Schwelmer Schätze – erstrahlen im neuen Martfelder Lesesaal
[jpg] Schwelm hat zwar keinen Codex Manesse, eine Liederhandschrift aus dem 13 Jahrhundert, aber immerhin schlummerten in den Archiven Bücher, die teilweise über 200 Jahre alt sind, die mehr schlecht als recht untergebracht waren.
Nun hätte man sagen können, was soll es und sicher hätte sich kaum einer beschwert, wenn die Bücher irgendwann entsorgt worden wären. In unserer heutigen schnelllebigen Zeit, wo die Kultur oft eine untergeordnete Rolle spielt, wäre das also nicht verwunderlich gewesen.
Warum also Bücher erhalten und darüber hinaus noch dem Bürger zugänglich machen?
Bücher sind unser aller kollektives Gedächtnis in einer Gemeinde – ebenso wie in einem Land wie Deutschland. Bücher beantworten die Fragen, die sich, ob bewusst oder unbewusst, alle immer wieder einmal stellen: Wo kommen wir her, also die Vergangenheit, wie sind wir hierhin gekommen, also die Gegenwart und wo wollen wir hin, also die Zukunft. Ohne Vergangenheit könnte der Mensch die Zukunft niemals oder nur unzureichend gestalten.
Sie dokumentieren die Bemühungen der Menschheit eine über alles gehende einmalige Identifikation einzunehmen. Ohne diese Aufzeichnungen, aber auch ohne Kultur, wären wir ein Nichts. Das gilt für das Lokale über das Nationale bis hin zu der globalen Identität. Und weil das so ist, können wir uns heute wie selbstverständlich diese Frage, wer wir sind was wir sind, stellen und können uns auch dadurch richtig einordnen.
Die überall, so auch in Schwelm, angespannte Finanzsituation bringt die Städte aber dazu den kulturellen Bereich einer Kommune Streichungen auszusetzen. Die Förderung der Wirtschaft, die mit ihren Steuern erst die Einnahmen einer Kommune erbringen, war a priori wichtiger. Aber auf der anderen Seite erwuchsen den Kommunen immer mehr Ausgaben in den sozialen Bereichen. Prioritäten mussten gesetzt werden, die die Kultur nur unzureichend berücksichtigte.
Aber Kultur ist ein Transmissionsriemen der eine Gesellschaft überhaupt zusammen hält und befördert – und das ist das Wesentliche. Und zwar Kultur im Sinne von Kant, der in der Kultur auch die Ethik verankert sah. Und diese Ethik nimmt uns alle in die Pflicht, den Politiker wie auch den Wirtschaftler. Sie verbindet aber auch, sie ist quasi der Klebstoff in der Gesellschaft. Und dieser Verantwortung sahen sich in den Jahren immer Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft verpflichtet. So sprang die Wirtschaft in Zeiten des Niedergangs von Kultur immer wieder ein um das kulturelle Erbe nicht der Vergessenheit zu überlassen.
1998 sah sich die Erfurt Stiftung durch Wilhelm Friedrich Erfurt mit Freude in der Pflicht das in einem desolaten Zustand befindliche Archiv der Stadt Schwelm zu retten. Wilhelm Friedrich Erfurt trat an den damaligen Bürgermeister Döring heran und schlug ihm vor, den vorhanden Bestand in einem angemessenen Zustand dem Schwelmer Bürger zugänglich zu machen. Bürgermeister Döring gab diesem Gedanken eine Zusage und Wilhelm Friedrich Erfurt hatte freie Fahrt. Herr Erfurt holte sich Dr. Wolfgang Fenner und Ursula Albel und versicherte sich ihrer Mithilfe. Es war ein schweres Stück Arbeit die 1.800 Titel respektive 2.500 Bände zu katalogisieren. Grundstock war der Bestand des ehemaligen Heimatvereins, welcher der Stadt Schwelm Mitte des vorigen Jahrhunderts übergeben worden war.
Der Heimatverein sammelte überwiegend Bücher der Schwelmer Alltagsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Dann gab es noch eine Sammlung des ehemaligen Konrektors des Märkischen Gymnasiums, Heinrich Holthaus, aus dem späten 19. Jahrhundert. Holthaus war ein Sammler par excellence vor dessen Sammelleidenschaft kein Buch sicher war. Atlanten, Folieanten und sogar eine alte Luther Bibel aus dem Jahre 1739 des Herzogs Ernst von Sachsen, Jülich, Kleve und Berg, ein Schmuckstück für jede Stadt. Diese Bibel ist reichhaltig verziert und mit einem ausgesucht künstlerisch wertvollen Bucheinband versehen.
