Richard David Precht stellt das vorhandene Schulsystem in Frage

mentorscheck

Rossmann spendet € 3.000,00 für „Mentor – die Leselernhelfer“
Foto: Linde Arndt

Gastbeitrag André Sicks

[Gevelsberg] Mit bestechender Eloquenz und Überzeugungskraft zog der Philosoph und Publizist Richard David Precht am 15. Januar 2015 die Zuhörer in der restlos ausverkauften Aula vom Schulzentrum West in seinen Bann. Man könnte auch sagen, sie klebten ihm, bei seinen anschaulichen, mit vielen persönlichen Beispielen gespickten Ausführungen – ausgehend von seinem Buch „Anna, die Schule und der liebe Gott“ – an den Lippen. Oftmals bot sich sogar Gelegenheit zu lachen, und das obwohl es um ein echtes Reizthema ging – das deutsche Schulsystem. Precht war auf Einladung von „Mentor – Die Leslernhelfer Gevelsberg e.V.“ und der VHS nach Gevelsberg gereist, nachdem ihn die heimische Büchereileiterin Stephanie Kron bei einem Treffen einfach mal spontan dazu „verpflichtete“. Und als Schirmherr des Bundesverbandes von „Mentor – die Leselernhelfer“ konnte der Professor schlecht nein sagen. Mit einem Exkurs über die sogenannte „Google-Brille“ leitete er seine Ausführungen ein. Der Zusammenhang zum Schulsystem wurde dabei sehr schnell klar. Es ist der Umbruch des Digitalzeitalters, auf welches sich seiner Meinung nach, das Bildungswesen einstellen muss. Ziel der Schulpflicht sei zwar der Erwerb von Wissen, doch heute kann man sich dies auch mit Hilfe digitaler Medien individuell zuhause ansammeln. „Lernen ist Praxis im Umgang mit anderen. Nur dadurch kann man seine Stärken und Schwächen erkennen oder Strategien generieren.“, so Precht.

„Der vermittelte Stoff wird gepaukt, um Tests und Prüfungen zu bestehen – und dann nicht mehr benötigt.“ Da-zu gab er einige Beispiele und hakte im Publikum nach, wer denn noch wisse, was eigentlich ein Konsekutivsatz oder eine Molmasse sei, und was genau in der „Goldenen Bulle“ stehe. Warum also sollten unsere Kinder weiterhin einem sogenannten „Bulimie-Lernen“ – rein-fressen, ausspucken und wieder vergessen, wie es Precht zynisch bezeichnete, ausgesetzt sein? Warum nicht einen anderen Weg gehen, der sich nach den neuesten Erkenntnissen der Psychologie richtet?

Und genau an diesem Punkt erläuterte der 50-jährige seine Vision eines perfekten Schulsystems: Die Kinder bleiben bis zur sechsten Klasse zusammen und lernen Grundfertigkeiten. Im Anschluss daran sollte sich jedoch „die vorhandene Struktur einer Kaserne, das typisch preußische Beamtentum“ auflösen und man kombiniere individuelles Lernen mit Projekten.

Kinder sollten nach ihren persönlichen Neigungen und Talenten gruppiert werden und dement-sprechend an darauf zugeschnittenen Projekten teilnehmen können.
Die Schule würde quasi in „Lernhäuser“ aufgeteilt, wo Schülern die ganze Zeit über ein Team aus Lehrern als „Coachs“ zur Seite steht. Dabei müsste man allerdings auch Fachexperten mit ins Boot holen. Das heißt, ausgebildete Lehrer müssen qualitativ mehr, aber quantitativ weniger arbeiten. Man rekrutiert sie durch ein „Casting“ und vereint sie mit geeigneten Praktikern verschiedener Berufsfelder. So entsteht eine neue Bindungs- und Verantwortungskultur. Wer aber soll nun diese Vision umsetzen? Auch darauf hatte Precht mit realistischem Blick auf die Politik eine Antwort parat. Nur die Schulen selbst könnten sich unter kompetenter Beratung von Bildungs-initiativen, Sportvereinen, etc. evolutionär entwickeln. Dafür müssten allerdings die Kultusministerien die Leine verlängern. „Wer etwas verändern will, sucht Ziele. Wer etwas verhindern will, sucht Gründe“. Stürmischer Applaus und interessante Fragen statt Kritik aus dem Publikum ließen ahnen, dass dieser Abend die Gäste inspirierte.
Richard David Precht – Fotos der Veranstaltung von Linde Arndt

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