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Das Nichts erfahrbar zu machen -„Element X“

[jpg] Als ich bei den Buddhisten in Düsseldorf das Meditieren erlernen wollte, kam ich in eine Diskussionsrunde, in der japanische Zen Mönche mit Christen über die japanische
und europäische Philosophie diskutierten. Was mich damals faszinierte war die Bedeutung des "Nichts" in der japanischen als auch asiatischen Philosophie.
Dieses Nichts ist ein Zustand den ein Mensch erreichen kann, wenn er in absoluter Vergeistigung verharrt. Alle Dinge, Gefühle, Erfahrungen fallen von ihm ab und er ist "nur" er selbst, eben der Urzustand seiner Gattung als sie geschaffen wurde. Es ist nicht der Nihilismus europäischer Prägung, wie etwa bei Nietsche oder Heidegger beschrieben, er, der europäische Nihilismus ist nur die Verneinung. Das Nichts der asiatischen Philosophie ist ein Endzustand auf dem Weg zur Menschwerdung, er ist quasi die Krönung des zu Ereichenden. Damals hatte ich erfahren, wie viele Gespräche notwendig sind um einander zu verstehen und sogar eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Die damaligen Diskussionen wurden nach zwei Jahren eingestellt, die Teilnehmer dieser Runde hatten erkannt, dass es andere Formen der Kommunikation bedurfte um zu einem Miteinander zu kommen. Was wir erreicht haben, wir waren uns nicht mehr fremd und hatten eine gewisse menschliche Nähe entwickelt.

An diese Erfahrung dachte ich als ich am 24.4.2010 nach Dortmund ins Harenberg City Center eingeladen wurde um der Premiere des Tanzabends "Element X" nach der Choreographie von Xin Peng Wang und der Idee, Konzeption und dem Szenario von Christian Baier beizuwohnen. Element X ist aber auch Bestandteil des Henze Projekts der Ruhr 2010.

Das Dortmunder Ballett wurde begleitet von Hans-Werner Huppertz mit der Gitarre sowie der Musik von Hans-Werner Henze der bekannte Stücke der Klassik und Pop Musik neu interpretiert hatte und multimedial in den Abend einfließen ließ.

Selbstredend, dass in solch einem Haus kein Orchester Platz finden konnte, sondern nur der Gitarist Huppertz konzertant anwesend war.

 

  Das Publikum fand sich in der Eingangshalle in kleinen zufälligen Gruppen ein, kein Zeichen wann die Aufführung beginnen sollte.

Keine Plätze,  die Positionen waren zufällig durch den Einzelnen eingenommen worden. Freundlich lächelnd tauschte man gerade noch Gedanken aus, als eine Vierergruppe in schwarz gekleidet und weiß geschminkt, also gesichtslos würdevoll und ruhig den Raum betrat.

Sie fixierten den einzelnen Besucher mit ihren Augen, suchten ihn und mischten sich sodann unter die Menge.

Aufgeregt liefen sie durch die nun teilweise freien Räume, die Besucher wichen zurück. Es waren die Spiegel unserer täglichen Handlungen in denen wir uns so wichtig nehmen und die doch so leer sind. Irritationen breiteten sich aus. Sie nehmen uns auf mit unseren Gedanken, Gefühlen und Wünschen. Sie sind das fünfte Element, der Äther oder die Leere, nicht sichtbar und fassbar, die gefüllt werden muss und doch immer unter uns ist. Musik erklingt, die Kompagnie tritt auf – die Vorstellung. Da löst sich ein Tänzer, steigt in den Aufzug und entschwindet gestikulierend und kommt zurück. Was hat er gesehen, was entdeckt?

  Ortswechsel. Wir werden in den Amphisaal gelockt. Dort das klassische Romeo und Julia Ballet, nach der Musik, Royal Winter Music Nr.2, von Henze. Nur wo ist Julia? Wird etwa Julia unter uns sein? Nein.

Pantomimisch sucht der Solist sein Gegenstück oder das was er dafür hält. Er ist alleine. Die Musik "Echo-Canzone und Ciaconna" von Cazzati lässt ein Gefühl der Sehnsucht aufkommen. Ortswechsel. Es ist noch nicht gefunden was wir suchen.

Ist es denn  hier? Was suchen wir überhaupt? Die TänzerInnen sind wie kleine Geister, geduldig und nicht belehrend. Vertrauen entsteht. Sie zeigen uns die Grenzen der Räumlichkeiten auf, sie machen erst Räume erfahrbar. Flure, Treppen und Freiflächen, die wir so nie wahrnehmen und doch immer durchschreiten. Sie sind öffentlich, für jeden begehbar, weit, um Massen von Menschen durchzulassen. Eine Episode am Wegesrand wird nur außerhalb des Sichtfeldes erfasst, stört uns aber nicht in unserer Suche. Suche nach was? Und immer weiter geht es. Geduldig führt man uns. Der Aufzug bringt uns in die oberen Stockwerke, 18 Stockwerke hat das Harenberg-City-Center. Ein enges Zimmer, tausendfach gibt es diese Zimmer, standardisierte 10 qm. Oder mehr? Eine Schale mit Sand, ein Tisch, Licht und ein Panoramablick auf Dortmund. Ist es das was wir suchen, den Raum außerhalb? Henzes second Sonata aus seiner Royal Winter Music untermalt die Szene mit der Gitarre. Gespannt hören wir und ertragen die Enge.

