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Die Idiōtae Europas wollen oder können nicht europäisch sein

Plenary-Session in Brüssel Foto: (c) Linde Arndt

[jpg] Wo haben die 27 (28) Staaten der EU eigentlich ein Problem mit Europa? Bei manchen „Europäern“ hat man den Eindruck, als wenn diese sich nach der Zeit zurück sehnten, in der noch Stämme Europa beherrschten. Langobarden, Kelten, Etrusker, Sachsen, Franken, Germanen, Goten (Ost und West) und was weiß ich, welche Stämme durch Europa wanderten, um den anderen die Köpfe einzuschlagen.
Oder, nicht der Neandertaler war unser gemeinsame Vorfahre, sondern ein in Afrika lebendes Wesen, welches sich später auf den Weg machte, die Welt zu erobern – der heutige Homo Sapiens. Denn, diesem heutigen Homo-Sapiens muss es doch möglich sein, den Staat weiter zu entwickeln zu einem größeren Gebilde, welches auch die größeren Probleme des Homo Sapiens lösen kann.

Die viel später nach den Stämmen folgende Staatenbildung wurde offensichtlich nicht richtig durch die einheimische europäische Bevölkerung eingeordnet oder ausgelebt. Deshalb wusste man in Europa immer irgendwo einen Krieg vom Zaun zu brechen, der Millionen Menschen den Tod brachte. Und hatten sich diese Kriege gelohnt? Nein, nicht wirklich!
Über 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit rund 50 Millionen Toten, hat Europa (Ausnahme die Balkan-Kriege in den 90ern) nun Frieden! Und warum? Weil die Europäer lieber Handel, Forschung oder Kulturaustausch betrieben haben und für einen Krieg keine Zeit hatten. Gottseidank, sollte man sagen.
Wie kann also der Vorteil einer größeren Einheit, Europäische Union (EU) mit 27 Staaten, dem einzelnen Bürger nähergebracht werden? Und darüber hinaus die Globalisierung der Beziehungen mit multilateralen Bezügen ohne einen Hegemon USA. Lohnt sich Europa für den einzelnen Bürger und seinen Eliten nicht (mehr)? Ist es erstrebenswert Nationalismus, Protektionismus, Isolationismus und Xenophobie und die damit einhergehenden Ängste und Hysterien aufleben zu lassen? Was für einen Vorteil können wir von den angestrebten Änderungen erwarten? Keinen, aber wirklich keinen.

Jean-Cloude Juncker Foto: (c) Linde Arndt

Der „Brexit“, also der Austritt der Briten aus der EU, hat Europa total durcheinander gewirbelt. Weshalb eigentlich? Das Referendum vom 23. Juni 2016 welches mit 51,89 % für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union endete, stellt eine Schande der britischen Eliten dar und nicht der EU. Schande deshalb, weil dieses Referendum die britischen Bürger durch Halbwahrheiten und Lügen zu diesem Ergebnis geführt hat. Von Nigel Farage von der UKIP Partei war man ja Halbwahrheiten, Lügen und populistische Sprüche gewohnt, aber von Boris Johnson (Tory) dem ehemaligen konservativen Londoner Bürgermeister hatte man keine derartigen Verhaltensweisen erwartet. Und Labour? Der linksgerichtete Jeremy Corbyn warb nur halbherzig in dem Wahlkampf für den Verbleib der Briten in der EU, obwohl er für den Verbleib war. Das verstehe, wer will.
Lassen wir einige Halbwahrheiten und Lügen Revue passieren:

    • 445 Millionen Euro wöchentlich soll angeblich Großbritannien an Brüssel überweisen, tatsächlich sind es jedoch knapp die Hälfte, die Großbritannien überweist.
    • Die Türken würden bald Mitglied der EU, tatsächlich ist eine Mitgliedschaft der Türkei eher unwahrscheinlich.
    • Großbritannien werde mit dem Austritt die Kontrolle über seine Grenzen zurück erlangen, tatsächlich gehörte Großbritannien nie zum „Schengen Raum“ und konnte jederzeit seine Grenzen dichtmachen, schützen oder kontrollieren.
    • Der Gipfel der Halbwahrheiten war: Durch den Austritt Großbritannien würde sich für die Briten im Verhältnis zur EU nichts ändern. Es wird sich viel verändern, letztendlich könnte Großbritannien auf einen WTO Status zurückfallen, wenn die jetzt zu tätigenden 2-jährigen Verhandlungen ohne Abschluss geführt würden. Und so sieht das im Moment aus.

    Nachdem die Kündigung der Briten in Brüssel dem Ratspräsidenten Tusk überreicht wurde, wurden auch die Verhandlungsführer benannt, das sind:

    • David Davis (67), britischer Brexit-Minister
    • Michel Barnier (66), Chefunterhändler der Europäischen Kommission,
    • Didier Seeuws (52), Direktor des Europarats und
    • Guy Verhofstadt (64), europäisches Parlament.

    Als wenn, das nicht reichen würde. Dann sind da noch die Probleme der osteuropäischen Staaten, die Visegrád-Gruppe mit Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, die der EU äußerst kritisch gegenüberstehen. Diese Gruppe lässt in sehr großem Maße die Solidarität gegenüber der EU vermissen und tendiert zu der Rückkehr in den Nationalstaatsmodus. Hier geht es um Wirtschaft, Migration, Finanzen und Freizügigkeit. Polen und Ungarn schrammen an den Grenzen der Rechtsstaatlichkeit vorbei und stehen seit geraumer Zeit im Blickfeld der Kommission. Es geht einfach nicht, dass einzelne Staaten die Annehmlichkeiten von Brüssel als Selbstverständlichkeit sehen und die Belastungen die sich durch die Mitgliedschaft ergibt, nach Belieben von sich weisen.

    Zu guter Letzt kommt noch der neue US-Amerikanische Präsident Trump, der der EU nicht gerade gut gesonnen ist. Er sieht die großen Exporte der EU in die USA, die die USA zum Schuldner Nummer eins in der Welt machen. Wobei, wo sind die USA nicht verschuldet? Aber, das ist ein anderes Thema.

    In Brüssel und Straßburg werden personelle Kräfte gebunden die sich mit den jetzt aufgetretenen Problemen befassen. Allein der Brexit bindet auf 2 Jahre hunderte Mitarbeiter; denn es gilt rund 80.000 Seiten Richtlinien oder Gesetze zu überarbeiten, damit die Briten aus diesen Texten getilgt und umgeschrieben werden. Wobei die Parlamente den Änderungten auch noch zustimmen müssen. Für die Briten gilt dies ebenso. Die Kosten dieses Brexit für Brüssel und London wagt keiner zu benennen, geschweige denn zu erwähnen.
    Dabei wäre es wichtiger, wenn Brüssel sich endlich auf den Reformstau stürzen würde, um die kritischsten Stimmen zu dämpfen.

    Abstimmung bei der Plenar-Sitzung in Brüssel Foto: (c) Linde Arndt

    Rückblick: Wie alles begann.

    An und für sich sollte die EU schon 1954 mit der europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) die ersten Schritte auf europäischem Boden machen. Ging aber nicht, da Konrad Adenauer die Zeit für eine Wiederbewaffnung der Bundesrepublik noch nicht für gekommen sah. Auch hätte Adenauer die Westbindung aufgeben müssen, denn der französische Präsident Charles de Gaulle wollte eine reine europäische Verteidigung organisieren, ohne die USA und Großbritannien. Es sollte noch ein Jahr dauern und Deutschland würde stattdessen der Nato beitreten. Adenauer wollte mit Unterstützung Frankreichs die Integration Deutschlands in die Weltgemeinschaft umsetzen, wobei Adenauer nicht drängen wollte. Überhaupt hielt sich Adenauer sehr zurück, verständlich, immerhin war der zweite Weltkrieg erst 10 Jahre her.
    Der erste Schritt fand dann auch am Abend des 25. März 1957 in Rom statt. Zwölf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg fanden sich im Senatorenpalast von Rom die Staatschefs von Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden zusammen um den EWG-Vertrag, den EURATOM-Vertrag und den EGKS (Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl) Vertrag feierlich zu unterzeichnen.
    60 Jahre später trafen sich die 27 Mitglieder der (inzwischen) EU um sich der gemeinsamen Zukunft zu versichern. Die EU ist halt noch nicht reif für die Rente, so der Luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel. Man ist sich aber sicher die EU muss dringend reformiert werden, nur wer soll dies machen? Deutschland mit Bundeskanzlerin Merkel hält sich zurück und harrt der Dinge die kommen.

