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En Atendant – die zweite Dunkelheit

[jpg] Man könnte es auch mit "auf das Ende wartend" übersetzten, also „En attendant la fin“. Die belgische Choreografin, Anne Teresa De Keersmaeker brachte im Rahmen der Ruhrtriennale 2012 mit ihrer Compagnie ROSAS in der Jahrhunderthalle Bochum ihr Stück „En Atendant“ am 24. August zur Premiere. Es scheint auf die „Zweite Dunkelheit“ in Europa abzuzielen. Die Zeit in Europa, in der die Pest 1/3 der europäischen Bevölkerung tötete, in der Zeit als der hundertjährige Krieg (Erbfolgekrieg) wütete und als Clemens VII in Cesena 4.000 Bürger massakrierte. Und die Zeit der Gegenpäpste, in der in d´Avignon der Mittelpunkt der römisch katholischen Kirche war. Also die Zeit des 14. und 15. Jahrhunderts. Dies alles deshalb weil  Anne Teresa De Keersmaeker die Ars Subtilior als musikalische Grundlage benutzte.

En Atendant ist ein zeitgenössisches Ballett, welches den neuen französischen Tanzstil markiert, er leitet sich ab vom Tanztheater einer Pina Bausch und eines Alwin Nikolais.
Die Bühne in der Jahrhunderthalle ist nackt und wird vorne durch eine rund 20 Meter lange und 5 cm dicke Wulstlinie aus Erde markiert. Sie verläuft rund 10 Meter vor dem beginnenden Parkett. Links und rechts unterhalb der Industriebauten in der Halle herrscht vollkommene Dunkelheit. Im vorderen Bereich, in etwa 20 Meter Entfernung, scheint durch die großen Fenster das restliche Tageslicht in die Halle. Unterhalb der Fenster befinden sich Öffnungen durch die Luft herein strömt. Rechts vorne ist eine Bank aufgebaut. Ansonsten ist die Bühne leer.

   

 

Ein Musiker tritt mit einer Querflöte auf. Er steht vor dem Publikum, vor der Wulstlinie. Ein zuerst leichtes Rauschen aus der Flöte, leicht anschwellend eindringlich warnend erklingt und dies ohne Unterbrechung fast 10 Minuten lang. Eine Sängerin mit einer Musikerin die eine mittelalterlichen Geige mitführt  und ein Musiker der eine mittelalterliche Flöte spielen wird erscheinen. Die Sängerin mit einem zuerst eindringlich rufenden Ton, wie bei einem Lamento. Die Tänzerinnen und Tänzer treten zunächst einzelnd auf, es folgt sodann die Compagnie. Während die Sängerin ihre Geschichte singt, tanzt die Compagnie. Es ist ein Tanz voller Energie, der aufbegehrt und doch letztendlich sich selber, den Menschen zerstören wird, man ahnt es. Die Dämmerung, das diffuse Licht die schwarzen Kostüme der Tänzer lassen einen Kampf erkennen, den niemand gewinnen kann. Ein Aufbegehren des Einzelnen, ein Schutz suchen in der Gruppe. Depressive Phasen lassen die Verzweiflung erkennen. Es gibt keine Rettung mehr. Oder doch? Die Nacht als die Schwester des Todes, sie bringt die Zeit die nötig ist. Wofür? Zu entscheiden zwischen Leben und Tod. Keuchend, stöhnend, stampfend und auch schwingend wird das Band (Wulstlinie) zerrissen, Erde zerstiebt in alle Richtungen.Nichts wird nach dieser Nacht so sein wie es einmal war. Das gegenseitige Halten bringt nur weitere Schmerzen und Nöte, die letztendlich nur zu dem Einen führen, dem einen Tod der alle und alles auslöscht.

Die Musiker haben die Szene verlassen, nichts gibt es mehr zu berichten, worüber sollen wir  uns unterhalten. Die Tänzer verlassen die Szene und verschwinden in die Nacht.

Nacktheit, ohne dem was uns ausmacht, führt es uns dahin wo wir herkamen – ins Nichts. Der Mensch tritt nackt ohne alles ab. Dunkelheit ist über der Szene, der Tod hat alle geholt.

