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Die EU hilflos gegenüber den wirklichen Problemen

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Regierungssprecher Steffen Seibert Foto: (c) Linde Arndt

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Regierungssprecher Steffen Seibert
Foto: (c) Linde Arndt

[jpg] Es war gegen 3:00 Uhr am frühen Morgen als die Pressekonferenzen im Ratsgebäude abgehalten wurden. Die Regierungschefs in ihren Räumen und die Präsidenten im großen Pressesaal.

Vorher wurden aber schon Meldungen aus dem Ratssaal an die versammelte Journalistenschar per Twitter übermittelt. Alle wussten es war eine sehr hitzige Sitzung der Regierungschefs gewesen.

6 Stunden nahm allein das Thema Migration in Anspruch. Die Kommission unter Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wollte die Mittelmeerstaaten Italien, Griechenland oder Spanien entlasten, indem mittels fester Quotenregelung 40.000 Flüchtlinge auf die 28 Mitgliedsländer verteilt werden sollten. Es waren hauptsächlich die osteuropäischen Mitglieder die eine feste Regelung ablehnten und eine Regelung auf freiwilliger Basis forderten. Hitzige Debatten entstanden unter den Regierungschefs alle mit dem Ziel die Flüchtlinge abzuwehren. Auch die Seenotrettung im Mittelmeerraum wurde in Frage gestellt. Eine wie immer geartete Solidarität mit den Mittelmeerländern war nicht auszumachen.

Ministerpräsident Matteo Renzi      Foto: (c) Linde Arndt

Ministerpräsident Matteo Renzi Foto: (c) Linde Arndt

 

Ministerpräsident Matteo Renzi forderten jedoch eine Entlastung. Italien und Griechenland haben schon tausende Flüchtlinge aufgenommen wofür es weder Unterkünfte noch Beamte oder Polizeikräfte in hinreichender Zahl gibt um das weitere Prozedere gemäß Dublin III durchzuführen. „Wenn Ihr mit der Zahl von 40.000 nicht einverstanden seid, verdient Ihr es nicht, Europa genannt zu werden.“, so Matteo Renzi ziemlich lautstark. Für Renzi war klar, so konnte es nicht weiter gehen. Denn die mangelhafte Solidarität der EU Mitglieder brachte Italien dazu, die Flüchtlinge an Land zu bringen und sie teilweise ihrem Schicksal zu überlassen. Was dazu führte, dass die Flüchtlinge sich auf den Weg in den Norden Europas machen. Letztendlich werden die 40.000 Flüchtlinge unter den 28 EU Regierungschefs auf freiwillige Weise von den Ländern ersteigert.

Jedes einzelne Land meldet sich um die Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge registrieren zu lassen. Bei dieser Vorgehensweise kämen noch 20.000 mehr Flüchtlinge zustande, die von den Ländern aufgenommen werden sollen. Die Innenminister sollen bis zum 31.07.15 die Zahlen nennen, die ihre Länder bereit sind aufzunehmen. Ungarn und Bulgarien wurden dabei ausgenommen, sie hatten erhebliche Probleme mit der Migration. Kommissionspräsident Junker und Ratspräsident Tusk bestanden jedoch darauf, dass die Flüchtlinge gemäß der Dublin Kriterien registriert und erkennungsdienstlich behandelt werden und nicht direkt weiter ziehen dürfen. Von einer unwürdigen Veranstaltung sprach der belgischen Premierminister Charles Michel im Laufe der Sitzung.

Frieden? Nein, es standen ja noch mehr strittige Probleme auf der Agenda. Und im übrigen, was soll mit den Flüchtlingen passieren die in Europa schon längst rum geistern. Man schätzt rund 800.000 Flüchtlinge die unregistriert auf Bahnhöfen, Straßen oder Plätzen auf ihre Chance warten. Eine Unterkunft, eine Arbeit, einfach nur ein bisschen Ausruhen zu finden, wie es ein Flüchtling vor Calais sagte. Die EU stand hilflos vor diesem Problem, was voraussehbar war und das ihnen jetzt auf die Füße gefallen war.

