[jpg] Eine herausragend positive Bilanz zog Professor Franz Xaver Ohnesorg zum diesjährigen Klavier-Festival Ruhr 2015. Hier möchte ich mich vorab meiner Chronistenpflicht entledigen.
50.500 Besucher hatte das Klavier Festival Ruhr 2015 begrüßen dürfen, wobei 29 von 53 Konzerten ausverkauft waren. Schwerpunkte waren 2015 Alexander Skrajabin dessen Todestag sich zum 100. male jährte und „Der nordische Ton“ (Jean Sibelius 150. Geburtstag, Edvard Grieg) und der Schubert Gipfel. Ein Leckerbissen im Zusammenhang mit der „Jazz Line“ war der Auftritt von Chick Corea und Herbie Hancock in der Essener Philharmonie. Leckerbissen aber auch deshalb weil Chick Corea und Herbie Hancock zum ersten male wieder zusammen auftraten und nur in Essen im Zusammenhang mit dem Klavier-Festival Ruhr auftraten.
Lassen wir es genug sein und freuen uns auf das Jahr 2016 und das Klavier-Festival Ruhr 2016 welches sicherlich wieder mit wunderbaren Konzerten unsere Herzen bewegen wird. Wenden wir und lieber einem anderen Bereich des Klavier-Festival Ruhr zu, das meines Erachtens nicht so in das Licht der Öffentlichkeit gebracht wurde. Ich will damit nicht sagen, dass dort ein Schattenbereich existierte, jedoch lag es in der Natur der Sache, dass dieser Bereich etwas zurückhaltender agierte. Es geht um das Education- und Förderprogramm des Klavier-Festivals Ruhr.
Das Gute an einem Education- und Förderprogramm ist, es kann Menschen öffnen, öffnen um sich neuen Welten zu erschließen. Fantasie und Kreativität werden frei gesetzt und es erschließen sich neue soziale Räume. Kunst und besonders Musik ist fähig dem Menschsein neue Horizonte zu eröffnen.
Drei Orte haben sich mit ihrer Arbeit besondere Verdienste erworben. Paris, Berlin und Essen (Ruhrgebiet); denn in allen drei Städten sind die sozialen Brennpunkte ein besonderes Problem der Stadtplanung, die Gentrifizierung ist in diesen Städten weit fortgeschritten. Kinder und Jugendliche sind in der Regel verloren, sie verbleiben in ihrem sozioökonomischem Umfeld verhaftet und haben keine Chance sozial aufzusteigen, in einer anderen Schicht sich zu bewähren. Perspektiven sind nicht vorhanden. Lethargie und Phlegmatismus ist die Folge wobei durch die lebenslange Alimentierung des Staates der soziale Abstieg besiegelt wird.
Die Pariser Philharmonie, jetzt das Maß aller Dinge als Philharmonie, eröffnete im Januar 2015 geradezu trotzig nicht weit weg von den in Paris üblich zu beobachtenden „banlieues“. Die Berliner Philharmonie unter Sir Simon Rattle (Das Education-Programm soll uns daran erinnern, dass Musik kein Luxus ist, sondern ein Grundbedürfnis.) stellte in Deutschland die Avangarde der Education Arbeit dar und nahm sich in Berlin unter anderem des sozialen Brennpunktes an. Und Essen mit seinem Klavier-Festival Ruhr blickte auf das Ruhrgebiet mit seinen 5 Millionen Einwohnern die sich als „Melting Pott“ präsentieren. Kennzeichnend für alle drei Gebiete/Städte ist der hohe Migrantenanteil.
140 Ethnien werden im Ruhrgebiet registriert, wobei die sozialen Spannungen sich in Grenzen halten. Ein Schwerpunkt im Ruhrgebiet waren in diesem Jahr in Duisburg – Marxloh die Grundschüler, Gymnasiasten und Förderschüler die sich im vorigen Jahr den „Junge Ohren Preis 2014“ mit dem Ligeti Projekt holten. Duisburg-Marxloh gilt als gewalttätiges „Ghetto“ oder „Schmuddelviertel“ was angeblich auf den hohen muslimischen Bewohneranteil zurück zu führen sein soll. Kommen wir zurück zum Thema.
