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Ruth Baumgarte und das Wirtschaftswunder. Farbrausch am Kessel

(v.li.): Wolfgang E. Weick (Freunde des Hoesch-Museums e.V.), Martin Fenner (Kunststiftung Ruth Baumgarte), Dr. Jens Stöcker (Direktor des Museums für Kunst und Kulturgeschichte), Michael Dückershoff (Leiter des Hoesch-Museums) und Alexander Baumgarte, Sohn der Künstlerin und Vorstandsvorsitzender der Kunststiftung Ruth Baumgarte). Foto: Katrin Pinetzki/Stadt Dortmund

[Dortmund] Stahlindustrie aus Sicht einer Künstlerin: Dortmunder Hoesch-Museum stellt Bilder von Ruth Baumgarte aus

11.03.2018 – 06.05.2018

Hoesch-Museum, Eberhardstr. 12, 44145 Dortmund

www.hoeschmuseum.dortmund.de

Ruth Baumgarte ist eine der wenigen Frauen in der Geschichte des Industriebildes, die sich künstlerisch mit den Themen Technik und Arbeit auseinandergesetzt hat. Das Hoesch-Museum Dortmund präsentiert vom 11. März bis zum 6. Mai 2018 die Ausstellung „Ruth Baumgarte und das Wirtschaftswunder. Farbrausch am Kessel“. Die Schau umfasst ca. 60 künstlerische Einzelwerke – Aquarelle, Zeichnungen und Gemälde – der Künstlerin aus den 1940er bis 1970er Jahren zu Industrie und Arbeit. Das Gros der Arbeiten entstand zwischen 1952 bis 1968.

Lager des Kesselbauwerks (Copyright: Kunststiftung Ruth Baumgarte)

Ruth Baumgarte fertigte ihre Werke direkt vor Ort an. Ihr Auge erfasst nicht nur die Raumdimensionen der Schwerindustrie, sondern auch technische Details und Arbeitsabläufe. In ihren Porträts setzt sie dem Arbeiter ein Denkmal, indem sie Entbehrungen und Stolz festhält. Ein Kennzeichen ihrer Arbeiten ist die ausdrucksbetonte, teils expressive Farbigkeit sowie Farbflächen und Formen, die bis ins Abstrakte gehen. Obwohl sich der umgebende Raum dabei zuweilen auflöst, wirkt der Mensch dabei nie verloren, sondern lebendig und würdevoll. Teils malerisch, teils grafisch dokumentiert Baumgarte bis in die späten 1960er-Jahre ein Stück deutsche Nachkriegsgeschichte und setzt vor allem den Arbeitern dieser Zeit ein sensibles, unpathetisches Denkmal.

Die in Berlin aufgewachsene Künstlerin kam durch ihren zweiten Ehemann, den Bielefelder Fabrikanten Hans Baumgarte, damaliger Eigentümer eines prosperierenden Unternehmens im Kessel- und Apparatebau, Anfang der 1950er-Jahre mit der Stahlindustrie in Berührung. Als eine der wenigen Frauen in der Kunstgeschichte porträtierte sie fortan immer wieder Menschen im Kontext industrieller Produktion. Sie starb 2013 in Bielefeld.

Die Schau im Hoesch-Museum wurde durch das Köln-Darmstädter Architekturbüro KatzKaiser gestaltet. Die Ausstellung bettet die Werke ein in den zeitgeschichtlichen Kontext, den materiellen und politischen Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland. Kuratoren sind der Wirtschaftshistoriker Prof. Hanno Sowade (Haus der Geschichte Bonn) und die Weimarer Kunsthistorikerin Dr. Sandra Mühlenberend. Begleitend erscheint eine 168 Seiten starke Buchpublikation im Wienand Verlag Köln.

Ruth Baumgarte (Foto Wölbing / Van Dyck)

Vita Ruth Baumgarte

Ruth Baumgarte, 1923 in Coburg geboren, wuchs als Tochter der Schauspielerin Margarethe Kellner-Conrady und des Schauspielers, Regisseurs und Ufa-Direktors Kurt Rupli in Berlin auf. Nach einem Studium an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste siedelte sie 1946 nach Bielefeld über und baute sich zunächst eine Karriere als Illustratorin auf, bevor sie sich ausschließlich der freien Kunst zuwandte. Über die Jahre entwickelte die Künstlerin ein variantenreiches, am Menschen orientiertes Lebenswerk voller Farbenkraft, das durch politisch-soziale Reflexionen sowie ihre zahlreichen Reisen geprägt ist.

Ihr Werk – insbesondere der über zwei Jahrzehnte entstandene Afrika-Zyklus – erlangte durch Ausstellungen in renommierten Institutionen und Galerien internationale Anerkennung. Zuletzt wurde dieser bis Anfang Januar 2018 im Ludwig Museum Koblenz gezeigt. Von Oktober bis Dezember wird er ein weiteres Mal im Ludwig Museum St. Petersburg, im dortigen Marble Palace, zu sehen sein.  

www.ruth-baumgarte.com

Eröffnung

Kranführer (Copyright: Kunststiftung Ruth Baumgarte)

Zur Ausstellungseröffnung am 11. März, 11 Uhr liest die bekannte Schauspielerin Hannelore Hoger ausgewählte Texte zur Industriearbeit von Martin Walser und Egon Erwin Kisch. Der Eintritt ist frei. Eine wissenschaftliche Einführung zur Ausstellung geben der Kurator Prof. Hanno Sowade sowie Prof. Beate Reifenscheid, Direktorin des Koblenzer Ludwig Museums und Ruth Baumgarte-Kennerin.

