Keiner stellt mehr Fragen, wir nehmen alles hin
[jpg] Man muss sich das einmal weg tun. Zwanzig (20) Milliarden Euro, also rund 5 % des gesamten Gesundheitsetat, haben die Krankenkassen eingespart.
Toll würde jetzt jeder sagen. Ein Durchbruch, wir haben die Kostenspirale aufgehalten. Jetzt könnte sich der Gesundheitsminister Bahr (FDP) zurück lehnen und zufrieden sein. Übrigens ist er das auch. Aber darf er das oder sollen wir freudig die schon offerierten Milliarden annehmen? Habe ich doch aus eigener Erfahrung unser Gesundheitssystem qualitativ erfahren dürfen. Also was diese Einsparungen eben ausmachen. |
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Patienteninfoplan |
Seit einem Jahr laufe ich mit einem Bandscheibenvorfall durch die Welt und durfte allerlei Kuriositäten mit und durch unser Gesundheitssystem erfahren. Die letztmalige Kuriosität durfte ich in einem Bochumer Krankenhaus erleben. Dieses Krankenhaus hat sicher gefühlte 10 Milliarden alleine eingespart. Als gesunder Mensch macht man sich vorher über solch ein Zahlenwerk keine Gedanken. Auch das in den Jahren 1996 bis 2008 etwa 50.000 Vollkraftstellen in der Krankenhauspflege wegfielen – das war etwa jede siebte Stelle. 2008 hat sich zwar die Zahl der Pfleger in Krankenhäusern um 0,7 Prozent oder 1840 Vollzeitkräfte wieder erhöht – Toll! Parallel hat sich jedoch in den Jahren 1995 bis 2008 die Zahl der Patienten von 15,6 Millionen auf 17,5 Millionen erhöht. Sieht man sich die Zahlen an, kann man nicht anders als zu der Aussage kommen „hier stimmt was nicht“. Entweder haben die 50.000 Krankenpfleger in dem genannten Zeitraum Däumchen gedreht oder es herrschten nach dem Wegfall der 50.000 Stellen katastrophale Zustände. Auch auf der anderen Seite stimmt was nicht: 2 Millionen mehr Patienten, jedoch rund 50.000 weniger Pfleger. Und jetzt kommen wir wieder zu meinem Bochumer Krankenhausaufenthalt, der mich dahin bringt diese Frage zu beantworten. Ja, es herrschen katastrophale Zustände in den Krankenhäusern, wenn ich von diesem einen Krankenhaus auf alle anderen schließe. Wie das aber so ist in der Statistik, es gibt einen oberen und einen unteren Wert, es gibt eine Korrelation. Denkt man nun nach, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass ich mich in der Korrelationswolke befunden habe. Das heißt, es gibt noch schlechtere aber auch noch bessere Krankenhäuser. Also haben die Vorkommnisse eine gewisse Relevanz.
Nun will ich beispielhaft aufzählen was ich auf einer orthopädischen Station in diesem Bochumer Krankenhaus, welches christlich und auch noch der Ruhr Universität angeschlossen ist, erlebt habe.
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Eine Schmerzkonferenz mit einem Orthopäden, Physiotherapeuten, Psychologen mit mir ergab folgende Aussage: „Wollen sie ein weiteres Medikament haben?“ ich hätte bejahen können. Ich wollte jedoch nicht, weil ich die einzunehmenden Medis als genug empfand. Das Gespräch war vollkommen Sinn entleert. Weil es jedoch auf dem Plan stand musste es gemacht werden.
- Meine Medikamente bekam ich mehrfach doppelt. Da ich Medikamente aus der Gruppe der Opiate nehmen musste, war das jetzt nicht so schlimm. Meine Stimmungslage war nur eine Andere.
Nicht auszudenken, wenn ich Herz- oder Schlaganfallpatient gewesen wäre, wo eine Verdopplung der Medikamente hätte tödlich verlaufen können.
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Es wurden mehrere diagnostische Maßnahmen, wie MRT, EKG oder Röntgen ärztlicher seits angeordnet, jedoch nur auf Grund mehrfacher Reklamation durch mich ausgeführt.
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Als ich mit einer Röntgenaufnahme am nächsten Tag zu dem auf dem Plan stehenden Arzt zur Visite vorsprach, wusste der nicht warum eine Röntgenaufnahme gemacht wurde. Er schaute sich die Aufnahme nicht einmal an.
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Der Patient der mit mir auf dem Zimmer war, lag 4 Tage ohne Stuhlgang herum, ohne Reaktion von Pflege und Arzt. Als ich intervenierte, wurde der Patient in ein anderes Zimmer geschoben. Auch eine Art von Diagnose und Therapie. Puls- oder Blutdruckmessung gibt es offensichtlich nicht mehr.