    Von Gurken, Staubsaugern und Feinstoffen

    In Brüssel schlagen Kommissare oder Parlamentarier regelmäßig die Hände über dem Kopf zusammen, wenn die Nationalstaaten und deren Regierungschefs meinten wieder einmal die EU schlecht machen zu müssen. Wobei die politischen Parteien und die nationalen Medien mit in diese Kerbe schlagen. Es ist chic auf die EU „einzuprügeln“.
    Als Beispiel mag die Verordnung (EG) 1677/88 herhalten. Im Zuge der Normierung hatte man den Schlangengurken einen Krümmungsgrad verpasst, wonach die Klasse I ( Es wurden die Güteklasse „Extra“ sowie die Handelsklassen I bis III definiert) eine maximale Krümmung von zehn Millimetern auf zehn Zentimetern Länge aufweisen durfte. Diese Verordnung wurde als typische Regulierungswut der Brüsseler EU gegeißelt.
    Es war jedoch nicht die Kommission, die diese Richtlinie auf den Weg brachte, sondern der Groß- und Einzelhandel der Länder unter der Regie Deutschlands. Denn die Händler wollten, was ja auch Sinn machte, die Gurken besser und kostensparender verpacken und das ging nun einmal nur mit einer geraden Gurke. Und damit man nicht immer die Verpackungen aufmachen musste, wurde die Klassifizierung auf den Weg gebracht und auf die Verpackung gedruckt.
    Das Geschrei war groß und man ging die EU zu Unrecht an. Als nun die EU um des lieben Friedens Willen diese Verordnung 2009 außer Kraft setzte, hatten zwar die Kritiker gewonnen, nur die Händler waren enttäuscht. In Folge setzten die nationalen Händlervereinigungen sich zusammen und übernahmen die Normierung als eigene Norm. Da scheint die EU doch nicht so schlecht gearbeitet zu haben?
    Beispiel zwei, die Verordnung (EU) Nr.:666/2013 die Staubsaugerverordnung. Demnach darf die Leistung eines in den Handel gebrachten Staubsaugers ab 2017 die Leistung von 900 Watt nicht übersteigen. Daneben sind noch einige andere Parameter in dieser Verordnung, was jetzt einmal nicht erörtert werden sollte. Und wieder war der Aufschrei riesengroß über den Regulierungswahn der EU. Tatsächlich hatte die EU jedoch den Auftrag der Regierungschefs sich Gedanken zu machen wie die Pariser Cop21, also die CO2 Verpflichtungen, durch einen Beitrag der EU umgesetzt werden könnten. Auf diesem Wege stellte die EU fest, dass 900 Watt für Staubsauger vollkommen ausreichend seien um die gleiche Saugleistung zu erbringen wie ein 2.000 Watt Staubsauger. Bei einigen Millionen Haushalten in der EU ist das sicher eine nicht zu verachtende Energieeinsparung was einer CO2 Einsparung europaweit gleichkommt.
    Ein weiteres Beispiel, die „Richtlinie 2008/50/EG über Luftqualität und saubere Luft für Europa“. In ihr wurden die Grenzwerte für Luftschadstoffe, Schwefeldioxid (SO2), Stickstoffdioxid (NO2), Stickstoffoxide (Nox) oder Feinstäube verbindlich festgelegt. Nach dem heutigen Stand der Technik dürfte das kein Problem sein.
    Für Deutschland schätzt man z.Bsp. jährlich 12.000 Tote die an Lungenkrankheiten, wie Asthma oder Copd versterben. Nicht nur das, vielmehr sind viele Allergien oder Asthmaerkrankungen auf die erhöhten Luftschadstoffe zurückzuführen. Es wird aber nicht nur in Deutschland eine erhöhte Mortalität geschätzt, vielmehr können die deutschen Zahlen auch auf die anderen Staaten übertragen werden. Die wirtschaftlichen Gesundheitskosten innerhalb der EU sind enorm und verbrauchen finanzielle Ressourcen, die nicht hinnehmbar sind.
    Das wesentliche diese drei Beispiele sollen aber zeigen, wie gut die EU arbeitet, aber, und das ist noch wichtiger, die EU arbeitete immer im Auftrag der 27 Staaten, also nie ohne Weisung. Auch die Richtlinien und Verordnungen wurden immer im Rat der EU von den Regierungschefs abgesegnet.
    Wenn also die Regierungschefs sagen, sie hätten diese Verordnungen nicht gewollt so sagen sie nicht die Wahrheit.
    Aber es ist ja immer gut von dem eigenen Versagen abzulenken und die EU als Watschenaugust einzusetzen.

    José Manuel Barroso und Herman Van Rompuy
    Foto:(c) Linde Arndt

    Brexit, Trump und die französische Präsidentenwahl

    Als Premierminister Cameron das Referendum über den „Brexit“ auf den Weg brachte, dachte in Europa niemand an einen Erfolg dieses Referendums, selbst Cameron nicht. Nur, niemand hatte mit den Gegnern Boris Johnson und Nigel Farage gerechnet. Und niemand konnte die schwache Haltung von Labour gegenüber Europa voraussehen. Jeremy Corbyn von der Labour Party weiß bis heute nicht, ob er Fisch oder Fleisch ist. Die Befürworter der EU in Großbritannien waren sich zu sicher.
    Durch Halbwahrheiten, ja, sogar klare Lügen wurden die britischen Wähler in die Irre geführt und getäuscht. Das Referendum für den Brexit kam durch und wurde danach auch im Unterhaus beschlossen. Allerdings war das Referendum für die Regierung nicht bindend. Premier Cameron hatte dieses Referendum mit seiner Person verknüpft.
    Premierminister Cameron trat zurück und Theresa May wurde Premierministerin und reichte Ende März 2017 die Scheidungspapiere in Brüssel ein. Danach fixierte May auch noch Neuwahlen, die die Mehrheiten der Tories im Unterhaus verbessern sollen. Die Schwierigkeiten die jetzt auf die Briten und die EU zukommen werden beide, EU als auch Britannien, lähmen, so dass kaum Energien für weitere Entwicklungen in Europa frei gesetzt werden können. Nach der neuerlichen Parlamentswahl in Großbritannien, spekulieren viele Briten damit das Land auf den WTO Standard zurückfallen zu lassen. Denn die Zeit für Verhandlungen ist sehr knapp.
    Auch die USA machen im Moment einen Häutungsprozess durch. Dieser Häutungsprozess ist durch die unerwartete Wahl des Republikaners Donald Trump entstanden. Unerwartet deshalb, niemand hatte dem „Rüpel“, der in der Wahl gelogen hatte dass sich die Balken bogen, eine Chance gegeben. Trump wurde von den Republikaner nicht favorisiert, was ihn jedoch nicht scherte, er setzte sich mit seinem eigenem Geld in Szene und gewann. Wesentlich ist jedoch die Wählerschaft die Trump gewählt hat. Es sind die Abgehängten, sozial vernachlässigten Gebiete die Trump wählten. Diese Gruppe war es Leid von der Washingtoner Elite immer wieder vertröstet zu werden und nicht wahrgenommen zu werden.
    Jetzt versucht Trump seine Wahlversprechen per Dekret umzusetzen, was aber letztendlich den Kongress, also die gewählten politischen Vertreter, auf den Plan rief. Sogar die Gerichte mussten Trump stoppen. Ob das langfristig eine Veränderung der USA Demokratie bedeutet, es herrscht Unsicherheit, die die Welt dazu bringt sich neu zu orientieren. Kontinuität sieht anders aus. Trump war ein Nichts auf dem politischem Radar der USA, wie konnte es zu einer derartigen Wahl kommen?

    Die französischen Präsidentschaftswahlen

    Kommen wir zu der französischen Präsidentschaftswahl. Der neue französische Präsident heißt Emmanuel Macron.
    Was war das für ein Bangen, als Marine le Pen vom „Front National“ (FN) mit 21,3 % in die Stichwahl kam und Emmanuel Macron mit seiner Bewegung „En marche !“ mit 24 % nur ein paar Prozentpunkte Vorsprung hatte. Letztendlich reichte es für Marcron, er gewann die Stichwahl mit 66,1 %.

    Mit der französischen Wahl konnte jedoch eines nicht mehr übersehen werden, was sich in Europa und anderswo schon lange abzeichnet.

    • ie klassischen Rechten und Linken lösten sich auf. Aber, und das war auch noch zu sehen, die etablierten Parteien, wie die Sozialdemokraten (Parti Socialiste) und die Konservativen (Les Républicains), verschwanden von der Bildfläche zugunsten einer ganz neuen Bewegung (!), der Bewegung „En Marche“ (Vorwärts) eines Emmanuel Macron. Selbst die der Nationalisten (Front National) einer Marine Le Pen, hängten die etablierten Parteien ab. Die Franzosen wollten etwas neues, nicht mehr die alten Gesichter.
    • Die französische Nation spaltete sich in Eliten und Abgehängte, die Vorstädte und die Innenstädte oder die ehemaligen heruntergekommenen Industriegebiete und die neuen Ökonomien. Hier sollten wir uns die neuen Stichworte Gentrifizierung und „Bobos“ (bourgeois und bohémien) zu Gemüte führen. Die Franzosen waren ja mit Griechenland (Syriza Partei), Spanien (Podemos Partei) oder auch durch das Wiedererstarken der österreichischen Nationalisten unter Strache gewarnt.
    • Die USA haben mit Trump einen nationalistischen und populistischen Präsidenten bekommen, der die Nation spaltet und spaltete. Was aber noch wichtiger ist, die egoistischen Einstellungen Trumps haben weltweite Auswirkungen. Verträge, wie das Klimaabkommen von Paris, werden von den USA jetzt in Frage gestellt und gekündigt.
    • Der neue französische Präsident Emmanuel Macron hat im Wahlkampf eines vorbildlich gezeigt, man muss nicht die Positionen der Nationalisten und Populisten einnehmen, um die Wähler für sich zu gewinnen. Macron wusste die Argumente von Marine le Pen als ein Gebilde von Halbwahrheiten und Lügen zu enttarnen und damit die Nationalisten und Populisten zu entzaubern. Er überzeugte.
    • Was die Franzosen auch gezeigt haben, die Wahlen können aus dem Nichts bestehend Mehrheiten kippen, was die Briten mit ihrer Wahl auch zeigten. May war sich ihrer Mehrheiten sicher, zu sicher aber ihr Widersacher Jeremy Corbyn kippte die Wahl und nahm Theresa May die Mehrheit ab.
    • Für die deutschen Bundestagswahlen sollte das als Mahnung gereichen, dass die Parteien auch hier sich nicht sicher sein können. Merkel für immer? Wer weiß.
    • Eine Anekdote am Rande der französischen Präsidentenwahl. Philippe Poutou Nouveau Parti anticapitaliste (NPA) ein aussichtsloser Bewerber der 11 angetretenen Bewerber machte Furore in dem er Marine le Pen und anderen in der Fernsehdiskussion mit allen Präsidentschafts-Anwärtern einmal richtig die Meinung sagte, so Poutou in einem späteren Interview. So was ist auch nur in Frankreich üblich. Immerhin holte Poutou mit 1,2 % der Stimmen den viertletzten Platz.

    Angela Merkel Foto: (c) LInde Arndt


    Was kann Deutschland daraus lernen?

