[jpg] Früher hatte man das, was an diesem Wochenende an Wetter war, einen ganz normalen Winter genannt. Heute nennt man den Winter Katastrophe, unter dem geht es nicht mehr.
Das Tief "Daisy", das auf Deutschland zu kam, war ein ganz normales Tief, welches im Winter über unser Land immer wieder ziehen könnte, mehr nicht. Sven Plöger der "Wetterfrosch" der ARD brachte es auf den Punkt, als er sagte: "Nun macht doch mal keinen auf Panik, es wird nicht so schlimm, wie es immer wieder anmoderiert wird." Und. Es war ein ganz normaler Wintertag, mehr nicht. Es mag aber auch sein, dass ich persönlich anders als Andere bin. Das ich gelernt habe mit Gefahren umzugehen, nicht wohl behütet den Gefahren aus dem Wege zu gehen, sondern ihnen mit Umsicht zu begegnen, um sie letztendlich zu meistern.
Wir(die Ruhries) können auch Wetter, so schrieb die WAZ.
Und deshalb war ich ohne Probleme, wie 10.000 andere unterwegs nach Essen, um die Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres Ruhr2010 mit zu erleben, es wurden letztendlich am Abend 100.000 Besucher. Es war DAS Wetter für DIE Feierlichkeiten, DIE Kulisse und DIE Akteure, die das rüber brachten, was das Ruhrgebiet ausmacht und wohin sich das Ruhrgebiet in Zukunft entwickeln könnte und sollte.
Kultur war schon immer ein Initialzünder, welche gesellschaftliche Umwälzungen einleitete und letztendlich auch beförderte. Und um diese Initialzündung geht es im Kulturhauptstadtjahr.
Der Festakt der Eröffnung, der von dem renommierten Regisseur Gil Mehmert inszeniert wurde, hätte nicht eindrucksvoller sein können. Da waren die Farben der Akteure die nur sparsam eingesetzt wurden – schwarz und weiß,hin zum grau, überwog. Der Bergmann der weiß in den Schacht einfuhr und grau bis schwarz wieder herauskam. Da waren die Tänzer, die sich in der Salz durchdrängten Nässe bewegten, wälzten und wieder aufstanden, diese wogende Masse, scheinbar ohne Ziel. Das war der Abbau der Kohle in verschiedenen Schächten mit verschiedenen Gruppen – gleichzeitig, immer der Kohle nach.
Wetterschlag, Wassereinbruch oder Explosionen, Hitze und Dreck, dem war der Bergmann ausgesetzt. Ein ehedem hohes Risiko, dem dieser Bergmann sich Tag für Tag stellte. Manchmal kriechend ging er seiner Arbeit nach. Anfangs mit Hacke und Schippe über Presslufthammer bis hin zu überdimensionierten Fräsen. Kilometerweit waren die Verzweigungen im Berg. Kohle für die Stahlproduktion. Eine zweite große Säule des Ruhrgebietes, scheinbar unzertrennbar mit dem Bergbau verbunden. Zeche Zollverein in Essen machte den Koks für das Stahlwerk in Duisburg – aber nicht nur Stahl der in riesigen Schmelzen gefertigt wurde und heute nur noch Spezialstähle, bis 1.700 Grad in den Thomasbirnen, Schweiß, Funkenflug. Die Schmelze wurde angestochen.
Eindrucksvoll zeigten die Akteure die Stahlverarbeitung, hämmernd, kreischend und letztendlich grob formend. Ein Höllenlärm auf der Bühne entsprechend dem der Stahlverarbeitung. Da flogen ganz schön die Funken, als wenn der Sauerstoff der Schmelze zugeführt wurde.
Der Bergmannszug, Symbol des Zusammenhalts, bewegte sich über die Bühne, er der nie bei den Veranstaltungen der Bergleute fehlte. Und all´ das vor dem Hintergrund der Industriebrache "Kokerei". Symbolträchtiger konnte die Aufführung nicht sein.
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Foto: Linde Arndt
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Foto: Linde Arndt
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Die Zukunft, die letztendlich im Wandel zur Dienstleistung liegen sollte, ist auf der Zeche schon vertreten. Sie wurde durch die ganz in weiß auftretenden Akteure dargestellt. Veränderungen durch mehr Kreativität. Architektur, Landschaftsplanung, Städtebau, Design, kurz die ganze Palette im Dienstleistungsbereich. Die Kunstszene durch Hip Hopp, Rapper oder Streettänzer, jung und vital – auch sie ist schon vorhanden, auf der Bühne aber auch im Revier. Übrigens vertreten durch zwei Künstler aus Witten. Stoppok, der von Hamburg kam und nachdem er durch halb Europa auf der Strasse getingelt war, jetzt fest im Ruhrgebiet etabliert ist, mag da als Stellvertreter für viele dieser Lebensläufe stehen.[ Er trat übrigens am Sonntag ab 20:00 im Ruhrmuseum auf. ] Oder die deutsch-türkische Musik- und Theaterszene, stark und alte eingefahrene Wege im Kunstbereich in Frage stellend, agiert sie, die Szene, im Ruhrgebiet. Und das alles im Schneetreiben.
