Es ist verdächtig ruhig in der Abhöraffäre von NSA und Co
[jpg] Ich habe nichts zu verbergen. So oder ähnlich schalt es aus allen Gassen der westlichen Welt wenn man über das Abhören der ausländischen Geheimdienste sprechen will. Julian Assange und Edward Snowden, die den ganzen Prozess in Bewegung gesetzt haben, sind fest gesetzt. Jedoch haben sie vorher dafür gesorgt, dass die von ihnen erworbenen Kenntnisse publik gemacht werden konnten. Die deutsche Bundesregierung hat mit ihren Ministern Pofalla und Friedrich diese Affäre mit dem Vermerk „erledigt“ zu den Akten gelegt. Berechtigt oder nicht berechtigt?
Es ist ein Schaden entstanden, das Vertrauen zwischen den Verbündeten ist nachhaltig gestört worden. Ende 2013 wollten der französische Präsident Hollande und die deutsche Kanzlerin Merkel in den USA ein aufklärendes Gespräch führen und in der letzten EU Rats-Sitzung 2013 berichten. Nichts dergleichen geschah. Wie so vieles in dieser Affäre wurde auch hierüber der Schleier des Schweigens gelegt. Nach neusten Nachrichten soll USA Präsident Obama die deutsche Kanzlerin Merkel im Rahmen eines Telefonates nach Washington D.C. zu einem Gespräch eingeladen haben. Thema? Schweigen.
Zeit, um sich einige Fragen zu stellen. Da ist zuerst einmal die Frage um welche Staatsform handelt es sich in den USA und der BRD denn eigentlich? Legt man die Transparenzmesslatte an beiden Staaten an, so haben wir es eindeutig mit einer Diktatur zu tun. Denn nur in einer Diktatur werden die Bürger so im Unklaren gelassen mit den Regierungsentscheidungen die sie betreffen. Auch die Messlatte aus der Staatenlehre bringt kein Ergebnis für eine Demokratie hervor. Denn ein Staat ist nur dann ein Staat wenn er die Geschicke seines Staates selbstbestimmt umsetzen kann. Kann er das nicht, aus welchen Gründen auch immer, so kann man nicht von einem Staat sprechen. Er ist eben nur Teilstaat. Nimmt man den Begriff, „wehrhafte Demokratie“ hinzu, so löst das in Bezug auf Deutschland Irritationen aus. Denn wieso ist Deutschland nicht in der Lage über seine Daten selber zu bestimmen? Wieso ist ein Land wie Deutschland, ein Hochtechnologieland, nicht in der Lage geeignete Maßnahmen zu ergreifen um die Angriffe von Fremdstaaten zu unterbinden?
Warum findet , außer dem mehr oder weniger folkloristischen Auftritt des grünen Bundestagsabgeordneten Stöbele bei Herrn Snowden, keine analytische Betrachtung des Schadens, der durch das Abgreifen von Daten angerichtet wurde, statt? Denn Wirtschaftsspionage mit einem nicht zu beziffernden Schaden ist nicht auszuschließen.
Da auch Europa betroffen ist haben wir uns auch in Brüssel umgehört. Überall Schweigen? Nein.
Das EU-Parlament hatte Mitte 2013 den Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) beauftragt einen Bericht schnellstmöglich über das Ausmaß des Datendiebstahls anzufertigen. Gleichzeitig sollten Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden um die Datenintegrität wieder herzustellen. Berichterstatter ist Claude Moraes, ein Abgeordneter der Labour Party aus London, der der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten & Demokraten im Europäischen Parlament (S&D) angehört.
Auf dem jetzt vorgestellten 52 seitigen Bericht geht Moraes mit seinen Ko-Autoren dem Treiben der Geheimdienste nach. NSA und die anderen Geheimdienste haben darin eine unheilvollen Allianz gegen unsere westliche Demokratie geschmiedet. So soll der deutsche BND Metadaten an die NSA über eine Datensammelstelle weitergegeben haben. Der BND soll, um die Gesetze zu umgehen, das Internet zu einem „naturgemäß ausländischen Raum“ erklärt haben. Damit konnte man jeden deutschen Bürger ohne Probleme abgreifen. Ohne Scham sollen die Geheimdienste ihre Daten untereinander abgeglichen haben. Den Geheimdienstmitarbeitern, die sich dem Abgeordneten gestellt haben, war kein Unrechtsbewusstsein anzumerken. Massiv wurden die Grundrechte der EU Bürger verletzt, die gerade durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mehrfach verurteilt wurden.