    Es ist vorbei! Jahrelang haben sich SPD und CDU die Macht in deutschen Landen geteilt, jahrelang haben sie sich mit Sprüchen und gut anhörenden Worten über Wasser gehalten. Sie haben Vertrauen verspielt und ihre Glaubwürdigkeit steht nicht zum Besten. Politik hat sich ihre eigene Welt geschaffen, losgelöst von sämtlichen Realitäten, lebte sie in der Bonner Republik in einem „Raumschiff Bonn“ so finden wir die Politik heute in Berlin in einer Filterblase oder Echokammer wieder. Nur die Eliten dürfen in die „heiligen“ Büros von Abgeordneten oder Amtsträgern. Mehrfach geweihte dürfen sogar im Kanzleramt den privaten Geburtstag feiern. Man sollte jedoch nicht meinen, das wäre eine für Deutschland typische Beschreibung des politischen Systems. Weit gefehlt, die USA haben genauso mit diesem System fertig zu werden, wie andere Demokratien auf der Welt.
    Welche Konsequenzen hat das für Deutschland? Deutschland hat im September eine Bundestagswahl.
    Zuerst einmal sollten die etablierten Parteien nicht die Positionen der nationalistisch, populistischen AfD übernehmen. Denn Frankreich hat gezeigt, es gibt kein politisches ausgeprägtes rechts links Verständnis mehr. Rechts von uns darf es keine Partei mehr geben, wie es die CSU immer wieder formuliert, diese Devise ist damit obsolet. Deshalb gilt, die Halbwahrheiten und falschen Behauptungen der Populisten zu entlarven oder die Zusammenhänge aufzuzeigen die die gemachten Aussagen der Populisten, als das zu enttarnen, was sie sind – Unsinn oder schlimmer noch Lüge.
    Weiter sollten die etablierten Parteien sich an ihre Anfänge erinnern, als sie noch authentische Aussagen machten, als sie Perspektiven aufzeigten, Probleme erkannten und diese auch mit Lösungsansätzen versehen konnten. Sie sollten zeigen, dass sie in der Lage sind, die Generationserneuerung in der Politik positiv zu begleiten – neue, junge und unverbrauchte Gesichter in die Führungsetagen einzubringen. Auch Deutschland könnte einen oder mehrere „Elder Statesmen“ aufzeigen, es muss nicht immer ein 88-jähriger Jürgen Habermas sein.
    Emmanuel Macron hat aber noch eines gezeigt, er hat eine Erzählung, eine Strategie geliefert die den Franzosen eine Zukunft aufzeigen – sie (Erzählung) fängt mit Europa an und schließt Frankreich mit ein. Frankreich eine Führungsmacht mit Deutschland.
    Ein weiter so wird sowohl die Konservativen als auch die Sozialdemokraten in den Orkus der Geschichte befördern. Und bei diesem Spiel, „Weiter so“ wird es nur Verlierer geben.

    Ist Brüssel noch bei „Sinnen“?

    Mit der Öffentlichkeitsarbeit hat es die EU  nicht so. Oder wollen wir mal so sagen, Transparenz ist in Brüssel nur ein Wort. Wer etwas über die EU wissen will, muss sich schon selber bemühen.
    So kommt es, dass Spekulationen, Unterstellungen und Halbwahrheiten durch die Politik der 27(28) EU Staaten ins Kraut schießen. Jeder einigermaßen intelligente lokale bis nationale Politiker kann seine eigene Unfähigkeit unwidersprochen auf die Brüsseler Politik schieben.
    Wen wundert es, wenn die EU ein denkbar schlechtes Image hat? Wenn die meisten der 500 Millionen Europäer nicht wissen, wofür und für was eine EU eigentlich steht? Wer weiß schon, dass die Regierungschefs der 27 (28) EU Länder die Marschrichtung bestimmen respektive dominieren? Und die Regierungschefs sind nur an einer handzahmen Brüsseler EU interessiert und äußerst wachsam, wenn es darum geht, Kompetenzen an die EU abzugeben.
    So konnte man und kann man Blüten der Inkompetenz beobachten, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Die EU hat zwar einen gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraum, nur, wie konnte es da passieren das es ein Roaming im Mobilfunkbereich gab.
    Haben wir nun einen Wirtschaftsraum oder nicht? Und wieder waren es die Deutschen die hier eine „Extrawurst“ von Brüssel serviert bekamen. Erst dem energischen Einsatz der Kommissarinnen Viviane Reding und Neelie Kroes war es zu verdanken, dass die Roaminggebühren für 2017 ganz entfallen. Die Finanzkrise 2008 hatte die unfertige Währungsunion allen EU-Bürgern vor Augen geführt. EU Staaten hatten sich auf Geschäfte eingelassen, die die Staaten in Schwierigkeiten brachten. Griechenland konnte sich verschulden, ohne dementsprechende Sicherheiten zu besitzen. „Billige“ Arbeitsplätze aus den osteuropäischen Staaten konnten die heimischen Arbeitnehmer verdrängen. Speditionen machten in Ländern eine Firma auf die keine strengen technischen Vorschriften und „billige“ Fahrer haben. So leben die Fahrer in Europa auf der Straße, um irgendwo auf einem Parklatz für einen neuen Auftrag geordert zu werden. Ganz zu Schweigen von den Handwerkern, die per Entsendung preiswert ihre Dienste in den EU-Staaten anbieten können.
    Was sich in den letzten Jahren zeigte, es ist die EU der Eliten und weniger der europäischen Bürger. Überall politische Baustellen und keine Lösungen in Sicht.
    Die soziale EU, die die Arbeitnehmer schützen sollte, wurde noch nicht einmal angedacht. So konnte Deutschland jahrelang ohne Mindestlohn die Löhne niedrig halten.
    Reformen wurden immer mal lauter angemahnt, jedoch diese Anmahnungen vernahm man nur als Krächzen. Es musste ja kommen, die Populisten und Nationalisten wussten sich in Szene zu setzen. Österreich, Polen, Holland, Großbritannien und Frankreich stellten immer mehr signifikante Bevölkerungsteile an Europagegnern und Europaskeptikern ab und diese Gruppe ist nicht mehr zu übersehen und zu überhören.

    Donald Tusk – Präsident des Europäischen Rates
    Foto: (c) Linde Arndt

    Der ehemalige Kommissionspräsident José Barroso mit dem Ratspräsidenten Herman Van Rompuy hätten schon längst die ersten Reform-Schritte unternehmen müssen. Die folgende Spitze der EU, Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker mit dem Ratspräsidenten Donald Tusk interessierten Reformen auch nur wenig.
    Transparent hätte man zumindest eine Skizze, eine Vision oder Schritte zu einem weiter entwickelten Europa unternehmen können. Der Brexit hätte als Zäsur verstanden werden können, die zu einem Neuanfang hätte führen können.
    US Präsident Trump ließ die europäische Elite wie Schüler aus der Grundschule dastehen in dem er sie abkanzelte und Investitionen in den militärischen Bereich verlangte. Alles Momente, die ein „weiter so“, verboten haben und förmlich nach Reformen schrien. Wer ist denn die EU? Eine starke Wirtschaftsmacht mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund 15 Mrd. Euro in 2016 oder eine Bananenrepublik? Ein bisschen Selbstbewusstsein könnte es schon sein. Die Nato ist obsolet, sagte der US Präsident Trump. Kein Problem, Europa hat seit Ende des zweiten Weltkrieges die europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) als Blaupause in den Schreibtischen der Regierungen. Es gibt ansatzweise militärische Zusammenarbeiten, wie die Deutsch-Französische Brigade oder das Eurokorps, Europa kann also seine Verteidigung in die eigene Hand nehmen. Zumal Europa gem. dem Sipri Institut über 200 Milliarden Euro an Rüstungsausgaben tätigt. Zum Vergleich: Die „bösen“ Russen investieren unter 100 Milliarden in ihre Rüstung. Alles eine Frage von Effizienz. Auch sind die EU in der Lage ihre eigene Rüstung zu entwickeln und zu produzieren, wenn die Politik das nur wollte. Stattdessen spielt man mit einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit mit der Nato, die die EU über das Terrorismusproblem ködern will. Tatsächlich ist die Strategie der Nato hinsichtlich des Terrorismus in keinster Weise erfolgversprechend oder zielführend. Experten sind der Meinung, es müsse ein Mix von Prävention als langfristiges Mittel und Überwachung aufgebaut werden. Die ganze Bomberei bringt doch nur neue Terroristen, die inzwischen mit Messern und Vorschlaghämmern oder Lieferwagen die Toten produzieren, was letztendlich zu sozialen Unruhen führen könnte.
    Die Nato wird von den USA dominiert und die USA haben keine übereinstimmenden Interessen wie die EU. Die EU macht eine gute Miene zum bösen Spiel der USA. Und Brüssel ist nicht in der Lage den USA zu sagen, so geht es nicht mehr weiter. Was ist das denn für eine Freundschaft zu den USA, wo man den Freund nicht kritisieren mag.
    Die EU stellt noch einen nicht zu übersehenden Wirtschaftsblock dar, noch, und sie muss sich weiter entwickeln, um ihre Position in einer globalisierten Welt zu behaupten. Die Welt ist jedoch nicht nur unumkehrbar globalisiert, vielmehr entwickelt sie sich zu einer multipolaren Welt mit mehreren Blöcken in der die USA nicht mehr die restliche Welt dominiert. Die USA werden gleichberechtigt neben China, Russland, Indien eine Position einnehmen. Ob es der EU gelingt, gleichberechtigt in einem Kreis dieser Staaten zu bestehen, ist bei den derzeitigen Bestrebungen der einzelnen EU-Staaten ungewiss. Auch hier entwickelt die EU Führung keinen Ehrgeiz die Dinge so zu regeln, wie es für die EU prosperierend sein sollte.
    Man fragt sich schon, wofür es eine Führung mit Kommissionspräsident, Ratspräsident oder Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik gibt und welche Politik diese vertreten um die EU fit zu machen. Es erscheint alles so sinnlos für den einzelnen Europäer.

    Jürgen Gerhardt für european-mosaik und EN-Mosaik aus Brüssel.

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Das britische Referendum und seine Folgen – ein Resümee

v.l. Jean-Claude Juncker, Angela Merkel, David Cameron Fotocollage: (c) Linde Arndt

v.l. Jean-Claude Juncker, Angela Merkel, David Cameron Fotocollage: (c) Linde Arndt

 

[jpg] Es ist eigentlich ganz einfach gegen etwas oder alles zu sein. Und wenn man noch drei prominente konservative Vertreter als engagierte Verfechter der Bewegung für den Ausschluss Großbritanniens aus der EU hat, dürfte es klappen. Und es hat ja auch geklappt, zwar recht knapp, aber die Mehrheit der Briten hat sich für den Austritt oder auch Brexit (Wordwahl:The Economist)  entschieden. Danach brach das Chaos aus, Großbritannien lag zerrissen vor dem europäischem Festland. Jetzt galt es die Scherben zusammenzufegen. Nur, wer sollte das machen?

