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40.000 Flüchtlinge zu 500 Millionen Europäern, geht das klar?

Syrische kurdische Flüchtlinge auf dem Weg in die Türkei   Foto: © UNHCR / I. Prickett

Syrische kurdische Flüchtlinge auf dem Weg in die Türkei Foto: © UNHCR / I. Prickett

 [jpg] Parlamentspräsident Martin Schulz besuchte neulich eine Grenzstadt in der Türkei. Rund 100.000 Einwohner hatte diese Grenzstadt aufzuweisen, nur, diese türkische Grenzstadt hatte 125.000 Flüchtlinge aufgenommen.

Seit zwei Wochen wird das Flüchtlingsproblem zerredet. Die Schlepper sollen bekämpft werden und ihre Boote vom Militär zerstört werden. Allerdings könnten die Boote noch Flüchtlinge auf dem Schiffsboden haben, also lieber nicht. In Libyen will man ein Lager aufbauen, mit Antragsstelle für Asyl. Doch halt, Libyen hat kein funktionierendes Staatswesen mehr – Bürgerkrieg halt. Nordafrika ist eben ein unsicheres Pflaster. Libanon und Jordanien haben zusammen 10,9 Millionen Einwohner und gehören zu den armen Ländern, sie nehmen zusammen 3 Millionen Flüchtlinge auf. Drei Millionen Flüchtlinge!

Und Europa? Nach dem Auslaufen der italienischen Rettungs-Operation „Mare Nostrum“, mussten erst einmal 700 Menschen ihr Leben durch ertrinken lassen, ehe die EU reagierte. Frontex, die Grenzer der EU, wurden ins Mittelmeer geschickt, die allerdings die Flüchtlinge abwehren sollten und nur den, dem internationalen Seerecht zutreffenden Schiffsnotstand, Schiffbrüchigen zur Hilfe eilen sollten. Und wieder fanden Schiffsbrüchige den nassen Tod, die EU reagierte und schickte nun mehrere Kriegsschiffe die sich an der Rettungsaktion beteiligen sollten. Hunderttausende sind inzwischen seit 2013 an den Küsten der EU an Land gebracht worden. Die Lager in Griechenland und in Italien sind überfüllt, die Flüchtlinge haben sich auf den Weg in den Norden gemacht. Kein Mensch kümmert sich darum oder hält sie auf. Dublin sah was anderes vor. Auf der Straße, auf Bahnhöfeb und in Elendsquartieren überall übernachten sie, auf dem Weg nach Norden. Und der Strom der Flüchtlinge reißt nicht ab. Und wieder reagierte die EU. 40.000 Flüchtlinge (plus 20.000) sollen nach einem Schlüssel auf ganz Europa verteilt werden. Nur 16 von 28 der EU Staaten wollen keine Flüchtlinge zugeteilt bekommen. Brüssel ist anscheinend nicht in der Lage ein derartiges Problem zu lösen. Sonntagsreden ja, aber Probleme beherzt anpacken und lösen? Eher nicht.

Gott sei Dank überlagert das Griechenland Problem alle andere Probleme. Es ist etwas ruhiger um das Flüchtlingsproblem geworden, dadurch das die Griechen ein Plebiszit angekündigt haben. Brüsseler Kalkül?

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Menschen fliehen vor Krieg und Elend über internationale Grenzen Photo: © UNHCR / A. Harper

So können wir uns der Ursachenrecherche widmen, warum die Menschen des Balkans oder aus Afrika sich nach Europa auf den Weg machen.

Hal Far/Malta, Amygdaleza|Lesbos/Griechenland, Lampedusa|Palermo|Messina/Italien, das sind nur sechs Camps innerhalb der EU in denen tausende von Flüchtlinge unter unwürdigen und unmenschlichen Bedingungen „hausen“ müssen. Die UNO mit der Flüchtlingsorganisation UNHCR hat die EU ermahnt ihren Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Einhaltung, der auch von der EU unterzeichneten „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ nach zu kommen.

UNHCR-Sondergesandte Angelina Jolie spricht mit syrischen Flüchtlingen in Domiz Camp, das rund 50.000 Menschen beherbergt.  Foto: © UNHCR / A. McConnell

UNHCR-Sondergesandte Angelina Jolie spricht mit syrischen Flüchtlingen in Domiz Camp, das rund 50.000 Menschen beherbergt. Foto: © UNHCR / A. McConnell

Die Sonderbotschafterin für das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) Angelina Jolie rief im Uno-Sicherheitsrat die internationale Gemeinschaft zum besseren Schutz von Flüchtlingen aus dem Bürgerkriegsland Syrien auf. „Es ist abscheulich zu sehen, wie Tausende Flüchtlinge vor der Haustür des reichsten Kontinents der Welt ertrinken“

Seit 2013 brennt das Flüchtlingsproblem der EU auf den Nägeln. Eine grundsätzlich Regelung dieses Problems ist noch nicht einmal im Ansatz in Sicht. Wie selbstverständlich werden die Leistungen der Südländer der EU in Anspruch genommen. Bei Griechenland, das tausende Flüchtlinge aufgenommen hat, klingt es sogar zynisch, wenn Brüssel den Rotstift im sozialen Bereich ansetzen will, Griechenland aber die Flüchtlinge nach den Dublin Verträgen versorgen muss.

In der Zwischenzeit hat sich noch eine weitere Flüchtlingsroute aufgetan, die Bulgarien und Ungarn tangieren. Deutschland, Belgien, Holland oder Frankreich zucken mit den Schultern, denn sie haben ja keine Probleme und verweisen auf die Südländer. Solidarität einer Wertegemeinschaft sieht anders aus.

Wieso machen die Flüchtlinge sich jetzt auf einmal vermehrt auf den Weg? Und warum nach Europa?

