Nicht nur mal eben ein Hallo sagen. B1|A40 – Die Schönheit der großen Straße

[jpg] Ganz viel Mut gehört dazu, sie, die B1/A40 als eine Schönheit zu bezeichnen. Eine große Strasse ist sie allemal. Aber eine Schönheit? Nein. Für viele Menschen ist sie der Alptraum schlechthin. Diese B1/A40 die so aussieht, als wenn jemand diese Strasse gewaltsam mit einem riesengroßen Skalpell durch die Städte geschnitten hätte. Man spürt förmlich die Gewalt, die den Städten angetan wurde. Doch –  und das ist das Widersprüchliche – die Menschen möchten diese Strasse nicht missen.

Frank Goosen, der Bochumer Kabarettist, hat es einmal in seinen Stücken so formuliert:
"…..freuen uns darüber, wie schön das Leben mit Abitur sein kann, und denken: "Nä, schön is dat nich. Abba meins!"
Oder wie es mein Oppa auszudrücken pflegte: "Ach, woanders is´auch Scheiße!"

Da liegt viel Weisheit in diesen Sätzen drin, Weisheit der Metropole Ruhr, einfach, unverfälscht und direkt. Aber auch die Hassliebe treibt hier ihre Blüten. Einesteils stolz auf das Erreichte und andererseits etwas Verbitterung, dass es nicht so geworden ist. Öfter bin ich die A40 entlang gefahren, meistens langsam, weil das Verkehrsaufkommen keine höhere Geschwindigkeit zulies. Gelsenkirchen, Bochum und Essen, rechts die nie aufhörenden Schallschutzwände mit den dahinter liegenden Wohnhäusern. Da kam die Frage immer wieder auf: Wer wohnt nur dahinter? Aber,und das ist das wesentliche, die Bewohner haben sich angepasst an ihre B1/A40 , ja, sie haben sich sogar mit ihr arrangiert. Von Dortmund wo es noch die B1 ist bis Duisburg wo es schon die A40 ist. Der ehemalige Hellweg dieser im Mittelalter so wichtige West – Ost Handelsweg, ist auch heute noch eine wichtige West -Ost Achse, eine der meistbefahrenen Strassen in Deutschland.

Man kann sich nicht vorstellen wie hier Leben aussieht, wie soziale Beziehungen funktionieren können. Es funktioniert aber, die Menschen haben sich ihre eigenen Nischen geschaffen, teilweise ohne Stadt- oder Landschaftsplaner. Diese Nischen lassen die Stadtplaner manchmal verzweifeln, wie sollen sie weitere städtebauliche Gestaltung betreiben? Die Enge die keine Eingriffe mehr zuläßt, die förmlich nach Weite ruft.
Nein, hier hat man urbanes Miteinander neu definiert, indem man etwas ohne Planung zulies.

Sicherlich ist dies vielerorts nach dem 2. Weltkrieg entstanden, wo man schnell Wohnraum brauchte, wo man nicht weiter dachte. Er ist aber nun einmal da, der Raum hinter den Schallschutzwänden.

Und da kommen die Macher der Kulturhauptstadt Ruhr2010 auf die vermessene Idee dieser B1/A40 zwei Projekte zu zuordnen um diese Strasse ins grelle Rampenlicht zu zerren.
                     
Ab 12. Juni bis zum 8.August  2010 
"B1/A40 Die Schönheit der großen Strasse", die die Nischen sichtbar machen soll. Und einen Monat später am 18.Juli 2010 steigt das "Still-Leben Ruhrschnellweg Die Metropole feiert".

Aber wenden wir uns erst dem Projekt "B1/A40 Die Schönheit der großen Strasse" zu.
Es ist ein einzigartiges Projekt das seinesgleichen sucht. Die B1/A40 als Gänge und Flure, die Abfahrten als Zugang zu den Exponaten. Urbane Räume als Ausstellungsräume.

