Gevelsberg erinnert sich
Die erste Erinnerung:
Steele vor dem Rathaus |
[jpg] Politisch war und ist Gevelsberg schon immer stark aufgestellt. So hatte Gevelsberg traditionell immer ein ausgeprägtes Verhältnis für seine Vergangenheit und wusste diese auch immer in Erinnerung zu rufen. Gemeinsam gegen rechte Gewalt ist ein Thema, welches der Stadt und seinen Bewohnern am Herzen liegt. So fand die „Stattrundfahrt“ am 7.November 2012 statt, die die in Gevelsberg befindlichen Orte der Naziherrschaft sichtbar machen sollte. Ein Bus, eine Klasse der Realschule „Alte Geer“ und die Leiterin der Stattrundfahrt, Ingelore Sengstmann – Schaefer, und ab ging es auf eine Tour des Grauens aus der Zeit der Naziherrschaft – auch in Gevelsberg. |
Da war erst einmal das Mahnmal, eine Stahlsteele der Künstlerin Ulle Hees, vor dem Rathaus zu besichtigen, welches an die Naziherrschaft in Gevelsberg erinnert aber auch zur Wachsamkeit aufrufen soll. Zu Fuß ging es dann weiter zur unteren Mittelstraße. Da ist zum einen das ehemalige Horten Kaufhaus, welches vor der Nazizeit der Familie Rosenthal gehörte. Die Kaufmannsfamilie Rosenthal waren angesehene Gevelsberger, die der Stadt sogar Kredite gab. Sie waren jüdischen Glaubens, was sie aber nicht hinderte, christlichen Gevelsberger Kindern zur Konfirmation oder Kommunion die notwendige Bekleidung für diese Festtage zu schenken. Am 9. November 1938, der Reichskristallnacht, wurde Rosenthal mit zwei anderen Gevelsberger Bürgern jüdischen Glaubens verhaftet, inhaftiert und letztendlich in Konzentrationslager gebracht. In Auschwitz wurde Rosenthal am 4. Dezember 1942 grausam ermordet. Auch die beiden anderen Gevelsberger Kaufleute jüdischen Glaubens der Mittelstraße, Julius Rath und Buscher mussten ihre Läden verkaufen oder wurden enteignet und mussten fliehen oder wurden ins KZ gebracht.
Weitere Stätten waren der Asbecker Tunnel, in dem Kampfflugzeuge von Fremdarbeitern repariert werden mussten. Fremdarbeiter wurden wie Sklaven gehalten und wurden in der Regel dem damaligen Programm „Vernichtung durch Arbeit“ zugeführt. Man erinnerte an das Schicksal des Josef Schreimeier, der in Silschede auf der Hohen Warte den Befehl verweigerte im April 1945 noch auf Silschede zu schießen. Er wurde von seinem Vorgesetzten sofort erschossen und im Graben liegen gelassen. Gut Rocholz hatte ein riesiges Fremdarbeiterlager in dem die Fremdarbeiter auf 1 qm ihr Dasein fristen mussten. 640 Männer und 713 Frauen der Sinti und Roma wurden im Sammellager „Am Stüting“ morgens von Polizei und Gestapo zusammen getrieben und in Viehwaggons nach Auschwitz – Birkenau gebracht wo sie letztendlich wie alle grausam ermordet wurden. |
Eingang Gut Rocholz |
Nur warum sollen solche Führungen des Erinnerns überhaupt noch gemacht werden? Ist es nicht endlich Zeit für das Vergessen? Schwamm drüber und gut ist? Andere Völker waren und sind auch nicht besser. Nein, wir sollten solche Überlegungen gar nicht erst aufkommen lassen. Oder doch?
Nun, die nachfolgenden Jugendlichen haben immer wieder mehrere Argumente, warum sie sich nicht mehr damit befassen wollen. Zusammengefasst könnte man alles auf ein Argument bringen: Wir wollen heute und jetzt leben, wir wollen unseren Spaß haben und uns nicht mit den Problemen unserer vorherigen Generationen befassen. Das ist uns alles so weit weg, dass gehört nicht zu unserem Leben. Ok, wir müssen arbeiten und unseren Lebensunterhalt verdienen. Danach wollen wir chillen, den Stress vergessen, Spaß haben und unserer Freiheit genießen.
Und das soll auch so bleiben. Damit das aber auch so bleiben kann, sollte man zumindest mit einem Auge einen Blick auf den Zustand der Gesellschaft werfen. Die Zeichen der Unfreiheit kommen nicht mit Glatzköpfen und Springerstiefel daher – das hat sich grundlegend geändert. Die Strategie der Neonazis ist sich schleichend in gesellschaftlichen Gruppen einzufügen. Diese Gruppen für sich zu gewinnen und zu manipulieren. Man will das System nicht mehr in ein zwei Jahren einnehmen, es sind Jahrzehnte eingeplant. Dann heißt es wieder: Das ist undeutsch, das sind die die an allem Schuld sind, wir brauchen Raum im Osten, das sind niedrige Rassen die vernichtet werden müssen. Und dann ist es zu spät; denn der liebe nette Nachbar hat inzwischen sein Auge auf den Nachbarn geworfen, Kinder beobachten ihre Eltern. Die Katastrophe ist dann vor programmiert.
