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So spannend kann Politik sein

[jpg] 5 Stunden Politik an einem Streifen und keine Langeweile kam auf. Das ZDF, die Wochenzeitschrift Die Zeit, Twitter, StudiVZ und My VZ in Verbindung mit Youtube machten am Samstag ein Crossmediales Ereignis.

Geladen waren Angela Merkel (CDU) die nicht, aus bekannten Gründen, teilnahm. Sie schickte Peter Ramsauer (CSU) aus der dritten Reihe. Weiter nahmen teil Frank Walter Steinmeier (SPD) Jürgen Trittin (Bündnis90/Die Grünen) Gregor Gysi (Die Linke) und Guido Westerwelle (FDP).

Das ZDF schickte Dunja Hayali und Steffen Seibert in dieses Gemeinschaftsprojekt "Erst fragen, dann wählen" ins Rennen, wobei bei Twitter der Hashwert  #efdw Bestand hatte.
Die beiden Moderatoren vom ZDF fremdelten etwas, wobei Frau Hayali etwas besser damit klar kam. Es war eine Premiere und hätte genauso gut heißen können Internet meets old Medien.

Man kann sagen, es war ein gutes Format das sich die Verantwortlichen ausgedacht hatten, es war Interaktion, es gab Dialoge, es gab Diskussionen, kurz es gab alles was die moderne Kommunikation zu bieten hatte. Und zwar in Echtzeit. Ein Wermutstropfen, die CDU/CSU hatte sich schlicht und ergreifend halb gedrückt, Peter Ramsauer (CSU) als Vertreter von Frau Merkel wurde nur zugeschaltet, so dass er immer etwas verzögert antworten durfte und konnte. Frau Merkel ist ja dafür bekannt, dass sie keine neuen, noch nicht begangenen Wege, gehen würde, die ihr zumindest nicht ein Minimum an Erfolg versprechen. So ist sie auch nie an den Fragen interessiert, vielmehr antwortet sie so, als wenn eine Frage nicht gestellt worden wäre. Aus einer Frage holt sie sich nur ein Stichwort heraus und referiert darüber.

Zum Anfang:

Es wurden rund 3.000 Fragen zu verschiedenen Themen durch die User ins Internet gestellt, diese wurden durch die User bewertet. Die höchst bewerteten Fragen aus den Themenkomplexen wurden den Kandidaten zur Beantwortung vorgelegt. Dazwischen kamen User über Youtube mit Fragen zu Wort. Darüberhinaus wurden mehrere User ins Studio eingeladen, die dort an die Kandidaten ihre Fragen loswerden konnten.

Den Anfang machte Guido Westerwelle (FDP) beim Thema Mindestlöhne kriegte er noch gerade die Runde als er gefragt wurde ob er für EUR 7,50 arbeiten würde. Als er aber auf die Finanzierung der Steuersenkungen angesprochen wurde, wurde er etwas nervös. Dann kamen die Studiengebühren dran, die er etwas lachs verteidigte und gegen die Beitragsfreiheit von Kitas aufrechnete. Einige Studenten in einer WG hatte er überzeugt, nur vom Internet bekam er es Dicke.

Über Twitter kam ein Tweet stellvertretend. "Wenn ich mir #Westerwelle noch länger anhöre, muss ich leider brechen #efdw #Studiengebühren" von Userin "Graefin_Aenne" Ups, geschockt.
Guido liess sich aber nichts anmerken. Gleichzeitig wurde eine Umfrage von "Mein VZ" über Studiengebühren zugeschaltet, rund 12.000 User voteten, 85% waren gegen Studiengebühren und nur 15% dafür.

Dann wurde noch über die "Freiheit" im Internet und die Datensammelwut der Behörden gesprochen, eine Domaine der Piratenpartei. Im Internet war die Hölle los. Guido meinte die FDP würde gegen Zensur sein und das alles ändern wollen. Prompt wurde er über den Koalitionvertrag in Sachsen aufgeklärt der eine Überwachung der Internettelefonie vorsieht. Twitter macht es möglich. Moderatoren und Westerwelle waren veblüfft und versuchten mit Überleitungen zu retten was zu retten ist. Abspann und Schlusswort, es war abzusehen, wann er den medialen Blattschuss bekommen würde. Guido war es froh. Trotzdem hat er sich wacker geschlagen, dafür dass er diese Art von Wahlkampf noch nie geführt hat. Zustimmung gefühlt 50 zu 50. Die Moderatoren fingen an zu schwitzen.
Dann kam Peter Ramsauer (CSU) der so was von platt war, dass einige im Net nach ein paar Minuten "aufhören" posteten. Die Moderatoren versuchten mit Überleitungen und Erklärungen einiges zu retten.

