Europa im permanenten Krisenmodus
[jpg] In dieser Woche trafen sich die Außen- und Innenminister der 28 EU Staaten in Brüssel nachdem ihre Chefs, die Regierungschefs der 28 EU-Staaten, mit der Türkei am 7.März 2016 keine Einigung erzielt hatten. Die Staaten auf der sogenannten Balkanroute, allen voran die Österreicher, haben ihre Grenzen mit Natodraht und Zäunen dicht gemacht. Balkanroute geschlossen, so ging es durch die Medien. Das „Durchwinken“ von Flüchtlingen sollte nun ein Ende haben. Bundeskanzlerin Merkel widersprach dem Treiben der Balkanländer, sie musste sich aber der Macht des faktischen beugen. Stattdessen verwies sie auf die Fortsetzung der Verhandlungen mit der Türkei am 18.März in Brüssel. Für Bundeskanzlerin Merkel ist die Türkei der Schlüssel um den Zustrom der Kriegsflüchtlinge nachhaltig zu senken. Im Gegenzug würde die Türkei weitere 3 Mrd. Euro, damit jetzt 6 Mrd.Euro, für die Kriegsflüchtlinge bekommen, Wegfall der Visa für die Türken im Schengenraum und die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollen voran getrieben werden. Auf der anderen Seite durften wir zusehen, wie sich die Türkei der Menschenrechte entledigt. Da wird gedroht, dass Verfassungsgericht abzuschaffen, falls es keine genehmen Urteile fällt oder der immerwährende Konflikt zwischen Kurden und Türken wird wieder belebt und ganze kurdische Dörfer nieder gebrannt. Da stellt sich die Frage: Kann die Türkei ein verlässlicher Vertragspartner sein? Die EU trägt ein hohes Risiko mit der derzeitigen Türkei das Kriegsflüchtlingsproblem lösen zu wollen; denn ein Schusswaffengebrauch gegen die Kriegsflüchtlinge durch die Türkei ist nicht auszuschließen.
Auf der anderen Seite haben die Balkanstaaten ohne Griechenland die Grenzen geschlossen, so dass Griechenland jetzt alleine die Last tragen muss, die mit der Versorgung der Kriegsflüchtlinge einhergeht. Die Folge: Rund 15.000 Kriegsflüchtlinge kommen an der Grenze zu Makedonien nicht weiter. Sie leben jetzt vor einem Grenzzaun wo Schlamm, Pfützen, Regen und Kälte den Kriegsflüchtlingen zusetzen. Kinder spielen im Urin und Kot der hinter den Zelten oder den Pappen auf den Flächen verteilt ist. Hinzu kommen fehlende hygienische Einrichtungen und wenn die Ehreneamtlichen mit Hilfe von „Ärzte ohne Grenzen“ oder UNHCR die lebensnotwendige Grundversorgung der Menschen nicht übernommen hätten, wären sicher schon die ersten Tote zu vermelden gewesen. Abgesehen von den Toten die bei der Überfahrt im Mittelmeer immer wieder ertrinken, was inzwischen zur Alltäglichkeit verkommen ist. Zu recht hat das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ im September 2015, als das Bild von dem ertrunkenen dreijährigen Aylan Kurdi um die Welt ging, die europäische Einstellung zu seinen eigenen Werten zynisch in Frage gestellt.
Griechenland und die Türkei sollen jetzt zusammen arbeiten. Erste Maßnahme: Griechenland gibt die „illegalen“ Kriegsflüchtlinge in seinem Land wieder zurück, dafür erhält Griechenland von der Türkei „legale“ Kriegsflüchtlinge. Wie das praktisch umsetzbar ist, kann die EU-Kommission und der Rat noch nicht sagen. Abgesehen davon, kann diese Aktion durch die UN-Flüchtlingskonvention oder die EU-Grundrechtecharta nicht gedeckt sein. Gibt es also eine Aussetzung des Völkerrechts in diesem Zusammenhang?
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) und Johanna Mikl-Leitner (ÖVP haben in Österreich das Zepter in die Hand genommen und mit Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) beschlossen, nur noch maximal 80 Asylanträge pro Tag anzunehmen. Der Rest wird zurück gewiesen. Dadurch das Makedonien seine Grenzen dicht machte, kommen nur vereinzelnd Kriegsflüchtlinge nach Österreich.
Nun sollte man meinen, dass Problem wäre gelöst.
