Beiträge

Mitten ins Herz – Pulse

 

[jpg] Der Westpark in Bochum liegt hinter der Jahrhunderthalle und ist ein beliebtes Freizeitziel für die Bochumer und deren Freunde. Als wir am vergangenen Donnerstag dort eintrafen, lagen Fahrräder  herum, nicht weit davon eine Gruppe junger Menschen die beim Picknicken waren. Dort ein Pärchen welches die letzten Sonnenstrahlen einfing. Und am Rande dieser Idylle waren die Theaterscheinwerfer installiert, 250 an der Zahl. Es war jedoch noch nicht dunkel und so sahen wir viele prominente Bochumer Kunstliebhaber durch den Park flanieren. Wie gesagt, es war noch zu hell um die  Lichtinstallation zur Aufführung zu bringen. Zeit für ein paar Gedanken.

Die Ruhrtriennale hat eine Schwester, eine vierte Säule innerhalb der Kultur Ruhr GmbH bekommen, „Urbane Künste Ruhr“. Am 16.August 2012 brachte diese vierte Säule „Urbane Künste Ruhr“ die ersten Inhalte ihrer Definition von urbaner Kunst.  Rafael Lozano-Hemmer, ein kanadisch-mexikanischer Künstler, zeigte seine interaktive Lichtinstallation „Pulse Park“ Relational Architecture 14. 2008 hatte Lozano-Hemmer diese Installation im Oval des Madison Square Park, New York zum ersten male gezeigt. Pulse Park war der Höhepunkt einer Serie, Lozano-Hemmer debütierte 2007 mit Pulse Room bei der Biennale in Venedig.

Dieser "Pulse Park" im Westpark wird einzig und alleine durch die Herzschläge, also den Puls, der Besucher Wirklichkeit, die bereit sind, ihn durch einen dafür vorgesehenen Sensor einzuspeisen. Als die Dunkelheit herein brach gaben neben dem Künstler zuerst drei ausgesuchte Bürger ihren Puls ein.  Urbane Künste Ruhr hatte Bochumer Bürger aufgerufen, ihre schönste Geschichte oder ihr bestes Erlebnis zum Westpark einzureichen. Von diesen Einsendern waren die besten drei Bewerber ausgewählt worden. Ihre Geschichte sollte bei der Eröffnung am Donnerstagabend präsentiert werden.
Anschließend wurde der Puls von mehreren Besuchern hintereinander durch den Sensor in einen Computer eingespeist. So entstand letztendlich eine Reihe von Herzfrequenzen die die Strahler zum Leuchten brachten. Zuerst wurde der Puls eines einzelnen Besuchers auf einen Strahler übertragen. Schlußendlich wurden die anderen, schon gespeicherten, auf die gesamte Installation ausgeweitet. Das ganze wurde sodann durch die akustischen Signale begleitet.

Zu Beginn das gleichmäßige Pochen eines einzelnen Herzens, welches von dem Stakkato der folgenden schon gespeicherten Herzschläge ergänzt wurde. So weit der technische Bereich.

 
[scrollGallery id=412]

Begleitet von großen Ohs und Ahs der inzwischen angewachsenen Westpark Gemeinde, sah man wie der Westpark sich in ein Lichtermeer verwandelte. Die Übertragung der Herzschläge taten ihr übriges um die Besucher in romantische Gedanken zu führen. Die eine und andere Hand sah man in der Hand des Partners verschwinden. Köpfe legten sich an Schultern. Die entstehende künstliche Landschaft ließ die Herzen mit schwingen. Es war eine gelungene Vorstellung des Auftaktes „Urbane Künste Ruhr“; dem vierten Bein der Kultur Ruhr GmbH unter der künstlerischen Leitung von Katja Aßmann.

Als wir zum Vortrag des Künstlers Rafael Lozano-Hemmer gingen sahen wir eine Schlange von rund 120 Besuchern die sich am Pulsmessgerät anstellten.

Rafael Lozano-Hemmer wusste uns viele seiner Arbeiten näher zu bringen. Rund um den Erdball wusste er von seinen Arbeiten zu berichten. Da gab und gibt es Videos, Skulpturen, Robotics, Lichtinstallationen mit und ohne biometrische Steuerungen oder auch Performes ( Levels of Nothingness im Guggenheim Museum).