Ein Problem geisterte jedoch durch alle Räume – Griechenland und der Grexit. Denn parallel tagten die Eurofinanzminister zum gefühlten hundertsten mal. Griechenland hatte in letzter Minute einen Reformvorschlag vorgelegt. Was den Journalisten zu Ohren kam, so wollten die Griechen höhere Steuern für Einkommen ab 50.000,– Euro beschließen und ab 500.000,– Euro sollten die Steuern überproportional steigen. Dies soll der IWF mit dem Grund abgelehnt haben die Unternehmen würden zu stark belastet werden und kein Wachstum erzeugt werden können. Zwei Tage vorher wurde jedoch der Vorwurf laut, die Griechen würden ihre reichen Bürger nicht ausreichend belasten. In den Verhandlungen wurden aber von den Instituten die Kürzungen von Renten zurück gezogen. Auch der Primärüberschuss (Das ist die Differenz im Haushalt zwischen Einnahmen und Ausgaben) fand nun eine Einigung, es sollten 0,93% sein. Das eigentliche Problem war jedoch der Schuldenschnitt. Griechenland wollte in den Vormonaten eine politische Diskussion und auch Regelung über die Schulden grundsätzlich. Danach hätten die Finanzminister jedoch andere Wege beschreiten müssen, wozu sie aber nicht bereit waren. Diese politische Diskussion gibt es schon eine ganze Zeit, sie ist aber noch nicht soweit, dass man einen Handlungsrahmen ableiten kann. Wie dem auch sei, es kamen nur ungeduldige und ablehnende Äußerungen von Seiten der Finanzminister, vorne weg der deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble, nach draußen. Überhaupt konnte man den Eindruck haben als wenn Wolfgang Schäuble einen persönlichen Kleinkrieg mit seinem Amtskollegen Yanis Varoufakis führte. Ok, die neue griechische Regierung hat eine andere politische Kultur, aber ist das ein Grund sie zu schneiden? Sie ist eine vom Volk gewählte Regierung und hat also den Respekt verdient, den demokratisch legitimierte Regierungen verdienen. Wegen fehlender Schlipse oder Hemden die nicht in den Hosen steckten, sollte man keine Missachtung konstruieren. Nun, am Donnerstag war noch alles im positiven möglich. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte das Angebot der Eurogruppe mit der Gläubigergruppe ein außergewöhnlich großzügiges Angebot, welches man nicht ausschlagen sollte.

Dieses Angebot muss aber wohl doch nicht so großzügig gewesen sein, wenn am Freitag, nachdem der Rat auseinander ging, Ministerpräsident Alexis Tsipras von Erpressung sprach.

Premier Alexis Tsipras  Foto: (c) Linde Arndt

Premier Alexis Tsipras Foto: (c) Linde Arndt

Schon in der Nacht auf Samstag verkündete Ministerpräsident Alexis Tsipras ein Referendum für den 5. Juli 2015 an. Am nächsten Tag wird das griechische Parlament mit 178 ja und 120 nein stimmen dem Referendum zustimmen.

Ministerpräsident Alexis Tsipras argumentiert, er habe von seinem Volk für solch einem Vertrag keine wie immer geartete Legitimation, also wolle er das griechische Volk über diesen Vertrag abstimmen lassen. Er würde diesen Vertrag nicht unterschreiben und das wolle er seinem Volk auch sagen. 2011 hatte der ehemalige Premierminister Papandreou schon einmal eine Volksabstimmung angedroht, sie wurde in letzter Minute verhindert.

Eurogruppenchef

Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem Foto: European Concil

Der Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem wird später auf seiner Pressekonferenz erklären, dass der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis die Beratungen abgebrochen hat und damit die Grundlage für einen neuen Vertrag nicht mehr gegeben sind. Was aber auch bedeutet, dass die Grundlage für ein Referandum in Griechenland nicht mehr gegeben ist. Denn über was sollen die Griechen den jetzt abstimmen, so Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem. Gleichzeitig wurde aber von allen Eurogruppenmitgliedern betont, dass die Türen zu weiteren Verhandlungen offen stehen. Allerdings, und das ist gelaufen, die Deadline 30. Juni 2015 ist damit gefallen; denn bei einer Einigung müssen noch die Parlamente sprechen.

Es waren ereignisreiche Tage und eine Schande für das europäische Haus. In vielerlei Hinsicht konnte man sich des Eindrucks einer morbiden Hilflosigkeit bei den Finanzministern aber auch den Regierungschefs nicht erwehren.

Diese Hilflosigkeit gipfelte darin, indem die Themen Sicherheitspolitik und Wachstum akribisch nach vorne gedrückt wurden.

Beschämend aber auch peinlich, wenn man eines bedenkt: Die EU ist die reichste Wirtschaftszone mit immerhin 500 Millionen Menschen. Und solche Probleme sind nicht für alle Beteiligten lösbar?

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik und european-mosaic aus Brüssel.