2003 war es soweit, die Katalogisierung und Restaurierungsarbeiten der Bücher waren in etwa fertig. Wilhelm Friedrich Erfurt war jedoch noch nicht damit zufrieden. Er wollte diese Schätze für Jedermann zugänglich machen. Was nützen diese Bücher, wenn sie dem Schwelmer Bürger und anderen Interessierten nicht zur Verfügung standen. Ein Lesesaal war die einzige Möglichkeit. Anfang 2007 gab der Kulturausschuss der Stadt Schwelm sein ok für diese weitergehenden Aufgaben. Die Räumlichkeiten wurden im Schloss Martfeld verortet. Hier musste aber erst einmal die Haustechnik angepasst werden. Rauchmelder, neue Elektroleitungen, Heizung wurden auf den neusten Stand gebracht.
2009 suchte man sich einen weiteren Partner, die Firma Hüls in Schwelm, die den Büchern das notwendige Ambiente erbringen sollte. Es wurde ein heller und freundlicher Raum mit Schränken und Vitrinen in denen die alten Bücher wie Edelsteine zur Geltung kommen.
Man merkte Wilhelm Friedrich Erfurt schon den Stolz und die Freude für das Erreichte an und jetzt, so Wilhelm Friedrich Erfurt, jetzt sollen die Bürger ihre neue Bibliothek auch alle nutzen. Denn nur dafür habe er diese 12 Jahre auf sich genommen. "Was lange währt, wird endlich gut", so Erfurt.
Bürgermeister Stobbe freute sich über dieses Geschenk für die Stadt als auch persönlich. 12 Jahre Zeit für diese Arbeit sind sicherlich zukünftig etwas zu verkürzen, wenn es gilt, dass eine Stadt solch eine Arbeit zumindest unterstützt. Es sollte jedoch von Seiten der Stadt nicht als Selbstverständlichkeit angesehen werden, was die Erfurt Stiftung der Stadt zukommen ließ. Zuerst die Restaurierung des Haferkastens und jetzt dies. Wir sind Stolz in unseren Stadtmauern solch ein engagiertes und selbstloses Handeln zu sehen. Und es gebührt der Erfurtstiftung unsere tiefsten Dankbarkeit.
Dr. Wolfgang Fenner und Ursula Albel, die sich dieser Aufgabe in den vergangenen Jahren so widmeten, schilderten von der Freude, die ihnen die Katalogisierung dieser alten Werke bereitete.
Was kann es da Schöneres für jeden der Beiden geben als einen guten alten Wein zu bekommen, der eine reizende Analogie zu den alten Büchern darstellt.
Dr. Fenner übergab Wilhelm Friedrich Erfurt das erste Belegexemplar des Kataloges der Bibliothek. |
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Martin Siepmann von der Geschäftsführung der Firma Hüls fand, dass der von seiner Firma mit stilvollen Möbeln in schlichtem doch durchaus edlen Ambiente erstellte Lesesaal eine gelungene Symbiose zwischen den alten Büchern und dem neuen hellen Lesesaal darstellt.
Bürgermeister Stobbe erinnert zum Schluss noch daran, dass hier dem Bürger seine Wurzeln sichtbar werden." Das Geschenk was wir hier bekommen haben, sollten wir immer würdigen."
Nachbemerkung:
Es war eine freundliche Gesellschaft die sich in den Räumen des alten Wasserschlosses Martfeld einfand. Es war eine Stimmung wie bei einem guten gelungenen Fest, wo jeder jeden anlächelt um zu sagen: Ist es nicht ein schöner Tag und ein schöner Anlass?
Und es sind helle freundliche Räume, die geradezu einladen den Katalog in die Hand zu nehmen um sich auf eine Spurensuche zu begeben. Alleine die Buchbinderarbeiten der Bücher bringen jeden Bücherfreund zum schwärmen. Ich durfte ein paar Zeilen der ausgestellten Lutherbibel lesen. Es ist schon etwas besonderes, wenn man nach der Elberfelder Bibel aufgezogen wurde und die sprachlich ganz andere Lutherbibel liest. Man kann es sprachlich einem anderen Menschen nicht so leicht vermitteln, was der Wandel der Sprache in der Kultur bedeutet.
Es ist ein anderer Wertekanon, den die damalige Gesellschaft hatte und der einem durch das Lesen dieser alten Bücher vermittelt wird. Was der Lesesaal auch begünstigt, ist die Ruhe und Geborgenheit die einen umhüllt um sich den Büchern zu widmen. Und so haben die Worte von Karl Ernst Osthaus ihre Bedeutung auch in diesem Lesesaal erlangt: Wandel durch Kultur-Kultur durch Wandel. Dies wird in den zur Verfügung gestellten Büchern nachhaltig sichtbar. Das moderne Schwelm von heute wäre undenkbar, wenn es nicht das Schwelm vor 200 Jahren gegeben hätte – in den Alltagsgeschichten des damaligen Schwelm nachzulesen.
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Schwelm
Hier noch einige Impressionen von der Eröffnung des Lesesaales im Schloss Martfeld.
(Fotos: Linde Arndt)