Der Balkan

  • Dem Zusammenbruch der Sowjetunion, folgte der Zusammenbruch des ehemaligen Jugoslawien. Was folgte waren blutige Kriege. Das Land zerfiel in mehrere Einzelstaaten, die Wirtschaft brach ein und eine hohe Arbeitslosigkeit konnte man registrieren. An der Neuordnung der Staaten war maßgeblich die EU beteiligt, wobei die europäischen Staaten auch militärisch unter dem Schild der Nato eingriffen. Wir erinnern uns an die hunderten von Jagdbomber, die ihre zerstörerische Last über dem ehemaligen Jugoslawien abwarfen. Viele der Staaten des ehemaligen Jugoslawien sind heute nicht überlebensfähig und besitzen keine Zukunftsperspektiven, weil die wirtschaftliche Infrastruktur und deren Basis fehlt oder zerstört wurde. Aufgrund der fehlenden Zukunftsperspektiven fliehen viele der Menschen, überwiegend aus dem Kosovo und Bosnien-Herzegowina,  in den EU Raum. Da aber die Staaten des ehemaligen Jugoslawien als „sichere Herkunftsländer“ eingestuft wurden, werden alle Flüchtlinge wieder in ihre Heimatländer zurück geschickt. Da gibt es Kroaten, Serben, Slowenier, Montenegriner, Mazedonier, Albaner, Kosovaren und Menschen aus Bosnien-Herzegowina in Deutschland die inzwischen schon in Deutschland eingebürgert wurden.Fakt ist jedoch, Deutschland und die EU haben aufgrund der Vorgehensweise im damaligen Jugoslawien Krieg eine Verantwortung übernommen, die mit dem Abzug der Jagdbomber nicht aufhörte. Europa hatte 1991 damit zum ersten mal versucht eine ernstzunehmende Rolle zu spielen, was in einem Fiasko endete. Die jetzigen Flüchtlinge sind eine Spätfolge des damaligen Eingreifens der EG (Heute EU); denn bis heute haben diese Staaten nicht wieder Tritt gefasst. Kroatien ist zwar EU Mitglied, tatsächlich gehört es jedoch zu den „Zwergen“ der EU. Die restlichen Beitrittskandidaten des ehemaligen Jugoslawiens, müssen wohl erst einmal warten da die EU-Kommission eine Konsolidierungsrunde einlegt. Trotz allem oder gerade weil es so ist, werden wir weiter mit Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien rechnen müssen.
  • Das nächste Problem ergibt sich aus dem weit zurückliegenden Kolonialismus in Afrika. Die europäischen Staaten und die USA hatten sich in Afrika das geholt was sie brauchten. Die USA ihre Sklaven und die Europäer die Rohstoffe. Die Afrikaner wurden wie Leibeigene behandelt und waren rechtlos, sie waren ja Untermenschen für die westliche Welt. Als im Zuge der afrikanischen Aufstände eine Kolonialmacht nach der anderen die afrikanischen Staaten in die Unabhängigkeit entließen, ließen die Europäer eines zurück – europäisches Chaos. Das einzig positive was man den Europäern anrechnen konnte, war das eingeführte Bildungssystem und rudimentäre Teile eines Gesundheitssystems. Es gab zwar ein europäisch ausgerichtetes Wirtschafts- und Finanzsystem, womit die Afrikaner jedoch nichts (noch nichts) anfangen konnten. Schnell stellten die ehemaligen afrikanischen Kolonien fest, dass ihre Abhängigkeiten zu ihren ehemaligen Kolonialmächten noch Bestand hatte. Das Postkoloniale Zeitalter brach an und der Neokolonialismus tat sein übriges um die alten Abhängigkeiten in neuer Form wieder aufleben zu lassen. Nehmen wir zwei Beispiele:

Republik Kenia

Die Republik Kenia wurde 1963 von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen. Die wirtschaftlichen Infrastrukturen haben sich bis heute kaum verändert. Die Briten haben Tee, Kaffee und Blumen von den Einheimischen anpflanzen lassen. Touristik ist ein weiteres Wirtschaftsfeld mit 53% des BIP. Tatsächlich ist Kenia aber nicht in der Lage sich selber zu ernähren. Die fruchtbaren Böden sind alle für Tee, Kaffee oder Blumen in riesigen Monokulturen angebaut. Die restlichen Böden taugen nur bedingt zum Anbau von Nahrungsmitteln. Die Einfuhren übersteigen die Ausfuhren und die angebauten landwirtschaftlichen Erzeugnisse können nicht zu Ernährung der Bevölkerung herangezogen werden. Nennenswerte Industrie ist nicht zu registrieren. Die Arbeitslosenquote liegt bei rund 40% und das seit Jahren.

Dies führt dazu, dass die Jugendlichen oder jungen Erwachsenen keine Lebens-Perspektiven haben und sich auf den Weg machen. In Europa werden sie dann als Wirtschaftsflüchtlinge wieder nach Afrika abgeschoben. Ach ja, und noch eines. Die Touristik bringt eine hohe HIV/Aids Quote < 6,9% und damit eine Absenkung der durchschnittlichen Lebenserwartung auf < 59,8 Jahre. (Alle Zahlen CIA World Fact Book )

Elfenbeinküste (Republik Côte d’Ivoire)

Die Elfenbeinküste wurde 1960 von Frankreich in die Unabhängigkeit entlassen. Auch hier haben sich die wirtschaftlichen Strukturen nicht und nur unzureichend verändert. Hier werden Kakaobohnen, Kaffee oder auch Palmöl angebaut. < 25 % der Menschen leben von der Landwirtschaft. Daneben gibt es noch einen kaum nennenswerten Industriebereich. Und neuerdings die Erdölproduktion die Geld in die Kassen der Eliten spült. Trotz allem gehört die Elfenbeinküste zu den hochverschuldeten Ländern, auch nachdem 2008 ein Schuldenschnitt gemacht wurde.

Vergleicht man die Wirtschaftsstrukturen des Jahre 1960 mit denen des Jahres 2013 sind kaum Veränderungen in der Entwicklung festzustellen. Dazu hatte die Elfenbeinküste mehrere Bürgerkriege zu überstehen, die die Entwicklung des Landes zurück warf.