Der Kurator und Projektleiter Markus Ambach sieht dieses Projekt im Zusammenhang mit den Menschen, die einfach nur ernst genommen werden wollen. Nicht nur mal eben ein Hallo im vorbeifahren erfahren, sondern von sich und ihrer Kultur erzählen wollen.
   

       

               

Da ist das Autobahnkreuz Kaiserberg, auch der Spaghettiknoten genannt. Viele sind hier schon durch gekommen, und haben nicht im Traum daran gedacht, wie sich hier Kultur etablieren könnte, ja, wie man hier leben kann.

                
  Adolf Braun von Delikatfisch Braun                                    Foto: Linde Arndt  

                  

Wir trafen uns in Duisburg-Werthacker in der Delikatfisch-Firma Braun. Auch das ist  eine Besonderheit neben diesem Autobahnkreuz, wo seit 30 Jahren die Brauns riesige Teiche ökologisch mit Fischen unterhalten. Wo man nebenbei mal eben Angeln gehen kann. Wo die Anlage landschaftlich aussergewöhnlich ansprechend angelegt wurde. Von Forellen über Karpfen bis zu Aalen, alles lebt in diesen riesigen Teichen, die auch noch mit Brunnen selber versorgt sind. Es liegt immer ein leichtes Surren der Autobahn in der Luft [ 240.000 Fahrzeuge fahren täglich dort durch] und ab und an hört man ganz in der Nähe einen Zug vorbei rauschen.  Zwei Wanderwege führen um und über das Kreuz Kaiserberg, Ausgangspunkt die Firma Delikatfisch Braun, die auch die Wanderkarten bereithält.

Und was für Touren, vorbei an einer Pumpstation der Gruppe Finger, die dort mit ihren Bienen den reinsten Honig fördert. Schwermetalle, Belastungen des Honigs? Nein, diese kleinen Helfer fördern nur nachweislich mittels Studien die goldene Süße des Honigs. Unter den Brücken haben Künstler halblegal ein Streetart-Museum geschaffen, die Dorfbewohner schlossen sich zusammen um auf  einem ehemaligen Kirchplatz ein riesiges Grill- und Gemeinschaftsfeld zu schaffen. Oder Rita McBride mit ihrem Delicate Arch eine monumentale natürliche Gesteinsformation die neben der A3/A40 zu sehen ist, neben ihr weiden die Pferde, Ponys und Ziegen in trauter Harmonie. Kaiserberg ist nicht himmlisch, nein, sicher nicht es ist irdisch mit allen seinen Ungereimtheiten, eine Idylle neben der Verkehrshölle.

Das Leben entschleunigen an einer Strasse deren Sinn es gerade ist, dass Leben schneller zu machen?  Entfernungen in kürzester Zeit zu überwinden, wo die Zeit ein knappes Gut ist? In Bochum – Hamme an der A40 hat die Epipaniasgemeinde eine Autobahnkirche eröffnet, die Botschaft: "Woher kommen wir – wohin gehen wir?" soll Licht in unser augenscheinlich rastloses Tun bringen. Einhalt in einer Zeit, die keine Zeit für die Rückbesinnung auf sich selber zulässt.

Christoph Schäfers "Auslaufendes Rot" nähert sich den längst vergessenen Arbeitergeschichten im Ruhrgebiet. Er inszeniert im Wasserturm Essen – Hüttrop die lokale Geschichte. 1920 –  die Nationalsozialisten wollten das besetzte Ruhrgebiet erobern, Arbeiter taten sich zusammen und schlugen diese Verbrecher zurück.

Bis 1943 kämpfte die "Rote Ruhrarmee" gegen das Naziregime. Heute gibt es keine Arbeiter im damaligen Sinne mehr. Was ist aus dem  damaligen Verständnis geworden, wie verstehen sich die heutigen Bewohner dieser Region, die stolz auf ihren damaligen Widerstand sein müssten. Christoph Schäfer ging dem nach und zeigt seine Ergebnisse im Foyer des Essener Kinos Eulenspiegel.

