[jpg] Die Uraufführung von "Gisela! oder: die merk- und denkwürdigen Wege des Glücks" einer Oper von Hans Werner Henzes am 25.September 2010 in der Maschinenhalle Zeche Zweckel in Gladbeck kann man sowohl als merk- als auch als denkwürdig bezeichnen.Damit erreicht das von der Ruhr2010 initiierte und der Ruhrtrienale zur Aufführung gebrachte "Henze Projekt" seinen absoluten Höhepunkt.
Vorab: Es ist von der Form her keine Oper, zumindest wenn man die Einheit der einzelnen Elemente einer Oper zu Grunde legt. Henze, hielt sich jedoch nie an Definitionen. Er wilderte in allen Gärten um einen Inhalt zu transportieren oder zu verdeutlichen. So wurde dieses Werk auch als Musiktheaterstück angekündigt welches unter der musikalischen Leitung von Steven Sloane und der Regie von Pierre Audi zur Uraufführung gebracht wurde, wobei Hans Werner Henze selbst anwesend war und mit begeistertem Applaus begrüßt wurde. Henze zeigte auch sichtlich seine Rührung für die ihm dargebotene Hinwendung.
Die Handlung ist relativ einfach und kurz erzählt:
Gisela reist mit ihrem Verlobten oder Freund nach Neapel um dort Studien vorzunehmen. Gisela für die Kunstgeschichte und ihr Freund für die Vulkanologie. In Neapel will Giselas Freund ihr einen Heiratsantrag machen.Dort angekommen treffen beide auf Gennaro, der als Reiseführer sein Studium finanziert und sich so durchs Leben schlägt. Gisela verliebt sich in Gennaro, der ihre Liebe auch erwidert. Beide kommen überein nach Oberhausen zu fahren um dort, wenn er Oberhausen genauso lieben kann wie Neapel, ihr Liebe zu festigen. In Oberhausen angekommen erleben sie jedoch die Ablehnung ihrer Beziehung. Da sie nicht wissen wohin, übernachten sie auf dem Bahnhof. In einem Kampf, der durch den Widersacher angezettelt wird, der die Liebenden auseinander bringen soll, siegt Gennaro. Dieser Sieg führt dazu das der Vesuv in Oberhausen ausbricht, der eine Wolke von dunkler Asche über die Landschaft legt. Die Liebenden sind vereint.
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Hanna Herfurtner, Fausto Reinhart, Michael Dahmen, Ensemble © Ruhrtriennale 2010: Gisela! oder: Die merk- und denkwürdigen Wege des Glücks/Ursula Kaufmann |
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Diese vermeintlich einfache und banale Geschichte ist auch das Problem dieses Musiktheaterstückes welches die Begeisterung für das Gesamtwerk doch in Grenzen erscheinen lies. Das Libretto von Michael Kerstan und Christian Lehnert spielt in einer Zeit ( 60er Jahre ) die so nicht mehr darstellbar sind, weil wir heute mehr über diese Zeit wissen. Es ist aber auch nicht möglich diese Dreiergeschichte so in die heutige Zeit zu transportieren; denn die Thematik, Deutsche möchte Italiener heiraten, ist im 21.Jahrhundert noch subtiler geworden. Dazu kommen noch die Örtlichkeiten, Neapel als eine "unregierbare" Stadt und Oberhausen als eine ehemalige Stadt, die nur das Image einer Kohle- und Stahlstadt zu bieten hat und heute zu einer sich suchenden Stadt avanciert. So landet die Geschichte auch immer wieder im Klischeehaften um zumindest ein kleines bisschen Farbe in die Story zu bringen.
Da ist das triste Grau des Bühnenbildes und der Kostüme von Christof Hetzer, welches nur durch die szenischen Darbietung der Commedia dell’arte, sowohl in der italienischen Szene als auch in der deutschen Szene unterbrochen wird. Die drei großen schwarzen Kuben, die sich für szenische Elemente öffnen stehen doch sehr bedrohlich im Bühnenbild. Es wird dem Zuschauer ein gewisses Gefühl der Enge vermittelt, welches leicht Ängste freilegen könnte.Ängste wofür?
Die Ängste verstärken sich noch in den Videosequenzen die die Alpträume von Gisela darstellen. Die Gewaltsequenzen in den Videos bewegen sich in einem Grenzbereich der die Frage, soll das so enden, zwar nicht verlässt aber doch stark überzeichnet. Harlekin beraubt seiner Leichtig- und Fröhlichkeit oder der geknebelte Pulicinella ( Gennaro) der seiner Sprache beraubt wird, soll verdeutlichen was wir, die Deutschen, verlieren können.
Ja, wir verlieren alle, wenn wir die Identität des Anderen nicht achten. Aber haben wir nicht alle unsere Probleme mit dem Anderen? Machen wir es uns nicht immer wieder bequem in den Klischees die wir bedient haben wollen?