David Cameron Prime Minister Foto: (c) Linde Arndt

David Cameron Prime Minister
Foto: (c) Linde Arndt

Der konservative Premierminister David Cameron will bis zum Oktober „netterweise“ noch im Amt bleiben, danach soll es richten wer will. Na ja, irgendwie wollte Cameron nicht bis zum Oktober warten und tritt nun schon im Juli zurück. Was soll es. Der ehemalige konservative Londoner Bürgermeister Boris Johnson ging nach dem gewonnenen Brexit erst einmal Rugbyspielen, um, mit einer kleinen Verzögerung, den Briten mitzuteilen, er würde für den Posten des Premier nicht zur Verfügung stehen. Und der liberalkonservative Nigel Farage, der Vorsitzende der UK Independence Party (UKIP), er hat nach eigenen Angaben sein Ziel erreicht, nämlich  sein Land zurück erkämpft und trat von allen Ämtern seiner UKIP Partei zurück, weil, weil er jetzt sofort sein Leben wieder zurück haben will. Allerdings will Farage auf sein finanziell gut ausgestattetes Mandat im Europaparlament nicht verzichten, er will die Abwicklung des Brexits in Brüssel begleiten, so sagt er.

Nun sollte man meinen, kein Problem in einer Demokratie, es gibt ja noch eine Opposition, die sich genau für solch einen Fall bereit hält. Weit gefehlt, die Labour Partei ist sich selber nicht einig. So hatte der Oppositionsführer Jeremy Corbyn während des Referendums doch irgendwie den Kampfeswillen vermissen lassen, was seine Parteikollegen ihm übel nahmen, denn Labour positionierte sich klar für den Verbleib bei der EU. Nach dem Referendum wollte man denn auch Jeremy Corbyn gleich los werden, nur, der ging nicht. Angela Eagle meldete sich um Jeremy Corbyn abzulösen um sodann in eine Wahl zu ziehen, die noch nicht datiert ist. Nebenbei, man traut Eagle den Job zwar zu, nur in der Labour Partei ist sie schlecht vernetzt.

Labour und Torys sind zerrissen in dem was sie getan haben und indem was sie jetzt tun sollten.

Nachdem die Katerstimmung der Briten verflogen war, war das Entsetzen groß, so groß, dass die Briten das Referendum nochmals abgehalten hätten. Der zweite Einfall war, ob Schottland, Nordirland und London sich nicht vom vereinigten Königreich loslösen sollten und mit der EU über einen Beitritt verhandeln sollten. Nordirland denkt auch darüber nach, sich mit Irland zu vereinigen und wäre dann automatisch in der EU. Nicola Sturgeon die Regierungschefin von Schottland wurde denn auch in Brüssel vorstellig und lotete denn auch schon mal die Optionen aus, die Schottland hätte, wenn die Briten den Austritt nach Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union erklären würden.  Sturgeon musste man ganz höflich erklären, dass nur unabhängige Staaten der EU angehören können.

Nun kommt die Innenministerin Theresa May als Premierministerin ins Spiel. Sie sollte ja im Oktober gegen Andrea Leadsom antreten um da erst zur Kandidatin für das Amt der Premierministerin gewählt zu werden. Andrea Leadsom zog jedoch ihre Kandidatur wegen einer für sie unpassenden Bemerkung  zurück, so dass Theresa May das Amt ohne Wahl von David Cameron übergeben bekommt. Kenneth Clarke, das Über-Ich der Konservativen, sprach sich vorher für Theresa May aus, weil sie ihn an Margaret Thatcher erinnere. Theresa May, eine durchsetzungsstarke Politikerin die den Brexit nicht wollte, will aber den Brexit, nach ihrer Einführung ins Amt, umsetzen.

Andere Möglichkeiten oder Optionen – Fehlanzeige. Atemlos nehmen wir die Veränderungen wahr und vergessen dabei, dass wir ein Land vor uns haben welches mit einem BIP von 3.000 Milliarden US Dollar eine nicht zu übersehende Wirtschaftsmacht darstellt. Die Verzahnungen der Wirtschaften mit der EU stellen ein nicht zu übersehendes Problem bei einem Brexit dar. Nicht nur für die EU, sondern auch für Großbritannien.

Das ist jedoch nicht alles was auf dieser Inseln im Atlantik vor unserer Haustür im Zusammenhang mit dem Referendum passiert und passierte.

Einem normalen und gebildeten Wähler ist es auch kaum  schlüssig zu erklären. Die deutschen Journalisten, wie Anja Reschke (NDR) oder Thomas Roth (ARD) bemühen sich denn auch den Deutschen mitzuteilen, dass ein Referendum, also eine Volksbefragung, für deutsche Verhältnisse überhaupt nichts ist (Wir sind dafür zu dumm und unsere Politiker so klug). Politiker wissen schon was das Richtige für ihr Volk ist, so das Credo der etablierten deutschen Journalisten. Das Volk als Souverän ist den deutschen Journalisten offensichtlich nicht bekannt oder sogar nicht  geheuer. Reschke und Roth sind Journalisten, Journalisten wie die Journalisten der Murdoch Gruppe. In Großbritannien tendierten alle für den Brexit – Aufklärung und Informationen suchte man in diesen Blättern vergebens und wenn fand man diese nur rudimentär. Times, Daily Mail, Daily Express, Daily Telegraph, Guardian, Financial Times oder The Sun, diese Blätter bombardierten die Briten geradezu mit Brexitmeldungen und ließen kaum eine Gegenmeinung zu.

 

Und Brüssel organisiert den „rasenden Stillstand“

 

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Foto: (c) Linde Arndt

Bundeskanzlerin Angela Merkel,
Foto: (c) Linde Arndt

Brüssel hat vom Grund etwas gegen Volksbefragungen, wobei die gewählten Mitglieder des Parlamentes ausgespart werden können. Das griechische Referendum war mit dementsprechenden Kommentaren der Brüsseler Eliten begleitet worden. Alldings ist Griechenland eher ein wirtschaftliches Leichtgewicht mit seinen rund 240 Milliarden US-Dollar an BIP. Kommission, Euro-Gruppe oder der europäische Rat sind die Institutionen die nicht kritisch hinterfragt werden wollen. Es sind elitäre Zirkel die sich einer demokratische Legitimation „par Ordre du Mufti“ einverleibt haben. Sie machen alles richtig, weil sie von den Regierungschefs der 28 EU Staaten gesagt bekommen, was sie zu tun haben. Das Sagen hatten einmal gleichberechtigt alle Mitglieder, heute dominiert die deutsche Bundeskanzlerin das Geschehen in Brüssel, manchmal sogar mit dem französischen Staatspräsidenten. Wenn etwas nicht klappt, hält Frau Merkel einen Scheck in der Hand um es klappend zu machen. Gute und kluge Führung wäre in solchen Fällen notwendig, was man aber bei Angela Merkel vergeblich sucht.

 

Als das Referendum am 23. Juni 2016 vorbei war, die Stimmen am nächsten Tag ausgezählt waren, hatten die Briten mehrheitlich für einen Austritt gestimmt. 51,9 % stimmten für den Austritt, bei einer Wahlbeteiligung von 72,2 % (Die Europawahlen 2014 hatten eine Wahlbeteiligung von 36%), dies konnte die britische Regierung nicht ignorieren, was der Premierminister denn auch nicht tat.

Am Tag nach dem Referendum, als das Ergebnis feststand, war erst einmal von Brüssel nichts zu hören. Die Eliten von Brüssel atmeten erst einmal tief durch. Dann ein trotziges, die Briten sollen so schnell wie möglich ihren Austritt nach Artikel 50 erklären. Dann, die Briten sollen erst einmal erklären wie sie sich die weitere Zusammenarbeit vorstellen. Es tagten die 27 Staaten um einen Plan zu erarbeiten wie man mit den Briten verhandeln sollte. Bundeskanzlerin Merkel will keine „Schnellschüsse“, sie will erst einmal abwarten. Juncker (Kommission), Tusk (Rat) und Schulz (Parlament) geben eine Stellungnahme nach der anderen ab. Deren Pressesprecher ergänzen oder kassieren schon gemachte Statements. In der Zwischenzeit verschwinden die britischen Führer in die Büsche und wollen mit dem weiteren Vorgehen zum Brexit nichts zu tun haben.

Zehntausende zumeist junge Briten gehen in London, Bristol, Cardiff, Oxford Edinburgh, Cardiff oder Manchester auf die Straße die sich durch den Brexit ihrer Zukunft beraubt sehen. In Brüssel sehen die Eliten dies als Bestätigung ihrer Tätigkeit. Kommissionspräsident Juncker will den CETA Vertrag mit Kanada unterschreiben und damit in Kraft setzen. Er weiß, wie umstritten diese Verträge sind die hinter verschlossenen Türen höchst undemokratisch verhandelt wurden. Er weiß doch das die 27+1 Staaten diese Verträge durch ihre Parlamente bestätigt sehen will. Und jetzt das.

 

Das ist es was viele gegen die Brüsseler EU haben, diesen Moloch der über sie bestimmt ohne sie zu fragen, der aus Briten, Deutschen oder Spaniern, Europäer ohne Identitäten machen will. Dieser Moloch der den einzelnen Staaten ihre Kultur und ihre Traditionen nehmen will. Juncker, Tusk oder Schulz müssen doch die Signalwirkung dieser Handlung gesehen haben. Irgendein Regierungschef, wahrscheinlich Kanzlerin Merkel, wird Juncker angerufen haben und ihm den Weg gezeigt haben.

Cecilia Malmström, EU-Kommissarin für Handel, die für CETA und TTIP Verhandlungen federführend zuständig ist, teilte in einer Pressekonferenz denn auch lapidar mit, dass der CETA Vertrag durch alle Parlamente gehen wird. Und der Brexit? Oder Reformen der EU, die die Staaten mehr an Brüssel binden? Nichts passiert, nur Gerede um den Zeitpunkt wann man wieder reden sollte und das die Briten den Artikel 50 erst erklären müssten.

