[jpg] Mit der Stadt Hagen habe ich so meine emotionale Not. Auf der einen Seite bringen die Hagener große Dinge zustande und auf der anderen Seite wollen sie das so nicht an die große Glocke gehängt sehen.
Und weil die zweite Verhaltensweise vorherrschte, kamen die Hagener im Kulturhauptstadtjahr auch ziemlich spät auf unseren Radar. Eigentlich war es ein großer Sohn der Stadt Hagen der unseren Blick auf Hagen werfen lies – Karl-Ernst Osthaus. Beim Beschaffen von Hintergrundinformationen zum Kulturhauptstadtjahr stießen wir immer wieder auf Karl-Ernst Osthaus und damit auf die Stadt Hagen. Es lag nahe, die Stadt Hagen, die ja ganz in unserer Nähe liegt, zu erkunden. Wir dachten, wir würden jetzt an jeder Ecke mit Osthaus konfrontiert, aber, weit gefehlt. Auch als wir in der Innenstadt nach Osthaus fragten, wusste uns niemand etwas über ihn zu sagen.
In Wuppertal, meiner Heimatstadt, gab es Friedrich Engels. Wenn man in der Innenstadt von Barmen oder Elberfeld nach Friedrich Engels fragt, kann zumindest jeder zweite im Ansatz etwas über den Sohn der Stadt sagen. Letztendlich haben wir den Hohenhof gefunden, fanden aber, dass die Stadt Hagen etwas stiefmütterlich mit ihrem großen Sohn umgeht. Man kann das damalige Wirken von Osthaus gar nicht genug würdigen, so visionär war es, dass es noch heute Bestand hat.
Nun die andere Seite der Stadt, die meines Erachtens würdig sich in die Idee eines Osthaus einreiht:
Wir wollen über das Theater Hagen schreiben. Es ist ein für die Stadt Hagen angemessenes Theater mit mehreren Sparten, wie Ballett, Oper, Schauspiel und Jugendtheater. Die Hagener lieben ihr Theater und haben sich in Fördervereinen vorgenommen, dem Theater unter die Arme zu greifen.
Im Zusammenhang mit dem Henze Projekt des Kulturhauptstadtjahres kamen wir zum ersten mal nach Hagen. Das Ballett Moliere stand auf dem Spielplan, wozu wir uns akkreditiert hatten. Während der Pressekonferenz ergab es sich, dass das Theater Hagen schon gerne den Komponisten Hans Werner Henze in Hagen gesehen hätte. Bescheiden wie man in Hagen ist, sprach man Henze nicht an ob er denn nicht zumindest einer der Hauptproben beiwohnen könnte. Immerhin war Moliere eine Neufassung und Henze hatte diese noch nie gesehen. Gesagt getan, wir wussten Hans Werner Henze in Gladbeck anzusprechen und ihn zu einem Besuch zu animieren. Alle Beteiligten waren hoch erfreut über den Besuch von Hans Werner Henze und es brachte einen Motivationsschub ins Theater Hagen. So sollte es sein. Moliere war ein wirklich bezaubernder und für uns überraschender Ballettabend. Wobei wir von der Leistung der Ballettcompagnie sehr begeistert waren.
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Warum also so bescheiden? Aber wir wurden von Hagen ja noch mehr überrascht.
Mit dem Tanztheater "Zäune" brachte Hagen etwas, was sicher landesweit beachtlich ist.
Innerhalb von 14 Tagen brachte der Regisseur Werner Hahn und die Choreografin Diana Ivancic drei Schulklassen dazu ein komplettes Stück zur Aufführung zu bringen. Das besondere daran, es war eine Schule aus Israel mit jüdischen Glauben, eine Schule aus Berlin mit christlichen Glauben und eine Schule aus Hagen mit moslemischen Glauben. Die drei Schulen kannten sich vorher nicht und wussten trotz der bekannten Vorurteile zueinander zu finden. Die SchülerInnen gingen freundlich miteinander um, ja, es entstanden sogar Freundschaften über die Religionsgrenzen hinweg. Das Zusammenspiel der Schüler während der Premiere konnte man getrost als professionell bezeichnen. Und das bei einer Probenzeit von nur 14 Tagen. Eine hervorragende Leistung. Aber, und das muss man sagen, dass Stück selber muss man pädagogisch als sehr wertvoll einordnen. Die drei Weltreligionen können es doch miteinander, wenn sie eine gemeinsame Zielrichtung haben. Die religiöse Identität wurde hier keinem genommen, Toleranz war das Zauberwort, was letztendlich auch zu einem vorherrschenden Vertrauen führte. Warum also so bescheiden? Das ist Kulturarbeit vom Feinsten.
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Foto:© Linde Arndt |
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Aber das ist ja noch nicht alles was uns die Hagener zu bieten hatten. Da wurden Kinder der Schulen animiert sich für ihr weihnachtliches Märchenstück ein Plakat einfallen zu lassen. Die Gewinner dieses Plakatwettbewerbs waren ganz schön stolz als sie ihr Siegesplakat präsentierten.
Warum also so bescheiden? Westfälische Bescheidenheit?
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Foto:© Linde Arndt |
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Und weiter geht es mit dem außergewöhnlichen Theater Hagen.
"HaGenial" heißt das neue Projekt welches angestoßen wurde. Der Initiator Johannes Maria Schatz hat sich mit dem Regisseur Thilo Borowczak zusammen getan um zum 100 jährigen Bestehen des Theater Hagens ein Stück zur Aufführung zu bringen welches so bundesweit noch nicht erarbeitet wurde. 5 Berufsschulen (heute nennt man das Berufskolleg) aus Hagen kommen zusammen um über Hagen, von Hagen und für Hagen ein Stück zur Aufführung zu bringen.
Premiere soll 2012 sein. Das Ganze geht vom Plot (Handlung), über das Libretto, die Musik, das Bühnenbild, die Kostüme bis zur Darstellung, alles von den Jugendlichen und durch die Jugendlichen dargestellt.
Gesang, Schauspielerei und Tanz muss durch die Jugendlichen erst erlernt und sodann auf die Bühne gebracht werden. Selbstredend stehen die Profis des Theater Hagens den Jugendlichen zur Seite. Es ist halt ein offenes Theater. Offen, wie eben eine Familie. Inhaltliche Vorgaben sind: Woher komme ich? Wer bin ich? Wohin möchte ich gehen? Es sollen aber nur die Rahmenbedingungen sein. Man möchte meinen, die alten Menschheitsfragen werden hier aufgegriffen und umgesetzt. Letztendlich soll daraus ein Musical werden. Allerdings besteht noch eine kleine Finanzierungslücke, die sicher durch einen Sponsor geschlossen werden kann. Denn diese Initiative wird ganz bestimmt landesweite Beachtung finden.
Warum denn so bescheiden? Das ist eine Theaterarbeit die das Theater der Bevölkerung nahe bringt. Quasi ein Theater zum Anfassen.
Sicher haben die Theater Bochum, Dortmund, Essen oder Duisburg eine größere Strahlkraft im Ruhrgebiet und in NRW. Aber ist es nicht so, dass sich eine überzeugende Leistung gleichberechtigt in die größeren Häuser einreihen kann? Die Leistung alleine in den vor beschriebenen Stücken steht in nichts den größeren Häusern nach.
Nein, Bescheidenheit ist ja ganz schön, aber in diesem Falle wäre Selbstbewusstsein und Selbstdarstellung sicherlich angebrachter.
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Hagen.