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Anne Teresa De Keersmaeker hat mit en atendant ein Werk geschaffen welches in seiner Dramatik kaum zu überbieten ist. Die von der Compagnie getanzten Botschaften reißen den Betrachter  in den eigenen Gefühlen hin und her. Depression wechselt mit Aggression, Hoffnungslosigkeit überfällt einen, die nur durch die schöne, mit Todesahnungen durchzogene Tanzlandschaft, kaschiert wird. Es sind sehr schwierige Einzelbewegungen, die in Bewegungen der Gesamtgruppe münden. Die Gruppe vollbringt dabei intuitive Gesamtbewegungen die manchmal in eine lebende Skulptur münden. Dann ein mehr beschwingter tänzerischer „danse des troi“, in  der drei Tänzer wie an einem unsichtbarem Band über die Bühne tanzen. Es ist „erschreckend“ wunderbares modernes Tanztheater welches einen über die gesamte Zeit nicht los lässt.
Als die Nacht zu Ende ist, musste man erst einmal Atem holen, so überwältigend war dieses Stück.

Wenn man sich die geschichtlichen Hintergründe ansieht, sieht man die vielfältigen politischen und sozialen Verwerfungen, denen Europa damals ausgesetzt war. Und wenn wir den Begriff der zweiten Dunkelheit an die zweite Pestpandemiewelle  heften, ergibt das die Analogie des Werkes von Anne Teresa De Keersmaeker.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Bochum
 [Fotos: © Linde Arndt]

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Choreografie — Anne Teresa De Keersmaeker
Bühne — Michel François
Kostüme — Anne-Catherine Kunz
Garderobe — Emma Zune

 — Ensemble Cour et Coeur:
Musikalische Leitung und Aufnahmen — Bart Coen
Geige — An Van Laethem
Gesang — Els Van Laethem,, Annelies Van Gramberen
Flöte — Michael Schmid
Sound — Vanessa Court, Alexandre Fostier, Juliette Wion
Technik — Bert van Dyke

Tänzer:

  • Bostjan Antoncic,
  • Carlos Garbin,
  • Cynthia Loemij,
  • Mark Lorimer,
  • Mikael Marklund,
  • Chrysa Parkinson,
  • Sandy Williams,
  • Sue-Yeon Youn

Das Nichts erfahrbar zu machen -„Element X“

[jpg] Als ich bei den Buddhisten in Düsseldorf das Meditieren erlernen wollte, kam ich in eine Diskussionsrunde, in der japanische Zen Mönche mit Christen über die japanische
und europäische Philosophie diskutierten. Was mich damals faszinierte war die Bedeutung des "Nichts" in der japanischen als auch asiatischen Philosophie.
Dieses Nichts ist ein Zustand den ein Mensch erreichen kann, wenn er in absoluter Vergeistigung verharrt. Alle Dinge, Gefühle, Erfahrungen fallen von ihm ab und er ist "nur" er selbst, eben der Urzustand seiner Gattung als sie geschaffen wurde. Es ist nicht der Nihilismus europäischer Prägung, wie etwa bei Nietsche oder Heidegger beschrieben, er, der europäische Nihilismus ist nur die Verneinung. Das Nichts der asiatischen Philosophie ist ein Endzustand auf dem Weg zur Menschwerdung, er ist quasi die Krönung des zu Ereichenden. Damals hatte ich erfahren, wie viele Gespräche notwendig sind um einander zu verstehen und sogar eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Die damaligen Diskussionen wurden nach zwei Jahren eingestellt, die Teilnehmer dieser Runde hatten erkannt, dass es andere Formen der Kommunikation bedurfte um zu einem Miteinander zu kommen. Was wir erreicht haben, wir waren uns nicht mehr fremd und hatten eine gewisse menschliche Nähe entwickelt.

An diese Erfahrung dachte ich als ich am 24.4.2010 nach Dortmund ins Harenberg City Center eingeladen wurde um der Premiere des Tanzabends "Element X" nach der Choreographie von Xin Peng Wang und der Idee, Konzeption und dem Szenario von Christian Baier beizuwohnen. Element X ist aber auch Bestandteil des Henze Projekts der Ruhr 2010.

Das Dortmunder Ballett wurde begleitet von Hans-Werner Huppertz mit der Gitarre sowie der Musik von Hans-Werner Henze der bekannte Stücke der Klassik und Pop Musik neu interpretiert hatte und multimedial in den Abend einfließen ließ.

Selbstredend, dass in solch einem Haus kein Orchester Platz finden konnte, sondern nur der Gitarist Huppertz konzertant anwesend war.