Später, als wir  wieder am Westpark vorbei gingen sahen wir immer noch vereinzelt Pärchen im Park, sicher sich ihr Herz schenken.

 

 

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Bochum

[Fotos: © Linde Arndt]

INFO:

 PULSE PARK: Relational Architecture No. 14
16. August – 16. September 2012
Westpark an der Jahrhunderthalle Bochum
täglich 21.00 bis 1.00 Uhr
Eintritt frei

 

 

 

 

 

Der ewige Kampf zwischen Kopf und Bauch

   
Pressekonferenz im Dampfgebläsehaus der Jahrhunderthalle, Bochum v.l. Michal Rovner / Professor Heiner Goebbels / Lemi Ponifasio
 

[jpg] Sie haben schon einmal eine Oper gesehen? Klar. Da gibt es die Ouvertüre mit einem Leitthema, drei Akte. Das wesentliche ist jedoch: Sowohl in der Komposition als auch im Libretto gibt es eine „Linie“ nach der das Stück aufgebaut wird und letztendlich zu seinem Ende kommt.Vergessen sollte man in diesem Jahr diese Regeln. Musik und Text müssen nicht einer Linie folgen. Oder doch?

Am 6. August 2012 war die Auftaktpressekonferenz der Ruhrtriennale 2012/2013/2014, es geht also wieder los.

Der amerikanische Komponist John Cage wäre in diesem Jahr ( 5. September ) 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Grunde hat sich Professor Heiner Goebbels entschlossen für die Aufführung von Europeras 1+2 die Regie zu übernehmen. Am 17. August ist Premiere und sämtliche Vorstellungen sind restlos ausverkauft, übrigens, wird an diesem Tage Professor Heiner Goebbels 60 Jahre alt.

Warum Cage? Nur weil er 100 Jahre geworden wäre? Nein. Cage deshalb, weil er als Amerikaner mit dieser Oper den Europäern zeigen wollte, dass auch die USA eine eigene Identität haben sollten. Cage deshalb, weil er mit dieser Oper ein experimentelles Werk geschaffen hat. Cage deshalb, weil gerade die Ruhrtriennale bekannt ist für ihre außergewöhnlichen Produktionen. Kurz, es gibt viele gute Gründe Cage zur Aufführung zu bringen.

Zur Oper selber.
Es gibt auf der Bühne 64 aufgemalte Felder in der 100 Meter weiten Jahrhunderthalle in Bochum. Es gibt 10 herausragende SängerInnen, die von ~ 30 Instrumentalisten und von ~60 Assistenten unterstützt werden. Und dann gibt es noch den Zufallsgenerator. Dieser Zufallsgenerator ( I Ging ) wirft nach einer bestimmten Einstellung eine Feldnummer und meinetwegen eine Arie aus 128 bekannten europäischen zur Verfügung stehenden Opern aus. Zu den Opern gibt es 32 Bilder. Kostüme und Bühnenbilder ergeben sich. Europera 1 dauert 90 Minuten und Europera 2 dauert 45 Minuten. So ist der Regisseur vor der Vorstellung teilweise selber gespannt auf den sich ergebenden Verlauf.

Während der Aufführung entsteht somit eine neue Oper oder aber auch ein neues Gesamtwerk, welches aber so nicht wiederholbar ist. Es sind zwar alles alte Werke der letzten 200 Jahre aber durch die willkürliche Zusammensetzung entstehen neue Melodien, Szenen die zwar bekannt, aber in ihrer Zusammensetzung so noch nie gehört wurden. Problematisch wird es für Menschen die in ihrer Neugier schwach ausgeprägt sind. Man muss sich schon darauf einlassen können. Wie sagte der Intendant der Ruhrfestspiele Recklinghausen Dr. Frank Hoffmann so treffend: Seien Sie neugierig.

Außer  Cages Europera 1& 2 seien noch folgende interessante Vorstellungen erwähnt:

"Lecture on Nothing"

Robert Wilson liest John Cage
            22.  August 2012, 28. August 2012
            Jahrhunderthalle Bochum
 
Künstlergespräch Europeras 1&2

mit Heiner Goebbels und dem Produktionsteam der Inszenierung
19. August 2012, 31. August 2012, 2. September 2012
            Jahrhunderthalle Bochum

tumbletalks 1 – 8

Heiner Goebbels / Holger Noltze
            ab 17.  August 2012
            Museum Folkwang, Essen

 "Current"

Kommen wir zu der anwesenden Künstlerin Michal Rovner. Die israelische Künstlerin ist mit ihrer Arbeit „Current“, die am 18. August in der Mischanlage, Zeche Zollverein, Essen, präsentiert wird, vertreten.

