Das allseits beschleichende Unbehagen
[jpg] 70 Jahre Frieden haben wir in Europa. Na ja nicht ganz, denn Jugoslawien hat uns in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts vor Augen geführt, wie schnell die Fratze des Krieges über uns Europäer einfallen kann.
Dann der 11. September 2001, er stellte eine Zäsur für die USA dar, eine Zäsur die die USA nachhaltig traumatisieren sollte, aber nicht nur die USA, vielmehr sollte im Laufe der Folgejahre die gesamte Welt nachhaltig verändert werden.
Vier Flugzeuge der Marke Boing wurden in den USA entführt. Zwei Flugzeuge rasten in das World Trade Center und brachten die beiden Türme zum Einsturz. Rund dreitausend Tote waren zu beklagen. Ein Flugzeug wurde in das Pentagongebäude gelenkt. Einhundertneunundachtzig Menschen fanden den Tod. Ein Flugzeug sollte in das Weiße Haus gelenkt werden, was aber durch die Passagiere verhindert wurde, indem das Flugzeug auf freiem Feld zum Absturz gebracht wurde. Vierundvierzig Menschen mussten hier sterben.
Diese Verbrechen wurden von Menschen ausgeführt die sich durch die Religion des Islam aufgefordert sahen, den USA Schaden zu zu fügen. Nur den USA? Nein, zum ersten mal wurde der gesamte Westen angegriffen. Dahinter stand Osama bin Laden mit seiner Organisation/Gruppe al-Qaida (islamistisch, sunnitischer Prägung, ausgerichtete Organisation), der das Töten von Angehörigen der USA zur Pflicht eines jeden Moslems ausrief. Wohlgemerkt, Al Qaida war und ist eine Organisation, mehr nicht.
Die Reaktion des damaligen US-Präsidenten George W. Bush , „Wir werden einen Kreuzzug führen, um die Welt von den Übeltätern zu befreien. Dieser Kreuzzug, gegen den Terrorismus wird Zeit in Anspruch nehmen“ in einer Rede am Sonntag, 16. 9. 2001- in Camp David/Maryland. Zuvor steckte US-Präsident Bush den territorialen Bereich ab: „Wir werden keinen Unterschied zwischen den terroristischen Tätern und denjenigen machen, die ihnen Unterschlupf gewähren“ in einer Rede am Mittwoch, 12.9. in Washington DC. [Präsident Bush gehörte zu den Methodisten, als „Wiedergeborener Christ“, umgangssprachlich würde man die Methodisten als Sekte und Fundamentalisten mit christlicher Prägung bezeichnen].
Die Al Qaida Gruppe hatte damals ihre Trainingscamps in Afghanistan. Ob die Kabuler Zentralregierung, die von den damaligen Taliban gestellt wurden, inhaltlich über die Al Qaida Gruppierung Bescheid wusste war nicht bekannt. Fakt ist jedoch, der damalige US-Präsident George W. Bush erklärte Afghanistan den Krieg, darüber hinaus wurde von der NATO der Verteidigungsfall ausgerufen. Was folgte war ein nie dagewesener Aufmarsch von Militärpräsenz, mit 43 Staaten, in diesem Land. Die Koalition konnte zwar Al Qaida und die Taliban vertreiben und an die 20.000 Kämpfer töten, deren Führer konnte man jedoch nicht habhaft werden. Viel später starb der eine Führer an einer Krankheit und der andere wurde in einer spektakulären Aktion von den USA getötet.
Bis heute sind die Truppen der Koalition in Afghanistan verblieben um zumindest eine fragile Sicherheit dieses Landes zu gewährleisten.
Innenpolitisch wurde im Oktober 2001 der „Patriot Act“ auf den Weg gebracht, ein US-Bundesgesetz welches in größerem Maße Einschränkungen der US-Bürgerrechte nach sich zog und in späterem Fall teilweise auf Europa ausgeweitet wurde. Darüber hinaus wurde mit der Einrichtung des Gefangenenlagers Guantanamo auf Kuba das Rechtsstaatsprinzip ausgehebelt. Al Qaida hatte damit die westliche Demokratie nachhaltig negativ beeinflusst. Denn der „Patriot Act“ wurde damit begründet, dass die USA ihre Bürgerrechte einschränken muss, um ihre Sicherheit zu erhöhen. Ein Trugschluss?
Nachträglich wird die Öffentlichkeit später vom Versagen der Dienste in den USA und Europa erfahren. Wie konnte es sein, dass der Anführer der Terroristen Mohammed Atta der unbehelligt sein Studium der Ingenieurwissenschaften in Hamburg machen konnte, mehrfach zu militärischen Übungen nach Afghanistan flog, wochenlang mit weiteren 19 Terroristen in den USA das Fliegen von Verkehrsmaschinen der Marke Boing erlernte und von den Fluglehrern das Starten und Landen nicht erlernen wollte? Oder, von den 19 Terroristen des 9/11 Attentats waren 15 Bürger des Königreiches Saudi-Arabien, wurden dort aber nicht als Terroristen geführt. Viele Indizien lagen den Diensten, wie dem FBI in den USA und BfV oder BND in Deutschland vor. Warum wurden die dementsprechenden Konsequenten nicht gezogen? Es fehlten schlicht und ergreifend die personellen Analysemöglichkeiten in den Diensten.