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Hanna Herfurtner (l.), Ensemble, Michael Dahmen (r.) V |
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"Gleich knallt´s" , so möchte man als Zuschauer sagen. Und tatsächlich es knallt, der Vesuv bricht in Oberhausen aus und es legt sich ein grauer Ascheregen über die Szene. Und aus der Szene bricht das Bunte und (vielleicht?) Versöhnliche durch die Akteure heraus indem sich eine neue (tolerantere?) Gesellschaft in der Mitte darstellt. Und in dieser Mitte können sie das sein, was sie immer schon wollten sich nur lieben und damit leben.
Henzes Musik sollte von, für und mit den Jugendlichen zur Aufführung gelangen. Er verstärkt und überspitzt mit seiner Musik die einzelnen Stationen der Handlungen. Gisela, Hanna Herfurtner (Sopran) spielt ein einfaches deutsches Mädchen und wird immer wieder durch Henzes Musik an die Hand genommen, ja diese Musik legt sich verständnisvoll um sie. Sie möchte ja nur ihren Traum erfüllt sehen, den Prinzen schlechthin zu bekommen. Herfurter spielt die Rolle sehr gut und weiß durch ihre Stimme zu überzeugen. Gennaro, Fausto Reinhart (Tenor), er ist der listige, schwatzhafte aber auch irgendwie liebenswürdige Italiener, der der Liebe zu Gisela erliegt. Für ihn gibt es keine Probleme. Nach Oberhausen ziehen? Na und, ich wollte schon immer Germanistik studieren so sagt er. Er ist aber auch der Beschützer Giselas, eben ein "richtiger" italienischer Mann.
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Fausto Reinhart, Hanna Herfurtner © Ruhrtriennale 2010: Gisela! oder: Die merk- und denkwürdigen Wege des Glücks/Ursula Kaufmann |
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Die Musik Henzes begleitet ihn in unverhohlener Sympathie, was Reinhart stimmlich spielend bis an die Grenzen des Heldentenors kommen lässt. Tja, und dann ist da noch der Spießer Hanspeter Schluckebier, Michael Dahmen (Bariton) der Antipode von Gennaro. Er, der nichts dem Zufall überlässt, alles bis ins kleinste plant und die Strippen im Hintergrund zieht um die neue Beziehung Giselas zu hintertreiben – ist eben der totale Spießer, typisch deutsch. Hanspeter klebt förmlich an Gennaro und Gisela um den Moment der Rache herbeizusehnen. Dahmen spielt diese Rolle so überzeugend eckelhaft, die Stimme durchdringt die Szene. Er saugt quasi die Naivität von Gisela und Gennaro auf um sie sodann in seinem Hass stimmlich umzuwandeln.
Von Henze ist man es gewohnt, dass er die Rollen reflektiert um sie sodann mit seiner Musik zu verstärken und die szenischen Besonderheiten besonders herausarbeitet um sie zu verdeutlichen. Nur verselbstständigt sich manchmal ein Stück weit die Musik selber. Kalkül?
Die stark überarbeiteten Bachstücke, die harmonisch konträr zur Szene stehen, können nur als Versuch gewertet werden, Sehnsüchte zu verdeutlichen. Nach einer alles ordnenden Macht?
Der Jugend-Kammerchor der Chorakademie Dortmund mit seinen Solisten war ein stimmlich gut anzuhörender Chor, der – bedenkt man die kurze Probenzeit – hochprofessionell auftrat. Der Chor war aber nicht nur Chor, sondern hatte noch andere Elemente in dem Stück umzusetzen. Außerdem brachte der Chor auch klare reine Solistimmen mit ein.
Unter der Leitung von Steven Sloane spielte das Orchester der MusikFabrik einen Henze der keinen Wunsch offen liess. Die Regie von Pierre Audi kann man nicht als glücklich ansehen, hat er doch nicht erkannt, dass die Handlung der 50er und 60er Jahre heute evtl. nicht mehr verstanden wird. Neapel heute eine total heterogene Stadt wo das Soziale kaum mehr Platz hat wie es Jean Baudrillard in seinem Werk so treffend beschreibt. Gennaro könnte heute einer von den jungen Gewalttätigen aus dem Norden Neapels sein, der sozial entwurzelt, durch Gisela zu dem findet was der Jugend in Neapel heute fehlt, zur Liebe. Warum fährt der Zug heute nicht anders herum, von Oberhausen nach Neapel? Die Musik Henzes gibt das allemal her. Deshalb, Neapel ist Oberhausen – nicht ganz.
Weitere Spielzeiten:
Do. 30.09.2010 19:30 Uhr
So. 03.10.2010 19:30 Uhr
Mi. 06.10.2010 19:30 Uhr
Frei. 8.10.2010 19:30 Uhr
andere Termine – ausverkauft, s. auch http://www.ruhrtriennale.de/de/programm/2010/gisela/
Jürgen Gehardt für EN-Mosaik aus Gladbeck.
Hier noch einige Fotos von der Uraufführung:
[Fotos: © Linde Arndt]