Hannelore Hoger wurde für ihre Arbeit als Theater- und Filmschauspielerin mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Adolf-Grimme-Preis. Bekannt wurde sie vor allem durch ihre Rolle der Kommissarin Bella Block. Die Künstlerin Ruth Baumgarte hat Hannelore Hoger selbst persönlich kennengelernt.

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„Was Frauen wollen“

Gabriella Wollenhaupt – Ausstellung in der Städtischen Sparkasse zu Schwelm (LA-Collage aus Presseinfo)

Bilder der Dortmunder Künstlerin Gabriella Wollenhaupt in der Städtischen Sparkasse zu Schwelm

Bilder von Frauen in knalligen Farben erzählen Geschichten und schildern Situationen, die skurril, frech und unkonventionell sind – so beschreibt die Dortmunder Künstlerin Gabriella Wollenhaupt selbst ihre Werke, die vom 8. bis 23. März 2018 in der Kundenhalle der Städtischen Sparkasse zu Schwelm zu sehen sind.

[Schwelm] Die Städtische Sparkasse zu Schwelm freut sich, der bekannten Dortmunder Malerin einen zentralen Ausstellungsort für zwei Wochen bieten zu können. Zu sehen sind Gemälde aus ihrer Serie „Was Frauen wollen“. Zur Vernissage am 8. März 2018 (  Weltfrauentag ) um 17:30 Uhr sind die Bürger herzlich willkommen. Einführende Worte zur Ausstellung spricht Friedu Fuß ( 1.stv.Bezirksbürgermeister Innenstadt-West ), Kunstsammler aus Dortmund. Musikalisch wird Klaus Fischer, Gelsenkirchen, die Vernissage begleiten.

 

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Eine geht, ein anderen übernimmt in Dortmund

v.l. Kulturdezernent Jörg Stüdemann und Tobias Ehinger Foto: Linde Arndt

[jpg] Bettina Pesch Verwaltungsdirektorin des Dortmunder Theaters, geht nach Magdeburg. Die Personalie war deshalb notwendig gewesen, weil Frau Pesch, die als Spezialistin für eine Sanierung, Erweiterung eines Theaters im laufenden Betrieb 2006 eingestellt wurde, absehbar, die Sanierungsarbeiten 2017 beenden wird.

Gemäß Aussage des Kulturdezernenten Jörg Stüdemann hat Frau Pesch hervorragende Arbeit geleistet. Sie hat sich aber nicht immer Freunde gemacht, indem die terminlich ambitionierten Arbeiten doch für viele Beteiligten nicht immer stressfrei abgelaufen waren. Es waren nicht vorhersehbare bauliche Probleme, die den Endtermin für die Bauarbeiten in Frage gestellt hatten. Frau Pesch löste diese Probleme jedoch mit Bravour und wird wie vorgesehen den Bau 2017 übergeben. Das die Spartenleiter des Theaters durch die Eingriffe genervt sind, ist sicher verständlich.

Nur, das Theater Dortmund hatte jetzt ein Personalproblem, es fehlte ein Direktor der das ganze Theater, immerhin gibt es fünf Sparten, führend zusammen hält. Normalerweise hätte die Stadt Dortmund eine europaweite Ausschreibung für diese Personalie auf den Weg bringen müssen. Eine im Theater zusammengesetzte Findungskommission kam relativ schnell auf Tobias Ehinger, der als Ballettmanager von Direktor und Chefchoreograf Xin Peng Wang hervorragende Arbeit leistete. Der Rat der Stadt Dortmund gab in nicht-öffentlicher Sitzung (13.Juli) sein ok für diese Personalie.

Tobias Ehinger Foto: (c) Linde Arndt

Tobias Ehinger (Jahrgang 1973) ist seit 2004 in Dortmund, seine Vita liest sich, als wenn er die 24 Stunden Begrenztheit des Tages überwunden hat.

Ehinger studierte an der John-Cranko-Akademie Stuttgart, am Konservatorium der Künste in Prag, der Academie Princesse Grace in Monte Carlo und an der Hochschule für darstellende Kunst Heidelberg-Mannheim, wo er 2000 mit Diplom im Klassischen und modernen Tanz abschloss.

In Dortmund  war er für den Spielbetrieb organisatorisch und wirtschaftlich verantwortlich als auch für die Konzeption der eigenen Sparte Ballett. Neben diesen recht umfangreichen Aufgaben nahm Ehinger auch die Umsetzung des Ballettzentrums Westfalen, des Seniorentanztheaters, des integrativen Jugendprojektes „Schoolmotions“, der Sommerakademie, des Jugendtanztheaters und des NRW-Juniorballetts wahr. In dieser Zeit leitete er insgesamt 26 Ballettgalas sowie internationale Gastspielreisen und Kooperationen.

Außerhalb des Hauses übernahm Tobias Ehinger: 

  • die Produktionsleitung für „Der Traum der Roten Kammer“ für das     Cultural Center in Hongkong,     
  • „Sacre de Printemps“ für das Chinesische Nationalballett,    
  • „Orpheus“    für die Gluck Opernfestspiele Nürnberg,    
  • „Hamlet“      für das Royal Swedish Music Festival,    
  • „The Piano“ für die Kulturhauptstadt Pilsen    
  • sowie die künstlerische und organisatorische Leitung von Ballettgalas in Hongkong, Sankt Petersburg, Moskau, Helsinki, Tallinn und Minsk.   
  • Von  2003 bis 2008 war er als Vorsitzender der Tanzbrücke e.V. tätig,  
  • zudem          für einen Kulturaustausch in Form von Gastspielen zwischen der Deutschen Oper am Rhein, dem Theater Bonn, dem Aalto Theater Essen,  dem Theater Dortmund sowie den Nationaltheatern Prag, Brünn und Bratislava verantwortlich.