Der Dückerweg in Bochum mit dem Motel Bochum an der A40, hier wird nur das edelste vom edelen an Autos, Motoren für Motorbegeisterte bereitgehalten. Zwischen den Fahrzeugen Übernachtungsplätze, es ist Zeit zur Ruhe zu kommen an dieser Strasse die einem viel an Energie abverlangt und doch von der Energie lebt.

Roadmovie Ruhr, Menschen wie sie nicht unterschiedlicher sein können erzählen von ihrer "Großen Strasse", deren Mitte sie ausfüllt und die sich immer wieder neu erfinden müssen. Im Autokino Dückerweg finden die Kurzfilmtage aus dem Kurzfilmfundus von Oberhausen stat. Thema: "Roadmovies". Seitenwechsel auf die andere Seite der A40 in die Vietingstrasse. Peter Pillers Werbeflächen zeigen Trennungen zwischen den sozialen Schichten. Edelkarossen versus Schrebergartenmilieu. Spannungsfelder en detail. Und hinter der Lärmschutzwand der Schrebergarten. Wir erinnern uns, 170 Nationen sind in der Metropole Ruhr integriert, im Schrebergarten zeigt man Flagge, da gibt es Marokkaner, Russen, Kasachen und Philippinos, die hinter der Lärmschutzwand mit Deutschen eine Gemeinschaft bilden. Friedlich und unspektakulär.

Dann das Rhein-Ruhr-Zentrum, ein Areal wo  nur "Shopping" möglich scheint, die Funktion des Konsumierens, scheint nichts anderes zu zulassen. "Le Grand Magasin" ein vielfältiges Programm jenseits des Konsumterrors, reflektiert unser  Leben mit einem Ruhrgebietstalk aber auch Dinner mitten in den Konsumtempeln.
Wir haben einmal das komplette Programm als pdf-Kurzfuehrer_B1A40-1.pdf eingestellt.

Nachstehend einige Fotos  der Pressekonferenz von Linde Arndt


So ist "B1|A40 Die Schönheit Der großen Strasse" eine große Ausstellung, ein großes Projekt welches der Kurator Markus Ambach vorstellt, eine Inszenierung, die eine liebevolle Erzählung an diese Strasse darstellt.

Dieses Projekt spannt einen großen Bogen von der Vergangenheit mit allen seinen anscheinend längst vergessenen Geschichten bis hin zu dem Heute. Staunend sieht man wie sich die Menschen eingerichtet, sich engagiert an die Gestaltung menschlicher Lebensräume gemacht haben.

 Technische augenscheinlich lebensfremde Räume erhalten einen menschlichen Stempel. Und diese Stempel machen nachdenklich, ihr Tenor "wir sind da" und leben eine andere Normalität, jenseits der Eueren.

 
Markus  Ambach              Foto: Linde Arndt


Es ist ein Projekt das Besinnung, Entschleunigung und Stille verlangt in einem Umfeld wo alles in Bewegung ist, wo blitzschnelle Bilder auf uns einstürmen, die zu fassen uns nicht möglich ist. Mit diesem Projekt ist es Ambach gelungen uns einen  Halt, besser Break, in unserem Leben anzubieten. Es ist ein Angebot, welches man annehmen kann oder auch nicht, nimmt man es jedoch an, erfüllt es einen  mit einer Wärme ohne gleichen.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Duisburg

 

2 Kommentare

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  1. […] auf Grund ihrer mannigfaltigen Potenziale sozusagen ‚selbst erfindet’.“ [Wir berichteten darüber] Die Ausstellung im öffentlichen Raum richtete ihren Fokus auf die unbekannten Räume […]

  2. […] wollte ich erst in ein paar Wochen besuchen, der Wanderweg dort geht ja nicht verloren und lohnt sich auch unabhängig von Kunstinstallationen (ich sach mal nur: Delikatfisch Braun) und schon wegen der […]

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