- Vor dem Arztzimmer standen oder hingen vier DIN A4 schreiben, diesen Bereich aus Datenschutzrechtlichen Gründen nicht als Wartebereich während der Anwendungen zu benutzen.
Vielmehr sollte ein Aufenthaltsraum benutzt werden.Nun saßen alle Patienten im Aufenthaltsraum und tauschten lustig ihre persönlichen Daten aus.
Klar das nunmehr der eine oder andere erst auf den Gedanken kam die Daten des Anderen abzufragen.
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Es gab einen Tagesplan, der nicht das Papier wert war. Die notwendige Spritzentherapie konnte sich so verzögern das die vor- und nachherigen therapeutischen Maßnahmen entweder ausfielen oder nur unzureichend ausgeführt wurden. Als angeschlagene therapeutische Maßnahme wurde sie jedoch berechnet.
- Eine therapeutische Maßnahme war zum Beispiel die tägliche Rückenschule. In deren Genuss ich nur zweimal 15 Minuten kam.
Durch das organisierte Chaos kam die Therapeutin nur zu einem Referat über die Wirbelsäule. Eine Nachbildung der Wirbelsäule wurde der Gruppe vorgestellt und es wurden die einzelnen Befunde erläutert – das war die Rückenschule. Mein Physiotherapeut außerhalb des Krankenhauses staunte nicht schlecht womit man Geld machen kann.
Übrigens wurde diese Rückenschule in den Entlassungspapieren als besonders positiv aufgeführt. Angeblich hat diese Schulung bei mir besondere Erfolge gezeigt. Man braucht also nur ein Skelett visualisieren oder aufzuhängen und schon ist man geheilt – wunderbar. Nun weiß ich wenigsten, dass sich in einem menschlichen Körper eine Wirbelsäule befindet.
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Auf der Station lagen sehr viele ältere Menschen, die sowohl einen therapeutischen als auch einen pflegerischen Status hatten. Für den logischerweise notwendigen erhöhten personellen Aufwand war kein Personal da. Die Konsequenz! Diese Patienten wurden bis an die Grenzen des möglichen sediert. Wenn die Patienten wieder Schmerzen hatten, wurde eine weitere Sedierung vorgenommen.
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Die bei der Visite wiederholt dem Arzt vorgetragenen Beschwerden wurden in der Regel ignoriert.
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Das Ganze lief unter dem Titel „Schmerztherapie“. Letztendlich wurde es eine „Spritzentherapie“. Zweimal am Tag, morgens und nachmittags, wurde jeweils eine Spritze in den Rücken gesetzt, die einen Cocktail von Anästhesiemittel und Kortison beinhaltete. Wie der Cocktail sich zusammen setzte entzog sich denjenigen die die Spritze setzen mussten – also den Ärzten. Ich musste allerdings unterschreiben, dass man mich über die Gefahren aufgeklärt hatte. Die Aufklärung durch ein Mitglied der Ärzteschaft geschah jedoch nur auf Reklamation meinerseits obwohl dies vorgesehen war. Der herbeigerufene Arzt teilte mir dann kurzerhand mit, dass ich ja nur unterschreiben müsste und er im übrigen überarbeitet wäre da er sehr viele Operationen gehabt hätte.
Nach einer Woche fragte mich derselbe Arzt, nachdem ich meine „Opiate“ und die vor erwähnte Spritze bekommen hatte, ob sich mein Zustand gebessert hätte. Nachdem ich ihm mitteilte, dass ich wohl in einem sedierten Zustand immer schmerzfrei wäre, kündigte er mir die Entlassung an.
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Im Eingangsbereich der Station des auch katholischen Krankenhauses hing ein Schild – „Unser Leitbild“ Auf diesem stand: „…christliches Verständnis von Menschenwürde“, „Wir stehen für Dialog“ um nur zwei Leitbilder zu nennen. Tatsächlich kann ich diesem Krankenhaus eine recht tiefe Dialogunfähigkeit attestieren. Und christliches Verständnis und Menschenwürde auf dem Papier macht keinen Sinn. Christen leben Menschenwürde und reden nicht darüber.
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Doppelte Medikamente |
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Datenschutzrichtlinien |
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Rückenschule, ohne körperlichen Einsatz |
Mein Strichcodebändchen |
Was ich positiv betrachtete, ist der helle und freundliche Eingangsbereich der die Anmeldung beinhaltete. Lustig war, ich bekam ein Strichcodebändchen an mein Handgelenk befestigt, welches an den folgenden Tagen von niemanden benötigt wurde.