„Datazone 1, cultur table #, 2003"
Parallel wird in den Räumen des  Museums Folkwang ein weiteres Werk „Datazone 1, cultur table #, 2003 zur Ausstellung gelangen.

Mit Tumbletalk 2 wird am nächsten Tag dem 19. August ein Gespräch mit Michal Rovner und Michael Morris stattfinden.

 
Michal Rovner

 Michal Rovner hat mit ihrem Werk „current“ Spuren und Zeiten der Mischanlage aufgenommen und diese in einer Videoarbeit umgesetzt. Die Mischanlage wurde für die Vermengung von verschiedenen Kohlequalitäten gebraucht. Über die Jahre entstanden Rückstände aus den vergangenen Produktionsprozessen. Nimmt man nun die Bauweise der Anlage, den Nutzungs- und Abnutzungsgrad als auch die verbliebenen Rückstände, ergeben sich drei Terminis die dem Kunstwerk zu Grunde liegen.

Rovner ist bekannt für Grenzüberschreitungen in ihrer Kunst, indem sie Grenzen überdehnt um letztendlich ihre Belastbarkeit zu erkunden. Es scheint ihr Spaß zu machen Räume zueinander in eine andere Beziehung zu setzen um sie damit einer Stresssituation auszusetzen. 

Als Israelin wurde sie einer ständigen wechselnden Realität ausgesetzt, deren Gefährdungsgrad sie immer in die Nähe eines mittleren Bebens brachte.
Zu Michal Rovner sei auch gesagt, dass sie eine international anerkannte zeitgenössische Künstlerin ist, die mit Professor Heiner Goebbels seit 2005 eine enge künstlerische Partnerschaft einging. Mit dem Werk „Fields of Fire“, einer großen Video- und Klanginstallation im Jeu de Paume/Paris, hat sie sich einen internationalen Namen gemacht.

„Prometheus“

Vorgestellt hatte sich nunmehr Lemi Ponifasio, gebürtig aus Samoa, als internationaler renommierter Regisseur  und Choreograf Neuseelands. Er wird in der Duisburger Kraftzentrale Carl Orffs ungekürztes Musiktheater „Prometheus“ nach Aischylos  am 16. September (Premiere) zur Aufführung bringen. Wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, dass dies eine Neuinszenierung sein wird und darüber hinaus Ponifasios erste Musiktheaterarbeit darstellt. Ponifasio und Carl Orff, zwei Künstler die sich beide  auf die Ästhetik des Beginns (Archetypus) eines wie auch immer gearteten  menschlichen Dialogs zurückziehen. Wobei Prometheus, der Kulturbringer schlechthin, beiden den Stoff liefert, den sie für diese, ihre Arbeit,  gesucht haben. Pontifasio setzt Prometheus in unsere heutige Zeit in der der moderne Mensch sich in der beschleunigten Welt ausgesetzt fühlt. Prometheus und der moderne Mensch begehren in ihren Welten auf um eine andere Welt einzufordern. Regie führt Peter Rundel, Chor wird von dem stimmlich bewährten „Chorwerk Ruhr“ nunmehr unter der Leitung von Florian Helgath, gestellt. Die Tänzer der MAU Company werden die Aufführung verstärken und Prometheus wird von Wolfgang Newerla gesungen.

 
Lemi Ponifasio                


Klicken um als PDF zu vergrößern
  Es ist nicht alles beschrieben worden was in der Pipeline ist. Bis zum 17. August werden 900 Künstler angereist sein, die teilweise aus Übersee kommen. Es werden über 100 Veranstaltungen, 37 Produktionen auf 12 verschiedenen Spielstätten aufgeführt. 30 Vorstellungen sind schon ausverkauft, viele haben nur noch Restkarten zu bieten. Wenn es so weiter geht, wird die Ruhrtriennale 2012 eine Auslastung von über 85% haben. Es geht um die Metropole Ruhr und nur dafür ist die Ruhrtriennale geschaffen worden. Jedoch landete der Bereich Kultur in der Metropole Ruhr in einer Studie der Hamburger Berenberg Bank  im unteren Mittelfeld.  Lediglich die Stadt Essen konnte einigermaßen im Kulturranking punkten. Stuttgart, Dresden oder Berlin sind die Städte auf den vorderen Plätzen. 
Wenn man allerdings weiß wo man steht, so kann man seine Kräfte bündeln um nach vorne zu kommen.