 

  Das Publikum fand sich in der Eingangshalle in kleinen zufälligen Gruppen ein, kein Zeichen wann die Aufführung beginnen sollte.

Keine Plätze,  die Positionen waren zufällig durch den Einzelnen eingenommen worden. Freundlich lächelnd tauschte man gerade noch Gedanken aus, als eine Vierergruppe in schwarz gekleidet und weiß geschminkt, also gesichtslos würdevoll und ruhig den Raum betrat.

Sie fixierten den einzelnen Besucher mit ihren Augen, suchten ihn und mischten sich sodann unter die Menge.

Aufgeregt liefen sie durch die nun teilweise freien Räume, die Besucher wichen zurück. Es waren die Spiegel unserer täglichen Handlungen in denen wir uns so wichtig nehmen und die doch so leer sind. Irritationen breiteten sich aus. Sie nehmen uns auf mit unseren Gedanken, Gefühlen und Wünschen. Sie sind das fünfte Element, der Äther oder die Leere, nicht sichtbar und fassbar, die gefüllt werden muss und doch immer unter uns ist. Musik erklingt, die Kompagnie tritt auf – die Vorstellung. Da löst sich ein Tänzer, steigt in den Aufzug und entschwindet gestikulierend und kommt zurück. Was hat er gesehen, was entdeckt?

  Ortswechsel. Wir werden in den Amphisaal gelockt. Dort das klassische Romeo und Julia Ballet, nach der Musik, Royal Winter Music Nr.2, von Henze. Nur wo ist Julia? Wird etwa Julia unter uns sein? Nein.

Pantomimisch sucht der Solist sein Gegenstück oder das was er dafür hält. Er ist alleine. Die Musik "Echo-Canzone und Ciaconna" von Cazzati lässt ein Gefühl der Sehnsucht aufkommen. Ortswechsel. Es ist noch nicht gefunden was wir suchen.

Ist es denn  hier? Was suchen wir überhaupt? Die TänzerInnen sind wie kleine Geister, geduldig und nicht belehrend. Vertrauen entsteht. Sie zeigen uns die Grenzen der Räumlichkeiten auf, sie machen erst Räume erfahrbar. Flure, Treppen und Freiflächen, die wir so nie wahrnehmen und doch immer durchschreiten. Sie sind öffentlich, für jeden begehbar, weit, um Massen von Menschen durchzulassen. Eine Episode am Wegesrand wird nur außerhalb des Sichtfeldes erfasst, stört uns aber nicht in unserer Suche. Suche nach was? Und immer weiter geht es. Geduldig führt man uns. Der Aufzug bringt uns in die oberen Stockwerke, 18 Stockwerke hat das Harenberg-City-Center. Ein enges Zimmer, tausendfach gibt es diese Zimmer, standardisierte 10 qm. Oder mehr? Eine Schale mit Sand, ein Tisch, Licht und ein Panoramablick auf Dortmund. Ist es das was wir suchen, den Raum außerhalb? Henzes second Sonata aus seiner Royal Winter Music untermalt die Szene mit der Gitarre. Gespannt hören wir und ertragen die Enge.

Die Zeit rinnt dabei durch die Hände. Unsere Zeit? Die ach so kostbar und mit der wir doch nicht so recht was anfangen können. Es sind immer wieder die gleichen Dinge die wir Tag für Tag machen, eine endlos Schleife.

Wer programmierte uns nur? If else ohne Variable. Selbst die Gefühle sind standardisiert, die Begrüßung durch Umarmung geübt und angewendet. Was ist eigentlich Leben? Was ist Liebe? Nur Begriffe ohne Bedeutung, inhaltsleer? Der Sand rinnt weiter, hinter dem Gitaristen steht sie. Wer ist das? Wie eine Wächterin, mahnend. Bedenke! Die Zeit ist um, wir müssen weiter.

Stillstand ist bei uns nicht vorgesehen – nicht programmiert. Und doch kommen wir nicht weiter.
Die Endlosschleifen durchbrechen – die Autonomie über das Handeln wieder erlangen. Andere Inhalte. Räume überspringen um in Räume zu gelangen die unser Sein wieder mit Sinn erfüllt.