Demokratische Republik Kongo

Der Kongo wurde 1960 von Belgien in die Unabhängigkeit entlassen. In der Folge wurde das Land von unzähligen Kriegen zerrissen und ist bis heute nicht zur Ruhe gekommen.
Wirtschaftlich besitzt der Kongo ungeahnte Mengen an Rohstoffe, wie Diamanten, Gold, Kupfer, Blei oder Zinn sowie Holz und Kaffee aber auch weitere landwirtschaftliche Produkte. Und was noch wichtiger erscheint ist die Coltan Produktion. Coltan aus dem Niob und Tantal gewonnen wird ist für die Produktion von Elektrogräten von großer Bedeutung.

Aber auch hier muss man feststellen, der Kongo kann seine Bevölkerung nicht ernähren; denn es reicht nicht Landwirtschaft zu betreiben, vielmehr müssen die Erzeugnisse einen Preis haben den die Bevölkerung auch entrichten kann.

Flüchtlinge, die vor der Zentralafrikanischen Republik vor Jahren flohen pflügen ein kleines Stück Land, das verwendet wird, um neu angekommene Flüchtlinge zu ernähren  Foto:  © UNHCR / C. Fohlen / Mai 2014

Flüchtlinge, die vor der Zentralafrikanischen Republik vor Jahren flohen pflügen ein kleines Stück Land, das verwendet wird, um neu angekommene Flüchtlinge zu ernähren Foto: © UNHCR / C. Fohlen / Mai 2014

Ich gebe zu, ich habe die Übersicht über die drei Länder verkürzt dargestellt, es geht aber um den Sachverhalt, warum Menschen aus vermeintlich sicheren Staaten keine Perspektiven mehr sehen und sich tausende Kilometer unter unsäglichen Bedingungen auf den Weg machen. Viele dieser Flüchtlinge landen in Containern in meinetwegen Jordanien, viele in Zelten in der Türkei oder landen unter Pappkartons auf den Klippen am Rande des Hafens von Calais.

Zurück zu dem Skandal, der ein Skandal der Europäer gegenüber den Ländern ist wo die Flüchtlinge herkommen.

Alle Balkan- oder afrikanische-Staaten bekommen gebetsmühlenartig mitgeteilt, kommt ihr zum Westen werdet ihr „blühende Landschaften“ erhalten. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt nur „blühende Landschaften“ für die korrupten Eliten. Die Eliten in Afrika wohnen in schwer befestigten Stadtteilen mit bewaffneten Sicherheitskräften. In der Regel sind die Eliten korrupt, werden von Transparency International im Ranking auf den hinteren Plätzen geführt. Die Balkanländer sind zwar nicht so korrupt, jedoch funktioniert auch hier der Staat nicht.

Das zweite Problem ist die Bildung. Die Bildungseinrichtungen sind meistens nicht kostenfrei. Nur zahlen, können nur die Eliten. Folge: Analphabetismus.

2.000 Milliarden Dollar oder 2 Billionen Dollar sind in den letzten 50 Jahren von den reichen Ländern in den armen Süden an Hilfsgeldern geflossen. Und was ist passiert? Wirtschaftliche Entwicklung oder ein irgendwie gearteter Wirtschaftsaufschwung? Fehlanzeige. Das Bildungssystem oder das Gesundheitssystem beide Systeme wurden nicht weiterentwickelt. Das Geld wurde nur dazu verwendet um die bestehenden Strukturen zu erhalten, die uns unsere Rohstoffe oder landwirtschaftlichen Erzeugnisse garantieren. Und was auch wichtig ist, die Absatzmärkte sollen erhalten bleiben oder bereitet werden, um den westlichen Produkten den Boden zu bereiten. 50,– Dollar/Monat verdient ein Landarbeiter, trotzdem hat er mit seinen Produkten keine Chance gegen die subventionierten Produkte der EU anzukommen.

Die Alimentierung der Völker führt nur bedingt zu einer Ruhigstellung der Länder. Denn, ob Europäer, Asiaten oder Afrikaner, alle wollen eine bessere Perspektive. Und nach über 50 Jahren haben die Völker es einigermaßen kapiert, es gibt keine Perspektive für sie. Die einzige Perspektive ist das Leben in den Slums der Großstädte, teilweise ohne Wasser und unter hygienischen Verhältnissen die für uns Europäer unvorstellbar sind. In den Dörfern Afrikas kann es keine Entwicklung geben, weil das Land Großgrundbesitzern gehört. So werden Nahrungsmittel aus  Europa oder den USA ins Land gebracht um den Menschen den Tagesbedarf an Nahrung zu ermöglichen. Das der fruchtbare Boden nebenan für Tee, Kaffee oder Kakao verwendet wird oder nicht bewirtschaftet wird, wird da übersehen.

Der dritte Grund sind die ewigen Kriege die geführt werden. Kinder werden nachts aus den Dörfern entführt und zu Soldaten ausgebildet, andere Dörfer werden überfallen, die Frauen misshandelt um sie aus dieser Gegend zu vertreiben, weil dort Rohstoffe vermutet werden.

Um es kurz zu machen, die Länder die im Würgegriff des Westens sind, können sich nicht entwickeln, der Kolonialismus war nie weg gewesen.

Die Folge ist eine riesige Völkerwanderung von sage und schreibe 60 Millionen Menschen, die nichts aber auch gar nichts zu verlieren haben. 20 Millionen leben in Flüchtlingscamps, sei es in Containern oder Zelten und werden von der UNHCR versorgt. Jedes Jahr läuft die UNHCR den Staaten hinterher, weil das Geld auszugehen droht. Trotz allem verhungern jedes Jahr Menschen die auf der Flucht sind. Mütter mit ihren Kleinkindern liegen im Straßengraben vollkommen ausgezehrt, weil sie es nicht geschafft haben ein Flüchtlingscamp zu erreichen.