Totgesagte leben länger

Juncker  Foto: Linde Arndt

Jean-Claude Juncker Foto: Linde Arndt

[jpg] Die Europawahl ´14 ist vorbei. In Brüssel haben sich viele neue Abgeordnete eingefunden um sich, wie für Neuankömmlinge wichtig, mit ihren Daten registrieren zu lassen. Es gab die notwendigen Ausweise (Badges) mit denen der Zugang zu den Sitzungen garantiert ist. Es ist für jeden ein Kreuz den administrativen Teil in Brüssel hinter sich zu bringen. Muss aber sein; denn dahinter steht ein ausgeklügeltes Zugangs- und Sicherheitssystem.

Heute sind die Fraktionen und Ausschüsse gebildet und der „Pulverdampf“, der durch die Wahl von Jean-Claude Juncker zum Kommissionspräsidenten entstanden war, ist schon längst verflogen. Es ist aber nicht die einzige Personalie, die in Brüssel anstandt und noch ansteht. Bis Ende des Jahres muss ein neuer ständiger Präsident des Europäischen Rates von den Regierungschefs benannt werden, Herman Van Rompuy wird aufhören.

Federica Mogherini  Foto: Linde Arndt

Federica Mogherini Foto: Linde Arndt

Ebenso wird die „Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und Erste Vizepräsidentin der Europäischen Kommission“ Catherine Margaret Ashton ersetzt werden. Hier ist im Moment die derzeitige Außenministerin Italiens Federica Mogherini sehr gut im Rennen, wobei die französische Sozialistin Elisabeth Guigou mit großen Erfahrungen im Bereich Justiz, Wirtschaft und Außenbeziehungen ein Schwergewicht im diplomatischen Ring darstellt.

Helle  Foto: Linde Arndt

Helle Thorning-Schmidt
Foto: Linde Arndt

Die Position von Herman Van Rompuy wird sehr schwer zu besetzen sein, denn er muss die 28 sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten der europäischen Regierungschefs zusammen halten – die Fliehkräfte in dieser Gruppe sind sehr stark. Die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt wird derzeit auf den Fluren gehandelt. Geht aber nicht, wenn der Posten der Hohen Vertreterin wieder von einer Frau eingenommen wird. Zwei Frauen an der Spitze wäre für diese europäische Männerwelt zu viel. Die Spannung bleibt also.

Anders ist es mit den Kommissaren und Kommissarinnen, hier hatten die Regierungschefs vor der Wahl einen Bürokratieabbau versprochen. Denn die Kommission ist die größte Behörde. Sicherlich erinnert sich der eine oder andere Wähler an dieses Versprechen. Nur der Europäische Rat, also das Gremium der Staats- und Regierungschefs, der für die Ernennung der Kommissare zuständig ist, denkt nach der Wahl nicht an einen Bürokratieabbau. Es bleibt bei den 28 Kommissarinnen und Kommissaren mit allen ihren Kabinetten. Das Gedächtnis der Staats- und Regierungschefs hält nicht über die Wahl hinaus.

Ich denke, wichtiger ist erst einmal der Wechsel in der Ratspräsidentschaft. Griechenland hatte die Ratspräsidentschaft bis zum 30.Juni 2014 und Italien übernahm nahtlos am Folgetag in Straßburg. Der griechische Premierminister Andonis Samaras übergab denn auch mit einer Bilanz an den italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi.

Die Europawahl ´14 führte uns mit der erstmaligen „Direktwahl“ von Kommissionspräsident Jean Claude Juncker das Fortschreiten des europäischen Projektes vor Augen. Manchmal geht das europäische Projekt etwas langsamer aber in diesem Fall war es ein großer Schritt, so Samaras.

Samaras  Foto: Linde Arndt

Andonis Samaras Foto: Linde Arndt

Samaras bilanzierte denn auch das griechische Semester, welches zwar durch die Wahl etwas kürzer war als ein Semester, jedoch konnten viele Projekte zu einem guten Ende gebracht werden. 67 Rechtsakte und 15 legislative Fortschritte konnte das griechische Team bilanzieren. Dazu gehörte die Vertiefung der Währungsunio. Das Wachstum und die Beschäftigung konnte mit der Verabschiedung des Haushaltes einen Impuls an die gemeinsame Wirtschaft aussenden. Der Steuerbetrug erfuhr eine weitere Eindämmung durch gesetzgeberische Maßnahmen der EU. Investitionshemmnisse wurden beseitigt, indem die Kreditvergabe an KMU´s weiter vereinfacht wurden – dies schafft Arbeitsplätze. Die Außengrenzen der EU wurden besser geschützt und das Migrationsmanagement wurde verbessert – eine neue Frontexverordnung (Frontex ist eine Institution der EU, die für den Schutz der Grenzen zuständig ist (d.Red.)) regelte das. Mit Drittstaaten wurde eine bessere Zusammenarbeit hergestellt, die Meerespolitik wurde unter Sicherheitsaspekten überarbeitet. Zu guter Letzt wurden die Beitrittsverhandlungen mit Serbien und Albanien auf den Weg gebracht.