 

Auf der Brücke, dazwischen, Schreie des Schmerzes und der Lust, die keine Lust ist. LaBarbara Songs 1-10 ertönen. Das suchen und nicht finden hört nicht auf. Ermattung breitet sich aus. Die Besucher sind nun über das ganze Gebäude verteilt, Verharren auf allen Etagen und verfolgen gebannt das Geschehen im Foyer. Auf den Galerien und Brücken erwarten wir nun die Botschaft, schmerzhaft haben wir es gesehen, was fehlte. Ist die Suche nun beendet? Nein!
Die Suche ist dann beendet wenn wir das Fehlende benennen können und uns wieder mit ihm verbinden. Henzes Royal Winter Music ertönt wieder im Foyer. Dort wo Romeo jetzt seine Julia findet. Sie ist es die das Fehlende besitzt, es ist in ihr wie in uns allen, das eigene Ich welches ungezwungen und frei agieren kann und sollte. Dieses Ich, welches ein wahres Füllhorn ist, so man es frei lässt. Dieses Ich kann lächeln, lächeln das man auch lächeln nennen kann. Dieses geheimnisvolle Lächeln, welches uns zu dem führt was uns Halt gibt, was unseren Handlungen einen Sinn gibt, der universellen Liebe.

Und da kommen wir wieder zurück zu dieser eingangs genannten Diskussion. Es gab eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden Gruppen, den Christen als auch den Buddhisten. Bei den Buddhisten gibt es eine Buddhaschaft die in jedem von uns ist, man muss sich nur von den anhaftenden Dingen lösen.
 Die Christen haben eine Analogie indem sie dem Menschen das Göttliche zuschreiben, welches in jedem ist. Denn dadurch das nach der christlichen Lehre Gott den Menschen geschaffen hat ist er in ihm auch vorhanden.
 

 Nur der Mensch muss diese Eigenschaft auch zulassen. Er ist es der sich gegen sich selber stellt und verwirrt durch die Räume geht, immer auf der Suche. Warum sucht er nur? Hat er es nicht erfasst, dass er alles in sich hat? Muss er erst seinen Mitmenschen fragen um zu erkennen? Erfährt er es dann, so ist es für ihn nicht glaubhaft. Die Suche geht weiter. If else ohne Variable. Die Folge: Absturz.
Wir haben ein Ballett der Berührungen erlebt, was unser Seele berührt hat, zärtlich und manchmal etwas fordernd. Es war ein Dialog der in eine Interaktion mündete, staunend haben wir unsere Gegebenheiten erkannt, die ach so einfach aber auch so schwer auf unseren Erwartungen lasten. Es fällt uns schwer uns dem zu öffnen, was uns gut tut. So werden wir weiter hasten zu unserem nächsten Leid, welches uns niemals befriedigen kann.

Das Schlußbild im Pas de deux  geht mir nicht aus dem Kopf, wo das Paar sich nur imitiert aber nicht annähern kann. Wo die bewegungslose Seele des Tänzers ihre Wünsche artikuliert, welche in dem Tanz der Tänzerin ausgedrückt wird. Er, der Tänzer kann seine Seele jedoch nicht fassen und gibt verzweifelt auf.

Deshalb: Geben Sie niemals auf.

Info:

Weitere Termine:

2. und 13. Mai,
5. Juni,
2. und 3. Juli

Karten gibt es unter den Telefonnummern:

Service-Telefon 0231/90 56-166
Theater-Hotline 0231/5027-222

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Dortmund

Fotos: Björn Hickmann, Stage Picture, Linde Arndt, EN-Mosaik

Bilder der Gallery  Björn Hickmann, Stage Picture,

Liebevolle Netze, die immer wieder neu geknüpft werden

[jpg] Ach, könnte das in allen gesellschaftlichen Bereichen so sein. Dieses gegenseitige Befruchten und von einander lernen, Freude an den Leistungen des Anderen zu haben. Wo das Fremde etwas Vertrautes ist, was man nicht missen möchte – es ist das zweite Ich.

So fiel am 12.4.2010 der Startschuss für die "SCENE UNGARN IN NRW" zum 10.mal. Alle 2 Jahre stellt sich die ungarische Kultur in NRW vor, so dass man sehen kann wie sich die nunmehr Freunde entwickelt haben. 187 Veranstaltungen in 14 Städten mit mehr als 100 Künstlern sollen es werden. Ungarische Musik, Theater, Tanz, Literatur, Film und bildende Kunst werden NRW und das Ruhrgebiet reicher machen. Eingebettet sind unsere Gäste auch in das Kulturhauptstadtjahr 2010, Ruhr 2010. Die Eröffnung fand im Operhaus Dortmund statt und wurde von der deutsch ungarischen Gesellschaft organisiert, wobei der Ministerpräsident des Landes NRW diese Veranstaltungen fördert.