Viele sehen den Weg nach Europa als Ausweg für sich und ihre Angehörigen, es sind die stärksten die es geschafft haben, die schwächeren mussten zurückbleiben oder sind verhungert, verdurstet.

Sie nehmen jede Chance wahr, um sich aus dieser Misere zu befreien.

Boat-People auf einem überfüllten Boot. Photo: © UNHCR

Boat-People auf einem überfüllten Boot. Photo: © UNHCR

Sie kommen seit 2012 mit Booten verschiedenster Art, die überladen sind, über das Mittelmeer. In dieser Zeitspanne haben schon 15.000 Menschen ihr Leben gelassen. Im Mittelmeer ertrunken, begraben ohne Namen, Maltas Premierminister Joseph Muscat nannte in Brüssel das Mittelmeer den Friedhof Europas. In der Zwischenzeit gibt es mehrere Routen über die Europa erreicht werden kann.

Da geht Brüssel her, und verhandelt über 60.000 Flüchtlinge die unter den EU Staaten verteilt werden sollen. Da werden Kriegsschiffe ins Mittelmeer geschickt um Schlepperboote zu zerstören.

Außenbeauftragte Federica Mogherini  Photo:  ©  Linde Arndt

Außenbeauftragte Federica Mogherini Photo: © Linde Arndt

EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos erklärte den Schleppern den Krieg und die Außenbeauftragte Federica Mogherini erarbeitet ein neues Konzept, welches nun humanere Züge trägt. Das eigentliche Problem, die Ursache dieser „Völkerwanderung“, wird jedoch ausgesessen.

Viele Ökonomen fordern ein Ende der derzeit gescheiterten Entwicklungspolitik des Westens. Umdenken ist angesagt. Die Afrikaner sind keine „kleine Kinder“ die strahlend ein gebrauchtes Smartphone zeigen und glücklich mit dem Erreichten sind. Sie wollen gefordert und ernst genommen werden nicht alimentiert werden, ein Sack Hirse und der Monat ist gerettet? Sie wollen ihr Land bewirtschaften, dafür bedarf es aber einer Landverteilung. Die europäischen Großgrundbesitzer weg und Kleinbauern ran. Und sie brauchen keine hochsubventionierten Produkte der EU die die afrikanischen Märkte kaputt machen.

Europa ist der reichste Kontinent, reich nicht nur im monetären Sinn, sondern Europa hat Köpfe die weit schwierigere Probleme gelöst haben und lösen könnten. Und diesen Köpfen gelingt es nur 60.000 Flüchtlinge unter 500 Millionen Europäern zu verteilen? Was für ein Armutszeugnis. Als Europa 1945 zwei bestialische Kriege hinter sich hatte, halb Europa in Schutt und Asche lag, machten sich Millionen von Menschen auf den Weg um neue Perspektiven zu suchen und fanden sie bei den Nachbarn. Während der Kriege nahmen viele Staaten europäische Flüchtlinge auf, auch hier wieder waren es Millionen. Und heute sind wir nur für 60.000 Flüchtlinge gut?

Die Länder des Balkans und die afrikanischen Länder sind in diese Situation gekommen, weil der Westen und damit auch Europa den Kopf in den Sand gesteckt hat. Europa sollte Verantwortung übernehmen und sich mehr einfallen lassen, als eine Verteilung von 60.000 Flüchtlingen die ja doch nur als eine Alibiveranstaltung gedacht ist.

Jean-Claude Juncker  Photo:  ©  Linde Arndt

Jean-Claude Juncker Photo: © Linde Arndt

Europa hat großes Glück; denn mit der Griechenlandkrise ist das Flüchtlingsproblem winzig klein geworden, wen interessieren schon die paar Ertrunkenen im Mittelmeer. Ich denke die Berliner Regierung und die Brüsseler Administration würden gerne über die Wochen die Griechenlandkrise in den Schlagzeilen der Mainstreammedien oder Hofberichterstatter sehen. Alexis Tsipras als Dämon Europas, verdrängt jede andere Schlagzeile, auch tausende ertrunkene Flüchtlinge.

Unsere Verteidigungsministerin Ursula Gertrud von der Leyen macht einen lustigen werbewirksamen PR Besuch bei den deutschen Kriegsschiffen die just ein paar Flüchtlinge aufgefischt haben. Damit ist das Problem für unsere Regierung erledigt? Und unser Innenminister Karl Ernst Thomas de Maizière hat das Bleiberecht etwas geschmeidiger gemacht, jetzt können (Kriminelle) Flüchtlinge schneller abgeschoben werden oder in Abschiebehaft genommen werden. Schön das wir noch andere Probleme haben, als diese Flüchtlinge.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Brüssel




Schuldig, schuldig, schuldig der fahrlässigen Tötung

[jpg] Als die EU zum ersten mal von dem Untergang der Flüchtlinge im Mittelmeer erfuhr, hätte sie direkt handeln müssen. Stattdessen bekam die Öffentlichkeit nur weich gespülte Sprachhülsen um die „Ohren“ geschlagen. Und das geht jetzt schon monatelang, inzwischen haben wir geschätzte 2.000 Tote im Mittelmeer gezählt. Und die EU? Sie hat ihre Frontex Operation Trident vor der italienischen Küste des Mittelmeers. Die Leitmedien hatten die Ukraine und Griechenland auf dem Radar. Da waren ein paar ertrunkene Afrikaner mehr oder weniger nicht so wichtig. Und dann kam am Sonntag, dem 19. April 2015 die Katastrophe mit 700 bis 900 ertrunkenen Afrikanern, die vor den Augen der Besatzung des Containerschiffes “King Jacob” ertranken. Über Twitter gingen die Bilder mit den Nachrichten um die ganze Welt. Der Papst und der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-moon meldeten sich zu Wort und erinnerten die EU an ihre Verantwortung. Und diesmal hielten die westlichen Leitmedien nicht still oder schrieben den Vorfall runter.

