Die Ruhrfestspiele im 70. Jahr – eine Bilanz
[jpg] Die Ruhrfestspiele in Recklinghausen haben ihren festen Platz der großen europäischen Festspiele. Das Edinburgh international Festival, das Festival d’Avignon steht in einer Reihe mit dem Ruhrfestival Recklinghausen. Zum 70. Jubiläumjahr kamen die ehemaligen Intendanten mit eigenen Produktionen. Hansgünther Heyme, inszenierte „Am Rand“ von Sedef Ecer oder Frank Castorf inszenierte „Die Kabale der Scheinheiligen, das Leben des Herrn Molière“ von Michael Bulgakow was sehr gut ankam.
Intendant Dr.Frank Hoffmann bewies ein feines und sensibles Händchen in der Auswahl der Stücke in einem Jahr in dem das Mittelmeer (Mare Nostrum) zum namenlosen Massengrab tausender Kriegsflüchtlinge wurde. Der Wahnsinn des Krieges über ehemals friedliche Länder kam, wo Menschen mit ihrer Hände Arbeit sich und ihre Familie nicht mehr ernähren können.
„ Was ist das für ein Gott, der für sich muss kämpfen lassen?“ Ein Satz aus Nathan der Weise, ein Meisterwerk von Lessing. In der heutigen Zeit einen interkulturellen Dialog zwischen Christentum, Islam und Judentum mit Vernunft auf der Basis unserer humanen Werte zu fordern, scheint nur wie ein Märchen in der augenblicklichen Zeit. Trotzdem, Andreas Kriegenburg inszenierte mit dem Deutschen Theater Berlin ein Stück welches voller Humor und verspielt die heutigen Konflikte spiegelte.
Oder die „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq, Regie: Karin Beier, Deutsches Schauspielhaus Hamburg. Edgar Selge las etwa 2 Stunden dieses Meisterwerk, was bei Herausgabe einen gesellschaftlichen Aufschrei nach sich zog. Aber sind es nicht die Angstphantasien, die die westlichen Gesellschaften vielfach in Schockstarre versetzen?
Die Inszenierung von Christian Stückl (endlich wieder) mit dem Burgtheater Wien, Carlo Goldonis „Diener zweier Herren“ Ein Diener der nicht genug verdient um sich zu ernähren muss sich einen zweiten Job suchen. Na klingelts?
Dr. Frank Hoffmann inszenierte nach Calderon und Paolini „Das Leben ein Traum“. Aktuell werden wahnhafte Wachstumsfantasien wieder gegeben, allerdings mit der vordergründig vermeintlichen progressiven Verbesserung der Gesellschaft. Dr. Frank Hoffmann lässt die Träumenden neu erzählen indem er sie zu einem Dialog zwischen Calderon und Pasolini entführt.
Frank Hoffman hat die Ruhrfestspiele ´16 in die heutige Zeit fest und donnernd in den Boden gerammt, er hat der Kunst damit Mut gemacht, Kunst als gesellschaftliches Spiegelbild zu zeigen, manchmal codiert und manchmal ganz offen und revolutionär. Die Festivalkunst in Recklinghausen ehrt das deutsche Festival in Recklinghausen als einzigartig und kann sich stolz neben den großen Festivals in Edinburgh, Schottland oder d’Avignon, Frankreich sehen lassen. Einmal mehr zeigen die Ruhrfestspiele in Recklinghausen den Gedanken des Festspiels für alle und nicht wie in Bayreuth für eine elitäre Schicht, die der Kunst am liebsten den Atem nehmen würden.
Die Ruhrfestspiele haben aber bewiesen und beweisen es Jahr für Jahr, dass anspruchsvolle Inszenierungen, ich denke an Elfriede Jellineks „Schutzbefohlenen“ von Aischylos, ein breites Publikum erreichten. Das Schauspiel Leipzig provoziert den notwendigen gesellschaftlichen Wertediskurs, der die europäische Schande darstellt, die sich durch das vergiftete Klima in Europa im Kontext der Kriegsflüchtlingskrise zeigt.
Eines zeigt sich auch ganz deutlich durch das aktuelle und vielseitige Programm, es ist ein Hunger nach Sprache, nach dem Wort welches klar und deutlich benennt und nicht verbirgt. Das Leben kann so vieles sein. Die Ruhrfestspiele vertreiben mit roher Gewalt, und das ist gut so, dieses ewige einschläfernde Schwarz/Weiß Denken welches der Gesellschaft vorgegeben wird. Nicht einschläfernd oder gleichmachen wollen die Ruhrfestspiele sein, sondern ermunternd, ermutigend, bunt und vielfältig und manchmal laut.
„Wir hatten viele Erwachsende die mit ihren Kindern ins Theater kamen“, so Dr. Frank Hoffmann freudig. „Und noch etwas Statistik: 80.610 Besucher haben wir in diesem Jahr gezählt und damit sind wir wieder über die 80 tausender Marke gesprungen.“ Eine Auslastung von über 80% konnte Dr. Frank Hoffmann bilanzieren. Einen zufriedeneren Intendanten findet man zur Zeit in deutschen Landen wohl kaum.
Und noch etwas fiel aus dem Rahmen. Die Urauführung von Tankred Dorsts „Blau in der Wand“, ein Alterswerk; es handelt vom Zerfall des menschlichen Lebens im Alter, wobei der Tod in unsere Vorstellungen einzieht. Dem Stück wurde herzlichster Applaus zugedacht und dem, immerhin, schon über 90 Jahre alten Tankred Dorst half Intendant Dr. Frank Hoffmann auf die Bühne damit er seinen Applaus entgegennehmen konnte. Das möchte ich extra würdigen in einer Zeit wo solche Gesten unter Kosteneinsparungen gestrichen werden – bravo.
Bleibt eine Frage die uns Dr. Frank Hoffmann noch beantwortete: Warum solche Festspiele, warum reicht das ganz normale Stadttheater nicht aus? Die Festspiele geben die Impulse, die die Stadttheater benötigen um in neuen künstlerischen Räumen ihre Inszenierungen umzusetzen.
Festspiele sind nicht der Alltag oder die Einfalt, Festspiele sind die hohen Feiertage der Kultur und Kunst und zeigen die Vielfalt und Kreativität der Kultur und damit der Kunst.
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Recklinghausen