EröffnungsrednerInnen:
 

            
   Birgit Jörder  Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff    János Can Togay

Birgit Jörder, Bürgermeisterin der Stadt Dortmund
Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, Kulturstaatssekretär beim Ministerpräsidenten von NRW
János Can Togay, Direktor des Collegium Hungaricum, Berlin
                              Botschaftsrat der ungarischen Botschaft, Berlin

Bürgermeisterin Jörder betonte die in vielen Städten NRW vernetzte Kulturarbeit, die die internationale Kultur einbezieht. Dieses Treffen geht auf eine Idee der Stadt Dortmund aus dem Jahre 1987 zurück, dem sich inzwischen andere Städte NRW angeschlossen haben. Das besonders entspannte aber auch freundschaftliche Verhältnis zu Ungarn kommt dadurch zum Ausdruck, dass der Wunsch seine Erfüllung findet immer mehr von dem Anderen zu erfahren.

Kulturstaatssekretär Grosse-Brockhoff unterstrich, dass die Beteiligung noch nie so groß war wie in diesem Jahr. Er erinnerte daran, dass es der ungarische Außenminister Horn war, der den eisernen Vorhang zerschnitten hatte. Neben der Metropole Ruhr und Istanbul ist auch das ungarische Pécs europäische Kulturhauptstadt. In dieser Reihe werden für ihn der hohe künstlerische Standard und das kreative Potenzial Ungarn  sichtbar. Kulturarbeit unterliegt in der Landesregierung nicht einer Kürzung, damit soll die Wichtigkeit dieses Ressorts betont werden. Auch die Städte, denn nur mit diesen ist gute Kulturarbeit möglich, sollten sich nicht dazu hinreißen lassen Kulturarbeit zu kürzen.

Der ungarische Botschaftsrat János Can Togay, der selber ein anerkannter internationaler Kulturschaffender ist, drückte zu erst sein Beileid und das seines Volkes zum Tode des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski aus. Die besonderen innigen Beziehungen zu Polen machten diese Beileidsbekundung notwendig.
In diesem Jahr sind besondere Programme und Veranstaltungen geplant, die die kompromisslose, innovative und aufrüttelnde schöne ungarische Gegenwartskultur zeigen wird. Die Geschichte Ungarns seit dem 1. Weltkrieg hat dem Land viel Kraft und Energie abverlangt, die einen Transformationsprozess erforderte der dem des heutigen Ruhrgebietes ähnelt. Diese Spannungsverhältnisse und dynamischen Prozesse wurden immer wieder in einem gegenseitigen Austausch und Dialog mit NRW reflektiert. Beide konnten dabei von den Erfahrungen des Anderen profitieren. Ungarn durchlebt heute eine Rückbesinnung auf seine Wurzeln, um daraus eine moderne Identität zu erlangen. Das die internationale Finanzkrise diese dynamischen Prozesse in Ungarn verlangsamt hat, soll hier nicht unerwähnt bleiben. Auch Ungarn durchlebt, ebenso wie andere Staaten, eine tiefgreifende Krise. Trotz allem oder gerade deswegen, bietet Ungarn heute international anerkannte Künstler, die das Beste des Landes darstellen, den Auftritt in NRW. Kultur ist ein gesellschaftlicher Faktor in Ungarn, der hilft die Zukunft des Landes zu verbessern.  Das Interesse an der Kultur und damit auch der Kunst stellt eine gegenseitige Bereicherung dar, die Europa als gemeinsamen Kulturraum erlebbar macht.

So konnte man die Worte Togays durch die Aufführung des "Hungarian State Folk Ensemle"  mit ihrer Tanzperformance "Labyrinth" bestätigt bekommen.

Zu Grunde dieser Tanzperformance lagen die umfangreichen Sammlungen volkstümlicher, ungarischen Werke, die seinerzeit Bela Bartok sammelte um die Reichhaltigkeit Ungarns im Lied- und Erzählgut zu dokumentieren. Diese Werke wurden variiert  und neu interpretiert, dienten dem Tanztheater als Basis.

