Peter verwies auf Frau Gutknecht, die die gesamten Unterlagen gesichtet und  geordnet hatte und bei der Digitalisierung hilfreich zur Seite stand. Die Schriften waren  in einer Mischung aus Sütterlin und persönlicher Schreibweise, was für die damalige Zeit normal war. Ingrid Graskamp hatte sich die Mühe gemacht die immerhin rund 35 Bände in ihren Computer einzugeben, so dass zu einem späteren Zeitpunkt eine gebundene Ausgabe erscheinen könnte. Man wird sehen.

Wir saßen an einem langen Tisch, den eine weiße Tischdecke abdeckte. An der Wand hingen die großen Porträts der Eltern von Carl Kleine in schweren ovalen Rahmen, die jeweils von schweren mit Blattgold veredelten großen Schleifen verziert waren.
Man hatte das Gefühl als wenn die Altvorderen über das Geschehen im Raum wachten. Der Raum vermittelte ein Gefühl der Schwere; denn alles war in dunklen Tönen gehalten.
 
Ahnenbilder                                        Foto: © Linde Arndt

Tatsächlich war jedoch an einer Wand eine mehr spielerische, geschwungene gepolsterte Bank eingebaut, die von einem mit dunklem Marmor verzierten Kamin geteilt wurde. Die gesamte Inneneinrichtung beengte durch die dunkle Farbgebung der einzelnen Elemente.


Gisela Gutknecht                Foto:  © Linde Arndt
  Frau Gutknecht erzählte von zwei Freunden/Bekannten, also die jungen Falkenroth und Kleine,die sich mit der finanziellen Erstausstattung ihrer Eltern selbstständig machten. Geschäftlich lief es am Anfang nicht so gut, bis ein Lotteriegewinn die Kapitalausstattung der Firma erheblich verbesserte. Holzschrauben waren die Produkte die die Firma Falkenroth & Kleine herstellte. 1912 die erste Krise. In Nordafrika, in den Erzminen  Marokkos, wurde Deutschland von der Produktion ausgegrenzt.

Zur Sicherung der Eisenerzproduktion wollte Frankreich Truppen schicken, was den Deutschen keineswegs Recht war. Zwei Jahre vorher erlebte die Firma Falkenroth & Kleine eine Streikankündigung, die die Firma beinahe lahmlegte.

Carl Kleine hatte kein großes Geschick mit den Arbeitern zu verhandeln und düpierte die Arbeiter sogar.
Trotz allem bekam man diese Firmenkrise wieder in den Griff und die Produktion ging weiter. Bis 1915 hatte die Firma ein starkes Wachstum zu verzeichnen. Infolge des 1. Weltkrieges fehlten jedoch die Rohstoffe um ungehindert zu produzieren. Als der Krieg 1918 zu Ende ging, wusste man nicht an Kohle und Stahl heranzukommen. Das Ruhrgebiet wurde von den Franzosen besetzt gehalten um mit der Lieferung von Kohle und Stahl die Reparationslast auszugleichen. Da Schwelm immer mehr zum Bergischen gehörte, wusste man nicht privilegiert an Kohle und Stahl heran zu kommen. Die Firma dümpelte vor sich hin, wobei Carl Kleine durch Firmenkäufe sich andere Möglichkeiten verschaffte.
Familiär lief es auch nicht so rund wie man es von einer Familie der oberen Klasse erwartete.
Kleines waren damals mit der Familie Müller, den Inhabern der Schwelmer Eisenwerke befreundet. Gemeinsam hatte man ein Landgut mit Obstplantage in der Nähe von Metz. Man baute Obst an und nutzte das Gut als Erholungsanlage. Die Freundschaft zerschlug sich im späteren Verlauf jedoch wieder, die Kleines hatten das Landgut dann alleine.
Die obere Gesellschaft, so auch die Kleines, traf sich im Schwelmer Kasino um über das Tagesgeschehen zu sprechen. Carl Kleines Frau, Marie, genannt Mariechen, bekam den langersehnten Kindeswunsch erfüllt. Zwei Söhne sollten es werden, die nach Carl Kleines Vorstellung so richtig nicht wurden. Sowohl der erste als auch der zweite Sohn wollten weder schulisch noch beruflich den Weg einschreiten, den der Vater Carl ihnen vorgeschrieben hatte. Es kam wie es kommen musste, die Söhne entfremdeten sich von der Familie. Politisch war Carl Kleine wohl eher ein Nationalist, wie man seinen Aufzeichnungen entnehmen konnte. So verwunderte es nicht wenn er die Reden des späteren Diktator Hitler nicht negierte sondern als Ereignis in sein Tagebuch einfließen lies. Mit keinem Wort soll er die Machtübernahme Hitlers in seinen Tagebüchern kommentiert haben. Allerdings hatte die Familie jahrelang einen jüdischen Hausarzt Namens Herz, der nach der Reichskristallnacht im Nov. 1938 nie wieder erwähnt wurde. Es gab ihn einfach nicht mehr, noch nicht einmal mit einem Wort des Bedauerns. Daraus allerdings irgendwelche negativen Schlüsse zu ziehen, wäre unredlich. Die meisten Menschen der damalige  Zeit waren keine Helden, wie meinetwegen der Unternehmer Oscar Schindler. In seinen Hochzeiten hatte die Firma Falkenroth & Kleine 850 Arbeitnehmer und ein angeschlossenes Mädchenheim. Mädchenheime  gab es damals um obdachlose Mädchen für kleines Geld beschäftigen zu können.Kleine hatte einen gesellschaftlichen Einfluss, immerhin brachte  er die Vorgesetzten eines Pfarres dazu den Pfarrer für eine missliebige Predigt zu  maßregeln.

Die Einträge in die Tagebücher gliedern sich immer wieder gleich:

  • Das tägliche Wetter
  • Was machen die Familien Falkenroth und Kleine
  • Was gab es in Schwelm
  • Was bewegte Carl Kleine politisch

Am Jahresende machte Carl Kleine immer eine Zusammenfassung der Ereignisse des vergangenen Jahres.

 
Tagebuch von Carl Kleine            Foto: © Linde Arndt

Dies als Kurzfassung der noch nicht gegliederten Inhalte dieser 35 Dokumente. Es sind Dokumente der Zeitgeschichte Schwelms mit der Sichtweise eines Unternehmers im Kontext der damaligen Zeit.

1939 hörten die Aufzeichnung auf, Carl Kleine war gestorben.
 
Man darf gespannt sein, unter welchen Gesichtspunkten die Aufzeichnungen aufgearbeitet werden. Da sie ja nun digitalisiert sind gibt es vielfältige Möglichkeiten. Allerdings sollte man heute schon einen ganz großen Dank an die Damen Anne Peter, Gisela Gutknecht und Ingrid Graßkamp aussprechen, es war, so augenscheinlich, ein großes Stück Arbeit. Denn sie haben ein Haus zum Sprechen gebracht damit waren Fenster und Türen weit geöffnet worden.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Schwelm

 

                    
Am Kamin im Salon des Lebenshilfe-Center Schwelm                                                                                    Foto: Linde Arndt