Als der Kulturdezernent Jörg Stüdemann den Chefchoreografen Xin Peng Wang ansprach, ob er sich vorstellen könnte das Tobias Ehinger die Stelle als geschäftsführender Theaterdirektor einnehmen könnte, wollte Xin Peng Wang dem Aufstieg von Tobias Ehinger nicht im Wege stehen. Der Weg war frei für Tobias Ehinger um die Stelle einzunehmen. In einem längeren Gespräch gewann der Kulturdezernent Jörg Stüdemann Ehinger für diese neue Stelle. Das Gute daran, damit ist im eigenen Haus mit dieser Beförderung ein Signal gesetzt worden, welches zukünftige Befördeungen auch bei anderen nicht ausschließt.

Tobias Ehinger im Gespräch mit EN-Mosaik Foto: Linde Arndt

Ehinger muss nicht viel dazu lernen, denn er kennt als Manager alle Ecken des Theaters, hat die besten Beziehungen zu den anderen Spartenleitern und den Führungskräften im Hause. Er ist national und international bestens vernetzt, hochkommunikativ und arbeitet bestens in einem Team, kann in kürzester Zeit planen, organisieren und umsetzen. Für das Theater Dortmund ist Tobias Ehinger ein personeller Glücksfall. Zukünftiger Schwerpunkt wird die kommunikative Übermittlung des Produktes Theater in die Stadt und seine Umgebung sein. Durch seine weitreichende Vernetzung wird er sich weiterhin inspirieren lassen, um dann Impulse für das Dortmunder Theater einzubringen. Durch seine leichte Auffassungsgabe und Umsetzungsfähigkeit, verbunden mit einem hohen Grad an Motivationsmöglichkeiten, bietet er ein weites Feld, um Menschen für das Theater Dortmund zu gewinnen.

Tobias Ehinger wird ab Oktober 2017 die Stelle im Theater Dortmund einnehmen.

 

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik und KulturgartenNRW aus Dortmund

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Dortmunder U mit neuer Leitung auf einem neuen Weg

v.l.: Edwin Jacobs und Kurt Eichler Foto:(c) Linde Arndt

[jpg] Kurt Eichler, Geschäftsführer der Kulturbetriebe Dortmund,  sieht sich für 2017 mit neuen Ideen im Wandel und ist überzeugt neue Erfolge vorweisen zu können. Das Dortmunder U ist eine urbane Landmarke und strahlt weit über Dortmund hinaus auf die umliegende Reegion. Um das Potenzial des Dortmunder U anzusprechen, sollte Herr Eichler allerdings nicht das Centre national d’art et de culture Georges-Pompidou, kurz Centre Pompidou bemühen; denn 11.000 Besucher pro Tag wird es in Bälde sicher im Dortmund U nicht geben. Aber die Ausrichtung des Dortmunder U kann man durchaus mit einem heruntergebrochenem Centre Pompidou vergleichen – ein bisschen.

So dürfen wir Frauenbilder von Niki de Saint Phalle in der Ausstellung „Ich bin eine Kämpferin“ in diesem Jahr erwarten. Dazu wird es auch ein Symposium „Trauma, Subjekt- und Körperkonzepte“ geben. Das Centre Pompidou als auch das MoMa in New York hat sich sehr detailliert mit Niki de Saint Phalle auseiandergesetzt. Jetzt also auch im Dortmunder U.

Edwin Jacobs Foto: (c) Linde Arndt

Mit Edwin Jacobs, dem ehemaligen Direktor des Zentral Museums Utrecht, kommt frischer Wind in das Dortmunder U. „Partizipation“ soll zukünftig in das Dortmunder U einziehen. Der Besucher soll sich ins U einbringen können. Aber dies gilt nicht nur für den Besucher, vielmehr gilt das für das gesamte Haus des U. Keine Superlative, sondern verlässliche Qualität will das U bieten können.

 

Dazu gehört auch die starke kulturelle Bildungsarbeit für Kinder und Jugendliche bis hin zu den Studierenden zu verstärken. Es wird eine ganze Etage für den kreativen Workshop aber auch für kunstwissenschaftliche Projektarbeiten zur Verfügung stehen. Kooperationen mit der FH Dortmund und der TU Dortmund können die Arbeiten erweitern und bereichern. Es soll nicht nur betrachtet werden, mitmachen ist ausdrücklich erwünscht.

Das dieser Wandel nicht von Heute auf Morgen vonstatten geht, ist sich Jacobs bewusst. Das FH, TU und das Dortmunder Ostwall Museum in einem Boot sind und damit die Inhalte teilen, gibt dem Wandel noch einen positiven Drall. So kann der Besucher sich auf das Programm für 2017 freuen und auf den Internetauftritt http://www.dortmunder-u.de/ sich einstimmen.

Das Dortmunder U wird sicher seinem Anspruch gerecht, der zeitgenössischen Kunst einen angemessenen Rahmen zu bieten, zumal denn Edwin Jacobs in Utrecht hervorragende Arbeit geleistet hat und jetzt in Dortmund mit einem eigenem Konzept den Wandel einleiten kann.

Das Panel des Dortmunder U der Pressekonferenz am 10.2.2017Foto(c) Linde Arndt

Lassen wir hier einmal einen Haltepunkt machen und bewusst abschweifen.

