Premiere „ALCESTE“ Ruhrtriennale 2016 Foto: (c) Linde Arndt
Vorbemerkung
[jpg] Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – das sind die Rufe der Aufklärung die heute unseren Wertekanon ausmachen sollten. Die französische Revolution stellt hierbei in der europäischen Geschichte eine unumkehrbare Zäsur dar und war der Boden für unsere heutige Demokratie. Aber unsere Demokratie ist in die Jahre gekommen, wobei niemand bereit ist an dem immerwährenden Prozess einer Demokratie zu arbeiten. Die Demokratie war nie fertig und wird auch nie fertig werden; nur, wir müssen bereit sein an dieser Demokratie zu arbeiten, sie weiterzuentwickeln. Eine Zwischenstation auf dem Wege der Demokratie war das zu bauende Haus Europa.
Einleitende Informationen
Johan Simons inszenierte für die Eröffnung der Spielzeit 2016 am 12. Aug. 2016 die Oper Alceste von Christoph Willibald Gluck in der italienische Urfassung und dem Libretto von Ranieri de’ Calzabigi, der Dirigent René Jacobs und der Dramaturg Jan Vandenhouwe standen ihm hierbei zur Seite.
Nebenbei, es waren viele Prominente anwesend, die aber in diesem Zusammenhang unerwähnt bleiben sollten.
Hintergrund
Nun, Alceste geht auf die Tragödie Alkestis zurück die Euripides im Jahre 438 vuZ auf einem großen Kunstwettbewerb (Großen Dionysien) aufführte, er machte mit diesem Stück den 2. Platz nach Sophokles. Aischylos, Sophokles sind die großen Dramatiker der damaligen Zeit, zu denen sich nunmehr Euripides als gleichwertig gesellte. Zeit seines Lebens war Euripides ein Einzelgänger, er mochte die Athener Gesellschaft nicht und nahm dann auch konsequenterweise die Einladung des makedonischen Königs Archelaos I an, um an dessen Hofe in Pella zu leben und letztendlich auch zu sterben.
Was Euripides in seinen Werken beschäftigt ist die Freiheit des Menschen in seiner Entscheidungen für Gut und Böse. Aus sich heraus findet er, der Mensch, die rechte Entscheidung. Diese rechte und freie Entscheidung führt den Menschen in den Zustand der Würde.
Die Alkestis des Euripides steigt denn auch zur Heldin auf als sie sich für ihren Gemahl König Admetos entscheidet, indem sie an dessen Stelle in den Tod geht. Euripides zeichnet aber in diesem Stück ein Frauenbild, welches auch und noch in unserer Zeit Geltung haben könnte. Dieses Frauenbild ist deshalb möglich, weil das analoge Männerbild gleichberechtigt neben dem Frauenbild existieren kann.
Dieses Thema nahm der Komponist Christoph Willibald Gluck 1767 mit dem Librettisten Ranieri de’ Calzabigi auf und wandelte es ab, so fehlen die Rollen des Herakles oder des Vaters von Atmetos, Pheres. Alkestis, die nunmehr Alceste heißt, hat eine viel zentralere Rolle als in der Fassung von Euripides, die die Sinnhaftigkeit des menschlichen Daseins aber auch in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang darstellt. Sie ist die Frau wie sie sich die antiken Griechen vorstellten. Homer zeichnete mit Odysseus und Penelope vierhundert Jahre vorher eine idealtypische Ehe der damaligen Zeit, dem sich Euripides mit seiner Alkestis anschloss.
Johan Simons erweitert nochmals den Kontext indem er symbolisch den europäischen Gedanken, aber auch den Zustand der europäischen Idee, mit einfließen lässt. Fast wäre man geneigt die Inszenierung als überzogen symbolisch abzutun, zu viel Europa, zu viel Aufklärung und zu wenig griechische Tragödie. Es ist jedoch der Opfergedanke der einen in den Bann schlägt, nicht der banale Opfergedanke, nein, das Opfer für etwas Großes, welches den der das Opfer erbringt zum Helden aufsteigen lässt.