Weit gefehlt; denn die Kriegsflüchtlinge orientieren sich neu. Italien ist das neue Ziel und da gibt es nun mehrere Möglichkeiten. Alle diese Routen sind allerdings mit einem sehr hohen Risiko für das eigene Leben verbunden. Aber was soll es, es geht nach dem Prinzip „Der Bremer Stadtmusikanten“, was da heißt, „ … etwas Besseres als den Tod findest du überall … . Etwas Menschlichkeit, würde der EU gut zu Gesicht stehen. Wir haben jetzt die Balkangruppe unter der Führung der Österreicher beschrieben.
Es gibt aber auch noch die osteuropäische Gruppe, mit Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, also die Visegrád-Gruppe, die mit dem Flüchtlingsproblem von Anfang an nichts zu tun haben wollten. Diese Gruppe hat eine historische Angst von den großen europäischen Staaten vereinahmt zu werden. Im Grunde sind sie in Europa noch nicht angekommen. Vielmehr pflegen sie ihre Nationalstaaten, stehen Brüssel aber misstrauisch gegenüber. Das Flüchtlingsproblem brachte denn auch von diesen Staaten den größten Widerstand in Brüssel. Dazu kommen die baltischen Staaten, die mehr oder weniger mit sich selber beschäftigt sind und ewig ihre Ängste vor einer russischen Intervention formulieren. Rumänien und Bulgarien sind mehr Mitläufer die kaum einen eigenen Lösungsvorschlag zur Flüchtlingsproblematik aufbieten würden. Wobei Bulgarien ein Aspirant für eine neue Flüchtlingsroute sein wird. Kriegsflüchtlinge gelangen bei Grenzübertritt in Bulgarien sofort in Haft. Mit genügend Geld kann man jedoch bis zur deutschen Grenze gefahren werden. Rund 600 km ist die bulgarische Grenze zu Griechenland und der Türkei lang. Auch hier Zäune?
Wir wollen jetzt nicht noch die anderen Länder der Eu analysieren, jeder hat so seine Probleme die im Brüsseler Rat auch besprochen werden. Großbritannien mit seinem Referendum für einen EU Austritt, wobei Schottland (Schon wieder) und Wales schon mal die Abspaltung zu Großbritannien vorbereiten. Frankreich mit seiner Arbeits-und Sozialreform die die Arbeitslosigkeit signifikant senken soll. Hier gehen 100 tausende Menschen gegen diese Reform auf die Straße. Die „Linke“ mit Premierminister Manuel Valls und Wirtschaftsminister Emmanuel Macron sind zerstritten über den politischen Kurs. Über allem steht auch noch Staatspräsident François Hollande der sich 2017 Wahlen stellen muss. Sie können im Moment nichts für die Kriegsflüchtlinge tun, da dieses Thema einem politischen Selbstmord gleich käme. Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean Claude Juncker stehen dem Geschehen ziemlich hilflos gegenüber.
Und hier kommt Bundeskanzlerin Merkel mit ihrer europäischen Lösung des Flüchtlingsproblems ins böse Spiel. Isoliert soll sie sein, nein, sie kommt zu Unzeiten; denn keiner der Staaten weiß wie man dieses Problem europäisch lösen soll ohne sich selber sozialen Unruhen auszusetzen.
Selbst Griechenland reicht man nicht die helfende Hand, vielmehr schiebt man diesem Land die Schuld an dem Flüchtlingsdesaster zu. Immer neue Forderungen werden gegenüber Griechenland erhoben. Ein Grenzwall soll erstellt werden. Wie denn? Wo Griechenland mit seiner hunderte von Kilometer langen Seegrenze und fast tausend Inseln überfordert ist.
Ob jetzt die Innenminister, die Außenminister oder die Regierungschefs im Brüsseler Justus-Lipsius-Gebäude tagen, sie drehen sich im Kreise und kommen zu keinem gemeinsamen Nenner. Hoffnung liegt auf dem 17. und 18.März 2016 wenn sich die Regierungschefs mit der Türkei zu weiteren Beratungen treffen. Wenn allerdings jemand meint im Europa der 28, könne man ein Problem innerhalb von Tagen lösen, so ist er sehr naiv. Es braucht Zeit und Geduld, die alle Beteiligten nicht haben.
Zum Ende lassen wir das Wort einer UNHCR Botschafterin sprechen: wenn ein Haus brennt kann man nicht warten, bis die Feuerwehr sich organisiert hat, man muss raus aus dem Haus. Und die Kriegsflüchtlinge kommen aus einem brennenden Haus.
Jürgen Gerhardt für european-mosaic und EN-Mosaik aus Brüssel.