Die Zeit rinnt dabei durch die Hände. Unsere Zeit? Die ach so kostbar und mit der wir doch nicht so recht was anfangen können. Es sind immer wieder die gleichen Dinge die wir Tag für Tag machen, eine endlos Schleife.

Wer programmierte uns nur? If else ohne Variable. Selbst die Gefühle sind standardisiert, die Begrüßung durch Umarmung geübt und angewendet. Was ist eigentlich Leben? Was ist Liebe? Nur Begriffe ohne Bedeutung, inhaltsleer? Der Sand rinnt weiter, hinter dem Gitaristen steht sie. Wer ist das? Wie eine Wächterin, mahnend. Bedenke! Die Zeit ist um, wir müssen weiter.

Stillstand ist bei uns nicht vorgesehen – nicht programmiert. Und doch kommen wir nicht weiter.
Die Endlosschleifen durchbrechen – die Autonomie über das Handeln wieder erlangen. Andere Inhalte. Räume überspringen um in Räume zu gelangen die unser Sein wieder mit Sinn erfüllt.

 

Auf der Brücke, dazwischen, Schreie des Schmerzes und der Lust, die keine Lust ist. LaBarbara Songs 1-10 ertönen. Das suchen und nicht finden hört nicht auf. Ermattung breitet sich aus. Die Besucher sind nun über das ganze Gebäude verteilt, Verharren auf allen Etagen und verfolgen gebannt das Geschehen im Foyer. Auf den Galerien und Brücken erwarten wir nun die Botschaft, schmerzhaft haben wir es gesehen, was fehlte. Ist die Suche nun beendet? Nein!
Die Suche ist dann beendet wenn wir das Fehlende benennen können und uns wieder mit ihm verbinden. Henzes Royal Winter Music ertönt wieder im Foyer. Dort wo Romeo jetzt seine Julia findet. Sie ist es die das Fehlende besitzt, es ist in ihr wie in uns allen, das eigene Ich welches ungezwungen und frei agieren kann und sollte. Dieses Ich, welches ein wahres Füllhorn ist, so man es frei lässt. Dieses Ich kann lächeln, lächeln das man auch lächeln nennen kann. Dieses geheimnisvolle Lächeln, welches uns zu dem führt was uns Halt gibt, was unseren Handlungen einen Sinn gibt, der universellen Liebe.

Und da kommen wir wieder zurück zu dieser eingangs genannten Diskussion. Es gab eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden Gruppen, den Christen als auch den Buddhisten. Bei den Buddhisten gibt es eine Buddhaschaft die in jedem von uns ist, man muss sich nur von den anhaftenden Dingen lösen.
 Die Christen haben eine Analogie indem sie dem Menschen das Göttliche zuschreiben, welches in jedem ist. Denn dadurch das nach der christlichen Lehre Gott den Menschen geschaffen hat ist er in ihm auch vorhanden.
 

 Nur der Mensch muss diese Eigenschaft auch zulassen. Er ist es der sich gegen sich selber stellt und verwirrt durch die Räume geht, immer auf der Suche. Warum sucht er nur? Hat er es nicht erfasst, dass er alles in sich hat? Muss er erst seinen Mitmenschen fragen um zu erkennen? Erfährt er es dann, so ist es für ihn nicht glaubhaft. Die Suche geht weiter. If else ohne Variable. Die Folge: Absturz.
Wir haben ein Ballett der Berührungen erlebt, was unser Seele berührt hat, zärtlich und manchmal etwas fordernd. Es war ein Dialog der in eine Interaktion mündete, staunend haben wir unsere Gegebenheiten erkannt, die ach so einfach aber auch so schwer auf unseren Erwartungen lasten. Es fällt uns schwer uns dem zu öffnen, was uns gut tut. So werden wir weiter hasten zu unserem nächsten Leid, welches uns niemals befriedigen kann.

Das Schlußbild im Pas de deux  geht mir nicht aus dem Kopf, wo das Paar sich nur imitiert aber nicht annähern kann. Wo die bewegungslose Seele des Tänzers ihre Wünsche artikuliert, welche in dem Tanz der Tänzerin ausgedrückt wird. Er, der Tänzer kann seine Seele jedoch nicht fassen und gibt verzweifelt auf.

Deshalb: Geben Sie niemals auf.

Info:

Weitere Termine:

2. und 13. Mai,
5. Juni,
2. und 3. Juli

Karten gibt es unter den Telefonnummern:

Service-Telefon 0231/90 56-166
Theater-Hotline 0231/5027-222

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Dortmund

Fotos: Björn Hickmann, Stage Picture, Linde Arndt, EN-Mosaik

Bilder der Gallery  Björn Hickmann, Stage Picture,