v.l.: Anna Maria Mühe (Darstellung), Jenni Zylka (Moderation) und Dr. Heike Huppertz (Juryvorsitzende) foto: (c) Linde Arndt
[jpg] Dass das deutsche Fernsehen im Umbruch ist, ist jedem der in der Kulturlandschaft arbeitet längst aufgefallen. Es gibt keine homogene Unterhaltungs- und Informationsstruktur mehr. Das Internet mit seiner ungeheuren Dynamik, spielt den Fuchs im Hühnerstall. Wobei der Hühnerstall, also die etablierten Medien, vergisst weiterhin Eier zu legen. Immer wieder versucht das Grimme Institut einen Ausgleich zwischen dem Anspruch und der Wirklichkeit in der deutschen Fernsehlandschaft zu schaffen. Es kann nicht gelingen; denn die Quote und damit die zu erwartenden Werbeeinnahmen stehen einem deutschen Qualitätsfernsehen im Wege. Trashfernsehen wird dem Zuschauer geboten, der damit auch gut bedient scheint. Die Programmverantwortlichen loben sich dementsprechend selber – Selbstbweihräuscherung statt Selbstkritik.
So haben die etablierten Medien ihr Programm danach ausgerichtet, wonach bis 22:00 Uhr, Sendungen die eine gewisse Massentauglichkeit haben, zu sehen sind. Nach den Spätnachrichten, die inzwischen auch massentauglich sind, kommen die etwas anspruchsvolleren Werke auf den Schirm.
Aber was heißt schon Anspruch in unserer heutigen Zeit, wo die Beliebigkeit uns doch überall begleitet.
„Mitten in Deutschland: NSU – Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“
Grimme-Direktorin Dr. Frauke Gerlach Foto: (c) Linde Arndt
Hier versuchen sich der Drehbuchautor Thomas Wendrich und der Regisseur Christian Schwochow mit dem NSU Komplex der neueren Geschichte Deutschlands. Der dreiteilige Film, der das Unfassbare fassbar machen will und zu einer Aufarbeitung führen soll, ist sicher ein erster Ansatz für eine dokumentarische Aufarbeitung. Wobei die Gerichte sich mit der Aufarbeitung schon schwer tun, so stellt der Film Fragen die nach Antworten suchen. Den Versuch die gesellschaftlichen sozialen Zusammenhänge aufzuzeigen, unternimmt der Film nicht, er zeigt nur die bekannten Klischees auf.
Und so bleibt die Frage an die Darstellerin der Beate Zschäpe, Anna Maria Mühe, welche Konsequenz und Handlungsempfehlung sie aus diesem Film ableiten würde, vollkommen unbeantwortet. Obwohl Anna Maria Mühe im Vorfeld, nach eigener Aussage, jede nur erdenkliche Information über die Rolle verarbeitet hatte, wusste sie nur der Politik den Handlungsbedarf zu zu schieben. Schade.
Schatten des Krieges: Das sowjetische Erbe | Das vergessene Verbrechen
Zunehmend kann man in Deutschland beobachten, wie versucht wird den Deutschen eine gewisse Opferrolle für die Gräueltaten des zweiten Weltkrieges in der damaligen Sowjetunion zu zu schreiben. Wie versucht wird die Verbrechen dieser Zeit zu relativieren, indem die Gräueltaten Stalins in den Vordergrund geschoben werden. Oder die Geschichtsklitterungen der deutschen Historiker die den zweiten Weltkrieg als ehrenwerter oder ritterlicher Kampf umzudeuten versuchen. Der Russlandfeldzug der Nazi-Deutschen,die sich zu sogenannten Übermenschen erklärten, also, war ein Krieg gegen Untermenschen.Und gegen Untermenschen braucht es keine Regeln oder galt das Menschenrecht nicht.
Artem Demenok (Buch/Regie) und Andreas Christoph Schmidt (Buch/Regie) haben versucht die Position zu wechseln und eine Dokumentation aus Sicht der überfallenen Russen zu zeigen, die einen hohen, allzu hohen Blutzoll von rund 27 Millionen Menschen zahlen mussten.
So geht Artem Demenok den Mythen und Legendenbildungen im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg nach. Den großen „Vaterländischen Krieg“ nennt man den zweiten Weltkrieg in Russland, monumentale Denkmäler an allen Orten wo die Sowjets zu tausenden abgeschlachtet wurden.
Beispiel Mamaja-Hügel, strategisch wichtig im damaligen Stalingrad. Dieser Hügel war im Krieg schwer umkämpft und wechselte zeitweilig täglich den Besitzer. Der Hügel war zuletzt meterdick mit Leichen übersät auf denen die Soldaten die Hügelspitze stürmten. Als das Schlachten in Stalingrad zu Ende war, wurden tausende Leichen von diesem Hügel abtransportiert, zwischen den Leichen und auf dem Hügel wurden unendlich viele Schrapnells der Artillerie entfernt, die Erde war verbrannt von den unzähligen Artilleriegeschossen. Das hier eines der größten Monumentaldenkmäler der Welt steht, scheint für den Regisseur Artem Demenok mehr ein emotionaler Moment zu sein. Über 500.000 Tote von 1.130.000 Verlusten hatte die damalige Sowjetunion in Stalingrad zu beklagen. Da kommt selbst einem kopfgesteuerten Mitteleuropäer der Gedanke des „Noch einmal davon gekommen zu sein“ in den Kopf.