Es ist weder in Brüssel noch in London auszuhalten, keine Idee wie man diese (nicht einzige) Krise bewältigen kann. Es fehlen schlicht und ergreifend die Köpfe die denken, abwägen und handeln können.

Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission. Foto: (c) Linde Arndt

Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission. Foto: (c) Linde Arndt

Da lohnt doch ein Blick in die anderen Staaten, wie man dort sich die Köpfe zerbricht. Immerhin hat das „Haus Europa“ rund 500 Millionen Europäer mit unterschiedlichen Kulturen und Traditionen, eine unzählige Anzahl von Universitäten die sich in Netzwerken zusammen geschlossen haben, mit Köpfen welche die unterschiedlichsten Probleme gemeistert haben. Und da sollte keine brauchbare Idee für dieses Problem, diese Krise vorhanden sein?

Professor Dr. Dominique Rousseau, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Paris 1, Panthéon-Sorbonne schlug denn auch ein gewähltes Gremium von maximal 75 Personen vor, welchem man solche Problem, wie die Verteilung der Kriegsflüchtlinge vorlegen sollte. Dieses Gremium sollte eine Vorauswahl treffen ob dieses Problem ein nationales Problem sein soll und durch die Nationen auch gelöst werden sollte oder ob es durch die EU gelöst werden sollte.

Leider gehört Professor Dr. Dominique Rousseau  nicht zu dem erlesenen Zirkel der Brüsseler Eliten von Kommission und Rat. Nur wie soll das „Haus Europa“ aussehen, wenn rund 300 Km weiter ein Gedanke oder eine Idee vielleicht nicht in Brüssel vernommen werden kann?

Aber das ist nicht das wesentliche. Wesentlich ist doch ein fehlendes Frühwarnsystem der EU, welches Probleme frühzeitig anzeigt, bevor diese die EU in die Krise führen. Alle die Krisen, die übrigens nicht zur Gänze bewältigt sind, waren frühzeitig sichtbar und hätten nicht zu dieser Dramatik führen müssen, die bei der Flüchtlingskrise sogar tausenden Menschen das Leben kostete.

Kann es sein, dass die Eliten in Brüssel überfordert sind? Auf der einen Seite den Regierungschefs dienen und auf der anderen Seite so tun, als wenn sie den Europäern dienen? Wissen die denn ob es in Europa auch Bürger gibt?

 

Jürgen Gerhardt für european-mosaic und EN-Mosaik aus Brüssel.

Die Zukunft der Jugend wurde verspielt

v.l.Premierminister des Vereinigten Königreichs David Cameron, Ratspräsident der EU Donald Tusk, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker,Parlamentspräsident Martin Schulz, Fotocollage: Linde Arndt

v.l.Premierminister des Vereinigten Königreichs David Cameron, Ratspräsident der EU Donald Tusk, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker,Parlamentspräsident Martin Schulz, Fotocollage: Linde Arndt

[jpg] Das Projekt Europa war immer ein Projekt einer jungen Generation, der jungen Generation schlechthin. Die Vätergeneration konnte/wollte die Annäherungen zwischen den Völkern damals, als die römischen Verträge aufgesetzt wurden, nicht richtig verstehen. Erkannt hatten die Alten dennoch, die persönlichen Vorteile die sich mit einem Projekt Europa ergaben. Aber es waren auch die Alten die nach dem zweiten Weltkrieg mit den römischen Verträgen die Vision eines friedliebenden Europas auf den Weg brachten. Nach dem zweiten Weltkrieg hatten De Gaulle und Adenauer die Vision, ein prosperierendes Europa wird keine Kriege führen. Warum auch? Hatten die Alten damals noch Vision und einen Gestaltungswillen, so haben die heutigen Alten nur noch Ängste und verweigern sich der Zukunft. Und dies bezieht sich nicht nur auf Großbritannien sondern trifft auf ganz Europa zu. So ist es nicht verwunderlich, wenn die Podemospartei des jungen Pablo Iglesias in Spanien die etablierten alten Parteien zum Teufel jagt. Die Methusalixe der europäischen Konservativen, der Sozialisten oder Liberalen haben doch nichts zu bieten. Sie propagieren die Globalisierung, können jedoch nicht damit umgehen. Und so schlummert der Nationalismus weiterhin unter der europäischen Kuscheldecke, die schon seit Jahren darauf wartet einmal gelüftet zu werden. Entsetzt hatten denn auch die Alten bemerkt (was für ein Wunder), dass ihnen eine junge Generation folgte, die ihr Europa gestalten wollte.

So waren es die Alten die der Jugend mit dem Referendum in die Suppe spuckten, indem sie sich nostalgisch der Vergangenheit zuwandten, indem ja bekanntermaßen alles besser war; denn den Brexit wollten mehrheitlich die über 50 jährigen. Da die Alten ihre Jugend nicht mehr in den Krieg schicken konnten, haben sie sich eine andere Missetat ausgedacht.

 

Welche Altersgruppen wollten den Austritt aus der EU
18 – 24 jährige wollten 20% den Brexit

25 – 49 jährige wollten 45% den Brexit

50 – 64 jährige wollten 56% den Brexit

65 und älter wollten 63% den Brexit

Quelle: YouGov UK Online-Umfrage

Die Wiedergeburt des Nationalismus, einhergehend mit dem Egoismus und einer großen Portion von Narzissmus, musste man dieser Brexit Wählerschicht bescheinigen.

Es waren die Eliten aus Eton und Oxford oder bei Farage das Dulwich College die die Briten jetzt in diese Situation gebracht haben, die in Brüssel nichts werden konnten oder wollten. Premierminister David Cameron zettelte dieses Referendum an, weil Teile seiner konservativen Partei mit der EU unzufrieden waren  und wusste nach seinem nicht ganz gelungenen Sinneswandel seine Landleute nicht mehr überzeugend für Europa einzustimmen.

Während des Wahlkampfes wurde von allen Parteien, durch die Protagonisten David Cameron (Conservative Party), Boris Johnson (Conservative Party), Nigel Farage (UK Independence Party (UKIP) unverschämt gelogen, unterstellt, verdreht, so dass ein Bild von dem Projekt Europa entstand, welches schlechter nicht sein konnte. Informationen für die Wähler? Wofür denn. Der politische Gegner machte Propaganda und selber machte man Wahlkampf – Bigotterie hoch drei. Alle machten Propaganda der übelsten Art. Kein Wunder, dass die über 50 jährigen die alte Zeit wiederhaben wollten, wo alles noch klar war. Das Ergebnis: Großbritannien ist zerrissen zwischen Nord und Süd, Arm und Reich, Jung und Alt; Schottland und Nordirland drohen mit Austritt aus Großbritannien.

Aber, wo wurde über die Erasmus Studenten, die Praktikanten die in Brüssel und Straßburg lebten und arbeiteten gesprochen? Das sind nur zwei Gruppen junger Menschen die vom Projekt Europa begeistert sind. Diese junge Generation lebt inzwischen Europa. Kein Wort davon im Wahlkampf.

Sicher haben die Farage, Le Pen, Wilders oder auch Petry Recht, wenn sie den Mangel an Demokratie der EU anprangern. Nur, sie vergessen immer dabei zu sagen, dass ihre eigenen Regierungschefs diese Mängelliste in Brüssel nicht abarbeiten wollten. Dem englischen Premier Cameron oder der deutschen Kanzlerin Merkel war es wichtiger die Interessen ihrer Wirtschaft in der EU umzusetzen, an der demokratischen Weiterentwicklung der EU war niemand interessiert, es sei denn die wirtschaftliche Interessenlage erforderte eine Weiterentwicklung der EU. Und Marine le Pen von der französischen FN und Nigel Farage von der UKIP konnten sich im Europaparlament nur provokativ gegen alles und jeden der nicht ihrer Meinung war stellen, wobei sinnlose Provokationen die erste Wahl waren. Konkretes konnte nicht registriert werden.

François Hollande, Staatspräsident der Französischen Republik, Foto: (c) Linde Arndt

François Hollande, Staatspräsident der Französischen Republik, Foto: (c) Linde Arndt

Und die Eliten der EU in Brüssel? Tusk, Schulz oder Juncker sahen dem ganzen Treiben höflich zu und wussten kaum den Mund aufzumachen. Gegen die Desinformation hilft immer nur eines Information. In Brüssel hatte man manchmal den Eindruck die Eliten der EU sitzen den ganzen Mist den diese Populisten ausbringen aus. Auch Merkel, Hollande waren in diesem Brexit Kontext verdächtig ruhig, allerdings waren beide mit sich selber beschäftigt.

Gut, jetzt ist es passiert. Die Briten haben sich mehrheitlich gegen die EU entschieden. Was also tun? Und wieder handeln die EU Eliten gegen alle Vernunft. Es wird Druck gemacht. Wie ein kleines Kind verkündet Brüssel, die Briten sollen jetzt aber hin machen, damit endlich Verhandlungen aufgenommen werden um den Austritt zu vollziehen. Die Außenminister der 6 Gründerstaaten haben mit Bundesaußenminister Steinmeier in Berlin gleichgezogen indem sie die Briten aufforderten den Austritt endlich zu melden.

Dabei ist keinesfalls solch ein Druck vonnöten, wenn man bedenkt, dass dieses Referendum anders gelaufen wäre, wenn die Wähler nicht mit solchen Ängsten konfrontiert worden wären.

Zuerst einmal muss die britische Regierung dieses Referendum nicht akzeptieren, dieses Referendum ist für die britische Regierung nicht bindend, eher eine Empfehlung. Auch die Erklärung nach Artikel 50 des „Vertrages über die Europäische Union“ muss nicht sofort abgegeben werden. Die Arbeit in Brüssel geht auch so weiter.

Wenn die Brüsseler und Londoner Eliten einmal ihre Eitelkeiten vergessen würden und sich darauf besinnen, dass beide Parteien nur verlieren können, dann sollten sie sich zusammen setzen und einen gemeinsamen Neuanfang formulieren, heißt, diese Abstimmung als Zäsur verstehen.

Zur Erinnerung, die Briten hatten weitgehend die Probleme im Zusammenhang mit der Finanzkrise 2008/2009 gelöst oder zumindest tragbare Vorschläge auf den Tisch gelegt, während die anderen Finanzminister vor Entsetzen keinen klaren Gedanken fassen wollten. Das britische Schatzamt reagierte besonnen und hatte ein hervorragendes Krisenmanagement vorzuweisen. Es war für die EU ein wertvoller Beitrag.

