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Professor Heiner Goebbels ist Preisträger des internationalen Ibsen Award 2012

Logo Ibsen AwardLogo Ruhrtriennale 2012 [Gelsenkirchen/Berlin/Oslo, 20. März 2012]

 

 

Professor Heiner Goebbels, Künstlerischer Leiter der Ruhrtriennale 2012/2013/2014, erhält den International Ibsen Award.

 

Der von der norwegischen Regierung geförderte Preis ist mit 2,5 Millionen Kronen (330.000 Euro) dotiert  und gilt als einer der wichtigsten Theaterpreise weltweit.

[20. März 2012] Eine international besetzte Jury verkündete am heutigen Vormittag, 20. März 2012, in der norwegischen Botschaft in Berlin mit Heiner Goebbels (*1952) den Preisträger des International Ibsen Award 2012.
Der Preis, gefördert und finanziert von der  norwegischen Regierung, gilt als einer der wichtigsten Theaterpreise weltweit und ist mit 2,5 Millionen Kronen (330.000) Euro dotiert.
 

Heiner Goebbels wird für seine wegweisende Arbeit ausgezeichnet. Er hat die Theaterwelt um eine neue künstlerische Dimension bereichert  und mit seinen Werken „die Kunstwahrnehmung des Publikums verändert und bei zahlreichen Künstlern entscheidende Wirkung hinterlassen.“  (ausführliche Begründung der Jury, s.u.)

Ute Schäfer, nordrhein-westfälische Kulturministerin: „Ich beglückwünsche Heiner Goebbels zu dieser herausragenden Auszeichnung.  Er ist ein Künstler von internationalem Rang. Wir sind sehr froh, dass wir ihn für die Ruhrtriennale 2012-2014 gewinnen konnten und fühlen uns durch das Urteil der Jury noch einmal mehr bestätigt in unserer Wahl. Die Ruhrtriennale ist eines der spannendsten und innovativsten Festivals in Europa und somit ein ideales Wirkungsfeld für Heiner  Goebbels. Wir sind gespannt auf seine erste Ruhrtriennale-Spielzeit.“
Der Preis wird auf dem Internationalen Ibsen-Festival verliehen, das vom 23. August bis 9. September im Nationaltheater in Oslo/Norwegen  stattfindet. Bisherige Preisträger sind Peter Brook, Ariane Mnouchkine und Jon Fosse.

www.internationalibsenaward.com
 
Begründung der Jury:
„HEINER GOEBBELS – Theatermacher, Regisseur, Komponist, Musiker, Hochschullehrer und Kurator eines Festivals – ist einer der großen  Kreativen unserer Zeit. Er hat ein erstaunliches Oeuvre in verschiedenen Disziplinen aufzuweisen und übt profunden Einfluss auf Theaterarbeiter und Musiker aus.
Seine Theaterarbeit umspannt ein großes Spektrum: von Werken für die Oper bis zu Installationen ohne Schauspieler für das Theater. Alle  Stücke sind wesentlich verschieden in Eigenart und Form und jedes ist auf genuine Weise bahnbrechend und wegweisend. Er ist ein wahrhafter Erneuerer, seine Arbeiten lassen sich von konventionellen Definitionen nicht vereinnahmen. Er hat das Terrain, auf dem Theater und Musik zusammenspielen, neu erforscht und erweitert und dadurch die Elemente des Theaters auf eine Weise weiterentwickelt, die neue Einsichten und Möglichkeiten eröffnen. So erfüllt er den grundlegenden Auftrag des Theaters, Erfahrungen unsererselbst und der Welt zu bereichern. Zudem ist er ein Pionier auf dem Gebiet der Theatertechnologie.
Sein Werk ist in über 50 Ländern gezeigt worden, es hat die Kunstwahrnehmung des Publikums verändert und bei zahlreichen Künstlern entscheidende Wirkung hinterlassen. Die Ausdrucksmächtigkeit und Bedeutung seines Werkes wird wachsen und seinen Einfluss auf die Arbeit der Theater weltweit für Jahrzehnte und Generationen geltend machen.“

Mitglieder des Komitees:

 Per Boye-Hansen (Vorsitz), Therese Bjørneboe, Øyvind Tvetereid Gulliksen, Sir Brian McMaster, Kamaluddin Nilu, Christiane Schneider, Hanne Tømta
 
Über Heiner Goebbels:

Heiner Goebbels wurde 1952 in Neustadt/Weinstraße geboren. Seit den 1990er Jahren komponiert und inszeniert er Musiktheater. Zu seinen bekanntesten Werken zählen Schwarz auf Weiß, Max Black, Eraritjaritjaka, Stifters Dinge, Songs Of Wars I Have Seen und I Went To The House But Did Not Enter.
Die meisten seiner Theaterproduktionen entstanden am Théâtre Vidy-Lausanne in der Schweiz. Heiner Goebbels ist Professor am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität in Gießen und Präsident der Hessischen Theaterakademie. Er ist Künstlerischer Leiter der Ruhrtriennale 2012/2013/2014 – International Festival of the Arts.
Die Saison 2012 der Ruhrtriennale beginnt am 17. August und endet am 30. September mit Veranstaltungen in Bochum, Bottrop, Duisburg, Essen und Gladbeck.