Kultur ist und bleibt ein inzwischen harter Faktor bei der Standortfrage eines industriellen Betriebes. Warum? Kultur ist das „Schmiermittel“ der ersten Wahl in einer intakten Gesellschaft. Ein Trost, es wird noch weitere Studien geben. Die Metropole Ruhr wird sicher seine Chancen nutzen.
Bei 900 Künstlern sollte das oben genannte nicht alles sein, woran die Ruhrtriennale arbeitet um am 17. August die Spielzeit 2012/2013 zu beginnen.

Rafael-Lozano Hemmer
Am 17. August wird im Westpark hinter der Jahrhunderthalle Bochum eine interaktive Lichtinstallation, „Pulse Park“ von Rafael-Lozano Hemmer die Besucher überraschen. Der kanadisch-mexikanische Künstler Rafael-Lozano Hemmer  verwandelt mit Einbruch der Dunkelheit den Westpark in einen Lichtpark. Die gemessenen Herzschläge der Besucher steuern einen computergesteuerten Sensor, der übernimmt diese Schläge um sie sodann in Licht- und Tonsignale umzusetzen. Der gesamte Park wird dadurch zu einem einmaligen Begegnungsraum.

"Our CenturY"

Seit dem 16. Juli werden Folke Köbberling und Martin Kaltwasser mit einem Bauprojekt „Our CenturY“ rund um die Jahrhunderthalle Bochum bis zum 30. September mit über hundert Freiwilligen eine Alternative zum derzeitigen sozialen Zusammenleben sichtbar machen. Irgendwie erinnern die beiden an Alexander Mitscherlich mit seinem „Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden“. Unsere heutigen Städte stehen alle vor dem Kollaps, sind fast unbewohnbar, so dass die Menschen aus den Städten fliehen. Folke Köbberling und Martin Kaltwasser setzen unserer eindimensionalen realen Lebensumwelt einen kritischen Widerstand entgegen. Der Fortgang der Arbeiten kann jederzeit bei freiem  Eintritt besichtigt werden. Auch ein Mitmachen ist jederzeit möglich.

 
Folke Köbberling, dahinter v.l. Martin Kaltwasser und Professor Heiner Goebbels                

Ein weiterer Schwerpunkt der Professor Heiner Goebbels am Herzen liegt, sind Studierende aller Fachrichtungen. Während der Ruhrtriennale 2012 wird es einen „Internationalen Festivalcampus“ geben. Dozenten, Studierende und Künstler aus 12 unterschiedlichen Hochschulen des In- und Auslands werden in einen Diskurs mit dem Theater als eigenständige Realität treten. 150 Teilnehmer  werden mit dem Team der Ruhrtriennale eine sicherlich spannende und interessante aber auch strittige Begegnung haben. Des weiteren wird StudentInnen < 27 Jahre auf alle Vorstellungen ein 50% iger Rabatt eingeräumt – dies ist einmalig für die Ruhrtriennale. Auch sind weitere Vergünstigungen für StudentInnen <27 Jahre durch die Intendanz der Ruhrtriennale veröffentlicht worden. Erwähnt sei das „Last-Minute Ticket“ oder der Studentenpass, aber es wurden auch 50 Freikarten für StudentInnen verlost.


Professor Heiner Goebbels im Gespräch
  Selbstredend sind die Aktivitäten die Professor Heiner Goebbels bist jetzt entwickelt hat andere als die seiner Vorgänger.

Und bis jetzt war es immer ein herausragendes Erlebnis die verschiedenen Intendanten vom Gründungsintendant Gerard Mortier angefangen über Jürgen Flimm und Willy Decker mit ihren Arbeiten zu begleiten.

Heiner Goebbels wird mit seiner Persönlichkeit einen weiteren Pfeiler für die Geschichte der Ruhrtriennale darstellen.

Gefühlsmäßig, also mit dem Bauch, sollten wir in den Stücken Wege erkennen, neue Wege, der Kopf sollte diese Wege alsdann benennen können. Kampf entsteht nur dann wenn unsere Unsicherheit uns nicht verlässt.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Bochum

[alle Fotos © Linde Arndt]