„Ein Jahr mit Béla Bartók“ war das Thema mit dem sich 400 Schüler beschäftigten. Dabei ging es nicht um das Erlernen der Musik und der Noten des großen ungarischen Komponisten. Nein, die Kinder tauchten ein in die Gedankenwelt eines Pianisten und Volksliedforschers. Neu hinzu gekommen war mit anderen Kunstformen zu kooperieren und dies in unterschiedlichen Konstellationen. Die soziale Reichweite brachte die gesamte Duisburger Grundschule Sandstraße mit der fünften Klasse des Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums sowohl tänzerisch als auch musikalisch zusammen. Aus der Duisburger Grundschule Henriettenstraße traten Kinder aus Rumänien und Bulgarien, die kaum ein Wort deutsch sprachen mit Richard McNicol in einen musikalischen Dialog. Es klappte mit den Kindern eine gemeinsame Kommunikationsform und Sprache mit der Musik zu erarbeiten. Aber auch Kinder mit Behinderung aus der Buchholzer Waldschule (Städt. Förderschule, Schwerpunkt Geistige Entwicklung) entwickelten mit der Tänzerin Yasha Wang und den Schulen Henriettenstraße sowie des Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums Choreographien. 60 Schüler begegneten sich in einem Musikprojekt mit Richard McNicol in einem Workshop Choreographie zu ausgewählten Klavierstücken Béla Bartóks. Und zwar mit Erfolg.
Der Höhepunkt waren die beiden ausverkauften Abschlusspräsentaionen in der Duisburger Gebläsehalle im Landschaftspark Nord. Tosender Applaus als die Familien der Projektteilnehmer und das Publikum die Resultate auf der Bühne der Gebläsehalle erlebten.
Das Education Team mit Klaus Hagge, Petra Jebavy und Yasha Wang sowie am Klavier Fabian Müller, Meisterschüler von Pierre-Laurent Aimard. Die Leitung des Education Projekts hatte Dr. Tobias Bleek und Richard McNicol.
Warum widme ich dem Education Projekt so viel Raum? Stellten die einzelnen Konzerte in den jeweiligen Städten jede für sich doch einen kulturellen Höhepunkt dar, der sicher noch lange anhält.
Es geht bei dem Education Projekt, zumal für Kinder und Jugendliche, um mehr. Es geht um die Weichenstellung in einem jungen Leben, jedes für sich, wie erarbeite ich mir selber Perspektiven. Wie kann ich scheinbar unerreichbares, immerhin erschließen sich die Werke von Béla Bartók selbst Erwachsenen manchmal nicht, erreichen? Was macht die Musik mit mir? Und wenn der Tanz als interdisziplinäre Kunstform noch dazu kommt, wie entdecke ich meinen Körper?
Tatsache war, es wurde Selbstbewusstsein, Stärkung des Egos erzeugt, aber es wurden auch Schranken überwunden. Wenn ich die Musik erlernen und erfahren kann, so wird es mir mit der Sprache und sonstigen Lerninhalten nicht anders gehen. Denn Musik ist auch Sprache, ist Begegnung mit anderen auf einer sozialen Ebene die nicht ausgrenzt sondern sich gegenseitig sucht um eine Gemeinsamkeit – Musik.
Insofern bleibt eine Frage, eine brennende. Warum nur Paris, Berlin oder Essen? Denn die Vorteile dieses Projektes liegen klar auf der Hand. Diese Kinder werden einmal die kreativen Facharbeiter, die morgen so dringend von unserer Wirtschaft benötigt werden. Warum also nicht Mettmann, Gevelsberg oder Schwelm? Weil es nur Klein- oder Mittelstädte sind? Nein, diese Städte könnten sich der oft zitierten interkommunalen Zusammenarbeit bedienen um solche Projekte gemeinsam finanziell zu stemmen. Die Nachbarstädte, wie Hagen, Düsseldorf, Bochum oder Wuppertal haben alle Symphonieorchester, die Mittelstädte haben alle Musikschulen. Was will man mehr? Es gehört schon ein bisschen Mut dazu die eingefahrenen Wege zu verlassen und neue Wege zu beschreiten.
Die Wege versprechen letztendlich langfristig auch und gerade sinkende Sozialausgaben; denn Menschen mit einem höheren Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein wollen keine Alimente vom Staat.
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Essen und Duisburg