 

 

[jpg] Für EN-Mosaik wird es, wie auch bei Professor Decker, sicherlich wieder eine spannende Zeit. Zum ersten mal wird es uns vergönnt sein Musik von John Cage mit allen seinen Widersprüchen zu erleben. Musik und Theater in all´ seiner Gesamtheit und Vielfalt. Wir sind neugierig. ( d.Red. )

 

Es ist vorbei und beginnt jedoch ganz neu

[jpg] Drei Jahre dauert die Intendanz bei der Ruhrtriennale, dann wird der Stuhl des Intendanten wieder neu besetzt. Der neue Intendant findet alle Bühnen und Hallen leer vor; selbst der Vorhang wurde entfernt. Bereit für neue Ideen, bereit die verwaisten Hallen mit Leben zu füllen. Und so sind die Spielstätten in Bochum, Essen, Duisburg und Gladbeck nunmehr einer gewissen Tristesse ausgesetzt, zumal denn aber auch weil nunmehr die dunklen, feuchten und kalten Tage bis zum Beginn der neuen Intendanz vorherrschen werden.

Ruhe kehrt also in die Hallen ein, bis zum wahrscheinlich 16. August 2012. Dann wird unter der neuen Intendanz von Professor Heiner Goebbels aus Gießen sich zum ersten mal der Vorhang  für die Ruhrtriennale 2012 – 2014 öffnen. „Surrogate Cities“ heißt eines seiner herausragenden Werke in welchem die heutige Großstadt in ihrer Urbanität, also in ihrer Geschwindigkeit, Unbeständigkeit oder ihrem Wechsel, Rhythmus und ihrer Konfrontation mit jedem Einzelnen, beschrieben wird. Diese künstlerische Auseinandersetzung mit der modernen Großstadt passt punktgenau zu einer vielleicht werdenden Metropole Ruhr. So wird Professor Goebbels sicherlich einmal ganz andere Akzente in seiner Intendanz setzen, eben passend zu diesem schon lange andauernden Wandel der Metropole Ruhr.

Aber wenn ich diesen Artikel schreibe, schreibe ich diesen unter dem Eindruck der Verabschiedung von Professor Willy Decker mit einem 5 x 5 Meter großen Mandala in der Jahrhunderthalle Bochum.

Kulturministerin Ute Schäfer beschrieb eine gewisse Wehmut als sie den Weg zur Jahrhunderthalle anlässlich der Pressekonferenz zur Jahrhunderthalle herauf fuhr.

Vier Mönche aus Bhutan saßen und knieten vor und auf einem altarähnlichen Podest. Stille, nichts als Stille unterbrochen vom Klicken der Kameraverschlüsse. Bunter Sand wurde zwischen den Fingern der Mönche auf die vorgezeichneten große Fläche gestreut.Ein Mandala ist wie ein Palast in dem alle guten Gedanken aber auch der Atem sich treffen. Dieser Palast wird wie von oben gezeichnet mit dem extra angefertigten Sand „aufgestreut“. Es liegt ein 3D Gebilde (Palast) zugrunde, das sodann in 2D „gestreut“ wird.

   

 In einer früheren Unterweisung habe ich erfahren, dass es mehrere Buddhas gab. Die Vorstufe eines Buddhas ist ein Bodhisattva im Mahayana-Buddhismus. Und in diesem gestreuten Mandala treffen sich alle Buddhas und Bodhisattvas die für die Meditierenden sichtbar sind. Sie erfahren von allen Wünschen, Gebeten, Gedanken der sie umgebenen Personen. „Karuna“ heißt das Stichwort was im Buddhismus eine zentrale Rolle spielt. Und „Karuna“, was soviel wie mitfühlen oder auch mitleiden ( nicht i.S. von einem herablassenden Mitleid) bedeutet, nimmt alle diese in der meditativen Anfertigung des Mandalas erfahrenen feinstofflich anhaftenden Gedanken auf.

Dieser Palast Ruhrtriennale hatte viele gute Taten während der Intendanz von Professor Decker. Denken wir an die Premiere am 22. August 2009. Es war „Moses und Aron“ von Arnold Schönberg womit Professor Decker die Metropole Ruhr in der Jahrhunderthalle Bochum bekannt machte. Moses dem das Wort fehlte um es zu verkünden und Aron der es zwar kannte jedoch nicht anwenden konnte. 2010 starb im August Christoph Schlingensief der für dieses Jahr fest eingeplant war. Er sollte mit dem „Projekt S.M.A.S.H“ die Kunst der Gesellschaft neu auflegen: Die Kunst als Überlebenskämpferin der Menschheit. Das Henze Projekt mit „Gisela und dann 2011 mit „Tristan und Isolde“ ein Finale das alle in seinem Bann zog und erzittern lies. Decker brachte uns die Spiritualität näher: Der offene Geist der alles zu bewegen im Stande ist.