Es sollte aber noch schlimmer kommen. Am 20. März 2003 überfielen die USA mit einer „Koalition der Willigen“ mit erlogenen und erfundenen Gründen (Bedrohung der USA durch irakische Massenvernichtungswaffen) den IRAK. Zwei Monate später war der IRAK mit den Bomben der USA in der Steinzeit angelangt und hatte geschätzte 400.000 – 600.000 getötete Iraker weniger.
Und wieder wurde das Wort Kreuzzug benutzt: Der Wahlkampfleiter George W. Bushs, Marc Racicot, bestätigte, dass in einem Schreiben vom 3. März 2004 das Präsident George W. Bush dafür gelobt worden sei, dass er „einen globalen Kreuzzug gegen den Terrorismus anführt“.
Donald Rumsfeld der damaligeVerteidigungsminister der USA hatte seine streng geheimen Lageberichte für Präsident Bush zu den Militäreinsätze im Irak mit Bibelzitaten untertitelt, drei Beispiele: „Deshalb ergreift die Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leisten und alles überwinden und das Feld behalten könnt“ (Epheser 6,13). Auf einem anderen Bericht findet sich das Zitat „Befiehl dem Herrn deine Werke, so wird dein Vorhaben gelingen“ (Sprüche 16,3). „Ihre ( US-Soldaten ) Pfeile sind scharf und alle ihre Bogen gespannt, ihrer Pferde Hufe sind wie Felsen und ihre Wagenräder wie ein Sturm“ (Jesaja 5,28). Selbstredend kam dies alles auch der islamischen Welt zu Gesicht.
Im nun besiegten Irak machte die USA eine Treibjagd auf die ehemalige Führungsriege des Hussein Regimes. Den ehemals irakischen Präsidenten Sadam Hussein fand man später in einem Kanal. Er wurde schnell vor ein Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und hingerichtet, der Prozess war eine Farce. Denn die USA waren selber an Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen in großen Maßen beteiligt, wie also konnten sie dem ehemaligen Diktator den Prozess machen lassen? Siegerjustiz halt.
Der von den USA eingesetzte Zivilverwalter (Siegerverwalter) Paul Bremer machte zum gleichen Zeitraum denn auch kurzen Prozess mit der herrschenden Schicht der Sunniten in Armee und Partei. Er entließ die Armee und löste die führende Baathpartei im Irak auf. Ein Fehler. Das Machtvakuum füllte denn dann, die bis dahin unterdrückte schiitische Bevölkerungsmehrheit, die bisher von den Hebeln der Macht ferngehalten wurde.
Rund 650.000 Armeeangehörige wurden einfach gefeuert! Keiner hatte sich Gedanken gemacht, was mit diesen Leuten passiert. Und es dauerte nicht lange, da flogen die Sprengfallen in die Luft oder Autos explodierten. Ein Vorgeschmack wie sich später herausstellte. Paul Bremer ordnete denn an, eine neue Armee und Verwaltung aufzubauen, die keine Husseinvergangenheit haben sollten. Wie gesagt, die Schiiten kamen an die Macht und die Sunniten hatten das Nachsehen. Und die Schiiten kosteten die neu Macht in vollen Zügen aus.
Es war die Geburtsstunde der ISIS (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) aka ISIL (Islamischer Staat im Irak und der Levante) aka IS (Islamischer Staat). Die Sprachregelung für IS in vielen Staaten ist jedoch Daesch (jemand oder etwas, das etwas zerstampft), weil dieses Wort den Anspruch ein islamischer Staat zu sein, zurück weist.
Es kam aber noch schlimmer. Viele der arabischen Völker fanden das Vorgehen des Westens im Zusammenhang mit den Kriegen und Revolutionen im wesentlichen als eine Erniedrigung ihrer Völker, Stämme und Religion. Aus diesem Grunde wurde im Juni 2014 das Kalifat von Abu Bakr al-Baghdadi ( Dr. Ibrahim Awwad al-Badri ) ausgerufen. Große Teile Syriens und des Irak sind in der Kontrolle von Daesch. Staatliche Strukturen mit einer Steuerverwaltung wurden angelegt. Anfang 2015 nimmt Daesch Einfluss auf Libyen und setzt sich in der Hafenstadt Sirte fest. Das Daesch eine barbarische und Menschenfeindliche Organisation ist, muss hier nicht weiter erörtert werden.
Parallel haben sich in Europa und den USA regelrechte Fans für Daesch gefunden, die nach Syrien reisen um sich dort einer Gehirnwäsche unterziehen und militärisch ausgebildet werden. Das größte Ziel, soviel „Ungläubige“ wie möglich zu ermorden.
