Britische Verhältnisse in Schwelm – demokratische Kultur perdue
![Ratssitzung 30.06.2016 Schwelm Foto: (c) Linde Arndt](http://en-mosaik.de/wp-content/uploads/2016/07/rat1.jpg)
Ratssitzung 30.06.2016 Schwelm Foto: (c) Linde Arndt
Der Hintergrund
[jpg] Worum geht es in Schwelm noch einmal? Es geht um ein neues Rathaus indem alles unter einem Dach vereint ist. Da ist die Verwaltung, die Musikschule oder die Stadtbücherei die dem Schwelmer jetzt in einem Gebäude ihr Dienste anbieten sollen. Durch die Musikschule und die Stadtbücherei hätte das neue Rathaus einen größeren Publikumsverkehr in einem Gebäude. Außerdem würden durch Events die Öffnungszeiten des neuen Rathauses ausgeweitet. Ob das nun Lesungen, Buchvorstellungen oder Konzerte sind, sie alle brauchen Räumlichkeiten für Publikum und Personal. In der Diskussion standen letztendlich zwei Standorte, die GustavHeinemannSchule (GHS) und das derzeitige Grundstück auf dem die Verwaltungsgebäude II und III stehen. In weiteren Diskussionen wurde die Option GHS mit einem Bürgerbüro in der Innenstadt erweitert. Die Kosten der GHS wurden nur „oberflächlich“ durch die Firma Drees & Sommer nach der Verfügbarkeit der Daten kalkuliert. Das heißt, die Anforderungen an das neue Rathaus wurde von Seiten der Stadt nicht bis ins Detail aufgegeben. Man kann also die beiden Optionen des Rathausneubaus kostenmäßig nicht vergleichen. So kam denn auch der Rat am 5.11.2015 zum einstimmigen Beschluss:
Die Bürger und die Mitarbeiter der Stadtverwaltung werden in zwei Schritten in den weiteren Prozess eingebunden:
- Vor der Standortentscheidung bezüglich Neubau an der Moltkestraße oder Umbau der Gustav-Heinemann-Schule zum Rathaus
- Nach dem Standortbeschluss für die weitergehende Planung
Man beachte hierbei das Wort „Prozess eingebunden“. Schon hier wollte der Rat keine echte Mitbestimmung zulassen, lediglich eine Mitwirkung. Mitte Dezember im Rahmen einer Bürgerversammlung entschieden sich die Bürger und die städtischen Mitarbeiter für die Option des Rathausneubaus Moltkestraße/Schillerstraße. Die Bürgermeisterin ignorierte die Willensbekundungen der Bürgerversammlung und entschied sich für die GHS. In der Folge wurde die Bürgerinitiative „Unser Rathaus! Unsere Entscheidung! Unsere Zukunft!“ gegründet, die ein Bürgerbegehren nach § 26 GO NRW auf den Weg brachte. Die geforderten Unterschriften wurden durch die Initiative mit 3.138 Unterschriften übererfüllt. Da das Bürgerbegehren letztendlich im weiteren Prozedere, bei nicht beitreten des Rates, zu einem Bürgerentscheid mit ungewissem Ausgang führen konnte, griffen die Bürgermeisterin als auch der Fraktionsvorsitzende der CDU Oliver Flüshöh in die juristische „Trickkiste“. Beide griffen das Bürgerbegehren formaljuristisch an, indem sie sich auf ein bestelltes Gutachten des Städte- und Gemeindebundes NordrheinWestfalen e.V., welches Frau Dr.Cornelia Jäger Dezernat I angefertigt hatte, bezogen. Wenn das Bürgerbegehren nicht formaljuristisch angegriffen worden wäre, hätte der Stadtrat dem Bürgerbegehren beitreten können oder es ablehnen können. Dann wären die Schwelmer insgesamt an die Wahlurnen zur Abstimmung gerufen worden. Eine formaljuristische Ablehnung deutet immer auf eine Angst vor dem Wähler hin. So weit der Sachverhalt bis zur Ratssitzung vom 30. Juni 2016
Ratssitzung vom 30.Juni 2016, die Filibusterei und Wegfall der demokratischen Kultur
![Oliver Flüshöh [CDU] Foto: (c) Linde Arndt](http://en-mosaik.de/wp-content/uploads/2016/07/flueshoe.jpg)
Oliver Flüshöh [CDU] Foto: (c) Linde Arndt
![Viele interessierte Bürger waren zur Ratssitzung am 30.6.2016 gekommen. Foto: (c) Linde Arndt](http://en-mosaik.de/wp-content/uploads/2016/07/rat2.jpg)
Viele interessierte Bürger waren zur Ratssitzung am 30.6.2016 gekommen.