 

EN-Mosaik kommt ziemlich viel in der Region herum und musste registrieren, Kunst und Kultur hat bei den Kämmerern keinen Wert. Kann weg, hörte ich öfter in 2016. Vor allem in den Klein- bis Mittelzentren setzen die Kämmerer fleißig vieles auf die Giftliste. Die Folge wird sein, dass aus diesen Städten die Bevölkerung schleichend in die Oberzentren abwandert. Letztendlich gehören diese Kulturereignisse jedoch zu einer gewissen Grundversorgung. Wenn das aber nicht mehr gegeben ist, was dann? Dem Bürger in den Klein- bis Mittelzentren fehlt es da an Orientierung.

Dortmund kann mit seinen Kultureinrichtungen, wie zum Beispiel dem Theater und dem Dortmunder U, diese Lücke füllen.

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Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Dortmund

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Die Zukunftschance des Lokaljournalismus – Perspektiven

v.l.: Moderatorin Andrea Hansen, Alexander Völkel, Holger Jahnke, Anna Mayr, Hans-Josef Vogel   Foto: © Linde Arndt

[jpg] Pünktlich zu den neuen Zahlen der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V. (IVW) diskutierte die LfM-Stiftung „Vor Ort NRW“ im Dortmunder Lensing-Carrée der Ruhrnachrichten mit rund 100 Medienmachern unterschiedlicher Richtungen.

Print-, e- und Onlinemedien an einem Tisch, wenn das mal gut geht. Vorab gab es einen Workshop von Karsten Lohmeyer und Stephan Goldmann, Inhalt: Wie gehe ich mit dem Internet als Lokaljournalist um. Es war ein mehr technisch gehaltener Vortrag der von einzelnen Fragen unterbrochen wurde. Der Tenor dieses Workshops, Lokaljournalisten müssen mehr Geld bekommen um ihrem Anspruch, welchen auch immer, gerecht zu werden. Die grundsätzliche Frage, hat der lokale Journalismus eine Zukunft, wurde noch nicht einmal im Ansatz gestellt. Wie denn auch?

v.l.: Stephan Goldmann und Karsten Lohmeyer während des Workshops Foto: © Linde Arndt

War man doch nicht einmal bereit eine Definition des Lokaljournalisten zu erstellen. Da mutet die Forderung nach mehr Geld etwas seltsam in unserem Marktwirtschaftssystem an. Es war schon irritierend wie erwachsene Menschen, die ihr lokales Biotop erklären sollten, da saßen und nicht wussten für wen sie arbeiten sollten. Und weil sie das nicht wussten, machten sie einfach das was sie konnten und schrieben schöne Artikel, wie man Artikel so halt schreibt.

 

Nach 5 Stunden fand eine Podiumsdiskussion mit der Moderatorin Andrea Hansen statt. Teilnehmer waren:

 

  • Hans-Josef  Vogel, Bürgermeister von Arnsberg
  • Anna Mayr, Journalistin Ruhrbarone u. a.
  • Holger Jahnke, Chefredakteur Radio Märkischer Kreis
  • Alexander Völkel, Journalist Nordstadtblogger

 

Und ein leerer Stuhl der zwei oder dreimal  für Statements belegt wurde.

v.l.: Moderatorin Andrea Hansen mit Simone Jost-Westendorf und Dr. Tobias Schmid Foto: © Linde Arndt

Vorher wurden Dr. Tobias Schmid (Direktor der LfM) und Simone Jost-Westendorf („Vor Ort NRW – LfM-Stiftung für Lokaljournalismus“ ehemals Stiftung Vielfalt und Partizipation) von Andrea Hansen interviewt. Auch hier eine unscharfe Einstellung was Lokaljournalismus ist oder sein kann, Wunschdenken war angesagt.

 

Podiumsdiskussion

Andrea Hansen stellte nette Fragen und erwartete auch nette Antworten – harmonisch sollte es sein. Auch hier der Tenor, man muss dem Lokaljournalisten nur mehr Geld geben. Und dann passiert was? Der Arnsberger Bürgermeister meinte sogar, man könne doch ehrenamtliche Journalisten, z.Bsp. die Bekanntmachungen von Veranstaltungen in einem Blog machen lassen. Verhaltene Proteste flammten auf. Was die Teilnehmer alle gemein hatten, sie versuchten die Printmedien auf die Online Medien Eins zu Eins zu übertragen. Keine Frage nach qualitativen Veränderungen, im Gegenteil, es herrschte eine gemeinsame Sehnsucht die letzten Bäume im finnischen Karelien zu Papier zu verarbeiten. Etwas verhalten Anna Mayr, die mal für die Ruhrbarone geschrieben hatte und mit dem Artikel „Warum mich der Lokaljournalismus anekelt“ so was wie einen Weckruf erstellt hat, sie wagte die papierlose Ausgabe eines Artikels in die Gesprächsrunde einzuführen. Da ging man jedoch nicht weiter darauf ein.

Ach ja, und da war ja noch der Nordstadtblogger Alexander Völkel dem seine Bloggerei doch nicht so geheuer ist und er deshalb etwas gedrucktes haben wollte. Deshalb gibt es ab sofort, ein richtig gedrucktes Nordstadtmagazin, eben wie früher, als alles noch besser war, als es noch richtiges Geld gab und der Lokaljournalist etwas war in seinem Kiez.

 

Zahlen, Zahlen, Zahlen

5,8% hat alleine die Funke Medien Gruppe (WR,NRZ,WP,WAZ) einer der Medienmonopole nur im letzten Quartal 2016 verloren. Absolut sind das von 534.346 Kunden 33.130 Kunden die sich leise verabschiedet haben.

Im Gebiet unserer Redaktion (168 WR/WP) hat die Gruppe von 04/2009 bis 04/2015 rund 30% an Kunden verloren. Aber und das muss man dazu sagen, auch die anderen Erzeugnisse in den Regionen haben nach den neusten Zahlen teilweise zweistellig verloren.