Hilter hatte Deutschland auch nicht im Staatsstreich 1933 eingenommen, er wurde gewählt und letztendlich auch zum Reichskanzler eingesetzt. Alles ganz legal. Er hatte von 1920 bis 1933 Zeit Deutschland zu übernehmen. Und in den Jahren bis 1933 hatte jeder Deutsche die Möglichkeit ihn abzuwählen, ganz legal.
Und wenn heute junge Menschen weiter die Freiheiten genießen wollen die sie heute genießen, so sollten sie nicht gedankenlos dem politischen Geschehen gegenüber stehen. Die NSU, also der nationalistische Untergrund, hatte in den letzten 12 Jahren 10 Menschen mitten unter uns ermordet.
Im Moment wird untersucht wie die Behörden so versagen konnten. Fakt ist, es besteht eine große Toleranz gegenüber rechter Gewalt bei den Behörden. Es könnte der Beginn wie 1920 sein.
Deshalb die Fahrten zu den oben genannten Stätten, die uns daran erinnern sollen, wie alles enden wird. Es werden dann nicht mehr die Juden sein die deportiert und verbrannt werden, dann wird es eine andere Gruppe sein, die uns als Schuldige präsentiert wird. Deshalb sollten wir alle wachsam sein, damit wir auch morgen noch „undeutsch“ bei Techno, Rap oder Rock chillen können.
Die zweite Erinnerung.
Abends hörten wir einen sehr erkenntnisreichen Vortrag über Engelbert I Erzbischof von Köln, der ja bekanntermaßen am 7 November 1225 auf dem Gebiet des heutigen Gevelsbergs ermordet wurde. Es war ein Festakt, der, so Bürgermeister Claus Jacobi, die Wurzeln der Stadt Gevelsberg berühren sollte. Der Arbeitskreis Engelbert, der 1999 gegründet wurde regte seinerzeit diesen Jahrestag an. Anwesend war auch die Geistlichkeit, die Gevelsberg seit Jahren begleitete.
Die Musikschule spielte und eine Gruppe des Gevelsberger Gymnasiums trug die Ballade „Der Tod des Erzbischofs Engelbert von Köln“ von Annette von Droste-Hülshoff vor. Es war ein spannender und dynamischer Vortrag der 10 Jugendlichen; immer hatte man den Eindruck mit dem Erzbischof im dichten Wald unterwegs zu sein.
Dr. Christian Hillen |
Dr. Christian Hillen war es vorbehalten Engelbert I als Gubernator Heinrichs VII den Gevelsbergern näher zu bringen. Heinrich VII war damals der Sohn von Friedrich II und als Kind in Aachen zum König gekrönt worden. Engelbert I war der „Gubernator Regni Teutonici“, hatte also die Rechte des Königs Heinrichs VII zu vertreten. Er war damit doppelter „Vertreter“. Einmal als Reichsverweser, Vertreter von König Friedrich des II und zum anderen als „Gubernator Regni Teutonici“ der Vertreter von Heinrich VII. |
Damit war er der mächtigste Mann im damaligen Deutschland. Diese Macht von Engelbert I war es, die Dr. Hillen den Gevelsbergern als Aspekt näher bringen wollte. Es war mehr ein Referat über die Beziehung Heinrichs VII und Engelbert I. Am Rande wurden die kriminaltechnischen Untersuchungen im Jahre 1978 an Engelbert I erwähnt. Die Erkenntnis, dass Engelbert I von 50 Stichen und Hieben getötet wurde, war so neu nicht. Als das Referat beendet und Fragen an den Referenten zu gelassen wurden, merkte man mit welchem Wissen die Gevelsberger hinsichtlich ihrer eigenen Vergangenheit und damit der Entstehung ihrer Stadt, aufwarten konnten. |
Da waren auf Gevelsberger Seite ganze Listen von Verwandten bekannt. Und es waren die Gevelsberger, welche die Verbindung zum Essener Stift herstellten, die die beiden konkurrierenden Machtzentren Mainz und Köln definierten. Es war schon erstaunlich, wie viel Wissen sich auf Gevelsberger Seite angesammelt hat. So was nennt man ein städtisches Bewusstsein. Das Gevelsberg seine Stadt dem damaligen Mord zu verdanken hatte, ist den Gevelsbergern bewusst. Denn die eigentliche Stadt hatte ihren Ursprung in dem nach dem Mord damalig gegründeten Sühnekloster im heutigen Dorf Gevelsberg.
So ist auch das zweite Erinnern als Kreis zu verstehen, welcher das Geschichtsbewußtsein der Gevelsberger eindrucksvoll dokumentierte.
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Gevelsberg
[Fotos: © Linde Arndt]
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