Die EU konnte sich jetzt nicht mehr wegducken um die Verantwortung auf andere abzuwälzen. Schnell rief der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk,  einen Sondergipfel der Regierungschefs zum 23. April 2015 nach Brüssel. Das war schnell, sehr schnell für eine Ratssitzung der Regierungschefs der EU. Nachher wird sich herausstellen, es war nur Aktionismus.

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(c) Guardia Costiera

 


Und der 23. April kam, ein Donnerstag, Bundeskanzlerin Angela Merkel traf um 14:00 Uhr ein und gab nach 7 Stunden um 21:20 Uhr ihre abschließende Pressekonferenz. Kein Wort der Trauer, so wie das eben bei den terroristischen Aktivitäten immer der Fall ist.  Immerhin gab es Tote und Verletzte und das in tausendfacher Höhe.

Die Entscheidungen der EU waren: Die Kosten der Frontex Mission „Triton“ sollen verdreifacht werden. Der Auftrag, den die Grenzschutztruppe der Frontex durch den Rat bekommen hatte, wird jedoch nicht geändert. Also weiterhin Grenzsicherung und nur im Wege des Internationalen Seerechts sollte Seenotrettung betrieben werden. Später setzt Ratspräsident Donald Tusk in seiner Pressekonferenz eins drauf, indem er anmerkte „Triton“ würde nur bei Aufforderung die Seenotrettung nach internationalem Recht betreiben. Deutsche und englische Kriegsschiffe werden im Mittelmeer kreuzen um der Grenzschutzmission hilfreich zur Seite zu stehen. Die italienische Mission „Mare Nostrum“ will man allerdings nicht mehr. Die aufgenommenen Flüchtlinge werden bei den Mittelmeer Küstenstaaten an Land verbracht, dort sollen sie gemäß den Dublin Verträgen „erkennungsdienstlich“ (Fingerabdrücke, Fotografien) behandelt um sodann in Lager verbracht zu werden, bis ihr Aufenthaltsstatus geklärt ist. Die Dublin Verträge sollen nicht geändert werden und die Anliegerstaaten des Mittelmeeres sollen keine Unterstützung für den Aufwand bekommen.

Schuldzuweisungen

Was folgte, ist eine mehr oder weniger offene Schuldzuweisung an die Schlepper, an die Heimatstaaten und an die Flüchtlinge selber. Authentisches Mitleid der EU konnte man getrost vergessen. Die EU hatte einen Scheck ausgestellt, hatte gegen alle Gruppen um die Flüchtlinge gedroht und gut war es. Im Juni 2015, zum 25. und 26., wird man das Thema nochmals behandeln. Angela Merkel: Am Geld soll es nicht liegen, bei Bedarf legen wir noch was drauf.

Peinlich und schlimm wurde es mit einem Satz des Ratspräsidenten Donald Tusk den dieser Eingangs der nachfolgenden Pressekonferenz von sich gab: „Europa hat diese Tragödie nicht verursacht“, so der Ratspräsident. Für viele der Kollegen war das eine Frechheit und Zynismus pur. Denn Europa hat diese Katastrophe verursacht. Hat der Ratspräsident die Kolonialzeit vergessen, die bis heute die afrikanischen Staaten belastet?

Neuere europäisch/afrikanische Geschichte

Lassen wir einmal ein bisschen die Geschichtsbücher des afrikanischen Kontinents aufschlagen um zu sehen wie es zu dieser Tragödie nur kommen konnte.

Es dürfte zur Allgemeinbildung eines jeden Europäers und US Amerikaners gehören, dass Afrika durch die europäischen Staaten und die USA wirtschaftlich ausgebeutet wurde und immer noch wird. Lassen wir den schwunghaften und gewinnbringenden Sklavenhandel einmal sein, der etwas zu weit zurück liegt. Und betrachten wir stellvertretend die Entwicklung von belgisch Kongo.

Als die belgische Regierung 1960 ihre ehemalige Kolonie Kongo ( Heute Demokratische Republik Kongo) in die Unabhängigkeit entließ, war diese Republik, trotz eines immensen Reichtums an Bodenschätzen, nicht oder kaum lebensfähig. Die Belgier hatten zwar gutes Geld mit Kupfer, Uran, Gold, Eisen und anderen Mineralien gemacht, hatten aber nichts in eine ordentliche Bildung, Staatswesen oder Gesundheitssystem investiert. Die Folge waren Unruhen als die Belgier abzogen. Ein junger Mann Mitte 30 trat mit einigen Mitstreitern auf die politische Bühne und verlangte einen Ausgleich von der belgischen Regierung. Patrice Émery Lumumba, so hieß der junge Mann, wurde nach der ersten demokratischen kongolesischen Wahl der erste Premierminister des Kongo (Kongo-Léopoldville). Auf einem feierlichem Festakt der mit dem belgischen  König Baudouin I und vielen internationalen Honorationen begangen wurde, musste König Baudouin I unbedingt die angeblichen Errungenschaften der belgischen Regierung vor den gesamten Gästen erwähnen.

In seiner Erwiderungsrede widersprach Premierminister Patrice Émery Lumumba dem belgischen König, mit folgenden Worten:

[…] erniedrigender Sklaverei, die uns mit Gewalt auferlegt wurde. […] Wir haben zermürbende Arbeit kennengelernt und mussten sie für einen Lohn erbringen, der es uns nicht gestattete, den Hunger zu vertreiben, uns zu kleiden oder in anständigen Verhältnissen zu wohnen oder unsere Kinder als geliebte Wesen großzuziehen. […] Wir kennen Spott, Beleidigungen, Schläge, die morgens, mittags und nachts unablässig ausgeteilt wurden, weil wir Neger waren. […] Wir haben erlebt, wie unser Land im Namen von angeblich rechtmäßigen Gesetzen aufgeteilt wurde, die tatsächlich nur besagen, dass das Recht mit dem Stärkeren ist. […] Wir werden die Massaker nicht vergessen, in denen so viele umgekommen sind, und ebenso wenig die Zellen, in die jene geworfen wurden, die sich einem Regime der Unterdrückung und Ausbeutung nicht unterwerfen wollten.“ (Quelle: „Der gewaltsame Tod von Patrice Lumumba“ Von Bill Vann)