Diejenigen die dazu gewannen konnten den Verlust im Printbereich durch E-Abo wieder ausgleichen, wie zum Beispiel der Tagesspiegel.

Und die Paywall (Paid Content) scheint auch nicht das neue Geschäftsmodell schlecht hin zu sein. Denn sie geht immer einher mit dem Rückgang von Lesern/Usern.

Und noch ein paar Zahlen: Der Spiegel -2,3%, die Zeit -1,5% und die FAS -6,3%. Und das, Quartal für Quartal, es gibt nur eine Richtung, nach unten. Da mutet es doch wieder anders an, wenn der Freitag (+12,1%) und die Junge Freiheit (+9,7%) jedesmal an Zuwächsen melden kann.

Schaut man etwas genauer hin, sieht man bei beiden Medien diese kritische Distanz zur Mainstreammeinung und die kritische Distanz zum politischen Alltag. Beide Medien haben eine andere Qualität, sie bereiten den Hintergrund mehr auf, um die eigentliche Information verständlicher zu machen. Kann es sein, dass die dramatischen Rückgänge der Printmedien etwas mit der journalistischen Sorgfalt und Qualität zu tun hat?

 

Ausblicke

Wagen wir doch einmal einen Blick in die Glaskugel.

Zur Zeit befinden sich die etablierten Print-Medien (lokal, regional oder überregional) in ihren virtuellen Schützengräben um mit ihren alten Waffen das Internet nach ihren Vorstellungen zu formen und geraten dazu immer mehr in Nöte, denn das Internet funktioniert nicht so, wie ehedem die etablierten Medien (Print- und E-Medien) funktionierten. Quartal für Quartal laufen ihnen dabei die Konsumenten weg.

Durch die etablierten Medien werden Kampagnen gegen das Internet gefahren, die doch recht nachdenklich machen. Da wird der Eindruck erweckt als wenn das Internet voller Kinderschänder, Mafiosis oder Hacker und Fake-Newsschreiber ist, es wird von rechtsfreien Räumen gesprochen.

Das führt dazu, dass Europa und damit Deutschland medial immer mehr ins Hintertreffen gerät. Schaut man sich Twitter, Facebook, Amazon, Ebay und Google an, fragt man sich, warum sind solche Geschäftsmodelle in Europa nicht möglich? Ganz einfach, fragt man als 30 jähriger eine Bank nach einem Kredit über 1 Million, würde man sicher sofort vor die Tür gewiesen. Anders in den USA wo so was möglich ist. Wir Europäer lieben das Risiko nicht und damit bremsen wir unsere Entwicklung in der Geschwindigkeit aus.

Und so ist auch das Verhalten der Mainstreammedien zu erklären, anstatt inhaltlich die medialen Erscheinungen auf den Prüfstand zu legen und neu zu denken, wartet man ab, bis alles wieder so wird wie es früher war.

 

Wir können heute mit 100%iger Sicherheit sagen, das Internet wird es weiter geben, es wird vielleicht seine Erscheinung ändern, mehr aber nicht.

Und so wird der Lokaljournalist, er ist ja der letzte in der Nahrungskette, finanziell und personell immer weiter wie eine Zitrone ausgepresst. Hat der Lokaljournalist denn eine Zukunft als „Litfaßsäule“, an der man Veranstaltungen, Angebote oder Ankündigungen erfahren kann? Nein, über kurz oder lang braucht man die Form nicht mehr. Denn durch eine App oder push-mail könnte man heute schon die vorgenannten Bereiche abbilden, die Anbieter hätten über Wlan/Wifi einen direkten Zugriff auf die App um ihre Angebote aktuell in die App einzupflegen. Mehr noch, der Konsument könnte in Interaktion mit dem Anbieter gehen um inhaltlich seine Häppchen serviert zu bekommen. Das Smartphone wäre die erste Wahl für den Konsumenten von heute. Hinderlich ist zur Zeit in Deutschland das fehlende flächendeckende Breitbandnetz, was andere Staaten ihrer Bevölkerung schon lange vorhalten.

Der Nordstadtblogger Alexander Völkel stellt die neue Printausgabe vor Foto: © Linde Arndt

Was leistet der Lokaljournalist überhaupt?

Er besucht den Kaninchenzüchterverein, die Oma die gerade 95 geworden ist und das Ehepaar welches eine goldene Hochzeit erlebt. Aber welche Zielgruppe fragt solche Informationen noch ab? Wie groß ist sie und wie viel ist sie bereit zu bezahlen. Muss der Lokaljournalist evtl. einen Mehrwert anbieten? Wird der Konsument zeitlebens einen Obolus entrichten um dann mit 95 garantiert eine Veröffentlichung seines hohen Lebensalter in seiner tausend Jahre alten Lokalzeitung zu erwarten? Wohl kaum.

Aber da ist ja noch die Politik. Er besucht die Ratssitzungen und nimmt das Gesagte gottgegeben hin, auch wenn es nicht plausibel ist. Haushaltsrecht, Baurecht oder die Sozialgesetzgebung, dies alles sind für den Lokaljournalisten Bücher mit sieben Siegeln. Der Bürgermeister ist in der Regel ein Fürst in seinen lokalen Gefilden und das von ihm Gesagte ist für den Lokaljournalisten ein Evangelium. Mit der Wirtschaft ist es nicht anders, auch hier schreibt er nur das, was ihm vorgegeben wird. Es wird eine heile lokale Welt gezeichnet die der Lokaljournalist auch noch verstärkt. Manchmal zeichnet er das sogar bis an den Rand einer Karikatur. Man kennt sich und weiß welche Meinung angesagt ist, falls Meinung erwünscht.