Die Redefreiheit, die Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, den Datenschutz, das Recht auf ein faires Verfahren, den effektiven Rechtsschutz usw werden durch das Abgreifen der Daten ausgehöhlt. Als besonders besorgniserregend stellte sich bei den Untersuchungen die Beeinträchtigung der Pressefreiheit heraus. Journalisten, die Informationen liefern, die für eine fundierte Debatte benötigt werden, werden abgeschreckt durch Praktiken, die einschüchternd sind oder die Berichterstattung verzögern, so der EU-Berichterstatter Moraes. Es werden massenweise Gesetze gebrochen oder umgangen, wobei den USA es relativ leicht fällt; denn durch den Patriot Act und durch Geheimgerichte (Foreign Intelligence Surveillance Court (FISC )) ist alles im Bereich des möglichen. Der ehemalige Präsident Carter sieht die USA denn auch nicht mehr als rechtsstaatliche Demokratie an.
Viele europäische Geheimdienste sollen sich von den USA sogar auf mehr Rechtsbrüche ein gelassen haben als notwendig, nur um dem großen Bruder USA zu gefallen. Es scheint dort ein gewisser Wettbewerb zu herrschen, wer ist der liebste Geheimdienst in den Augen der USA. Den USA soll es nur recht sein.
Und Europa, respektive Deutschland? Hier konnte man einen Dammbruch attestieren, indem alles was gemacht werden konnte auch gemacht wurde und weiterhin wird. Die Supermarktkasse wurde mit den Personendaten abgeglichen und ein Profil mit den Bankdaten erstellt. Ohne richterliche Genehmigung versteht sich.
Während man vor 40 Jahren körperlich Nähe herstellen musste um an solche Daten zu kommen, kann man dies heute viel einfacher über das Internet erledigen.
Ist das alles so hinzunehmen? Kann man sich mit dem „ich habe nichts zu verbergen“ in seiner Hilflosigkeit und Ohnmacht ergeben? Nein, es gibt Lösungen.
Die Lösungen sind etwas schwieriger; denn durch das Zusammenwachsen des Internets zu einem großen Ganzen sind die Grenzen des Einzelstaates verwischt. Die Radikallösung wäre demnach an den Grenzen Filter einzubauen die mit einer „White List“ ausgestattet sind. Damit wäre die Idee des globalen und freien Netzes allerdings beerdigt.
Der Denkansatz von Claude Moraes wäre eine unabhängige Behörde, die sich mit der Kontrolle der Netze und der Dienste befasst. Es kann doch nicht sein, dass ,wie in Deutschland, der Datenschutz eine Aufgabe des Innenministeriums ist und die Kontrolle der Dienste eine Aufgabe des Bundeskanzleramtes ist. Beide sollten in unabhängigen Ämtern arbeiten können und weitreichende Befugnisse bekommen. Rechenschaft würden diese Ämter nur den nationalen Parlamenten ablegen müssen. Bleiben noch die Gedanken zur nationalen Sicherheit die den Freiheiten des Einzelnen gegenüber gestellt werden. Hier würden die „50 Tshwane-Prinzipien“ inspirierend helfen und die Journalisten gegenüber der Staatsmacht schützen. Denn nach den heutigen Normen würden Journalisten ins Gefängnis gesteckt wenn sie Folter und Mord, die als geheim eingestuft werden, öffentlich machen würden. Nach diesen „50 Tshwane-Prinzipien“ könnten sowohl Assange als auch Snowden von keinem demokratischen Staat belangt werden.
Was mich allerdings sehr stark irritiert ist die deutsche Haltung der Mainstream Medien und der deutschen Regierung, die diesen großen Einschnitt in unsere Demokratie zu lässt. Man muss sich nur die Headlines der letzten Wochen und Monate ansehen, so stellt sich einem die Frage: „Wie viel Wert ist uns unsere Demokratie?“
Da der Bericht Claude Moraes noch nicht final ist, wird er zumindest im europäischen Parlament noch debattiert. Die Abgeordneten des europäischen Parlament können zu diesem Bericht Änderungen bis zum 22. Januar 2014 einreichen. Europa ist halt mehr als nur 28 Staaten die sich einzeln nicht trauen, es ist eine streitbare Vision.
Jürgen Gerhardt für european-mosaic und für EN-Mosaik aus Brüssel.