Der Neuanfang könnte in Kooperation mit den Briten mehr Demokratie bringen, die Kommission und die Eurogruppe müssten sich dem Parlament unterordnen. Nicht der Rat bestimmt die Kommissare oder den Chef der Eurogruppe, sondern das Parlament wählt die Personen aus seiner Mitte. Auch die Forderung nach mehr Selbstverwaltung der einzelnen Staaten könnte besprochen werden und Lösungen vorgeschlagen werden. Was hat das mit Europa zu tun, wenn jeder seine krummen Gurken oder Glühbirnen behalten will und Brüssel seine Gleichmacherei (Harmonisierung) umsetzen will? Was damit, dass die Kleinbauern auf Kosten einer überbordenden subventionierten Landwirtschaft in ihren Existenzen vernichtet werden. Oder, wie jetzt in Griechenland passiert, dem Land eine Steuerpolitik diktiert wird, welche negative wirtschaftliche Auswirkungen hatte und noch hat.

Bundeskanzlerin Angela Merkel Foto: (c) Linde Arndt

Bundeskanzlerin Angela Merkel
Foto: (c) Linde Arndt

Entscheidungen, wie in der Flücht- lingskrise durch Bundeskanzlerin Merkel bedürfen der Zustimmung des Europaparlamentes oder muss von diesem auf den Weg gebracht werden. Merkel hat zwar richtig entschieden, nur die anderen EU-Mitglieder fühlten sich übergangen, abgesehen von dem nicht vorhandenen demokratischen Prozedere. Die Öffentlichkeitsarbeit muss intensiviert werden. Es kann nicht sein, dass landauf und landab bis auf die lokale Ebene jeder Vorstadtpolitiker unwidersprochen behaupten kann, Brüssel hat die Probleme zu verantworten. Hier darf man ein großes Wissensdefizit, was Brüssel macht, einer mangelnden Öffentlichkeitsarbeit der Brüsseler Behörde zuschreiben. In den vier Jahren meiner Tätigkeit in Brüssel konnte die Presse einen ziemlich großen Reformstau registrieren. Und die Wahlen 2014: Sie wurden mit gezielten Desinformationen geführt. Immer wieder wurde der Eindruck erweckt, Juncker und Schulz würden als Kommisionspräsidenten gewählt werden können, was natürlich nicht zutreffend war. Das ist einer Demokratie abträglich.

Und das letzte Problem, die Briten wollten weder Schulz noch Juncker oder Tusk, sie wollten nach der Wahl eine neuere Mannschaft die jünger und dynamischer sein sollte. Heute weiß jeder, die Briten hatten recht gehabt. Wer aber könnte die Brüsseler Führungsmannschaft abbilden. Die Deutschen auf keinen Fall, sie haben weder die Kompetenz, noch, durch ihre Vergangenheit, die Akzeptanz der EU Familie. Zumal denn Finanzminister Schäuble den altbekannten Deutschen während der Griechenlandkrise herausholte.

italienische Ministerpräsident Matteo Renzi Foto: (c) Linde Arndt

italienische Ministerpräsident Matteo Renzi
Foto: (c) Linde Arndt

Nun, gehandelt wird der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi, er ist jung, entscheidungsfreudig, hat eine schnelle Auffassungsgabe und kann strukturell denken, wobei er auch noch ein gewisses Fingerspritzengefühl besitzt. Und, er ist vermittelbar. Als Partner wird über die ehemaligen Ministerpräsidenten Schwedens John Fredrik Reinfeldt oder den Niederländer Mark Rutte gesprochen.

Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel müsste führen, kann dies weder aus persönlichen Gründen durch ihren eingeschränkten Führungsstil nicht, noch sprechen aber andere Gründe gegen sie. Das Merkel mit ihrem Herzen keine Europäerin sein will, sieht jeder; denn sie kann Europa nicht überzeugend rüber bringen. Was Merkel aber kann, über die Franzosen führen denen Europa mehr am Herzen liegt als Merkel. Wobei die Franzosen auch noch die besseren Diplomaten haben. Allerdings haben beide in 2017 Wahlen, die eine Menge an Energie bindet. Frankreich hat allerdings im Moment noch einige andere Probleme zu lösen.

Und wenn die Reformen mit den Briten umgesetzt wurden, könnte man eine neuerliche Befragung der Bevölkerung vornehmen. Und jede Wette, die Briten werden mit Zweidrittelmehrheit in der EU bleiben wollen. „In Vielfalt geeint“ ist das Motto der EU. Die Briten sind anders (Wer denn nicht), sie haben ein Referendum abgehalten, warum sollen wir Europäer sie ziehen lassen, europäische Bürger sind vielfältig und machen manchmal nicht das was ihre Eliten von ihnen erwarten. In diesem Fall setzten wir uns mit den Briten an einen Tisch weil sie die konstruktivsten Kritiker sind und kurbeln die Reformen an.

 

 

Jürgen Gerhardt für european-mosaic und EN-Mosaik aus Brüssel.

 

 

 

Europa torkelt und sucht sich selber

Europafahnen Foto: Linde Arndt

Europafahnen Foto: Linde Arndt

[jpg] Am Vorabend des Brexit ( EU-Referendum in Großbritannien am 23.Juni 2016) ist es Zeit noch einmal über Europa nachzudenken.

Es war der britische Premiermininister Edward Heath (Konservativer) der 1973 den Beitritt Großbritanniens in die damalige EWG gegen alle Wiederstände durchsetzte und seine Unterschrift unter das Beitrittsdokument setzte. Zwei Jahre später also 1975 fand ein Referendum von Premierminister Harold Wilson (Labour) iniiert in Großbritannien statt, indem die Briten entscheiden sollten ob sie in der EWG bleiben sollten oder nicht.

67% der Briten entschieden sich damals in diesem 75er Referendum für den Verbleib in der (damals) EWG. Waren die Briten zum Zeitpunkt des Beitritts noch skeptisch, hatte sich dies nun grundlegend gewandelt. Die Befürworter und Gegner dieser Mitgliedschaft fanden sich, wie heute auch, in allen Parteien. Wobei Margaret Thatcher, die damalige Vorsitzende der Konservativen, eine aktive Befürworterin der Mitgliedschaft in der damaligen EWG war. Ein paar Jahre später wird Thatcher den berühmten Britenrabatt aushandeln. Die Mehrheit der Labour-Politiker sprachen sich gegen die EWG aus, während die Konservativen überwiegend für die EWG waren. Wobei die Regionen Schottland, Wales und Nordirland damals mehrheitlich gegen die EWG waren.

Und dann das Ergebnis, 67% für die EWG!

Heute 40 Jahre danach hat sich die Einstellung der Briten zur heutigen EU grundlegend geändert. Quer durch die Parteien macht man, wie zu Beginn der Mitgliedschaft, Gegner und Befürworter aus – die Briten haben sich polarisiert. Wie schlimm die Stimmung ist, kann man an dem Mord der Parlamentsabgeordneten der Labour Party Jo Cox festmachen, die eine starke Befürworterin des britischen Verbleibs war. Der Mörder von Jo Cox war ein Gegner der EU und stach deshalb bewusst die Parlamentsabgeordnete nieder.

Brüssel, so der Vorwurf des Konservativen Boris Johnson, will einen Superstaat aus Europa machen. Wobei Johnson inzwischen Nigel Paul Farage von der UK Independence Party rechts überholt hat und beide lautstark nach einem sofortigen Austritt aus der EU rufen. Premierminister David Cameron ist ein Befürworter des Verbleibs in der EU obwohl er dieses Referendum angestoßen hatte und den Brexit als erster ins Spiel brachte. Damit nicht genug, die Regionen Schottland, Wales und Nordirland wollen mehrheitlich in der EU bleiben und drohen mit einer Abspaltung falls der Brexit Realität wird. Die britische Wirtschaft, einschließlich der „City of London“ hat mehrere Brandbriefe an Cameron geschickt um auf die außerordentlichen Nachteile bei einem Austritt aufmerksam zu machen. Eine differenzierte Umfrage der Demoskopen sieht 74% der Briten als Gegner der EU, 53 % sind fest für einen Austritt und rund 20% würden gerne austreten wenn sie die Vor- und Nachteile überblicken würden.

Nun sollte man meinen, die Briten stehen mit diesem Loslösen von der EU alleine da. Weit gefehlt. Polen oder Ungarn stehen der EU inzwischen kritisch gegenüber und fühlen sich von Brüssel dominiert. Italien oder Griechenland sehen die EU auch nicht mehr so positiv. Und derweil feiern die Nationalisten in allen 28 EU Staaten fröhliche Urstände, so als wenn sie nie weg gewesen wären.

Stellt sich nun die Frage, wie konnte das passieren? Ein 70 Jahre altes europäisches Friedensprojekt vor dem Aus, die Briten sind immerhin auch schon 40 Jahre dabei.

Sind es nur die normalen Abnutzungserscheinungen die einer Institution nach einer gewissen Zeit den Garaus, wegen Reformunwilligkeit, beschert? Fehlt es an Führungspersönlichkeiten mit Führungsqualitäten? Haben die Zielvorstellungen sich verändert? Sind die Gemeinsamkeiten aufgebraucht? Sehen sich die 28 Staaten als gleichberechtigt in diesem Verbund?

Nun, es ist von allem etwas, eine schwierige Gemengelage. Lösbar? Ja, nur die Entscheider sollten sich etwas mehr auf den „Brückbau“ konzentrieren und nicht übereinander herfallen.

Auf den Fluren des Parlaments diskutieren die demokratisch gewählten Abgeordneten über den „Zerfall“ der EU, nur, das Problem liegt bei den Regierungschefs und den Fachministern die in den Ratssitzungen keine Grundeinigkeit erzielen.

v.l. François Hollande (französischer Staatspräsident), Bundeskanzlerin Angela Merkel und Premierminister des Vereinigten Königreichs David Cameron Foto: (c) Linde Arndt

v.l. François Hollande (französischer Staatspräsident), Bundeskanzlerin Angela Merkel und Premierminister des Vereinigten Königreichs David Cameron Foto: (c) Linde Arndt

Eines kann man jedoch sagen, die EU hat mehr Probleme als sie vertragen kann.