Kritische Distanz? Nein. Der Anzeigenkuchen hat eine bestimmte Größe und die will verteilt werden, wie passt da das Internet rein. Verteilungskämpfe in der heilen Welt tun sich auf, zum Schaden der Kommune.

Warum das alles? In der Regel ist der lokale Journalist nicht auf die Facetten die eine Kommune zu bieten hat vorbereitet. Auch die Hintergründe die zu einer politischen Entscheidung führen, kann er nur erahnen. Eine gute Ausbildung wäre jetzt von Nöten, die aber kostet, die der Verlag nicht bereit ist zu tragen. So macht der Lokaljournalist seinen Job, mehr nicht.

Und dafür will er mehr Geld haben? Wo ist der Mehrwert den er bereit ist zu geben?

Um noch einmal die Glaskugel zu bemühen, in ihr steht, in 10 Jahren wird es keinen Lokaljournalisten oder eine -redaktion mehr geben. Die kleinen Städte bis 50.000 Einwohner werden von den Oberzentren journalistisch versorgt werden. Der Kanichenzüchterverein, die 95 jährige Oma aber auch der Stadtrat wird in den Newspapern nicht mehr vorkommen. Die Kleinstadt muss dann zahlen, wenn ein Journalist über sie berichten muss. Es sei denn, jemand fackelt das Rathaus ab; denn das ist eine wirkliche Breaking News.

Hört das jammern auf, packt Euer Schreibzeug ein und versucht als Öffentlichkeitsarbeiter in den großen Firmen unterzukommen. Oder ja,  wenn dieser Journalist etwas mehr Selbstbewusstsein hat, sollte er einen Blog aufmachen und sich mit anderen Bloggern zum Informationsaustausch zusammenschließen. Oder vielleicht selber eine App zu konstruieren?

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Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Dortmund

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Wer auch immer du bist, wir lassen dich herein und geben dir eine Bleibe

medizinische Erstuntersuchung zentral bei der VER   Foto: (c) Linde Arndt

medizinische Erstuntersuchung zentral bei der VER
Foto: (c) Linde Arndt

[jpg] Freitagnachmittag in Ennepetal, es war geschafft. In der Dreifachsporthalle des Berufskolleg des Ennepe-Ruhr-Kreises in Ennepetal an der Wilhelmshöher Straße war alles zum Empfang von 150 Flüchtlingen getan worden. Die Ennepetaler hatten die Böden abgedeckt, Tische und Bänke besorgt, Betten, Toiletten oder Trennwände mussten aufgestellt werden. Fachbereichsleiter Hans-Georg Heller nannte 24 Stunden Schichten die von allen Beteiligten abgerufen und auch  gebracht wurden. Hier und da war man noch mit Feinschliffarbeiten beschäftigt. Die Restarbeiten waren aber überschaubar.


Parallel wurden in den Bushallen der VER für die Eingangsuntersuchungen medizinische Geräte aufgebaut. Kleidung, Getränke, Küchen und selbst eine Kontaminationsstation war aufgebaut worden. Denn die in Südeuropa üblichen Zecken die eine Borreliose (Infektionskrankheit) auslösen wollte man vorsorglich nicht einreisen lassen – deshalb die Kontaminationsstation. Als alles fertig war, fehlten nur noch die Hauptdarsteller – die Flüchtlinge.

Nach unserer Schätzung, die allerdings sehr fehlerhaft ist, waren an die 100 Helfer und 30 Ärzte abends im Standby Modus. Viele Helfer sahen wir die aus dem Katastrophenbereich des Kreises und des Regierungsbezirkes auf die beiden Standorten verteilt waren.

Die Flüchtlinge die um 16:00 h avisiert waren, waren jedoch um 20:00 h noch nicht planbar auf die Reise geschickt worden.

Um 1:50 h wurden wir per SMS benachrichtigt, dass der erste Bus mit 50 Flüchtlingen eingetroffen war. Als wir wieder auf dem Gelände der VER waren, waren die Untersuchungen schon in vollem Gange. Nach zwei Stunden war alles vorbei. In der Mehrzahl

Abfahrt des Busses zur Halle Ennepetal  Foto: (c) Linde Arndt

Abfahrt des Busses zur Halle Ennepetal Foto: (c) Linde Arndt

waren es junge Familien die dann in einen Bus der VER einstiegen, der sie in die Dreifachsporthalle des Berufskolleg des Ennepe-Ruhr-Kreises in Ennepetal an der Wilhelmshöher Straße bringen sollte. Zaghaft und freundlich winkten die Flüchtlinge aus den Bussen den außenstehende Helfern zu als der Bus vom Busdepot abfuhr.

Nein, wir waren nicht in München, wo die Flüchtlinge überschwenglich begrüßt wurden, wir waren in Westfalen, hier ist man reserviert freundlich – immer.

 

Und die restlichen 300 Flüchtlinge? Die Dreifachsporthalle hat man ja immerhin für 150 Menschen hergerichtet.

Gemäß Auskunft des Pressesprechers des EN-Kreises war es das. Er hatte keine Informationen wann die restlichen Flüchtlinge kommen sollten und warum jetzt keine weiteren kamen. Es war fast 3:30 h als wir das Busdepot verließen. Die Witterung war feucht und kalt.