Oder, wenn jeder der Mitarbeiter erst einmal alles handschriftlich aufnahm um das Ganze danach in das EDV System einzugeben. Warum nicht gleich die Eingabe in das System? |
Um dem allem einen Sinn zu geben, muss man in diesem Krankenhaus feststellen, alle hier sind auf einem guten Weg ausgewiesene Egoisten zu werden. Nur ein Krankenhaus ist ein System innerhalb eines Gesundheitssystems. Da repräsentiert nicht zwangsläufig die Summe jedes Einzelnen die Gesamtheit des Systems. Auf das Ergebnis kommt es an. Und das Ergebnis sollte immer der Heilerfolg, alternativ, die Schmerzfreiheit sein. Die Gespräche die unter Patienten geführt wurden, endeten immer mit: Wenn ich was dagegen sage, bekomme ich eine schlechtere Behandlung. Das Pflegepersonal war durchgängig überlastet und hatte die innere Kündigung eingereicht. Welche Zielvorstellungen in diesem Krankenhaus vorherrschten war nicht auszumachen. Ich denke mal,man wollte eine monetäre Gewinnmaximierung.
Folgt man den klassisch medizinischen Behandlungsvorgaben, wurden auf dieser Station schwere bis schwerste Fehler gemacht. Anamnese, Diagnose und Therapie ist die medizinische Vorgehensweise schlechthin. In diesem Krankenhaus war dies nur rudimentär zu beobachten. Führungsprinzipien, wie Anweisung, Ausführung und Kontrolle wurden sträflich missachtet. Hier geriet eine Diagnose zur Spekulation wenn eine diagnostische Maßnahme zwar angeordnet wurde, jedoch nicht ausgeführt und letztendlich die Ausführung nicht kontrolliert wurde. Wenn ich meine Entlassungspapiere anschaue, so sehe ich ganz klar eine ungerechtfertigte Bereicherung. Ich gehe mal davon aus, dass die aufgeführten Anwendungen, die jedoch nicht oder fehlerhaft ausgeführt wurden, der Krankenkasse zur Abrechnung übermittelt wurden.
Worauf ist dies zurückzuführen? Wenn die Bundesregierung auf Teufel komm raus eine Sparorgie nach der anderen startet, so muss man sich nicht wundern, wenn die Krankenhäuser ihre Leistungsfähigkeit eingebüßt haben. Es wird nur wild eine Anwendung an die andere angereiht um nur ja an das Geld der Kassen oder der Patienten zu kommen. Letztendlich ist dies ein gefährliches Spiel, welches sicher in vielen Fällen tödlich endet. Der Anstieg von Behandlungsfehlern spricht Bände. Das Spiel lautet: Hauptsache die Kasse stimmt. Und raten sie einmal welche Kasse stimmt. Sicherlich nicht die der PflegerInnen, die stehen mit den Patienten am unteren Ende der Nahrungskette.
Was kann man tun? Wenn sie oder ihre Angehörigen, besonders ältere Menschen, ins Krankenhaus müssen, demonstrieren sie mit ihrer Anwesenheit. „He, hier ist jemand der sich kümmert und aufpasst.“ Zeigen sie Selbstbewusstsein, fragen sie, lassen sie sich therapeutische Maßnahmen erklären, fragen sie nach Alternativen, lassen sie sich Bedenkzeit geben und ganz wichtig, geben sie ihr Vertrauen wohl dosiert.
Und jetzt kommen wir wieder zu unserem derzeitigen Gesundheitsminister Bahr (FDP) der auch wie seine Vorgänger eine Reform ankündigte aber nichts geliefert hat. Von den eingesparten rund 20 Milliarden sind schon mal 2 Milliarden bei unserem Finanzminister Schäuble (CDU) zwecks Stopfung von Löchern gelandet. Eine Reform ist aber auch nicht von Herrn Bahr (FDP) zu erwarten. Warum auch? Er bekommt sein Ministergehalt ja nicht für seine Leistung oder einen Erfolg. Er bekommt sein Gehalt nur als Anwesenheitsgehalt. Und wenn er ein Problem mal erkannt hat, fragt er seine Lobbyisten aus dem Pharma- oder Krankenhausbereich , von denen er jede Menge im Ministerium sitzen hat. Die diktieren ihm schon ein passendes Gesetz zur ihrem Vorteil
Da sich Leistung seit 1982 wieder lohnen muss und es netto mehr vom brutto geben soll, ist die Abwesenheit von Leistung sicherlich irgendwie auch eine Leistung. Abgesehen davon das die FDP und damit unser guter Herr Bahr (FDP) durch Spenden der Industrie und der Banken sicherlich mehr verdient als mit dem Ministerjob.
Auf den ersten Augenblick freundlich, modern und innovativ |
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Bochum
[Fotos: EN Mosaik]