Das kommt davon, wenn man sich zuschalten lässt. Er ging seinen Weg und merkte nicht, wie er sich bei der Community um Kopf und Kragen redete. Typisch für diesen weltfremden Bayern war, als er gefragt wurde, was denn bei der CDU/CSU noch christlich wäre, seine Antwort, Jesus wäre in die CSU eingetreten. Der Brüller im Internet. Im Studio waren alle höflich. Zustimmungsrate, gefühlte 5%, das ist eine Mitleidsrate. Ein User: " Merkel hätte sicher geweint oder wäre zorn bebend gegangen" Ramsauer war der absolute Langweiler und so was von langsam, dass man sich fragte, ob der von einem Pflegeheim Ausgang hatte. Wenn die Moderatoren nicht gewesen wären, wäre er eingeknickt. Abspann,Trailer, Schlusswort. Per Twitter kam noch hinterher: "Klare Kante von Angela Merkel: http://bit.ly/IlKZ8 "Gänsebraten ist super".

Am folgenden Tag ging es weiter mit Frank Walter Steinmeier (SPD), das Studio war aufgeheizt, alle ölten.
Steinmeier gab auch nach 5 Minuten seine Jacke ab und hielt sich schön an seinem Wasser fest, weil die Kehle austrocknen konnte. Er wirkte souverän, indem er immer wieder die passenden Konter parat hatte, verblüffend.
Er wurde auf den Deutschlandplan angesprochen, der ja immer Millionen Jobs schaffen soll, ob das glaubhaft wäre.
Konter:" Das hat nichts mit Glauben zu tun."Bei der Kinderarmut punktete er damit, dass er diese beseitigen wolle. Endlich was Konkretes. Weg zu einem Studenten, der den Widerspruch zwischen den Milliarden für die Bankenrettung und den Millionen für die Bildung anprangerte. "Wie soll man das verstehen können", so der Student? Steinmeier: "Auch ich habe das nie richtig verstanden, es musste aber getan werden. "Unumwunden gab er zu, dass zu wenig in die Köpfe investiert würde. Wieder zurück, die Umfragen über Steinmeier standen im VZ fest, 75% Zustimmung. Steffen Seibert konnte sich nicht zurück halten und musste loswerden, dass die Kanzlerin nicht gekommen wäre, prompt kam über Twitter "Merkel hat was verpasst #efdw. Hätte dabei sein sollen."   oder "Ich kann mir vorstellen, da Merkel bei #efdw nicht dabei war, dass sie dadurch ein paar Wählerstimmen verliert bzw. schon verloren hat." Steinmeier sah staunend zu. Mein Eindruck, die Moderatoren waren etwas überfordert, es war ihnen alles zu schnell. Innerhalb von Minuten eine Umfrage von 5.000 User auf die Beine stellen, da kommt selbst das TED System nicht mit. Für alle, die Kandidaten und die Moderatoren, war das viel zu schnell. Steinmeier etwas irritiert als auf seiner Afghanistan Einlassung, ein Twitterer fragte, "Soll ich hier sofort antworten? "
Wieder auf die Couch. Fragen eines Studenten wegen der Datenspeicherwut. Dieser Frage wich er ungeschickt aus und konterte mit einer Gegenfrage. Sofort kam die Reaktion aus dem Netz über Twitter:" RT @chris_politicus: #fws hätte sich im Wahlkampf kurz Zeit nehmen und über Sperrgesetz informieren können. Nun wirkt er inkompetent #efdw" oder "steinmeiner wiederholt zensursulla luege nicht kooperativer provider. #efdw" Der Student wird in die Nerd ( Computerfreak und Eigenbrödler ) Ecke gedrängt, der Moderator schaut auf die Uhr und holt Steinmeier aus der Ecke. Alles in allem hat Steinmeier einen guten Auftritt hingelegt, er kam gut rüber, bis auf seinen Absturz im Online Bereich. Die Zustimmung fiel nur auf 64%, ein achtbares Ergebnis.

Weiter ohne Pause. Trittin war dran. Umwelt als erstes, eine Domäne der Bündnisgrünen. Ob er zu ideologisch wäre bei der Atomkraft, so die Moderatoren? Man müsse sich nur die abgesoffene Asse ansehen, wo nun radioaktiver Müll in das Grundwasser gelangen kann, das hat doch nichts mit Ideologie  zu tun, so Trittin.
Insgesamt erklärte er die Problematik der Energieversorgung mit Atomstrom sehr kompetent. Am Rande bemerkte er mal so eben, dass trotz Abschaltung von 6 Atommeiler Deutschland noch in der Lage ist Strom zu exportieren, wegen der Windenergie.
Energiesparlampen mit Quecksilber vs. Glühlampen. Trittin rechnete, herkömmliche Glühlampen würden durch ihre Produktion mehr Quecksilber erzeugen als Energiesparlampen. Die Abwrackprämie gegen rechnen. Durch Tempolimit auf 120 wäre mehr, das Doppelte, CO2 eingespart worden. Abgesehen davon das der wirtschaftliche Schaden durch den vorgezogenen Konsum auf später verlagert wird. Er wirkte etwas oberlehrerhaft. Twitter meldete: "Schönes Beispiel: Gegen den Kater saufen = Abwrackprämie #efdw" Gelächter, und weiter.
Auf die Piratenpartei angesprochen, meinte Trittin, dass haben wir alles in unserem Programm verankert und darüber auch noch einen Verbraucherschutz im Netz.
Bei der Bildung plädierte er für einen Bildungssoli. Bis auf sein etwas steifes Auftreten kam er sehr kompentent rüber. Zustimmungsrate 60% bei den Usern. Ohne Abspann weiter.