 

Ortswechsel:

Grenzübergang Harmica/Kroatien.
Dort lagen vor der Grenze nach Slowenien über 1.000 Menschen, Kinder, Frauen und Männer auf dem Boden vor der Grenze, einige Zelte waren zu sehen. Die Feuchtigkeit kroch unter die Kleidung, wärmesuchend lagen die Menschen eng beieinander. Sie liegen auf Pappkartons im Freien, auf ihren Gesichtern zeichnet die Nässe ein surreales Bild von Nase, Augen und Mund. Trotz der widrigen Umstände schlafen sie, erschöpft, tagsüber hatten sie sich mit der slowenischen Grenzpolizei gestritten, die Pfefferspray kiloweise eingesetzt hatte. Gut das es regnete, so konnten die Augen ausgespült werden.

 

Ortswechsel:
Berlin.

 

Innenminister Thomas de Maizière (CDU)    Foto: © European Union

Innenminister Thomas de Maizière (CDU)
Foto: © European Union

In Berlin wird am Entwurf einer Vorlage gefeilt nach der die Flüchtlinge in Ennepetal und anderswo von jetzt auf gleich auf die Straße in die illegale Obdachlosigkeit geworfen werden können. Denn sie haben, so der Innenminister, sich den Flüchtlingsstatus für Deutschland erschlichen. Sie sollen in das Land zurück geschickt werden, wo sie wahrscheinlich zum ersten Mal den Boden der EU betreten hatten. Deutschland kann es  nicht gewesen sein. Bundesinnenminister Thomas de Maizière will, ja was will er denn, die Kosten für Migrationen und Flüchtlinge so gering wie möglich haben? Wenn die Kamera auf ihn gerichtet ist, will er den Flüchtlingen alle nur erdenkliche Hilfe angedeihen lassen – wir sind doch nicht unmenschlich, so Thomas de Maizière.

Deutschland im Herbst 2015, die Regierung in Berlin sendet unterschiedliche Signale aus.

Auf der einen Seite das christliche Signal, „Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen! Und ich werde euch Ruhe geben.“ (Matthäus 11:28 ) und auf der anderen Seite das Signal, bleibt da wo ihr hergekommen seid, wir wollen euch nicht.

 

Ortswechsel:
München – Dortmund – Düsseldorf.

Hauptbahnhöfe München, Dortmund oder Düsseldorf, viele bunt zusammengewürfelte Deutsche – Frauen, Männer, Jugendliche, Ausländer, Inländer, Angestellte, Arbeiter, Selbstständige; eben Deutsche, empfangen die Flüchtlinge auf den Bahnsteigen, geleiten sie um eine Erstaufnahme zu geben, sie sind müde jedoch freundlich, sie kümmern sich 24 Stunden, die Erschöpfung steht ihnen im Gesicht geschrieben. Sie können nicht mehr, sie machen jedoch weiter.

Es ist das andere Deutschland das sichtbar wird, dass Deutschland welches ohne wenn und aber Gastgeber sein will, dem Fremden vertraut und keine Angst vor Missbrauch seiner Gastfreundschaft. Dieses Deutschland hat Mut und spielt nicht den zaghaften Michel, sondern ein starkes Deutschland das Hilfe dem Hilfesuchenden gibt – ohne wenn und aber.

 

Ortswechsel:
Brüssel.

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Präsident des europäischen Rates Donald Franciszek Tusk Foto: (c) Linde Arndt

Europaviertel in Brüssel der Präsident des europäischen Rates Donald Franciszek Tusk im schicken Justus-Lipsius-Gebäude denkt daran die Regierungschefs der 28 EU Staaten zu einem Sondergipfel einzuberufen. Hunderttausende von Flüchtlingen, die mit Wasserwerfern, Tränengas und Knüppeln an den Grenzen des europäischen Hauses malträtiert werden sind nicht so wichtig. Die Festung Europas hält noch. 2012 wurde die EU für ihren Einsatz für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte in Europa mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet – lang, lang ist es her.

 

Wer auch immer du bist, wir lassen dich herein und geben dir eine Bleibe.

 

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Ennepetal

Marie N’Diaye erhält Nelly-Sachs- Preis 2015

Marie NDiaye Foto: (c)  Heike Steinweg/Suhrkamp Verlag

Marie NDiaye Foto: (c) Heike Steinweg/Suhrkamp Verlag

[Dortmund] Mit dem Nelly-Sachs-Preis, Literaturpreis der Stadt Dortmund, wird in diesem Jahr die aus Frankreich stammende Schriftstellerin Marie N’Diaye ausgezeichnet. Der Preis ist mit 15.000 Euro dotiert.
Marie N’Diaye ist 1967 als Tochter einer Französin und eines Senegalesen in Pithiviers bei Orléans geboren. Seit 2007 lebt sie mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Jean-Yves Cendrey, und ihren drei Kindern in Berlin. Frankreich verließ die „Französin durch und durch“ aus Protest gegen die Einwanderungspolitik der Regierung Sarkozy.
In ihren Werken setzt sie sich vor allem mit Fragen zur Herkunft und dem Rätsel der Identität auseinander – und dies auf literarisch überragende Weise.
In der Begründung der Jury für den Nelly-Sachs-Preis heißt es:
„Im Werk von Marie N’Diaye ist Identität eine unsichere Sache. Das liegt an den familiären Urkonflikten, die sie in all ihren Büchern thematisiert – und ihrem Bewusstsein für die sozialen, politischen und moralischen Dimensionen der Probleme unserer Zeit.
Die Männer und vor allem Frauen, von denen die französische Autorin in Romanen wie „Rosie Carpe“, „Drei starke Frauen“ oder „Ladivine“ so kraftvoll wie sinnlich-expressiv erzählt, sind sich selbst fremd geworden. Oft ist der Grund dafür eine tiefe Schuld, die sie in sich tragen, weil sie sich von ihren Eltern oder ihren Kinder abgewandt haben.
Die Zugehörigkeit zu einem Land oder einer Kultur spielt neben der zur Familie eine Nebenrolle. Denn Marie N’Diaye überschreitet mit der Intensität ihrer Literatur mühelos alles, was sich unter Schlagworten wie Multikulturalität oder Integration scheinbar leicht fassen lässt.
Bei N‘Diaye wird der Rassismus zu einer Metapher für den Egoismus, die Verrohung, die Machtgier oder die Verachtung, die überall auf der Welt regieren. Dabei bewahrt ihre von Mythen und Märchen gesättigte Literatur stets ein Geheimnis, weil sie schärfsten Realismus mit Übersinnlichem, Psychologie mit Rationalität mischt.
Marie N‘Diaye lädt in ihren Büchern zum Nachdenken über andere Lebensweisen, Ansichten und Kulturen ein, gerade weil sie nicht um Verständnis und Toleranz wirbt, sondern aufzeigt, wie elend eine Zivilisation ohne diese Eigenschaften ist.“