Europa hat funktioniert und ist nicht auseinandergebrochen, wie es viele vorausgesagt hatten. Und der Euro? Auch er hat sich in diesen schweren Zeiten bewährt und ist härter geworden. Nur wir sollten die Europäische Union näher an die Herzen der Europäer bringen. So der griechische Premierminister Andonis Samaras.

Es vergingen nur ein paar Stunden und der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi hatte den Staffelstab des logo-italien-2014.jpg
„Vorsitz im Rat der Europäischen Union“ turnusmäßig übernommen. Mit seiner Antrittsrede eröffnet Ministerpräsident Matteo Renzi das folgende italienische Semester ´14.

Der Rat hat mit der Wahl des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker seinen Respekt vor dem demokratisch gewählten EU Parlament gezeigt, so Renzi eingangs.

„Wenn Europa heute ein Selfie von sich selbst machen würde, welches Bild würde sich dann ergeben?“, so fragte Renzi.

Wir würden ein müdes und gelangweiltes Gesicht von Europa sehen. Und das ist unverständlich. Die Welt dreht sich sehr schnell und die Entwicklungen rasen nur so an uns (Europäern) vorbei. Es sind Chancen die an uns vorbeiziehen, die wir nicht ergreifen. Die Zukunft braucht unseren Tatendrang, sie fordert uns heraus und wir lassen sie vorüberziehen. Warum? Weil wir mit einer Wunde beschäftigt sind, die uns 2009 die Finanz- und Wirtschaftskrise geschlagen hatte. Was soll das? Die Wunde ist versorgt, nun sollten wir uns den neuen Herausforderungen stellen. Als erstes sollten wir die Seele Europas suchen um damit unsere Identität zu finden.

Italien wird sofort seine eigenen Probleme lösen, es sind nicht die Probleme Europas, sondern die Probleme Italiens. Italien kann sich voller Kraft diesen Problemen stellen, weil es weiß, es ist stark.

Es geht um Wachstum UND Stabilität, nicht nur für Italien, sondern für ganz Europa. Wachstum kann nur durch Investitionen entstehen, welches dann der Wirtschaft die notwendige Stabilität bringt.

Wir Europäer sind führend in den Umwelttechnologien, warum sollten wir das nicht ausweiten. Wir sind zurück in den digitalen Technologien, warum sollten wir nicht einholen. Beide Bereiche ragen weit in die Zukunft hinein, Europa kann die Zukunft für sich entscheiden.

Wir sollten aber nicht vergessen, Europa ist nicht nur eine geografische Fläche auf eine Karte, Europa ist das Haus mit 500 Millionen Bewohnern. Und diese Bewohner vertrauen und fordern uns, den Mut zu haben die Zukunft zu meistern. Unsere Generation steht in der Tradition von der Antike, über die Verträge von Maastricht bis heute in einer Gegenwart die uns auffordert, die erarbeiteten Errungenschaften unserer vormaligen Generation zu bewahren aber auch in diesem Geiste weiter zu führen.

Renzi  Foto: Linde Arndt

Matteo Renzi Foto: Linde Arndt

Renzie erntete stehenden Applaus aus allen Fraktionen.

Der noch amtierende Kommissionspräsident Barroso fand im Anschluss, die Rede als sehr gelungen, da Renzi auf die Werte, den Stolz und die Würde Europas abstellte. Europa kann immer noch mehr geben, wenn es sich auf seine Stärken besinnt, so der scheidende Barroso.

Alles in allem merkte man aber, es gibt diesen Wermutstropfen, den der Krieg in der Ukraine den Europäern in Brüssel und Straßburg vor Augen führt. Alle sind sich einig, Krieg in Europa sollte der Vergangenheit angehören, ob das in Jugoslawien oder in der Ukraine war oder ist.

In einer der Aussprachen des Parlamentes war man sich nicht so einig in der Vorgehensweise, wie man den Krieg in der Ukraine stoppen kann. Die Kommission mit Štefan Füle; EU-Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik, machte es sich etwas zu leicht, indem sie die Schuldfrage auf die Russische Föderation ablud.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Brüssel