Starke Worte des jungen Premierministers. König Baudouin I, wollte abreisen, seine Begleiter rieten ihm jedoch ab. Ein Jahr später war der junge Lumumba tot, er wurde gefoltert, erschossen und sein Körper mit Bleisäure aufgelöst, der Rest der wurde verbrannt. Später wird herauskommen, dass die CIA mit dem belgischen Königshaus und dem britischen Geheimdienst den Mord an Lumumba betrieb. Man hatte Angst die Rohstoffe nicht mehr zu bekommen, da man davon ausging, dass Lumumba ein Kommunist war. Der Sohn von Lumumba wird später Klage gegen zehn Belgier wegen Mordes in Belgien einreichen. Ein Untersuchungsausschuss in Belgien wird die Verwicklungen Belgiens mit dem Mord an Lumumba feststellen.

Bis heute hat Belgien mit anderen westlichen Staaten noch einen Fuß im Land um seine Rohstoffversorgungssicherheit zu gewährleisten. Bis heute ist die demokratische Republik Kongo militärischen Unruhen ausgesetzt. Und bis heute gehört der Kongo zu den ärmsten Ländern der Welt und steht im Armutsranking auf dem vorletzten Platz.

Durch die immerwährenden Kriege und gewaltsamen Auseinandersetzungen konnte keine wirtschaftliche Entwicklung registriert werden. Das BIP pro Kopf beträgt in der demokratischen Republik Kongo rund 650,– Dollar (Stand: 2013, Quelle: IWF), zum Vergleich. Dass BIP von Deutschland beträgt rund 40.000,– Dollar (Stand: 2013, Quelle: IWF).

Das in solch einem Land für die Menschen keine Perspektiven vorhanden sind ist selbstredend. Nur, wer ist an solch einem Elend Schuld? Die Kongolesen selber? Nein, sie hatten ja nie eine Chance gehabt aus dem natürlichen Reichtum ihres Landes Profit zu ziehen, wenn von außen die Destabilisierung des Landes betrieben wird, wie jetzt im Osten des Landes.

Nun, der Kongo ist nicht der einzige Staat der noch heute vom Westen gesteuert wird, nehmen wir Somalia, Nigeria, Kenia, Eritrea, Elfenbeinküste (Republik Côte d’Ivoire) oder Uganda. In der Regel alles Staaten in denen Politiker regieren die vom Westen gesteuert werden. Auch die destabilisierten Länder im Norden des afrikanischen Kontinents, sie alle können ihren Bewohnern keine Perspektiven mehr bieten. Die Losung lautet also: Verhunger (neuerdings verdurste) oder versuch dein Glück im Westen. Das diese Menschen nie eine Chance haben zu leben, i.S. von etwas zu essen, ein Dach über den Kopf oder Bekleidung zu haben, ist offensichtlich.

In den Dörfern wird für ein oder zwei Bewohner gesammelt, damit diese im Westen etwas verdienen und davon etwas dem Dorf zu gute kommen lassen können.

Ratspräsident Donald Tusk weiß entweder nichts von diesem Elend oder steckt bewusst den Kopf in den Sand. In beiden Fällen scheint er für dieses Problem überfordert zu sein.

Was sollte die EU als Sofortmaßnahme tun?

Die erste Entscheidung sollte sein, die italienische Operation „Mare Nostrum“ wieder einzusetzen. Denn die Italiener haben die Erfahrungen gemacht, mit der sich die Operation „Mare Nostrum“ noch verbessern könnte. Sie fuhren zumindest die Schifffahrtsrouten im Mittelmeer ab, während die Frontex nur 30 Kilometer vor der Küste Italiens patrolliert. Die Flüchtlinge mit ihren Schleppern steuern doch grundsätzlich die Schifffahrtsrouten an, wegen der größeren Chance von einem Handelsschiff aufgenommen zu werden.

Parallel sollten die Aufenthaltsbedingungen für Flüchtlinge für die Mittelmeerstaaten ausgebaut und verbessert werden. Die subventionierten Nahrungsmittel Exporte der EU sollten unterbunden werden. Stattdessen sollte in den afrikanischen Staaten mit den Afrikanern eine funktionierende Landwirtschaft aufgebaut werden. Das Bildungs- und Gesundheitssystem der afrikanischen Staaten sollte reformiert und den dortigen Möglichkeiten angepasst werden. Es ist so viel zu tun, es wird nicht so viel kosten um den Menschen in ihrem Heimatland eine Perspektive zu bieten.

Es hat sich alles verändert, es gibt neue News.

Was müssen die europäischen Regierungschefs aufgeatmet haben, als in Nepal ein schweres Erdbeben mit der Stärke 8 viele Dörfer und Teile der Hauptstadt Kathmandu in Schutt und Asche legten.

Es darf wieder im Mittelmeer gestorben werden, unbemerkt und namenlos. Und morgen wird der Ukrainekrieg und die Finanzkrise in Griechenland von dem Sterben im Mittelmeer ablenken.

Und warum? Nur weil die EU, die ja angeblich eine Wertegemeinschaft sein soll, keine Entscheidung für den Menschen, den Fremden, treffen will. Die EU hat Zeit gewonnen, mehr nicht. Denn an der Nordküste des afrikanischen Kontinents stehen heute schon 1 Millionen Menschen, bereit das nächste Schiff zu nehmen und sich auf den Weg zu machen. Was haben sie schon zu verlieren? Nur ihr Leben. Wen kümmert es?  Die EU?  Wohl kaum.

Jürgen Gerhardt aus Brüssel für european-mosaic  und en-mosaik

 











 

Was sind die europäischen Werte nur wert?