Ja, ja, die Sprache. Russen und Mitteleuropäer sprechen nicht die gleiche Sprache, da wo die Russen rührselig werden, rührt sich bei dem Mitteleuropäer nichts. Überhaupt sind es andere Prioritäten die beide manchmal nicht zusammen kommen lassen. So verwundert es nicht wenn Artem Demenok die Geschichte aus der Sicht des Mitteleuropäers erzählt und diese Erzählung seinen Protagonisten in den Mund legt.
Andreas Christoph Schmidt befasst sich in seinem Beitrag „Das vergessene Verbrechen“ mit den 3,3 Millionen Sowjetsoldaten die in deutscher Gefangenschaft umkamen. Sie verhungerten, wurden erschossen, erhängt, zu medizinischen Versuchen herangezogen oder starben einfach nur um verscharrt zu werden. Es nutzt nichts, wenn Bildmaterial vorhanden ist, welches nichts anderes zeigt, als die schweren und schwersten Menschenrechtsverletzungen der damaligen deutschen Wehrmacht und SS Verbände, wenn man nicht konsequent diese Verletzungen auch anprangert.
Statt einem neutralem, „es ist passiert“, sollte ein klares „Nie wieder“ oder „wie konnte das passieren“ als Credo heraus kommen. Es sind nicht die Russen mit ihrer Erinnerungskultur die maßgeregelt werden sollten, sondern die Deutschen, die es bis heute nicht geschafft haben diesen Krieg richtig einzuordnen – als ein Verbrechen.
Trotz allem ein kleiner Schritt zu einer gemeinsamen Geschichte die von beiden Ländern getragen werden könnte.
Wishlist I Dein Wunsch ist mir Befehl
Das Projekt „Whislist“ wird vorgestellt. Foto: (c) Linde Arndt
Marcel Becker-Neu (Buch/Regie), Marc Schießer (Buch/Regie) und Christina Ann Zalamea (Buch/Regie) (RB|MDR|FUNK) haben mit Wishlist etwas auf dem Weg gebracht, dass die Zielgruppe Jugendliche zu 100% anpeilt.
Da ist die eigene Sprache, „Es ist nicht so, dass ich etwas gegen Menschen hätte, aber ich bevorzuge sie am anderen Ende einer 100-Mbit-DSL-Leitung“ oder Begriffe wie „hatewatchen“, „de-abo“ und „Prank“, womit sich Jugendliche von der Erwachsenenwelt absetzen. Den Vater auf der anderen Seite des Notebooks via Skype mit „Alten Mann“ im abendlichen Plausch zu belegen, ist für ältere Menschen wohl gewöhnungsbedürftig. Aber für die Elterngerneration wäre Wishliste etwas, womit sie evtl. Zugang zu ihren Sprösslingen hätten.
Mit Wishlist, zeitgemäß eine App in den sozialen Medien, kann man sich was wünschen, eine Siri-ähnliche Stimme verlangt für jeden Wunsch eine Gegenleistung. Für einen rosa Elefanten muss man die Mülltonnen aus einem Hinterhof nach draußen stellen. Für die Freiheitsstatue eben den Rhein versanden. Die Stimme berechnet den Wunsch und schwupp verlangt sie eine Gegenleistung. Das hört sich alles so schön an, bis auf einmal die Konsequenzen sichtbar werden. So wird auf einmal eine Lehrerin gekündigt, die durch die Jugendlichen Probleme bekommt. Man ahnt, es sind dunkle Mächte am Spiel, wie es sich für eine moderne Mystery-Webserie gehört. Youtube und Twitter sei Dank, kann man die 10 Folgen in passenden 15 – 20 Minuten, also Smartphone tauglich, genießen. Die pädagogische Grundbotschaft „Seid vorsichtig im Internet“ kommt mal nicht mit dem erhoben Zeigefinger daher, sondern in einem Game welches voller Spannung zu eigenen Selbsterkenntnissen führt. Da ist selbst die gute alte Schwebebahn ein urbanes Requisit mit ungeheurer Spannung. Aber wen wundert die Produktion schon, wenn die Macher von Wishlist nicht weit von der Jugendlichenzeit sind.
Die Jury sagt dazu:“Wishlist ist leidenschaftlich, spannend, hervorragend produziert und originell – davon wünscht sich die Jury definitiv mehr.„
Bleibt die Frage an Funk und Fernsehen, warum mussten die Jugendlichen so lange warten?
Mut zur Lücke
Unsere Redaktion hat sich diese drei Produktionen beispielhaft zu Gemüte geführt und kann in einer Produktion der Jury folgen. In den beiden anderen Fällen hätte unsere Redaktion jedoch keinen Preis vergeben. Die Frage ist doch, warum kann man einen zu vergebenden Preis, halt nicht vergeben, weil man nicht überzeugt von der erbrachten Leistung ist? Nicht das die beiden Erstgenannten Produktionen schlecht sind, nein, auf keinen Fall, vielmehr sind es ganz normale Produktionen, eben keine herausragenden Produktionen. Und Grimmepreisträger sollten schon eine herausragende und beispielhafte Leistung erbracht haben. Der ehemalige Direktor des Grimme Instituts Dr. Uwe Kammann meinte einmal während einer Pressekonferenz, es gibt keine besseren Produktionen als die ausgewählten auf dem Markt. Worauf eine anwesende renommierte Schauspielerin meinte, man könne die Erwartungen doch etwas höher schrauben oder frei interpretiert, man muss sich nicht mit dem gelieferten abfinden. Recht hat sie.
Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus dem Essener Grillotheater