Grönemeyer erfasste es schon richtig, es ist dieses "sture" , dieses "Geradeausgehen" was die Stärke dieser Menschen einschl. der Migranten, ausmacht. Türken, die als "Kanaken" beschimpft wurden, sprechen heute trotzig, stolz und stark "kanak" in der Rapperszene. Aber sie können auch hochdeutsch – vorzüglich. Oder die türkisch-deutschen Theatertage in Bochum BOStanbul, sind Ausdruck einer vielfältigen Kunstszene, die fest im Ruhrgebiet integriert ist.
Moscheen im Ruhrgebiet sind kein Problem, "dat wird schon", in Köln oder Berlin macht man Aufstände damit.
Das Ruhrgebiet kommt mir wie ein riesiger Staubsauger vor, der alles aufsaugt und letztendlich was eigenes daraus macht. "Auffe" Zeche oder "auffe" Arbeit waren alle aufeinander angewiesen, es waren teilweise gefährliche Arbeiten, da war keine Zeit für Klischees oder für Empfindlichkeiten. Ob Pole, Italiener, Türke oder Deutscher, anpacken war gefragt und aufeinander verlassen musste man sich können – "auffe" Arbeit. Religion oder Sprache spielten dabei keine Rolle. Der gläubige Moslem, der während der Arbeit sein Gebet verrichten "musste", hörte nur von seinen Kumpels: "Mach´ hinne", wir brauchen dich.
Keine Schnörckel, kein Drumherum nur das Wesentliche ist wichtig. Nicht Frack und festliches Abendkleid ist angesagt, sondern "Blaumann". Und wenn es regnet? Kein Problem, wir sind nicht aus Zucker, ziehen das durch. Erfahren und erprobt.
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Herbert Grönemeyer "Komm zur Ruhr" Foto Linde Arndt |
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Herbert Grönemeyer brachte zum Schluss seine Hymne. Er, der aus dem Ruhrgebiet kommt, er der den Menschen hier kennt, er der durch dieses Ruhrgebiet seinen Durchbruch ( Bochum, ich komm aus dir…) erfuhr. "Schnörkellos urverlässlich, sonnig stur, wetterfest und schlicht", so die neue Hymne, die damit auch die Attribute dieser so eindrucksvollen Veranstaltung ausmachten. Die 1.200 geladenen Gäste einschließlich der VIP´s waren begeistert von dieser Eröffnung. Als wir danach über das Gelände gingen, wusste jeder einen für sich wesentlichen Ausschnitt als begeisterungswürdig im Gespräch heraus zustellen.
Bundespräsident Horst Köhler, dessen Kommen, auch bei dieser Witterung, die Wichtigkeit herausstellte, betonte: Es ist und sollte eben keine elitäre Veranstaltung, sondern eine lebensgestaltende Kraft für alle sein.
Auch der Präsident der Europäischen Kommission Juan Manuel Barroso, der übrigens in deutsch sprach, erinnerte an den Beginn des modernen Europas mit Kohle und Stahl – der Montanunion, hier im Ruhrgebiet. "Der Kohlenpott ist ein "Meltingpot" ( Schmelztiegel ) der Völker und Kulturen. Mutig und kreativ wird hier der Wandel gestaltet und dabei aller Unbill trotzig die Stirn geboten. Ganz Europa gratuliert ihnen, wie auch den beiden anderen Städten Pecs und Istanbul"so Barroso.
Ministerpräsident Jürgen Rüttgers freute sich auf die vielen Ideen und Inspirationen die von den Kreativen zukünftig aus dem Ruhrgebiet erbracht werden. Allerdings hatte Rüttgers offenbar leichte Probleme, mit den witterungsbedingten Schwierigkeiten zurecht zu kommen, im Gegensatz zu seinen mitfeiernden Ruhrbewohnern.
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Bundespräsident Horst Köhler
Foto: Linde Arndt
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EU-Präsident Juan Manuel Barroso
Foto: Linde Arndt
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Ministerpräsident von NRW Jürgen Rüttgers Foto: Linde Arndt
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Die offizielle Eröffnung nahm der Oberbürgermeister der Stadt Essen, Reinhard Paß, vor.