Das Scheitern des Einzelnen welches einen Neubeginn mit einer ungeahnten Kraft erbringt.

Was mich begeisterte: Es waren immer wieder viele junge Menschen bei den Aufführungen zu sehen. Es waren auch ganz einfache Zuschauer in den Hallen, die begeistert und nachdenklich den Aufführungen folgten.

Als ich mich mit Professor Decker über seine Wünsche unterhielt, so wusste er mir nichts geringeres als den weltlichen Frieden anzubieten. Geht es nicht kleiner, so meine Frage? Es ist schon klein genug, so Decker.

Und dann kam am Sonntag, dem 9. Oktober der Tag an dem das Mandala zerstört werden sollte.

 

Die Zerstörung des Mandala sollte vor einem großen Publikum [800 Gäste] in einem feierlichen Akt vorgenommen werden. Und es kamen auch Ministerin Ute Schäfer, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Staatsekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff um nur einige zu nennen, die wir sehen konnten.

   

Das Vokalensemble Chor Werk Ruhr stimmte uns mit einer mittelalterlichen Sequenz für Frauenstimmen von Hildegard von Bingen „De sancto Ruperto“ ein. Der Frauenchor sang in der Halle aus dem Hintergrund. Dann das „Lux aeterna“ ( Ewiges Licht ) von György Ligeti und dann „A Rose Is a Rose Is a Round“ von James Tenney. Jetzt stand der 16 stimmige Chor vorne gegenüber den Mönchen aus Bhutan. Die Leitung hatte Rupert Huber. Bis hier war es ein sehr, sehr feierlicher und gefasster Akt europäischer Prägung.

   

Als der Chor unter Applaus nach hinten abging, setzte nunmehr der Mönch Lopen Ugyen Dorji mit seinem rituellen Gesang ein. Es sind die Worte der Vorbereitung die notwendig sind um den eigentlichen Akt, die Zerstörung des Mandala, auszuführen. Von vier Seiten ging Dorji das Mandala an um mit einem Diamanten das Mandala zu zerstören. Wobei Zerstörung ist ein zu hartes Wort für diese Handlung. Denn wir sind es ja selber die in diesem Mandala sind, zwar nur unsere Gedanken, aber immerhin. Es ist mehr ein mitfühlendes öffnen der Zeichnung ( Palast ! ). Denn immerhin haben sich in diesem Mandala alle Buddhas und Bodhisattvas für einen kurzen Augenblick versammelt, und das sind nach den bekannten Aufzeichnungen nicht wenige. Auch das Zusammenfegen des Sandes ging mit der höchsten Achtsamkeit vor sich. Drei Gefäße wurden mit Sand gefüllt. Ein Gefäß wurde mit einer feierlichen Prozession dem an der Jahrhunderthalle gelegenen Gewässer übergeben. Das war es? Ja, mit dieser Handlung sind alle Inhalte der Intendanz von Professor Willy Decker dem Gewässer über geben worden.

   

Das schöne an dieser Geschichte ist, Deckers Jahre sind nicht weg, sie wurden dem unendlichen Universum gegeben. Jetzt ist der Platz geschaffen worden, das Neue kann kommen. Und wenn jemand irgendwo auf der Welt das Gefühl hat, genau das habe ich schon mal gesehen, gespürt, gefühlt,  es ist dann der nicht mehr anhaftende Geist der Ruhrtriennale 2009 – 2011 der in diesem Moment anwesend war.

Ich könnte jetzt noch Zahlen ohne Ende aufschreiben um ihnen zu sagen, was die Intendanz eines Professor Decker doch für ein Erfolg war. Aber was ist die Essenz dieser Intendanz? Nun, ich denke unter dem Eindruck der Zerstörung des Mandalas würde sehr gut ein sehr bekanntes Haiku passen:

 

Diese Tautropfen-Welt

Mag ein Tautropfen sein,

Und doch…

(Kobayashi Issa)

Kobayashi Issa schrieb dieses Haiku unter dem Eindruck des Verlustes seines Lieblingssohnes.

Übrigens fiel mir das Ende dieses Artikels ein als ich eine Besucherin mit einem Band von Haikus sah. Sie hatte so etwas heiteres an sich als ich mit ihr ins Gespräch kam. Vielleicht hatte sie die Gedanken in sich die das Sandkorn eines anderen Mandalas in ihr geweckt hatte. Wer weiß.

Von unserer Seite wünschen wir Herrn Professor Willy Decker alles Gutes auf seinem weiteren Weg und die heitere Gelassenheit die notwendig ist um ein Vorwärtskommen auf dem Weg, seinem Weg,  zu erreichen.

 

 

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Bochum

 

[alle Fotos © Linde Arndt]