Flüchtlinge auf dem Mittelmeer  Foto: © Graphies.thèque

Flüchtlinge auf dem Mittelmeer Foto:Fotolia © Graphies.thèque

[jpg] 25.000 Menschen sollen im Mittelmeer seit 1990 ertrunken sein. Jahr für Jahr wurden die Ertrunkenen gezählt, soweit man sie aus dem Meer „fischen“ konnte. Eine Kehrtwende sollte das Jahr 2013 bringen. Am 3. Oktober 2013 war ein Schiff mit etwa 500 Flüchtlingen vor der Küste der italienischen Insel Lampedusa untergegangen. 150 Boatpeople, vorwiegend aus Eritrea und Somalia konnten die Italiener retten. 200 Boatpeople wurden danach in Särgen, unter anderen Kinder, in einer Halle aufgereiht, die restlichen Boatpeople werden bis heute vermisst.
Die italienischen Fischer trauten sich nicht die in Seenot geratenen zu retten, weil ihnen Strafen für Menschenhandel angedroht wurden.
Italien, Malta, Zypern und Griechenland stritten um die Zuständigkeit der Seenotrettung. Denn wer die Seenotrettung ausübt ist auch zuständig für das Asylverfahren, die erkennungsdienstliche Bearbeitung der Flüchtlinge und letztendlich für deren Unterbringung, Versorgung und evtl. für deren Rückführung in ihre Heimatländer. Brüssel ließ die Mittelmeeranrainer mit diesen Problemen alleine.
Aber, wie gesagt, 2013 sollte die Wende sein. Die Bürgermeisterin von Lampedusa Giusi Nicolini, schrieb einen Brief an die EU in Brüssel in

Parlamentspräsident Martin Schulz  Foto: Linde Arndt

Parlamentspräsident Martin Schulz
Foto: Linde Arndt

der sie die Frage stellte:“Wie groß muss der Friedhof meiner Insel noch werden?“ Der Brief endete mit einem Apell nach einer Asyl- und Flüchtlingspolitik, die der EU und den Menschen ihre Würde gibt. Giusi Nicolini durfte denn auch ihr Anliegen mit dem Präsidenten der Region Sizilien, Rosario Crocetta, vor der Kommission und dem Rat Ende Oktober 2013 vortragen. Die Kommission war sichtlich betroffen, weil Nicolini als auch Crocetta mit ihren Emotionen sich kaum zurück halten konnten. Der Premierminister von Malta, Joseph Muscat, wollte das Mittelmeer nicht als Friedhof gesehen wissen. Parlamentspräsident Martin Schulz und Kommissionspräsident Mario Barroso versprachen Abhilfe. Barroso reiste denn auch nach Lampedusa um die Zustände zu besichtigen, wobei die damalige zuständige Flüchtlingskommissarin Cecilia Malmström nur Absichtserklärungen abgab, das Problem aber nicht löste.

Dimitris Avramopoulos  Foto: European Commission press service

Dimitris Avramopoulos Foto: European Commission press service

Heute soll der neue Kommissar Dimitris Avramopoulos den Flüchtlingskarren flott machen.
Zu guter Letzt hob die italienische Regierung das Projekt „Mare Nostrum“ aus der Taufe, ab Oktober 2013 sollten die Marineeinheiten die in Seenot geratenen Flüchtlinge frühzeitig aufnehmen. 130.000 Menschen wurden so 2013/2014 gerettet. Mare Nostrum wurde dann aber aus vielen Gründen beendet. Einesteils wollte die EU den Italienern ( Aber auch den anderen Mittelmehranrainer) nicht beistehen und andererseits geriet die italienische Regierung innenpolitisch unter Druck wegen der Kosten.
So wurde von der EU Kommission die Operation Triton durch der EU-Grenzschutzagentur Frontex ins Leben gerufen. Dies hatte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström dem italienischen Innenminister Alfano am 27. August 2013 zugesichert. Kontrolle und Abwehr standen nun im Fordergrund, Rettung war nebensächlich. Statt 9 Millionen Euro wurden nun 2,8 Millionen Euro monatlich eingesetzt – mehr war nicht drin. Wobei die technischen Ressourcen, wie Schiffseinheiten, durch die Mittelmeeranrainer gestellt werden sollten. Bis heute wurden die gemachten Zusagen, eine belastbare Lösung des Flüchtlingsproblems herbeizuführen, nicht umgesetzt. Auch das Einsatzgebiet wurde verkleinert. Nicht mehr bis an die Grenzen des afrikanischen Kontinents, sondern nur noch in einem 30 Km Umkreis vom Festlandsockel der EU Mitgliedsländer.
Wieder wurden rund 3.500 Ertrunkene an den Küsten aufgesammelt, denn die Seenotrettung stand ja jetzt nicht mehr im Vordergrund.

Und die angekündigte gemeinsame EU Flüchtlingspolitik? Sie stellte sich als eine Kakophonie von Abwehr und Absichtserklärungen dar. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière brachte in einer Äußerung die Konsequenz daraus auf einen Punkt: Wenn die Flüchtlinge es bis an unsere Grenzen (Deustsche Grenzen. Anm.der Red.) schaffen, werden wir sehen was wir machen, so der Innenminister. An Zynismus ist dies kaum zu überbieten. Dann kam die Welle von Diskussionen, welches Land wie viel aufnehmen kann. In Deutschland stritten sogar die Bundesländer und die Kommunen. Im französischen Calais bildete sich ein „Dünen-Camp“ in der Industriezone mit Hunderten von Menschen die unter freiem Himmel unter Kartons campieren. Regelmäßig kommt es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Eritreern und Äthiopiern. Eine Hundertschaft der Polizei wurde abgestellt um die Gewalt einzuschränken. Sie leben wie die Tiere, ohne Toiletten, Strom oder Waschgelegenheit, angewiesen auf Menschen die ihnen Nahrungsmittel überlassen. Ständig auf dem Sprung einen Lkw zu entern der sie nach Großbritannien bringt – zu ihrem Ziel.