Ein paar Zahlen: Die Live Übertragung des ZDF am Nachmittag haben sich 1,4 Mio Zuschauer / 7,9% ,WDR 470.000/10% , angesehen. "Für eine Kultursendung ist diese Resonanz sehr gut, " so Fritz Pleitgen. Gemäss Aussage des Veranstalters wurden am Samstag 100.000 Besucher gezählt, dies wurde uns auf der abschließenden Pressekonferenz am Sonntag übermittelt. Die Eröffnung des Ruhrmuseums hatte am Samstag alleine schon 5.000 Besucher angezogen. Zum Zeitpunkt der Pressekonferenz am Sonntagnachmittag waren es wieder 3.000 Besucher. Prof. Ulrich Borsdorf meinte zu wissen, dass auf Grund seiner Erfahrung die Besucher das Museum als auch die Ausstellung gut angenommen haben. "Es war so eine Aura über den Besuchern", so Professor Borsdorf.
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Foto: MelTi
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Fritz Pleitgen, der Geschäftsführer der Ruhr 2010 GmbH, meinte: "Wir haben nun den gelungenen Startschuss gegeben, jetzt müssen die Städte dieses starke Signal aufnehmen und über das gesamte Jahr halten.", so Pleitgen.
Es kann sein, dass einige von uns in 40 Jahren sagen werden, wir waren dabei gewesen als der Startschuss für den Wandel fiel. Ob der Wandel dann jedoch gelungen sein wird, vermochte keiner zu beantworten. Denn dafür ist dieses Gebiet zu stark in seinem vergangenen Wandel gewesen. Die Zukunft verspricht aber sehr spannend zu werden.
Was bleibt noch:
Wenn man bedenkt was für herausragende Projekte angestoßen wurden, wie Temporäre Stadt an besonderen Orten, shared space, oder Emscherkunst, die alle schon vorher initiiert wurden und sehr ambitioniert sind und weit in die Zukunft zeigen. So fragt man sich: Was ist mit Ennepetal und dem EN-Kreis los? Ennepetal schaffte es mal gerade am Sonntag seine Installation "Regenbogenland" auf zu bauen. Da standen der Ruhr2010 Beauftragte Carsten Michel und die Künstler Anja Michel und Markus Nottke mit ihrer Installation und wussten nicht, außer ihrem Objekt, ihre Stadt zu präsentieren. Es war "nett" was die drei boten, mehr aber auch nicht. Nur die Latte hätte man sicher etwas höher setzen können – spielend. Rund 500 Druckerzeugnisse lagen für die Pressevertreter aus, so dass sich jeder einen Überblick über die Aktionen in den 53 Städten, als auch über die Städte selber, während des Jahres machen konnte. Es wurden fleißig Termine notiert um die Aktionen über das Jahr zu begleiten. Und Ennepetal? Ennepetal hatte weder eine Promotion noch irgendein anderes Druckerzeugnis welches die Aktionen ankündigte. Auf fehlende finanzielle Mittel kann nicht verwiesen werden, denn von den 53 Städten sind immerhin 30 Städte in der Haushaltssicherung. Diese haben sich aber zumindest auf der Eröffnung präsentiert. Ennepetal, möchte attraktiv werden, richtig, aber wie muss Attraktivität erlangt werden, wenn nicht mit guter Öffentlichkeitsarbeit? Und da kommen wir wieder zum Anfang. Es müssen schon besondere Parameter stimmen, damit Ennepetal für sich und damit für seine Bürger Imagewerbung macht. Vielleicht hätte man einen Flyer ohne Inhalt auslegen sollen, ganz blank, mit der Aufschrift: Eine Stadt verweigert sich und stellt sich nicht vor.
Am 9. Dezember 2009 wurde in den Halles von St. Géry durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und die Brüsseler Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen, das Konzept Ruhr 2010 vorgestellt. Unsere 2. Bürgermeisterin Frau Anita Schöneberg (SPD) war auch anwesend, wobei sie sich danach noch per Dringlichkeitsbeschluss vom Rat der Stadt Ennepetal diese Fahrt bewilligen lassen musste. Bis zur Eröffnung an diesem Wochenende lagen weder Fotos vor noch wurde ein Bericht gefertigt. Auf Anfrage teilte uns Frau Schöneberg (SPD) mit, irgendwann würde sie solch einen Bericht anfertigen. Ich denke mal, dass war für Frau Schöneberg ein schöner Ausflug, wobei die angefertigten Bilder sicher irgendwann den Enkelkindern unter die Nase gehalten werden. "Sieh mal, da war Oma mal gewesen", so die dann ältere Frau Schöneberg.
Das unsere Stadt durch einen zündenden Bericht einen Motivationsschub bekommen hätte, was soll´s, die sollen nur die Spesen bezahlen. Mit solch einer Einstellung sollte man sich nicht wundern, wenn auch andere Menschen keine Lust verspüren etwas für die eigene Stadt zu machen.
Liebe Frau Schöneberg, war das Büfett wenigstens reichhaltig und ausgesucht? Der Service im Hotel zufriedenstellend? Und sind die Spesen von der Stadt schon überwiesen? Und sind Sie danach bummeln gewesen? Ich bin immer gerne durch die Rue de Bouchers und die Petit Rue de Bouchers gegangen oder waren Sie nur auf dem Place St-Géry gewesen?
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik