[jpg] Als wir uns am Sonntag "sehr früh" von den Kollegen aus dem Pressezentrum in Essen verabschiedeten und nach Hause fuhren ging uns allen der Gedanke durch den Kopf es wird die Million an Besuchern schon geben. Das wäre die Erfolgsmarke für uns alle gewesen.
Samstag/Sonntag Nacht war die letzte Zusammenkunft für das Pressekorps, wir durften den Vorbereitungen und dem Aufbau für das Still-Leben auf der A40 beiwohnen. In der Zwischenzeit war auch klar, wir alle waren Teil dieses Projektes Still-Leben. Zeitweise wurde das Projekt sprachlich als Skulptur und als eine Inszenierung künstlerischer Alltagskultur gehandelt.
Ab 22:00 Uhr wurde die Autobahn A40 dicht gemacht, koordiniert wurde jetzt alles vom Lagezentrum in Essen. Wir selber standen auf der Brücke in Essen – Frohnhausen oder am Rande oberhalb der A40. Mit Blaulicht fuhren die Streifenwagen und Motorräder der Polizei die Autobahn rauf und runter und dies auf allen Streckenabschnitten. Es galt evtl. verbliebene Verkehrsteilnehmer von der A40 sicher herunter zu bekommen. Die ersten Zuschauer gesellten sich zu uns auf die Brücke, wir die wir mit den gelben Warnwesten ausgestattet waren konnten die ersten Kommentare der Leute einfangen. Es sollte ja ihr Fest werden, wir sollten ja nur die Statisten darstellen. Und was für Kommentare! Das ging von, "es wurde ja Zeit das wir mal zeigen können wie wir sind…", über, "das ganze Geld für so was verpulvern…." bis hin zu "was für eine Leistung die hier vollbracht wird…". Gegen 22:30 Uhr sollten wir die Autobahn begehen und von dem Aufbau Fotos machen dürfen. Pustekuchen, irgendwas war schief gelaufen. Aber was soll es. In der Zwischenzeit hatten die Zuschauer sich mit Bier und Wein ausgestattet und prosteten sich auf der Brücke zu.
Nach 1 Stunde ging es aber dann sehr schnell zur Sache. Die Lkw´s kamen aus Richtung Dortmund mit den Gabelstaplern, den Tischen und Bänken und den Absperrgittern und mit einem Bus voller Helfer vom THW. Wir durften runter auf die Bahn, nicht ohne vorher die obsoleten Sicherheitsanweisungen gehört zu haben. Ich denke ab jetzt begann die Inszenierung des Stückes Still-Leben. Wir "stürzten" uns mit den Kameras auf jede der dargebotenen Arbeitsschritte. Tische und Bänke vom Lkw runter und aufgebaut und das im gleißenden Licht der THW Scheinwerfer. Laut THW wollten sich die Helfer jeweils von Dortmund und Duisburg nach Essen vorarbeiten, die ganzen 60 km mit den 20.000 Tischen und 40.000 Bänken, wobei auf dem Mittelstreifen Orientierungsmarken aufgestellt werden sollten. Jeder Tisch bekam dann noch ein Klebeetikett mit Block und Tischnummer und gut war es. Gut war es? Nein. Die THW Leute hatten bis morgens um 5 Uhr noch zu tun. Danach für 1 oder 2 Stunden Schlaf und wieder ab auf die Bahn um die Absperrungen am Tag zu überwachen. Oben auf der Brücke sahen wir die staunenden Leute, teilweise mit Gläsern in der Hand. Sie lauschten nicht dem Geräusch der durchfahrenden Autos sondern sahen zu, wie ihre geliebte und ungeliebte A40 umfunktioniert wurde.
Wir machten uns auf den Weg nach Hause um unsere Vorbereitungen zu treffen, jedoch nicht ohne vorher den anderen beiden Teams den Stand der Dinge mitzuteilen.
Es war wieder einmal mehr eine Herausforderung für uns, aber auch für alle Redaktionen, der wir durch die Ruhr2010 im Kulturhauptstadtjahr ausgesetzt wurden und der wir uns gerne stellten. 1 Stunde Schlaf war drin. Was heißt Schlaf? Es war nur eine Ruhepause, denn alle standen wir unter "Strom".
Um 9:00 Uhr hatten wir in Dortmund abgeparkt und machten uns auf den Weg um die Eröffnung der Tischspur einzufangen. Die neu "gekürte" Ministerpräsidentin und der neue Oberbürgermeister Sierau eröffneten die Tischspur um 10:00Uhr an der Dortmunder Lindemannstrasse. Eine gut und fröhlich eingestellte Gruppe mit Fritz Pleitgen wünschte allen Beteiligten einen guten Tag und gutes Gelingen.
Und ab ging es zu unserer Position in Bochum-Werne, wo die meisten Tische für die Kreisstädte eingetragen waren. Über Headset hörten wir, dass in Duisburg und Essen noch nicht wirklich etwas los war. Die beiden anderen Teams hatten schon Bedenken. Wir machten uns auf den Weg und fotografierten einen gemischten Chor, der mit Bollerwagen auf dem Weg war. Eine der Frauen kam auf uns zu und meinte strahlend: "Wer uns fotografiert der bekommt sofort jeweils einen Kuchen". Dann trafen wir auf gut aufgelegte FC Köln Fans, die ihren FC Kölle und den Frohmut der Kölner auf die A40 bringen wollten. Eine lustige Frozzelei entstand über das Rheinland und das Ruhrgebiet.
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Und dann der erste Stau.
Die THW Helfer wollten uns nicht auf die Spur lassen. Warum? Keine Ahnung. Eine lockere Diskussion entstand zwischen den rund 300 Besuchern und den drei abgestellten THW Helfern.
Einmal links antäuschen und rechts vorbeilaufen, die THW Helfer gaben bei solch einer geballten Kraft von Fröhlichkeit lachend auf.
Und rauf auf die Bahn, Gas geben.
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Von wegen Gas geben, die Akteure waren ja erst zögerlich da. Vereinzelnd irrten Tischbesitzer herum und suchten ihren Tisch. Die Volunteers der Ruhr 2010 konnten nicht überall sein und so machten wir uns auch erst einmal nützlich und halfen.
Überhaupt mit der Rücksicht, dass wurde groß geschrieben. Niemand stand abseits alle wollten zum Gelingen des Still-Lebens beitragen.
Die rund 11.000 Helfer von Polizei, THW, Volunteers, Feuerwehr alle standen sie mit lachenden Augen hilfreich zur Seite. |
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Wenn der eine oder andere mal verbotene Wege ging, so wurde er freundlich auf den rechten Weg gebracht.
Aus den Augenwinkeln sahen wir, wie uns die Ennepetaler IG Altenvoerde und der Freistaat Oberbauer überholten um zu ihren Tischen zu kommen.
Es waren zu viele die jetzt drängten, mit Bollerwagen und vollgepackt mit Utensilien, um ihre Tische einzunehmen. Wir gingen langsam in Richtung Essen um das ganze Treiben auf uns einwirken zu lassen und unsere Fotos zu machen.
Hinter den Tischen von Ennepetal herrschte noch hektisches Treiben, alle waren damit beschäftigt die mitgebrachten Bauteile für die Kluterthöhlen-Demo aufzubauen und sich sonst wie zu repräsentieren.
Carsten Michel tat sich als Oberfeldwebel hervor, indem er Anweisungen gab wie weit oder wie herum die Höhle zu stehen hat. Ja, das hält genau in Ennepetal.
Bürgermeister Wilhelm Wiggenhagen war noch nicht da, so dass auch keine Begrüßung stattfinden konnte.
Die Gevelsberger hatten den Engelbert II Mord aus dem Jahr 1225 in Form einer Collage sichtbar gemacht.Hm, verjährt Mord eigentlich nicht nach fast 800 Jahren? Gleichzeitig erinnerten sie an das Projekt "Kohle, Kühe, Kunst" welches den gemeinsamen Weg der vier Städte zeigen sollte.
Wir trafen das Ehepaar Siekermann und den ehemaligen Bürgermeister Solmecke aus Gevelsberg an dem Stand für ein kurzes Hallo.
Es war so ca. 1 Stunde vergangen und auf der Mobilitätsspur gegenüber war schon ein reges Hin und Her.
Und die Vielfalt der Metropole Ruhr konnte man jetzt besichtigen.
Sie erinnern sich, 170 Nationalitäten hat die Metropole.
Eine ehemalige Finnin verköstigte uns mit "Ohrfeigen" [einem Zimtgebäck] und machte auf ihre nordische Herkunft aufmerksam. Eine ehemalige Spanierin animierte uns ein Gedicht über das Ruhrgebiet zu verfassen, für einen Zweizeiler gab es ein T-Shirt. Leider hatte eine türkische Gruppe ihre Wasserpfeife noch nicht angeschmissen, so dass ich diesen Genuss nicht ertragen durfte.
Ein Kochclub verköstigte uns mit leckerem Kartoffel- und Dickebohnensalat. Nebenan machte mir ein Veganer eindringlich, aber sehr freundlich, klar, dass man sich ab einem Zeitpunkt des Lebens der Laktosegefahr aussetzt.
Im Vorbeigehen gab es mal einige Frikadellen oder Kuchen und Plätzchen. Essen ist eben international, denn Liebe geht bekanntlich durch den Magen.
Dann Stau unter der Brücke.
Auf dem erhöhten Mittelstreifen heizte eine Trommelgruppe der Menge mit Samba ein. Rund 2.000 Zuhören ballten sich auf beiden Seiten, es war nur ein mühsames Durchkommen.
Die Fahrradfahrer klingelten im Takt mit ihren Klingeln. Und der Zulauf an Hörern wollte nicht enden.
Über Funk hörten wir, dass wir, also der Stau, aufgefallen waren. |
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Einer der Ordner bat auch daraufhin die Gruppe, ob sie nicht eine kleine Pause machen wollte damit es weiter geht. Hat sie dann auch getan.
Und weiter ging es. Ein Spielmannszug kam über die Spur und ging fröhlich musizierend in Richtung Essen. Mitten auf der Bahn fing auf einmal eine Bauchtanzgruppe in Kostümen zu tanzen an. Eine Tanzgruppe mit Jugendlichen zeigte, dass dem Leben ohne Tanz etwas fehlen würde – Recht haben sie. Paare fanden sich zum gemeinsamen Tanz spontan zusammen.
Die Ladies der Bochumer Miners, einem Footballverein, zeigten zu was Frauen alles fähig sind. Offensichtlich hatten sie die Niederlage gegen Mainz im vorigen Monat glatt weggesteckt. Eine amerikanische Sportart die auch in der Metropole Ruhr zu Hause ist. Eine starke Sportart für starke Frauen.
Eine Gitarrengruppe spielte mit einer Sängerin Rock und Folk, der Verstärker lief wohl über Batterie. Immer wieder die kleinen liebenswerten Gruppen die zum Klönen und zum Verweilen einluden und uns kleine Häppchen anboten. Selbst die Kölner hatten einen lustigen Tisch aufgebaut und wussten mit ihrem rheinischen Frohsinn einen Kontrapunkt zu setzen. Da sieht man mal wieder die Ruhris haben nichts gegen "Ausländer".
Wir hatten "nur" 6 Km geschafft und die A40 war jetzt brechend voll, sowohl auf der Tischspur als auch auf der Mobiltätsspur. Die Firma Edeka mit ihren Kühllastern hatte jetzt alle Hände voll zu tun um alle mit Getränken und Obst zu versorgen. Dankbar wurde es von allen angenommen, denn inzwischen war es doch gefühlte 38 Grad Celsius heiß.
Auf dem Mittelstreifen hatten es sich jetzt Fahrradfahrer gemütlich gemacht und fingen dort teilweise an zu picknicken.
Alles wurde jetzt mit einem zwinkernden Auge zugelassen. Nur die Zufahrten zur A 40 wurden freigeräumt, wegen der Rettungswagen. Immer wieder schritt das THW höflich aber bestimmt ein.
Ab und zu sah man die alten Kinderspiele auf der Fahrbahn. Seilspringen, Gummitwist und "Himmel und Erde" waren zu sehen.
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Spontan machten Zuschauer mit, denen ihre Kindheit noch nicht abhanden gekommen war. Das Singen war ein Thema indem bekannte Lieder die Zuschauer zum Mitmachen animierten. Mitten auf der Fahrbahn, ich bekam den Mund vor Staunen nicht zu, ein Konzertflügel unter einem Zelt, spielbereit.
Ein Pianist gab der staunenden Menge seine Stücke zum Besten – das alles ist unsere Metropole Ruhr.
Und auf dem Mittelstreifen hatten sich schon Einzelne auf der Begrenzung mit Kreide verewigt. " Lisa ich war da, wo warst Du denn? 18.07.2010 Kai".
Es war bunt bis skurril, flott bis gemütlich, heiter und besinnlich, jung und alt eben wie es sich für eine Metropole Ruhr gehört. Die Inszenierung Still-Leben erlebte ihren Höhepunkt, Schauspieler waren die Bewohner der Metropole Ruhr. Aber nicht nur das, es waren inzwischen aus allen Teilen der Welt Bekannte,Verwandte und ehemalige Ruhris dazu gestoßen. Es war eine würdige Aufführung die die Metropole Ruhr mit allen ihren Facetten zeigte. Das Wesentliche war jedoch, dass Lokalcolorit der einzelnen Städte ging nicht unter. Jede Stadt wusste sich unverwechselbar in die Metropole Ruhr einzubringen. Die einzige Gemeinsamkeit war heiter und fröhlich zu sein wie Menschen es überall sein können.