[Hier einige Szenen aus der Premiere „ALCESTE“ – alle Fotos: (c) Linde Arndt]
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Die Aufführung-Inhalt
Atmetos liegt im Sterben. Vor den Toren des Reiches warten die Feinde des Landes auf den Tod des Königs. Das Volk liegt apathisch und gleichgültig in voraus schauender Trauer am Boden, und hat sich schon mit dem zukünftigen Los abgefunden. Alceste erscheint mit den beiden Kindern, total verstört, was ist wenn ihr Mann den sie so liebt sie für immer verlässt? Ein Ausweg bleibt noch, die Götter sollen um Gnade angegangen werden, und, man will ihnen ein Opfer bringen.
Und dann die Botschaft der Götter.
Die Götter wollen nur dann Gnade walten lassen, wenn sich statt des Königs jemand findet, um dessen Tod zu erleiden. Bei allen Beteiligten bricht Entsetzen aus, selbst Alceste weiß nicht wie sie mit dieser Botschaft umgehen soll.
[caption id=“attachment_61130″ align=“alignleft“ width=“258″] Birgitte Christensen (Sopran) als Alceste Foto: (c) Linde Arndt[/caption]
Langsam bricht es aus Alceste heraus, sie spürt einen Ruf nach ihr, ihr der Retterin. Sie zögert und ist voller Zweifel, kämpft mit sich und findet zu einer Entscheidung: so will sie den Tod anstelle ihres geliebten Gatten wählen. Er soll leben! Kein anderer soll für dieses Opfer einstehen, Alceste sieht die Verantwortung bei sich und bei keinem Anderen. Denn was ist ihre Liebe zu ihrem Mann wert, wenn jeder diesen Platz einnehmen könnte? Alceste ist sich ihrer herausragenden Stellung als Königin bewusst; sie ist sich aber auch ihrer Liebe zu Atmetos bewusst. Sie entscheidet sich ganz bewusst für den Mann Atmetos nicht für den König Atmetos. Und weil sie diese Entscheidung so trifft, steht sie gleichberechtigt und emanzipiert neben ihrem Mann.
Als die Götter sie holen wollen, erbittet sie einen Aufschub um sich von ihren Lieben zu verabschieden.
Atmeto ist gerettet, alle freuen sich, erfährt von dem Opfer eines anderen und will denjenigen kennenlernen um ihm seine Dankbarkeit zu zeigen. Als Alceste erscheint zeigt er Alceste seine Freude über seine spontane Genesung. Die Kraft weiter zu leben verdankt er ihrer Liebe. Da erfährt er von ihrem Opfer.
Atmeto ist nun in einem Bad von widersprüchlichen Gefühlen, Trauer, Depressionen und Wut reißen ihn hin und her, ohne Alceste will er nicht leben. Er will selber sterben und mit Alceste verbunden sein.
Die Götter warten nicht, sie holen Alceste und bringen sie in den Hades. Atmeto, seiner Liebe beraubt, findet sich alleine und zurück gelassen. Sein Schmerz dauert die Götter so sehr, dass sie ein Erbarmen mit den Liebenden haben. Apollon führt die Liebenden wieder zusammen.
Die Aufführung-Haus Europa
In soweit kann man Europa im momentanen Zustand analog erkennen. Führungs- und ideenlos ohne Mut sich den Aufgaben zu stellen. Wer tritt für Europa, den europäischen Gedanken ein? Die Fliehkräfte sind sehr groß, wie lange hält die Statik des Hauses Europa noch? In diesem Zustand wird ein Retter gesucht, der Verantwortung übernimmt. Die Liebe zu Europa ist einer Gleichgültigkeit gewichen. Ist das Urteil schon gefällt? Alceste steht für etwas ein was vielen nicht bewusst ist – die Liebe als abstrakter Wert. Als Alceste sich entscheidet, ziehen alle mit, sie opfert sich oder sie verzichtet um für alle den europäischen Gedanken zu erhalten. Opfer heißt aber auch auf etwas zu verzichten, für den europäischen Gedanken und das Haus Europa, auf einen Grad der Eigenständigkeit der Nation.