Foto: (c) Linde Arndt
Jaein. So hatte die SPD zur Sitzung den Antrag auf einen Ratsbürgerentscheid vorgelegt, der allerdings eine Zweidrittelmehrheit verlangt, was unrealistisch bei den bekannten Mehrheitsverhältnissen im Rat war. Letztendlich wurde dieser Antrag mit der Mehrheit der Allianz niedergestimmt. Während der Debatte, stellte Jürgen Feldmann (Die Linke) einen Antrag auf geheime Abstimmung, dadurch hätten die Gegner der Partei Allianz den Antrag „Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens“ ablehnen können. Aber auch dieser Antrag fand keine Mehrheit. Die politischen Kastraten der Allianz, Marcel Gießwein (Bündnis90/Die Grünen), Michael Schwunk (FDP), Jürgen Kranz (SWG jetzt FWE), Dr. Christian Bockelmann (BfS jetzt FWE) brachten noch nicht einmal im Ansatz ein Argument welches für einen vernünftigen und tragbaren Abschluss gesehen werden konnte. Im Gegenteil, Jürgen Kranz warf den Initiatoren bewusste Täuschung der Schwelmer vor, eine Projektion die auf die Allianz zurückfiel. Das war es aber auch schon an herausragenden Äußerungen. Jürgen Feldmann (Die Linke) und später Johanna Burbulla (Die Bürger) beantragten die Schließung der Rednerliste – es hatte keinen Zweck mehr. Es wäre allerdings ungerecht wenn man dieser Sitzung nichts abgewinnen könnte, was zumindest ansatzweise der Schwelmer Demokratie zur Ehre gereichte.
![Dr. Ilona Kryl Foto:(c) Linde Arndt](http://en-mosaik.de/wp-content/uploads/2016/07/kryl.jpg)
Dr. Ilona Kryl Foto:(c) Linde Arndt
Da ist die engagierte und emotionale Rede von Dr. Ilona Kryl, sie appellierte an den Stadtrat, frei vom parteipolitischen Taktieren zu entscheiden. Naiv? Ja, bei solchen Politikern, die ihr Gewissen an den Fraktionvorsitzenden abgeben, ist das vielleicht naiv. Und sie appellierte, das Rathaus im langfristigen Sinne zu betrachten, wonach jede Stadt seine Mitte mit einem Rathaus „schmückt“. Und weiter, wenn sie als Parteien nicht für ein Bürgerbegehren stimmen können, so unterlassen sie doch zumindest die juristischen Fehleinschätzungen, denn bei einer Klage verlieren wir alle in Schwelm.
Und dann war da noch Thorsten Kirschner (SPD), er analysierte das Gutachten der Stadtverwaltung indem er sich in die Rolle eines Verwaltungsrichters versetzte.
![Thorsten Kirschner [SPD] Foto: (c) Linde Arndt](http://en-mosaik.de/wp-content/uploads/2016/07/kirschner.jpg)
Thorsten Kirschner [SPD] Foto: (c) Linde Arndt
![Bürgermeisterin Gabriele Grollmann Foto: (c) Linde Arndt](http://en-mosaik.de/wp-content/uploads/2016/07/bm-grollmann.jpg)
Bürgermeisterin Gabriele Grollmann Foto: (c) Linde Arndt
Sie hat zumindest tatenlos zugesehen, dass das Tischtuch in Schwelm zerrissen wurde, ohne warnend einzugreifen. Vielleicht dachte sie aber auch über den Beschluss der versprochenen Teilhabe der Schwelmer nach „Vor der Standortentscheidung bezüglich Neubau an der Moltkestraße oder Umbau der GustavHeinemannSchule zum Rathaus“ Für die Zukunft wird sie sich sicher zurückhaltener äußern. Dabei wäre alles ziemlich einfach. Das Bürgerbegehren wäre durchgegangen, der Stadtrat hätte es ablehnen können, danach hätte die Stadtverwaltung einen Bürgerentscheid der Schwelmer organisiert. An das Ergebnis hätten sich alle halten können. Und der Frieden wäre gewahrt worden. Wie sagt Wilhelm Tell in Schillers gleichnamigen Drama dem Feldschützen Stüssi: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“
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Jürgen Gerhardt für ENMosaik aus Schwelm