Wir mussten jetzt langsam zurück, wobei unsere Socken auch qualmten und unsere Köpfe schon heiß waren. Wir waren jetzt gefühlte 300 Km gelaufen. Über Funk wurde die erste Pressekonferenz angekündigt. Auf dem Rückweg sahen wir nochmals bei den Ennepetalern vorbei, dort war inzwischen auch Wilhelm Wiggenhagen eingetroffen. Gemeinsam gaben sie mit dem Heimatverein ein Lied zum Besten. Nur begrüßt wurde ich auch diesmal nicht, obwohl die A40 neutraler Boden ist und dort keine Streitereien ausgefochten werden. Ich setzte mich einen Augenblick neben das Ehepaar Solmecke um ein paar Worte zu wechseln und das Lied zu Ende zu hören. Im vorbeigehen sahen wir jetzt auch einen Tisch des EN-Kreises der mit dem Kunstraum-EN e.V. aus Ennepetal besetzt war. Beate Koch (Schwelm), WernerKollhoff (Ennepetal) und Anja Dahl (Wuppertal) zierten sich etwas als wir sie fotografieren wollten.Dann ging es aber auch schon weiter, denn wir mussten jetzt ins Pressezentrum Essen-Frohnhausen.
Mein Coffeinspiegel war auf dem Nullpunkt angekommen und ich freute mich schon auf eine gute Tasse Kaffee in Essen. Über die Ruhrauen fuhren wir dann nach Essen-Frohnhausen.
Und dort erfuhren wir, wir haben die Marke 3 Millionen Besucher geknackt, das dreifache von dem was angedacht war. Es waren nur 100 Besucher die ärztlich versorgt werden mussten, hauptsächlich Kreislaufprobleme, die allerdings alle einen guten Verlauf genommen hatten.
Polizei, THW und Ordner waren mit dem Ablauf hoch zufrieden und mussten nur positiv eingreifen indem orientierungslose Besucher auf den Weg gebracht wurden.
Fast alle waren wir jetzt 48 Stunden auf den Beinen, hatten vielleicht 1 Stunde Schlaf gehabt und waren rundum zufrieden mit dem Geleisteten. Es war, wie Jugendliche sagen würden, eine geile Veranstaltung die sämtliche Erwartungen nicht nur erfüllte, sondern wegweisend für die Zukunft sein wird. Die Übertragungswagen waren schon weg und der Rest der Presse hing jetzt nur noch ab, wir waren alle fertig. Aber schön fertig.
Und nach der Beendigung? Um 17:00 Uhr räumten die Besitzer der Tische sämtlich ihren Müll in Tüten und stellten sie fein säuberlich am Strassenrand auf. So sind wir in der Metropole Ruhr.
Nachbemerkung:
Wenn man sich dieses weitere Highlight, nach !Sing-Day of Sing oder dem Schachtzeichen durch den Kopf gehen lässt, so stößt man unweigerlich auf folgendes:
Die Bewohner des Ruhrgebietes sehen sich schon viel länger als ein gemeinsames Gebiet – nennen wir es Metropole Ruhr. Für die Bewohner ist es selbstverständlich mal eben nach Bochum, Dortmund, Essen oder auch Moers zum Feiern oder sonst noch was zu fahren. Es ist nicht so, als wenn man in eine andere Stadt fährt, vielmehr ist es so, als wenn man nur in einen anderen Stadtteil fährt. Die Grenzen zu einer anderen Stadt ziehen das Rheinland, mit Düsseldorf oder Köln oder Westfalen, mit Münster oder Paderborn. Die Politik hat uns so eingeteilt, in drei Regierungsbezirke. Nur Still-Leben zeigt eines ganz deutlich, wir – und da schreiben wir uns von den Medien dazu – sind eine Metropole. Wann werden unsere Politiker es begreifen, dass das was zusammengewachsen ist auch zusammen gehört? Die Metropole Ruhr ist weder Westfalen noch Rheinland, sie ist halt was eigenes und urwüchsiges aber auch gewachsenes.
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Essen, Bochum, Dortmund
[alle Fotos vom Team EN-Mosaik]