Gluck hat bewusst Herakles und Pheres aus dem Spiel gelassen, denn beide sind nicht geeignet den Opfergedanken in die Zeit der Aufklärung zu transportieren und sind deshalb für den europäischen Gedanken ungeeignet.
Johan Simons, selber Europäer, lässt die Hoffnung nicht sterben und zeigt der Liebe zu Europa einen Weg – mutiger Einsatz um das Ganze zu erhalten. Denn der Verlust oder der Tod wäre vorprogrammiert wenn man sich in sein Schicksal ergibt.
Die Aufführung – Kritik
Das Belgische Barockorchester B’Rock, Gent Foto: (c) Linde Arndt
Unter der Leitung von René Jacobs hörten wir das Belgische Barockorchester B’Rock, Gent als außerordentlich lebendiges Orchester das in der Jahrhunderthalle in Bochum, mit seinen noch vorhandenen Industrieaufbauten, ein wunderbares Klangerlebnis ertönen lies. Es war ein konzentriertes Zusammenspiel zwischen dem wunderbaren Chor MusicAeterna aus Perm und den herausragenden Solisten.
Birgitte Christensen (Sopran) spielte eine liebende Alceste die glaubhafter nicht sein konnte und machte aus dieser Alceste eine menschliche Heldin. Georg Nigl (Bariton) war ein leidenschaftlicher Gott Apollon aber auch ein erhabener Todesgott Thanatos , der mit aller Strenge das Recht einforderte. Thomas Walker (Tenor) interpretierte den Atmeto bravourös als tragische Gestalt mit all seiner Verlorenheit.
Kristina Hammarström (Mezzosopran) als Ismene war ein treusorgendes und rühriges Kindermädchen.
Die Kinder Aspasias (Alicia Amo) und Eumelo (Joshua Kranefeld) brillierten mit ihrer Unschuld und zeigten in der Schlussszene mit ihrem Tanz die Erfüllung einer Hoffnung die wahr wurde oder werden kann.
Die Aufführung – Technik
Es gehört schon viel Professionalität in einer „Kathedrale“ der Industrie zu spielen. Kirill Petrenko der designierter Chefdirigent der Berliner Philharmoniker hatte mit Wagners „Tristan und Isolde“ und der Akustik seine liebe Not. Wobei er die Bühne nicht so weit auseinanderzog. Bei Alceste war die Bühne sehr weit und das ging nur auf Kosten der akustischen Qualität. Es ist sicherlich dem Budget geschuldet, wenn man dazu noch die Anordnung der Publikumsränge betrachtete.
Die Kostüme (Greta Goires) waren einesteils klassisch und andererseits modern, der griechischen Tragödie und der modernen heutigen Zeit verpflichtet – aber gelungen. Die griechischen Tragödien sind eben zeitlos, Alceste und Atmeto könnten auch heute in einem konservativen Umfeld ohne Probleme leben.
Dekoration und Bühne waren sehr abstrakt und „sparsam“ teilweise orientierte sich die Aufführung an den Aufbauten der ehemaligen Produktions- und Ausstellungshalle.
Trotz allem muss man allerdings sagen, es war eine wunderbare Aufführung die nachdenklich machte. Denn ein Opfer ist nicht unbedingt mit einem Menschenleben gleichzusetzen. Auch der Verzicht auf nationale Egoismen kann schon ein Opfer darstellen, tja, Liebe kann Häuser zum Einsturz bringen, aber sie kann auch Häuser erhalten.
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik und european-mosaic aus Bochum