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Liebevolle Netze, die immer wieder neu geknüpft werden

[jpg] Ach, könnte das in allen gesellschaftlichen Bereichen so sein. Dieses gegenseitige Befruchten und von einander lernen, Freude an den Leistungen des Anderen zu haben. Wo das Fremde etwas Vertrautes ist, was man nicht missen möchte – es ist das zweite Ich.

So fiel am 12.4.2010 der Startschuss für die "SCENE UNGARN IN NRW" zum 10.mal. Alle 2 Jahre stellt sich die ungarische Kultur in NRW vor, so dass man sehen kann wie sich die nunmehr Freunde entwickelt haben. 187 Veranstaltungen in 14 Städten mit mehr als 100 Künstlern sollen es werden. Ungarische Musik, Theater, Tanz, Literatur, Film und bildende Kunst werden NRW und das Ruhrgebiet reicher machen. Eingebettet sind unsere Gäste auch in das Kulturhauptstadtjahr 2010, Ruhr 2010. Die Eröffnung fand im Operhaus Dortmund statt und wurde von der deutsch ungarischen Gesellschaft organisiert, wobei der Ministerpräsident des Landes NRW diese Veranstaltungen fördert.

EröffnungsrednerInnen:
 

            
   Birgit Jörder  Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff    János Can Togay

Birgit Jörder, Bürgermeisterin der Stadt Dortmund
Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, Kulturstaatssekretär beim Ministerpräsidenten von NRW
János Can Togay, Direktor des Collegium Hungaricum, Berlin
                              Botschaftsrat der ungarischen Botschaft, Berlin

Bürgermeisterin Jörder betonte die in vielen Städten NRW vernetzte Kulturarbeit, die die internationale Kultur einbezieht. Dieses Treffen geht auf eine Idee der Stadt Dortmund aus dem Jahre 1987 zurück, dem sich inzwischen andere Städte NRW angeschlossen haben. Das besonders entspannte aber auch freundschaftliche Verhältnis zu Ungarn kommt dadurch zum Ausdruck, dass der Wunsch seine Erfüllung findet immer mehr von dem Anderen zu erfahren.

Kulturstaatssekretär Grosse-Brockhoff unterstrich, dass die Beteiligung noch nie so groß war wie in diesem Jahr. Er erinnerte daran, dass es der ungarische Außenminister Horn war, der den eisernen Vorhang zerschnitten hatte. Neben der Metropole Ruhr und Istanbul ist auch das ungarische Pécs europäische Kulturhauptstadt. In dieser Reihe werden für ihn der hohe künstlerische Standard und das kreative Potenzial Ungarn  sichtbar. Kulturarbeit unterliegt in der Landesregierung nicht einer Kürzung, damit soll die Wichtigkeit dieses Ressorts betont werden. Auch die Städte, denn nur mit diesen ist gute Kulturarbeit möglich, sollten sich nicht dazu hinreißen lassen Kulturarbeit zu kürzen.

Der ungarische Botschaftsrat János Can Togay, der selber ein anerkannter internationaler Kulturschaffender ist, drückte zu erst sein Beileid und das seines Volkes zum Tode des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski aus. Die besonderen innigen Beziehungen zu Polen machten diese Beileidsbekundung notwendig.
In diesem Jahr sind besondere Programme und Veranstaltungen geplant, die die kompromisslose, innovative und aufrüttelnde schöne ungarische Gegenwartskultur zeigen wird. Die Geschichte Ungarns seit dem 1. Weltkrieg hat dem Land viel Kraft und Energie abverlangt, die einen Transformationsprozess erforderte der dem des heutigen Ruhrgebietes ähnelt. Diese Spannungsverhältnisse und dynamischen Prozesse wurden immer wieder in einem gegenseitigen Austausch und Dialog mit NRW reflektiert. Beide konnten dabei von den Erfahrungen des Anderen profitieren. Ungarn durchlebt heute eine Rückbesinnung auf seine Wurzeln, um daraus eine moderne Identität zu erlangen. Das die internationale Finanzkrise diese dynamischen Prozesse in Ungarn verlangsamt hat, soll hier nicht unerwähnt bleiben. Auch Ungarn durchlebt, ebenso wie andere Staaten, eine tiefgreifende Krise. Trotz allem oder gerade deswegen, bietet Ungarn heute international anerkannte Künstler, die das Beste des Landes darstellen, den Auftritt in NRW. Kultur ist ein gesellschaftlicher Faktor in Ungarn, der hilft die Zukunft des Landes zu verbessern.  Das Interesse an der Kultur und damit auch der Kunst stellt eine gegenseitige Bereicherung dar, die Europa als gemeinsamen Kulturraum erlebbar macht.