Die Frage ist jetzt: Sind diese Menschen gläubige Anhänger des Islam? Sind sie nur fehlgeleitet durch radikale Fanatiker einer Religion? Alle Attentäter stammten aus den sozialen Brennpunkten in Paris und Brüssel und waren teilweise der Polizei bekannt. Wobei auch hier, wie in den USA sicherheitstechnisch einiges schiefgelaufen war. Wie konnte es passieren, dass die Bürgermeisterin von Molenbeek-Saint-Jean, Françoise Schepmans (Mouvement Réformateur), eine Liste der Pariser Terroristen vom November ´15 wochenlang auf ihrem Schreibtisch hatte und keine Ahnung hatte was sie damit tun sollte? Auf der anderen Seite wurden die belgischen Dienste nicht informiert!
Molenbeek-Saint-Jean und Paris haben eines gemeinsam, sie haben eine Jugendarbeitslosigkeit von über 40%. Molenbeek-Saint-Jean, ein Vorort von Brüssel und die Banlieue von Paris und anderen Städten bieten seit Jahren Migranten keine Perspektiven. Die Arbeitslosigkeit bei Migranten liegt permanent bei über 50%. Das junge Menschen sich radikalisieren können, ist wohl jedem bekannt. Auch der Weg zur Radikalisierung ist bekannt. Was den jungen Menschen fehlte war eine Begründung für ihr menschenverachtendes Tun. Und da boten sich die Hassprediger an, die ihnen die Gründe und gleichzeitig die Absolution für ihr zukünftiges Tun anboten. Wie in der Bibel finden sich im Koran Verse die solche Gewalttaten rechtfertigen könnten. Und da schließt sich der Kreis, denn auch die Kreuzzüge der Christen, damals wie heute, wurden mit der Bibel begründet. Das diese Kreuzzüge mehr oder weniger nur Raubzüge waren, findet man bis heute nur in seriösen Geschichtsbüchern.
Und der angeblich vom Islam propagierte Dschihad, also der religiöse begründete Kampf gegen anders Gläubige? Er ist schlicht und ergreifend nicht begründet und hat mit dem Islam nichts zu tun. 126 hochrangige islamische Rechtsgelehrte unter anderen der Großmufti von Ägypten, Schawki Ibrahim Allam, haben in einer Fatwa (islamisches Rechtsgutachten) (Offener Brief an al-Baghdadi.pdf) festgestellt, dass diese Verhaltensweisen des Daesch mit der wahren Religion, dem Islam, nichts zu tun haben. Kriege und damit das Morden suchten immer in der Religion die Begründung.
Es bleibt die Frage nach den Ursachen. Und da stellt sich die Frage nach den Bürgerkriegen auf dem nordafrikanischen Kontinent, die die Bürger aus ihrem sozialen Umfeld entreißen um sich dann in einem würdelosen Umfeld, wie den vielen Lagern, wieder zu finden. Oder wenn sie als Binnenflüchtlinge von Stadt zu Stadt flüchten um zuzusehen, wie eine Stadt nach der anderen zerbombt wird. Es ist ein menschenverachtendes Umfeld in dem junge Menschen aufwachsen, wo es schon verwundert, dass es nicht früher zur Radikalisierung kam. Und die europäischen jungen Menschen? Der junge Abdelhamid Abaaoud wird in einem Pickup gezeigt, grinsend und fröhlich. Was nicht gezeigt wird, hinter dem Pickup sind menschliche Leichen angebunden die er hinter sich herzieht. 1.500 Franzosen und 700 Deutsche sollen sich bei Daesch befinden, die in einem Interview bekunden, dass sie sich darauf freuen anderen Menschen den Kopf abzuschneiden. Was ist da nur falsch gelaufen?
Die Taten von Paris oder anderswo sollten nicht relativiert oder verharmlost werden. Sie sind barbarische Akte von Personen denen das Menschsein total abhanden gekommen ist.
Aber wir sollten darüber nachdenken wie es zu solchen Taten kommen konnte und wie wir den Menschen die perspektivlos in die Barbarei abdriften, helfen können, vollwertige Mitglieder unserer Demokratien zu werden. Ob sie nun Moslem, Christ oder Jude sein wollen ist unseren Demokratien egal, wir haben eine garantierte Religionsfreiheit.
Eines sollten wir jedoch unterlassen, blind mit Worten und Taten auf andere einzuschlagen und damit unsere demokratischen Werte preiszugeben; denn dann können wir uns direkt diesem verbrecherischen Kalifat von Abu Bakr al-Baghdadi ( Dr. Ibrahim Awwad al-Badri ) unterwerfen. Unsere Demokratie hat mehr zu bieten als diese archaischen Taten der Terroristen die meinen aus dem Islam die Gründe für ihr unseliges Tun begründen zu können. Der Islam ist genauso wie die jüdische und christliche Religion an ein friedliches Miteinander ausgelegt.
Es bleibt jedoch dieses Unbehagen welches überall in der europäischen Gesellschaft vorherrscht und uns in die Hysterie treibt. Lasst uns unser humanistisches Gedankengut und die Aufklärung aus dem Keller holen und den europäischen Weg fortsetzen. Wir haben Fehler gemacht, wir müssen aber keine weiteren Fehler machen und uns damit selber in Frage stellen.
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik und european-mosaic.