Die Zeit fährt Auto, doch kein Mensch kann lenken
Musikensemble unter der Leitung von Libor Sima : Lars Jönsson – Harmonium / Obi Jenne (hinten) – Schlagzeug /Uwe Zaiser – Trompete, Flügelhorn / Libor Sima – Saxofon / Lisa Barry – Violine / Veit Hübner – Kontrabass Foto: © Linde Arndt |
[jpg] Wir erinnern uns an die Hermann Hesse Ausstellung oder auch an David Precht den Philosophen, der im Stern als "Popularisator", bezeichnet wurde, beide wurden Kulturveranstaltungen, unvergessliche und niveauvolle Erlebnisse für die Gevelsberger. Ermöglicht wurde dies durch das Kultur-Engagement der Stadtsparkasse Gevelsberg, die in den letzten Jahren mehr als das übliche zur lokalen Kultur beigetragen hat. Qualität und Nachhaltigkeit sind wesentliche Merkmale der Stadtsparkasse Gevelsberg, so las erst im vorigen Jahr Michael Mendl Weihnachtsgeschichten der Schriftsteller Truman Capote, Charles Dickens und Alphonse Daudet im Zentrum für Kirche und Kultur an der Südstraße. Voriges Jahr sprachen wir aber auch von den großen Krisen, Finanz- und Griechenlandkrise, die in diesem Jahr weiterhin Bestand haben. Heute sollte die aktuelle Debatte um Vertragshonorare jedoch nicht zum Rückzug von der Kultur und Kunst führen. Die Stadtsparkasse stellt sich als ein stabiler und verlässlicher Finanzpartner seiner Kunden dar, der nicht bei jeder Krise die Segel streicht. Die derzeitigen Bundesanleihen werden mit 1% angeboten, wobei die Inflationsrate bei 2% liegt, dies bedeutet eine schleichende Enteignung vieler Anleger die mit einer Bundesanleihe eben kein Risiko eingehen möchten. Nichts desto trotz sprechen wir heute von guten und stabilen Geschäftsaussichten der Stadtsparkasse Gevelsberg.
Der Vorsitzende des Vorstandes Thomas Biermann begrüßte Landrat Dr. Arnim Brux und Bürgermeister Claus Jacobi nebst Gattinnen, nicht ohne auf den mit 550 Zuschauern ausverkauften Saal hinzuweisen, wobei der eine oder andere Stuhl noch dazu gestellt werden musste.
Damit beendet Thomas Biermann seine kurze Einführung um die Bühne frei zu geben für Walter Sittler und sein neues 2. Erich Kästner Programm: [Foto links v.l.: Walter Sittler und Thomas Biermann] |
„Prost, Onkel Erich! Oder: Vom Kleinmaleins des Seins“
Es sollte die Fortsetzung des 1. Programms „Als ich ein kleiner Junge war“ sein, womit Walter Sittler schon einmal in Gevelsberg aufgetreten war.
Sittler lag auf dem Bühnenboden und schaute nach oben an die Decke und wollte damit seine ganz eigene Betrachtungsweise der Welt, der Welt des Erich Kästners, erreichen. Mit einem Trenchcoat, Regenschirm, Hut und karierten Anzug mit Weste schlüpfte Walter Sittler in die Rolle des Erich Kästners, der vom Jahre 1919 an, das Gevelsberger Publikum auf eine Zeitreise bis zu seinem Tode im Jahre 1974 mitnahm.
Walter Sittler in seiner Rolle als Erich Kästner Foto: © Linde Arndt |
Da waren der immer wieder liebevoll geschriebene Briefwechsel zwischen Mutter Kästner und Sohn, der erst mit dem Tode der Mutter endete. Sittler trug dies zartfühlend, wie eben ein Sohn, vor, worauf diese Briefe in einem schwarzen Kasten verschwanden. Sittler wusste die Ironie eines Kästners sehr gut rüber zu bringen. Auch das Scharfsinnige, sarkastische,analytische und die subtile aber auch entwaffnete Art eines Kästners war bei Sittler sehr gut aufgehoben. Allerdings war ihm der bitterböse und zynische Humor eines Erich Kästners etwas fremd. Sittler war sehr gut in den feinsinnigen Passagen, indem er den auch entwaffnenden Pazifisten Erich Kästner spielte. Nachdenken über sich selber: als Edith Jacobsohn, die Witwe des „Weltbühne“-Verlegers Siegfried Jacobsohn ihn animierte, indem sie ihm auftrug einen Kinderroman zu schreiben – wenn sie über Kinder schreiben können, können sie auch für Kinder schreiben, so Frau Jacobsohn. Es wurde eine der wunderbarsten Kindergeschichten „Emil und die Dedektive“, kein Märchen, sondern eine Geschichte die sich in der Realität spielte. Fast jedes Kind wusste von Emil. Ein ganz neues Genre in der damaligen Jugendbuchliteratur. Oder das Erschrecken des Erich Kästners als er bemerkte wohin das Nazireich steuerte: Deutschland trieb in die Barbarei . Kästner wollte seine Landsleute zum bleiben anhalten und war danach froh das niemand auf ihn gehört hatte. Oder die Zinseszinsrechnung, die man bei einer Hyperinflation (damals lebte man mit Billionen) vergessen konnte, die aber Kästner für alle Zeiten der Vergessenheit übergeben wollte. Sittler brachte die Lyrik und Prosa von Kästner so kurzweilig rüber, dass sich die anwesenden Sparkassen Mitarbeiter augenscheinlich amüsierten. Sittler trug dies aber auch so gekonnt vor, indem man sich manchmal fragte ob wir es hier mit dem Jetzt oder dem vorigen Jahrhundert zu tun haben. Man merkte schon wo Sittler hin wollte, indem er mehr augenzwinkernd die Frage stellte: Was hat sich eigentlich verändert? Wie gesagt, Sittler stellte die Zeit 1919 bis 1974 dar. Und doch kam es einem wie heute vor. Werden wir denn nicht klüger und vernünftiger? Trefflicher, vergnüglicher, nachdenklicher aber auch etwas sarkastischer konnte man einen Erich Kästner nicht zeichnen. Respekt Herr Sittler.
Die Aufführung wurde hervorragend ergänzt durch das sechsköpfige Orchester unter der Leitung von Libor Sima, der auch die Kompositionen arrangiert hat. Es waren durchweg Melodien aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Es tickte die Zeit mittels der Violine, die immer einen weiteren Zeitsprung einleitete und eine gute Überleitung darstellte.
Wie sehr den Gevelsbergern dieser Abend gefallen hatte zeigte der stürmische Applaus für die Wertschätzung und Anerkennung der Leistung von Walter Sittler und seinem Orchester, der immerhin zu vier Vorhängen führte. noch draußen in den Vorräumen wussten die Gevelsberger sich über die gelungene Vorstellung zu unterhalten.
Und fährt nicht heute auch wieder ein Zug, nur etwas schneller, der anscheinend von niemanden gelenkt werden kann?
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Gevelsberg
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