So konnte man die Worte Togays durch die Aufführung des "Hungarian State Folk Ensemle"  mit ihrer Tanzperformance "Labyrinth" bestätigt bekommen.

Zu Grunde dieser Tanzperformance lagen die umfangreichen Sammlungen volkstümlicher, ungarischen Werke, die seinerzeit Bela Bartok sammelte um die Reichhaltigkeit Ungarns im Lied- und Erzählgut zu dokumentieren. Diese Werke wurden variiert  und neu interpretiert, dienten dem Tanztheater als Basis.

Durch leises Flüstern, mehr ein Wispern, machten sich diffuse Figuren im Dunklen bemerkbar. Disharmonische Klänge untermalten die Bewegungen im Halbdunkeln. Ein Dialog über Distanzen entstand kaum wahrnehmbar.

Dann entstand das Licht, grell und die Akteure kamen. Die Kompanie ganz in schwarz wobei sich paarweise Akteure in grauen mit roten Streifen versehenen Kostümen  unter sie mischten. Orientierungslos versuchte man  bestimmte Haltepunkte zu erlangen, was aber nicht gelang. Es entstand eine Sogwirkung, die den Betrachter zwang sich in die Handlung einzubringen. Eine "Zigeunerband" bestehend aus den typischen Instrumenten Geige, Cello, Kontrabass und Klarinette, betrat ab und an die Bühne, begleitete die Kompanie und verschwand wieder, mal im Vordergrund, dann wieder im Hintergrund.

      

Schnelle Wechsel der Szenen die durch Gesangsvorträge nur kurz unterbrochen wurden. Wie zufällig bildeten sich die Tanzformationen die sich mal in schnellem Rhythmus, dann wieder im normalen Paartanz  trafen. Trennung und Bindung ergaben sich wie zufällig und doch gewollt. Dann zwei weiße angestrahlte quadratische Areale in welchen sich das grau/rote Paar zum Vortrag begab. Sehnsucht kam durch die Stimmen und die Bewegungen auf. Ein aufeinander zu Bewegen über das Dunkle in des Anderen Feld, sich finden wollen und doch wieder trennen müssen. Ruhig und erhaben trat die Kompanie ab. Pause und dunkle Bühne. Licht. Es wurden nunmehr seitwärts Sprechgesänge vorgetragen, fordernde, klagende oder lamentierende. Man brauchte keine Sprachkenntnisse um zu erfühlen, es ist eine emotionale Krise. Stille. Dann die Kompanie, immer wieder in weiten schwarzen Mänteln mit Led Leuchten versehen, mit den Bewegungen schwingend, nun ergänzt durch mehrere grau/rot gekleidete Paar. Die Led Leuchten verstärkten die Bewegungen im Dunkeln, Gedankenblitze gleich wurden sie auf der Bühne wahrgenommen.

Die Musik wechselnd von  schnell bis langsam theatralisch, mal harmonisch kurze Melodien mit einem scheinbaren Erkennungswert, die sich  mit einem Stakkato von Disharmonien abwechselten, welche  eine ungeheurere Dynamik der Tänze erforderten. Schnelle detailversessene Schrittfolgen wechselten ab mit einer Ideenfülle, die choreographisch den Atem stocken ließ. Gebannt sah man sich selber in der Szene und hatte niemals Zeit der Ruhe. Mitgerissen wurde der Betrachter. Irgendwie konnte man die teilweise leidvolle Geschichte Ungarns in diesem Stück erkennen, wobei der Fall des eisernen Vorhangs eine weitere ungeheuere Orientierung auslöste.

Es war eine packende und spannende Geschichte die dieses Tanztheater erzählte, gefüllt mit ungarischer Folklore, die modern vermittelt  wurde. Die Choreographie, die von Csaba Horváth, Péter Gerzson und Gabór Mihály geschrieben wurde, hatte die Tradition neu aufbereitet. Lásló Sáry schrieb die Musik auf der Basis der umfangreichen Bartok Sammlung. Es war eine unterhaltende und sehenswerte Aufführung die eine Bereicherung und ein Highlight in der NRW Kultur darstellte. Minutenlanger Applaus des Publikums war der Dank an die Künstler. Danke Ungarn.

Die Veranstaltungen gehen noch bis zum Juni 2010 und werden in 14 Städten von NRW zu sehen sein.
Lernen Sie das Andere in sich kennen.
 
Der Flyer hierzu: scene_ungarn_flyer.pdf
Das Programm hierzu, nur Text: scene_ungarn_program.pdf

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Dortmund

 

Nachtrag: An dieser Stelle möchten wir uns noch ausdrücklich bei Magdolna Wiebe, Leiterin der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft, für ihre aufmerksame Pressebetreuung bedanken.

 


Alle Fotos in diesem Beitrag –  Copyright Linde Arndt