 

Problem Finanzen

 

Die Deutschen dominieren mit ihrer Sparpolitik die sie als alternativlos hinstellen, sie blockieren jede Art von Diskussionen über eine Finanz- und Währungspolitik. Das Eurosystem müsste unbedingt einer Reform unterzogen werden da einige EU-Länder Schwierigkeiten  aufgrund der Geburtsfehler des Euro haben mussten. Deutschland hat jedoch die meisten Vorteile in puncto des Euro-Systems, deshalb sieht Deutschland auch keine Notwendigkeit für eine Reform.

 

Problem Flüchtlinge

 

Merkel hat im September ´15 richtig entschieden, nur, sie hat sich nicht mit den anderen Staaten abgestimmt. Deutschland hat das nicht zum ersten mal gemacht. Diese Staaten sehen sich als übergangen und nicht gleichberechtigt. Die Österreicher kommen jetzt mit dem Vorschlag die Kriegsflüchtlinge so zu behandeln, wie die Australier, die die Kriegsflüchtlinge auf eine einsame Insel aussetzen und dort versorgen. Der österreichische Außenminister Kurz sieht sowieso die Schlepper als Verursacher des Flüchtlingsproblems. Er macht wie einige anderen Staaten die Grenzen wieder dicht und sonnt sich in der Nationalstaaterei. Nicht Kriege oder Hunger sind das Problem der Flucht sondern die Schlepper und die fehlenden Nationalstaaten.

 

Problem Griechenland

 

Alle Staaten mussten mit ansehen wie Griechenlands neue linke Regierung vorgeführt wurde. Der damalige Finanzminister Yanis Varoufakis hatte gute konstruktive Vorschläge (Ewigkeitskredit) die aber alle von dem deutschen Finanzminister und dem Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem öffentlich nieder gemacht wurden. Das Diktat der Troika (IWF|EZB|EU-Kommission) führt Griechenland in den Bereich der Staatsarmut – um  40% sind die wirtschaftlichen Leistungen gesunken. Bis heute sind die Lösungsmöglichkeiten, die die EU anzubieten hat, eher suboptimal.

 

Problem Freizügigkeit

 

Die EU garantiert die Freizügigkeit von Personen, Finanzen, Waren aber auch Dienstleistungen.

Finanzen und Waren, kein Problem. Bei Personen und Dienstleistungen sehen viele Staaten jedoch immense Probleme. So wollen Polen oder Rumänien ihre Bürger sofort als Arbeitnehmer in andere Staaten schicken, was den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme des Ziellandes durcheinander bringt. Viele Staaten, auch Deutschland haben gewisse Abwehrmechanismen welche die Freizügigkeit unterminieren. Jahre musste Polen oder Rumänien warten bis ihre Staatsbürger die volle Freizügigkeit genießen durften. Und heute? Großbritannien, wie andere EU-Staaten auch, möchte die Freizügigkeit für Arbeitnehmer eingeschränkt sehen und schiebt den Sozialmissbrauch in den Vordergrund.

 

Problem regionale Befindlichkeiten

 

Nur ein Beispiel: Das Polen in seiner wechselvollen Geschichte zwischen den beiden Großmächten Russland und Deutschland immer mal wieder zerrieben wurde, scheint in der EU nicht bekannt zu sein. Jetzt entwickelt sich daraus ein Nationalismus der den Polen das Gefühl gibt eine Identität wieder zu erlangen.

So ist es übrigens mit allen Ländern der EU die alle ihre eigenen Befindlichkeiten haben, die aber immer mal wieder von Brüssel missachtet werden. Brüssel ist nicht in der Lage die Vorteile der Identitäten, die ja gewollt sind, positiv zu kommunizieren.

 

Problem der Motor Frankreich/Deutschland

 

Beide Länder haben schwere innenpolitische Probleme. Der französische Staatspräsident Hollande musste mehrfach Einschränkungen bei den Gesetzesvorlagen hinnehmen. Im Moment kämpft er für seine Arbeitsmarktgesetze die er mit dem Artikel 49.3 durchsetzen will. Gleichzeitig lebt Frankreich im Ausnahmezustand wegen der Terroristen. Die Fußballeuropameisterschaft bringt Hollande auch keinen Punkt in der Beliebheitskala ein, zumal die permanenten Schlägereien das Fußballfest vermiesen. Hollande hat einen Tiefpunkt in der Beliebtheit erreicht wie noch kein Staatspräsident vor ihm. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel? Sie steht seit 1,1 Millionen Kriegsflüchtlinge von Deutschland aufgenommen wurden mit ihrem „Wir schaffen das schon“ und dem von ihr vermittelten Türkeiflüchtlingsdeal innenpolitisch unter Dauerbeschuss. Merkel hat wie Hollande anderes auf der Agenda als den Zusammenhalt von Europa. Und so sieht man einen Hochleistungsmotor Frankreich/Deutschland, der nicht mehr laufen will.

 

Warum eigentlich keinen Brexit?

 

Ja, warum eigentlich nicht? Hört man die Briten auf der Insel zum Beispiel die Grafschaften Cornwall, die ihre Strukturkrise nicht in den Griff bekommen oder Kent die sich mit ihren landwirtschaftlichen Betrieben über die überbordende Brüsseler Bürokratie beschweren, so kann man meinen die Briten wollen das Aus. Auch das europäische Festland ist nicht zufrieden mit den ewigen Sonderregelungen die die Briten aushandeln.

 

Alternativen zu einem Brexit.

 

EU Austritte sind eigentlich nicht vorgesehen, obwohl Wolfgang Schäuble die Griechen rausschmeißen wollte. Jedoch, die EU Regeln sind ja nicht in Stein gemeißelt, Regeln können immer verändert werden. Da kommt doch der Gedanken des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Giscard d’Estaing der mit dem deutschen Außenminister Fischer im Disput aufgenommen wurde – die EU der zwei Geschwindigkeiten. Danach könnten die Briten, mal salopp gesagt, eine Runde aussetzen. Ein Kerneuropa mit klaren Regeln, die für alle Gültigkeit haben und ein Europa um dieses Kerneuropa. Die Briten bekämen einen Status wie, meinetwegen, Kanada ohne Ceta und würden nach einer gewissen (definierten) Zeit ihre endgültige Entscheidung treffen.

 

Ist Europa führungslos?

 

Deutschland, so haben viele der umliegenden EU-Staaten vorgeschlagen, sollte die EU führen. Nur, was versteht Deutschland unter Führung? Dominieren hat nichts mit Führung zu tun. Deutschland hat es nie verstanden eine kollegiale Führung auszuüben. So muss man sich nicht wundern wenn das Haus Europa im Rohbau bleibt und die Wirtschafts- und Währungsunion im Ansatz stecken geblieben ist. Von einem sozialen Europa wollen wir mal nicht reden. So war das von den Gründungsvätern des heutigen Europas De Gaulle und Adenauer nicht angedacht. So sind die 70 Jahre Frieden in Europa den Ideen der Gründungsväter zuzuschreiben.

Und wie weiter? Brüssel selber sollte sein Herz in die Hand nehmen und den 28 EU-Mitgliedern offensiv die Mitgliedschaft in Frage stellen. Wer jetzt kündigen will, soll es tun, wer nicht sollte als Gleicher unter Gleichen bleiben. Wir haben über 500 Millionen Einwohner in der EU der 28, haben aber ein Selbstbewusstsein wie ein Kleinstaat. Wir hatten ein Wertesystem bis zur Ukrainekrise, wir gaben es für die Einkreisungspolitik der USA auf. Schon 2013 hat Europa seine eigenen Werte verraten, dann wurden die Werte immer weiter abgebaut. Zuletzt wurden die Nationalstaaten wieder aus der Mottenkiste der Geschichte herausgeholt und scheinbar unüberwindbare Mauern errichtet.

Heute ist es Europa  egal ob im Mittelmeer tausende Kriegsflüchtlinge ertrinken. Die Ertrunkenen müssen noch zynische Kommentare ertragen. Was soll´s, nicht die Kriege haben die Kriegsflüchtlinge erzeugt, sondern die Schlepper. Nicht die von Europa gelieferten Waffen haben die Kriege ermöglicht, sondern das Unvermögen der Staaten in denen die Kriege entbrannt sind.

Ja Europa torkelt wie ein Betrunkener, der nicht mehr weiß wo sein zuhause ist, Menschenrechte haben wir durch Gesetze beseitigt und mit ihnen direkt auch die Menschlichkeit. Europa fängt jetzt einen neuen Krieg an, einen Krieg der Religionen der mit der Abschaffung der Toleranz einhergeht.

Ob Europa sich besinnt? Wohl kaum. Und doch besteht noch eine Chance wenn wir ein gutes Geschäft machen können, dann,  ja dann lässt Europa noch einmal eine Sektflasche knallen.

Schade eigentlich. Europa hatte und hat die besten Chancen auf der Welt. Von Europa kamen die besten Ideen, die fähigsten Leute die unseren Erdball reicher machten und macht. Die 28 Staaten haben sich gegenseitig inspiriert wie keine andere Region auf der Welt.

Und warum das alles? Nur weil ein paar ewig gestrige wie die französische FN (Front National), die britische UKIP (United Kingdom Independence Party), die niederländische PVV (Partij voor de Vrijheid) oder die österreichische FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) mit markigen Sprüchen die Leute verängstigt. Die etablierten Parteien haben nicht die Aufklärung entgegenzusetzen, sondern nichts anderes zu tun als die rechtspopulistischen Forderungen zu überbieten. Überzeugend ist das nicht.

Was mich in Brüssel immer wieder bekümmert ist ein wesentlicher Widerspruch den man Tag für Tag beobachten kann. Das europäische Haus ist im Aufbau, es ist ein immerwährender Prozess, spannend und fesselnd. Nur warum schüttet die Kommission und der Rat diese ätzende und lähmende Soße über diesen Prozess. Wo ist die Begeisterung der Gründerväter Alcide de Gasperie, Walter Hallstein, Jean Monnet, Robert Schumann, Paul-Henri Spaak oder Altiero Spinelli?  Taugen diese Namen nur noch für die Benennung der Gebäude im Europaviertel?