Gregor Gysi war dran.  Er schoss ein Feuerwerk seiner rhetorischen Fähigkeiten ab, wusste auf alles eine plausible Antwort und wurde nur einmal etwas verunsichert als ein BW Soldat etwas schwach befragt wurde, der demnächst in Kundus stationiert sein wird. Er findet, man solle den Krieg auch Krieg nennen dürfen,meint das wir schnellst möglichst aus Afghanistan raus müssten. Reichtum für alle, heißt bei Ihm nicht nur der finanzielle Bereich. Im Großen und Ganzen ging er wie ein Kind durch alle Abteilungen unbefangen durch und wusste sich auch direkt mit den Themen zu befassen. Bei den Datenvorratsvorhaben der Bundesregierung fand er die Regierung habe überzogen. Es gibt genügend Gesetze, wie etwa die Hausdurchsuchung, die auch auf das Internet angewendet werden kann. Es braucht nur eine richterliche Anordnung. Er machte einen sehr guten und quirligen  Eindruck , zumal der etwas steife Trittin ja vorher da war. Auch er wurde sodann verabschiedet.
Sofort waren die endgültigen Zustimmungsraten aus dem VZ parat, wonach die Kandidaten folgende Ergebnisse hatten:

                            

Alles in allem war es für das erste mal eine gelungene Sendung. Es kamen Informationen rüber, die man so nicht im Wahlkampf bisher gehört hatte. Dafür das es das erste mal war, dass sich das Fernsehen und die Printmedien mit dem Internet auf getan hatten, war es ein Leckerbissen in unserer armen medialen Welt.

Was das Fernsehen und die Printmedien noch lernen sollten, Politiker brauchen keine schützenden Moderatoren.
Diese glucken, was die beiden Moderatoren ab und an gegenüber den Kandidaten entwickelten, war meines Erachtens überflüssig. Auch dieses ewige hin und her gehen, von einer Ecke in die andere lenkt nur ab, das kann man technisch besser lösen. Dann  – die Geschwindigkeit der Informationen wurde durch die Moderatoren immer wieder ausgebremst. Offensichtlich kamen die beiden selber mit der Geschwindigkeit nicht klar. Sie wirkten dabei auch etwas überfordert. Im Internet kann man alles machen, muss es aber nicht. Wenn ich also die Formate Chat, Forum, Blog und noch Microblogging zusammen schalten und noch Live Interviews haben möchte, steuere ich logischerweise auf einen Informationsgau zu. Diesen zu verhindern brachte die beiden Moderatoren ganz schön ins schwitzen, wobei dies auch noch in einem Raum der nicht klimatisiert war ganz schlimme Auswirkungen hatte. Das Team danach: Die 5 Stunden kamen uns wie 14 Stunden vor.

Trotz allem sollte dieses Format verbessert und evtl. zur Landtagswahl ´10 in NRW nochmals aufgemacht werden. Vielleicht kann dies ja Zeit Online mit dem WDR kooperieren.Was man jetzt schon sagen kann, es wurden sehr viele junge Nichtwähler erreicht, die mit den von den Parteien favorisierten konservativen Wahlkampf, nicht erreicht worden wären.

Nachtrag:

Schade, dass Ennepetal sich während des Kommunalwahlkampfes zu solch einem Auftritt im Haus Ennepetal nicht aufraffen wollte oder konnte. Sicher wäre Ennepetal als Stadt im positiven Sinne in Deutschland in aller Munde gewesen. Es wäre, wie die Sendung "erst fragen, dann wählen" eine Werbung für unsere Demokratie gewesen. Es reicht eben nicht nur die Altenheime ab zu klappern, ein paar Bratwürstchen zu grillen und die üblichen Kugelschreiber zu verteilen. Die medialen Zeiten haben sich eben geändert.

Wir hatten zwar nur rund 60 Fragen im Gegensatz zu den rund 3.000 Fragen beim ZDF, aber immerhin.
Aber so ist das in Ennepetal, Avantgarde wollen wir um Gottes Willen nicht sein, wir wählen eher die Nachhut, wir wollen ja nicht auffallen.
Und was ist mit der Attraktivität einer Stadt? Ganz einfach, man sollte schon was Besonderes sein.

 

Wer keine Möglichkeit hatte, sich die Sendung des ZDF kompakt in Youtube ansehen .

"Erst fragen, dann wählen" Kompakt




Jürgen Gerhardt