Durch leises Flüstern, mehr ein Wispern, machten sich diffuse Figuren im Dunklen bemerkbar. Disharmonische Klänge untermalten die Bewegungen im Halbdunkeln. Ein Dialog über Distanzen entstand kaum wahrnehmbar.

Dann entstand das Licht, grell und die Akteure kamen. Die Kompanie ganz in schwarz wobei sich paarweise Akteure in grauen mit roten Streifen versehenen Kostümen  unter sie mischten. Orientierungslos versuchte man  bestimmte Haltepunkte zu erlangen, was aber nicht gelang. Es entstand eine Sogwirkung, die den Betrachter zwang sich in die Handlung einzubringen. Eine "Zigeunerband" bestehend aus den typischen Instrumenten Geige, Cello, Kontrabass und Klarinette, betrat ab und an die Bühne, begleitete die Kompanie und verschwand wieder, mal im Vordergrund, dann wieder im Hintergrund.

      

Schnelle Wechsel der Szenen die durch Gesangsvorträge nur kurz unterbrochen wurden. Wie zufällig bildeten sich die Tanzformationen die sich mal in schnellem Rhythmus, dann wieder im normalen Paartanz  trafen. Trennung und Bindung ergaben sich wie zufällig und doch gewollt. Dann zwei weiße angestrahlte quadratische Areale in welchen sich das grau/rote Paar zum Vortrag begab. Sehnsucht kam durch die Stimmen und die Bewegungen auf. Ein aufeinander zu Bewegen über das Dunkle in des Anderen Feld, sich finden wollen und doch wieder trennen müssen. Ruhig und erhaben trat die Kompanie ab. Pause und dunkle Bühne. Licht. Es wurden nunmehr seitwärts Sprechgesänge vorgetragen, fordernde, klagende oder lamentierende. Man brauchte keine Sprachkenntnisse um zu erfühlen, es ist eine emotionale Krise. Stille. Dann die Kompanie, immer wieder in weiten schwarzen Mänteln mit Led Leuchten versehen, mit den Bewegungen schwingend, nun ergänzt durch mehrere grau/rot gekleidete Paar. Die Led Leuchten verstärkten die Bewegungen im Dunkeln, Gedankenblitze gleich wurden sie auf der Bühne wahrgenommen.

Die Musik wechselnd von  schnell bis langsam theatralisch, mal harmonisch kurze Melodien mit einem scheinbaren Erkennungswert, die sich  mit einem Stakkato von Disharmonien abwechselten, welche  eine ungeheurere Dynamik der Tänze erforderten. Schnelle detailversessene Schrittfolgen wechselten ab mit einer Ideenfülle, die choreographisch den Atem stocken ließ. Gebannt sah man sich selber in der Szene und hatte niemals Zeit der Ruhe. Mitgerissen wurde der Betrachter. Irgendwie konnte man die teilweise leidvolle Geschichte Ungarns in diesem Stück erkennen, wobei der Fall des eisernen Vorhangs eine weitere ungeheuere Orientierung auslöste.

Es war eine packende und spannende Geschichte die dieses Tanztheater erzählte, gefüllt mit ungarischer Folklore, die modern vermittelt  wurde. Die Choreographie, die von Csaba Horváth, Péter Gerzson und Gabór Mihály geschrieben wurde, hatte die Tradition neu aufbereitet. Lásló Sáry schrieb die Musik auf der Basis der umfangreichen Bartok Sammlung. Es war eine unterhaltende und sehenswerte Aufführung die eine Bereicherung und ein Highlight in der NRW Kultur darstellte. Minutenlanger Applaus des Publikums war der Dank an die Künstler. Danke Ungarn.

Die Veranstaltungen gehen noch bis zum Juni 2010 und werden in 14 Städten von NRW zu sehen sein.
Lernen Sie das Andere in sich kennen.
 
Der Flyer hierzu: scene_ungarn_flyer.pdf
Das Programm hierzu, nur Text: scene_ungarn_program.pdf

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Dortmund

 

Nachtrag: An dieser Stelle möchten wir uns noch ausdrücklich bei Magdolna Wiebe, Leiterin der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft, für ihre aufmerksame Pressebetreuung bedanken.

 


Alle Fotos in diesem Beitrag –  Copyright Linde Arndt