Diese Trunkenheit der EU wird ja mal zu ende gehen, hoffentlich hat Europa dann keinen Kater und sucht dann einen Schuldigen. Noch ist es Zeit für konstruktive Lösungen. Europa kann mehr als nur torkeln und jammern.

 

Jürgen Gerhardt für european-mosaic und EN-Mosaik aus Brüssel.

Geben wir unsere EU Werte jetzt sukzessive auf?

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Premierminister David Cameron Foto: (c) Linde Arndt

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Premierminister David Cameron Foto: (c) Linde Arndt

[jpg] Was will die Europäische Union? Nach dem Gipfel und dem Streit der vergangenen Monate hat es den Anschein, die EU will nur noch ein Wirtschaftsraum mit 500 Millionen Konsumenten und den dementsprechenden Produzenten sein. Seit die rechtspopulistischen Parteien UKIP, FN oder auch AfD mit dem Nationalstaat alter Prägung drohen, schrecken die EU Staatsführer auf und wollen die einmal beschlossenen Werte zurücknehmen. Mehr noch, man konkurriert mit Marine Le Penn, Nigel Farage oder Frauke Petry geradezu um einen fiktiven Preis, wer ist der beste Populist oder Nationalist. Vergessen scheint der Vertrag über die Europäische Union, sind ja nur Worte die man durch andere ersetzen kann. Stacheldraht und Zäune, hunderte Kilometer weit, werden errichtet um ja die Kriegsflüchtlinge außerhalb des eigenen Landes zu lassen. Die UNO-Flüchtlingskonvention oder die EU-Flüchtlingskonvention, von allen unterschrieben, weg damit.

Die Freizügigkeit, das Diskriminierungsverbot steht zur Disposition und wird in die Verhandlungen mit Premier Cameron geschleift.

 

Der Vertrag über die Europäische Union (Lissabonner Vertrag) Artikel 2 :

Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“

 

Für diese Werte hat die EU den Friedensnobelpreis bekommen! Diese Werte hat die EU Putin und seiner Russischen Föderation um die Ohren gehauen als dieser sich der Ukraine teilweise bemächtigte. Diese Werte sind nicht verhandelbar, so die Brüsseler Kommission. Mit Recht? Nein, wohl kaum, wenn diese Werte beliebig und veränderbar sind.

Premierminister des Vereinigten Königreichs David Cameron Foto: (c) Linde Arndt

Premierminister des Vereinigten Königreichs David Cameron Foto: (c) Linde Arndt

Premierminister des Vereinigten Königreichs David William Donald Cameron hat es der EU vorgemacht, seit Monaten beschäftigt er die EU mit seinem Referendum, wonach er es seinen Einwohnern freistellt ob sie in der EU bleiben wollen oder nicht. Es war eine Erpressung und ist es noch; denn Cameron will sein Volk dahingehend beeinflussen, für einen Verbleib in der EU zu stimmen, wenn die EU auf seine Forderung eingeht, dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland eine Sonderrolle zuweist, welche über allen Mitgliedern steht. Ein Pokerspiel welches hoch gereizt wurde und, man höre, gewonnen wurde.

Haben die Briten doch schon einen Sonderstatus, indem sie einen Rabatt auf die zu leistenden Zahlungen an die EU bekamen. Sie sind nicht Mitglied der Euro-Zone und auch nicht Mitglied des Schengen-Raumes. Die Briten wollten mehr und bekamen mehr.

 

  • Kindergeld

Aufgrund der Freizügigkeit kamen Arbeitnehmer aus Osteuropa nach Großbritannien. Die Kinder blieben in der Regel zurück, meistens bei den Großeltern, bis die Eltern in Großbritannien Fuß gefasst hatten. Nach einem Urteil des EUGH muss das Gastland die gleichen Sozialleistungen zahlen wie allen Arbeitnehmern.

In Zukunft muss nur soviel Kindergeld bezahlt werden wie das Heimatland Kindergeld zahlt. Bulgarien und Rumänien, die zu den ärmsten Ländern der EU zählen, zahlen kein Kindergeld, so dass die Arbeitnehmer in Zukunft keinen Anspruch auf Kindergeld in Großbritannien haben. Eindeutig wird hier der Ausländer gegenüber dem Inländer diskriminiert.

 

  • Eurozone

Großbritannien ist kein Mitglied der Eurozone, die Briten haben ihr britisches Pfund
behalten. Der Euro ist aber in der Zwischenzeit, trotz vieler Unkenrufe weltweit zu einer der stärksten Währungen aufgestiegen. Mit der EZB und ihrer Politik unter Mario Draghi konnten diverse Angriffe auf die europäische Währung abgewehrt werden. Die in der Vergangenheit durch die EZB gefällten Entscheidungen, beeinflussten den Finanzplatz London teilweise sehr stark.

In Zukunft können solche Entscheidungen der Mitwirkung Großbritannien bedürfen, es besteht
aber keine Möglichkeit für ein Veto. Dies gilt jedoch für alle Nicht Euro Staaten in der EU. Zukünftig können die Beschlüsse der EZB um einiges durch Einwände ausgebremst werden.

Was das heißt, bei einem Finanzplatz London der in microsekunden Milliarden umsetzt,
kann sich jeder ausrechnen.

 

  • Arbeitnehmerfreizügigkeit

Ein Kernstück der EU ist der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Finanzen und Arbeitnehmern. Diese Arbeitnehmerfreizügigkeit ist ein Grundrecht der EU und ist in Artikel 15 der Charta der Grundrechte der europäischen Union geregelt. Dieses Grundrecht stellt den inländischen Arbeitnehmer mit dem ausländischen Arbeitnehmer in allen Belangen auf eine Stufe. Dieses Grundrecht ist mit die Basis für eine Unionsbürgerschaft aller EU Bürger.

Großbritannien hat sich nun das Recht in Brüssel „erstritten“

Die EU-Kommission kann während eines Zeitraumes von sieben Jahren staatliche Lohnzuschüsse an neu ankommende Arbeitnehmer aus anderen EU-Staaten für je bis zu vier Jahren begrenzen oder aussetzen. Dies gilt jedoch nur für Zuschüsse, die aus dem Staatshaushalt gewährt werden. Also passgenau für Großbritannien und wendet sich damit an die osteuropäischen Staaten.

Damit stellt sich Großbritannien außerhalb der europäischen Idee und die Kommission lässt dies zu.

  • Nationale Parlament

Zukünftig sollen Gesetze und Richtlinien der EU durch die nationalen Parlamente zurück gewiesen werden können.

Dies bedeutet zumindest für Großbritannien die Ablehnung an die Europäischen Integration, ein Rückschlag für den Gedanken des Europäischen Hauses.

Die übrigen nicht hier beschriebenen Regelungen haben mehr oder weniger nur Symbolkraft.

Alle diese Regelungen werden wirksam, wenn Cameron den Austritt Großbritanniens aus der EU in dem angesetzten Referendum am 23. Juni 2016 verhindern kann.

Damit hat ein Verhandlungsmarathon mit der EU ein Ende gefunden. Cameron jubelte in der anschließenden Pressekonferenz und lobte den „Deal“ in den höchsten Tönen. Sein Credo: Großbritannien hat die Vorteile aus der EU vergrößert und die Nachteile aus der EU verkleinert. Und, Großbritannien wird sich nie in eine zukünftige EU integrieren.

 Ratspräsident der EU Donald Tusk Foto: (c) Linde Arndt

Ratspräsident der EU Donald Tusk Foto: (c) Linde Arndt

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte in der anschließenden Pressekonferenz: „Ich wollte einen fairen Deal für Großbritannien haben, den haben wir nun erreicht.“ Ratspräsident Donald Tusk in der selber Pressekonferenz: „Alle Forderungen von David Cameron wurden erledigt ohne die Regeln der EU zu verletzen.“ Und Bundeskanzlerin Angela Merkel? Sie hatte bei einigen neuen Regeln offensichtlich „Bauchschmerzen“. Sie sieht den Sonderstatus abschließend positiv und findet nicht, auf Frage des Wall Street Journals, dass andere EU Staaten einen Sonderstatus aushandeln könnten.

Kaum hatte Premierminister David Cameron den unterschriebenen 37 Seiten Vertrag seinen Briten durchgegeben, wurde die Kampagne für den Austritt Großbritannien in Gang gesetzt. Gegen Cameron positionierten sich seine ehemaligen Freunde Justizminister Michael Gove,der beliebte Londoner Bürgermeister Boris Johnson. Insgesamt sollen es 5 Minister sein, die sich für einen Brexit einsetzen. Nigel Farage von der UKIP (UK Independence Party) nannte den ausgehandelten Vertrag „erbärmlich“.

Im Moment stehen die Chancen für einen Brexit bei 48 %, bei 33% an Unentschlossenen.

Die schottische Nationalpartei mit Nicola Sturgeon macht das anstehende Referendum noch schwieriger. Schottland stimmt für den Verbleib in der EU, weil es sich mehr Vorteile erwartet.

Sollte Großbritannien sich jedoch für den „Brexit“ entscheiden, würde sich Schottland sofort für eine Loslösung von Großbritannien einsetzen um danach in die EU einzutreten. Kurios wird es, wenn man die britische Wirtschaft befragt, die in ihrer großen Mehrheit für den Verbleib in der EU ist. Aus den Kreisen des Londoner Finanzplatzes hört man, wenn der “Brexit” kommt werden einige Banken auf das Festland um siedeln.

Es ist schwer, sehr schwer, für Premierminister David Camero. Kommt der Brexit könnte er als der Spalter des Vereinigten Königreichs Großbritannien in die Geschichte eingehen. Und Europa? Der Schaden würde bei einem Austritt sicher sehr groß sein, was aber noch schlimmer ist, sind die Verhandlungen zwischen Großbritannien die dann notwendig wären. Personal würde über Jahre mit diesen Verhandlungen gebunden sein. Dabei haben die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU seit Oktober 2015 schon personelle Engpässe in Brüssel gezeigt. Denn die Flüchtlingskrise wurde dadurch vernachlässigt und hätte die ganze Aufmerksamkeit Brüssels verdient gehabt.
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Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik und european-mosaic aus Brüssel