Die EU Staaten nennen immer wieder absolute Zahlen oder wenn es besser klingt relativen Zahlen, um allen klar zu machen: „Das Boot ist voll“. Politische Entscheidungen oder gar Konzepte, Fehlanzeige.

In der Zwischenzeit starben und sterben jeden Tag Menschen im Mittelmeer, leben Menschen in Kartons auf den Straßen der EU oder unter unmenschlichen Bedingungen in Behausungen. Ein Jahr war vergangen, seit die Bürgermeisterin von Lampedusa Giusi Nicolini ihren Brief veröffentlichte und die Kommission war nicht in der Lage eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik auf den Weg zu bringen.

Ach Europa, beschwörst du nicht in so vielen (Sonntags) Reden immer wieder deine Wertegemeinschaft? Nur, ein Wirtschafts- und Währungsraum wolltest du nicht sein. Welches sind denn nur die gemeinsamen Werte? Die Werte des Geldes, des Gewinns und des Konsums um jeden Preis?

Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO hat Europa unterschrieben, ratifiziert und damit anerkannt. Aber was ist zum Beispiel mit Artikel 3 der Erklärung: „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person“, um nur einen Artikel zu nennen. Befindet sich dieses Recht in der Abschiebehaft?

Trotz allem wollte die EU Kommission eine gemeinsame Flüchtlingspolitik vorbereiten, die den Werten der EU auch entsprechen sollte. Die nationalen Regierungen im Rat wollten aber augenscheinlich keine gemeinsame Flüchtlingspolitik und bremsten das Vorhaben aus. Hauptsächlich UK, Frankreich und Deutschland wollten dies nicht, ein Freihandelsabkommen (TTIP) versprach mehr Gewinn.
Zynisch wird dieses Flüchtlingskonzept wenn Dublin II und Dublin III, Richtlinien der EU-Kommission, wie mit Flüchtlingen „umgegangen“ werden soll, ins Spiel kommt. Da kommen Menschen bis zu 8.000 km aus Ländern, schlimme Diktaturen, mit denen Europa zusammenarbeitet und die auch noch gefördert werden. Und diese Menschen landen in einer Gefängniszelle um nach einem evtl. dreijährigen Verfahren abgeschoben zu werden.

Viele afrikanische Länder wurden durch die Europäer erst zu dem gemacht, was sie heute sind – Diktaturen, mit Kleptokraten und Oligarchen die das sagen haben. Viele afrikanische Staaten, die sich früher ernähren konnten, müssen heute Nahrungsmittel importieren. Hochsubventionierte Nahrungsmittel werden durch die EU in Afrika eingeführt, so dass die eigene Landwirtschaft nicht mehr mithalten konnte. In der Regel leben die Afrikaner von durchschnittlich 1 Dollar pro Tag. Es leiden über 200 Millionen Afrikaner unter Hunger, Das World Food Programm der UNO kann nicht allen Menschen in Afrika helfen, weil die finanziellen Mittel fehlen. Alleine 6 Millionen Kinder müssen jährlich an Hunger sterben. Und da spricht der Europäer von Wirtschaftsflüchtlingen die nur an unsere Fleischtröge wollen? Wobei alleine die Deutschen bis zu 50% ihrer Nahrungsmittel wegwerfen, teilweise landen die Nahrungsmittel noch nicht einmal in den Regalen, weil sie irgendeiner Norm nicht entsprechen, so die Dokumentation „Taste the Waste“ von Valentin Thurn und das Verbraucherschutzministerium bestätigt das ganze auch noch.

Zurück zu unseren Flüchtlingen die entweder ertrinken müssen, oder, wenn sie Glück haben von einem Schiff der Frontex Operation Triton aufgenommen zu werden, um dann in menschenunwürdigen Verhältnissen in der Regel auf ihre Abschiebung zu warten. Und was macht die EU-Kommission? Es soll nun verstärkt gegen die Schleuser vorgegangen werden. An die Ursache dieser Flüchtlingskatastrophe will man nicht ran, dabei wäre das langfristig der sicherste Weg den Afrikanern eine Perspektive zu schaffen.

Das Flüchtlingsproblem hat 2014/2015 eine neue Dimension angenommen, nicht mehr nur die kleinen Schlauchboote treten die Fahrt über das Mittelmeer an, jetzt werden sogar Schiffe benutzt, die auf irgendeinem Schiffsfriedhof vor sich hin gerostet haben. Es nützt dabei nichts, wenn man nur die Schuldfrage zwischen den einzelnen Institutionen und EU-Staaten hin und herschiebt. Eine Lösung dieses Problems muss geschaffen werden, und zwar schleunigst. Und die Lösung kann nur so aussehen, dass den Afrikanern mit unserer Hilfe in ihren Ländern Perspektiven geschaffen werden, die zum bleiben anhalten. Und zwar nicht auf europäische Art in Nischen kleckern, sondern ein ganzheitliches Konzept muss her.

Dieses ganzheitliche Konzept führt uns direkt zu den Werten für die wir Europäer so gerne eintreten, zum Beispiel dem Solidarprinzip. In diesem Falle könnten die Europäer es sogar beweisen.
Und noch eines sollten unsere europäischen Werte befeuern und zum handeln anhalten, da sind „die namenlosen Flüchtlinge“, die im Mittelmeer begraben liegen. Die EU sollte den Flüchtlingen ihre Würde wieder geben, indem sie zumindest die Namen der Ertrunkenen ermittelt. Und, wie kann die zur Zeit mit hohen moralischen Werten vertretene Ukrainepolitik der EU glaubhaft sein, wenn auf der anderen Seite solch eine menschenverachtende Flüchtlingspolitik der EU Tag für Tag sichtbar wird?
So, sind die gemeinsamen Werte, wenn sie nicht gelebt werden, nur für die Sonntagsreden zu gebrauchen.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Brüssel