Die Autorin gilt als eine der erfolgreichsten französischen Gegenwartsdramatikerinnen. Sie hat zahlreiche Romane, Erzählungen und Theaterstücke geschrieben.
Für den Roman Rosie Carpe wurde Marie N’Diaye 2001 mit dem renommierten Prix Fémina ausgezeichnet, seit 2003 ist sie Autorin der Comédie francaise. Ihre Stücke werden zunehmend auch an deutschen Bühnen aufgeführt. Im Jahr 2009 wurde ihr für den Roman Trois femmes puissantes die höchste literarische Auszeichnung Frankreichs, der Prix Goncourt, verliehen. Die deutsche Übersetzung Drei starke Frauen erschien im Juni 2010, ebenso wie die ihrer anderen Werke, im Suhrkamp Verlag.

Die Juryentscheidung trafen unter dem Vorsitz von Stadtdirektor und Kulturdezernent Jörg Stüdemann die Fachpreisrichterinnen und Fachpreisrichter:
Dr. Sabine Berking, Berlin (Dozentin, Lektorin, Literaturkritikerin),
Felicitas von Lovenberg, Frankfurt/M. ( Autorin, Literaturkritikerin, Redakteurin FAZ),
Thomas Rothschild, Stuttgart, (Journalist, Dozent, Autor) und
Dr. Johannes Borbach-Jaene, Dortmund (Leiter Stadt-und Landesbibliothek).

Als Sachpreisrichter waren die Ratsmitglieder Bürgermeisterin Birgit Jörder, Barbara Brunsing, Brigitte Thiel und Joachim Pohlmann beteiligt.
Mit dem Nelly-Sachs-Preis sind neben anderen bislang auch Nadine Gordimer, Christa Wolf, Per Olov Enquist, Norman Manea und Abbas Khider ausgezeichnet worden.
Marie N’Diaye hat sich sehr über die Mitteilung der Jury gefreut und zugesagt, den Preis am Sonntag, dem 13. Dezember 2015, entgegenzunehmen. Die Preisverleihung findet in der Bürgerhalle des Rathauses, Friedensplatz, um 11 Uhr statt.

Weitere Informationen zu Marie N’Diaye:
Auszeichnungen:

  • 1989 Stipendium der Villa Medici
  • 2014 International IMPAC Dublin Literary Award 2014 (Longlist)
  • 2013 Man Booker International Prize (Nominierung)
  • 2011 Spycher: Literaturpreis Leuk an Marie NDiaye
  • 2010 Internationaler Literaturpreis – Haus der Kulturen der Welt
  • 2010 Jürgen Bansemer & Ute Nyssen Dramatikerpreis
  • 2009 Prix Goncourt
  • 2001 Prix Fémina

Veröffentlichungen

  • 2014 Ladivine, Roman
  • 2012 Ein Tag zu lang, Roman
  • 2012 Selbstporträt in Grün, Roman
  • 2010 Drei starke Frauen, Roman
  • 2008 Mein Herz in der Enge, Roman
  • 2006 Alle meine Freunde, Erzählungen
  • 2005 Rosie Carpe, Roman
  • 2000 Die Hexe, Roman
  • 1994 Un temps de saison, Roman
  • 1993 Die lieben Verwandten, Roman
  • 1989 La femme changée en bûche, Roman
  • 1987 Comédie Classique, Roman
  • 1985 Quant au riche avenir, Roman

Einen „Kessel Buntes“ – Ausstellung im Torfhaus

Galerie "Torfhaus" im Westfalenpark Dortmund  Foto: (c) Linde Arndt

Galerie „Torfhaus“ im Westfalenpark Dortmund Foto: (c) Linde Arndt

[Dortmund] Vom 11.08 bis zum 17.08.2015 findet in der Galerie Torfhaus die Ausstellung „Einen Kessel Buntes“ statt. Da haben Jenny Heinzl, Bettina Broekelschen und Petra Reth für die Besucher des Torfhauses so einiges zusammengestellt. Jenny Heinzl verzaubert mit ihren Fotografien den Betrachter. Bettina Broekelschen hat mit ihren Kohlezeichnungen Augenblicke in Emotionen verwandelt. Petra Reth gibt mit ihrem starken Pinselstrich dem bunten Treiben noch mehr Lebendigkeit hinzu.
Eine Mischung aus Farben, Erlebnissen und Phantasie sollen das Torfhaus eine Woche strahlen lassen, in allen Farben….. in der Zeit von 11.00 Uhr bis 18.00 Uhr ist die Ausstellung täglich geöffnet.