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Die Sowjetunion und Mauer müssen wieder her

Vorgeschichte

Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt  in der nächtlichen Pressekonferenz bei der EU in Brüssel am 24.10.2013 Stellung zur Abhöraffaire ihres Handys   Foto: © Linde Arndt

Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt bei der EU in Brüssel am 24.10.2013 Stellung zur Abhöraffaire
Foto: © Linde Arndt

[jpg]Ach was war das für eine schöne Zeit. Als die Mauer und die Sowjetunion noch existierte, waren die Bösen immer leicht auszumachen. Der KGB und die Stasi liefen Hand in Hand durch die Gegend um die halbe Welt zu belauschen,zu entführen oder gar mit einer Spritze im Vorbeigehen umzubringen. James Bond oder Rambo setzten sich dafür ein, um den Schaden, den das „Reich des Bösen“ uns zufügen könnte, in Grenzen zu halten. Die Präsidenten John F. Kennedy oder Ronald Reagan wurden zu Berlinern oder wollten gar die Mauer einreißen. Wir Europäer und gerade wir Deutschen waren gerührt, dass ein so starkes und großes Volk wie die USA uns zur Seite stand. Alles was die USA von uns wollte setzten wir in die Tat um.
Und dann fiel die Mauer, die Sowjetunion verabschiedete sich von der Geschichte. Wir hatten unsere besten Feinde verloren. In den 90ern tapperte der ewig alkoholisierte russische Präsident Boris Jelzin durch die Weltgeschichte. In der Zeit konnte der Westen die größten Geschäfte machen, es gab Rohstoffe zu Spottpreisen – Jelzin unterschrieb alles was nach einem Vertrag aussah.

Aber – und das war das Schlimme – wir hatten keinen Feind mehr! Wofür also die NSA, CIA oder MI6 und MI5 in den Ländern der Anglosphäre überhaupt noch beschäftigen? Zumindest in der Größenordnung. Dieses Innehalten der Dienste währte nicht lange; denn der Terrorismus in seiner vielfältigen Ausformung trat auf die Bühne der Geschichte. Und die vorgenannten Dienste wurden noch vergrößert. Heute sind die Dienste personell und finanziell doppelt so groß wie zu Zeiten der bösen Sowjets. Und das hat seine Gründe. Die digitale Revolution mit dem Internet drängte sich in den Vordergrund. Und je mehr die Marktdurchdringung dieser Revolution fort schritt taten sich Möglichkeiten auf, die man vorher nicht hatte. Es ging alles so schnell. Der Speicherplatz im privaten Bereich ist auf Terrabyte angestiegen, vielfach verkehren wir mit einer Hightspeed Anbindung von bis zu 50 Mb/sec. Mit unserem Notebook stellen wir uns unsere Fernsehprogramme zusammen, die wir in unserer Wohnung sehen wollen. Sendungen aus Neuseeland, USA, Frankreich sind kein Problem für die deutschen Wohnzimmer. Über Hilfsprogramme wie Skype fand man Freunde in der ganzen Welt mit denen man Probleme lösen konnte. Jetzt gehört Skype zu Microsoft und wird nicht mehr zu verwenden sein, weil Microsoft mit der NSA kooperiert. Videokonferenzen, Datenaustausch, gemeinsame Programmnutzung oder Diskussionen mit hunderten von Menschen rund um die Welt ist über tausende Kilometer eine Selbstverständlichkeit. Das ist aber noch nicht alles. Und diese Entwicklungen gingen in riesigen Schritten voran. Und Deutschland aber auch Europa war nicht dabei. Dabei waren viele Technologien von den Deutschen auf den Markt gebracht worden. Das Frauenhofer Institut brachte die Komprimierungssoftware für mp2, mp3 und mp4 (H264) heraus und arbeitet eng mit Microsoft und Cisco zusammen. Siemens, Suse und SAP stellten im IT Universum immerhin eine recht kleine Nische dar.

Nur die deutsche Politik sah in diesen Bereichen keine Zukunftspotenziale und tat diesen Bereich als Unterhaltungskram ab. Ein schwerwiegender Fehler; denn inzwischen läuft nichts mehr ohne diesen Bereich. Nur dieser Bereich ist fest in den Händen der USA. Apple, Microsoft, Sun, IBM, Google oder Icann sind US-amerikanische Firmen die den Weltmarkt beherrschen! Und wen wundert es, wenn in den Programmen dieser Weltfirmen Spionagesoftware einprogrammiert wurde? Auch die Standards, wie HTTPS oder VPN wurden mit Backdoorsoftware versehen, so dass die Kommunikation mitgeschnitten werden kann.

Möglichkeiten nutzen und Profile erstellen

Wen wundert es wenn die USA und UK diese Gelegenheit ausnutzen? Sicher waren am Anfang nur langweilige Datensätze mitgeschnitten worden. Man hat sie gefiltert und nach bestimmten Kriterien zusammen gefasst. Und heraus kamen Profile die man anpasste. Man ist von den immensen Datenmengen etwas überfordert – im Moment.

Und dann passierte etwas was so nicht vorgesehen war.
Nach WikiLeaks mit Julian Assange trat Edward Joseph Snowden mit dem Guardian auf den Plan. Snowden hatte Dossiers ohne Ende, die fein säuberlich sortiert, Stück für Stück präsentiert wurden. Namen, Programme oder konkretisierte Personenkreise wurden genannt. Verblüffend wie viel Länder abgegriffen wurden unter anderen auch der gesamte deutsche digitale Datenverkehr.
Die deutsche Regierung verfiel in den Verharmlosungsmodus und wies alles in den Bereich von Märchen und Fabeln.

Der Sündenfall

Bis eines Tages unsere Bundeskanzlerin selbst davon betroffen wurde. Es wurde in Brüssel während der Ratssitzung bekannt. Die Information, „die Kanzlerin ist von der NSA abgehört worden“, machte unter den Kollegen die Runde. Das Kanzleramt handelte schnell und sprach von einem ernsthaften Vorgang. (Allerdings wurde auch dieser Vorgang durch Snowden ins Spiel gebracht).

Hollande und Cameron  Fotos & Collage © Linde Arndt

v.l.: Francois Hollande und David Cameron Fotos & Collage © Linde Arndt

Regierungssprecher Steffen Seibert teilte denn auch telefonisch auf Anfrage mit, nur das private Handy von Merkel sei betroffen. Und abends stand die Reaktion des Rates fest. Hollande und Merkel werden sich auf den Weg machen und bis zum Jahresende eine Klärung der Abhöraktion mit den USA herbeiführen, so Ratspräsident van Rompuy. Merkel sprach denn auch recht friedlich in ihrer Pressekonferenz von den USA als Freunde, die uns ja befreit hätten und mit denen man in Afghanistan gemeinsam gekämpft hätte. Man müsse halt miteinander reden. Ratspräsident Herman Van Rompuy meinte es können sich auch andere Ratsmitglieder mit Frankreich und Deutschland auf den Weg nach den USA machen.

Premier David Cameron wollte der Presse zur Abhöraffäre keine Auskunft geben, obwohl UK fleißig die Leitungen abgreift und die gewonnenen Daten auswertet.

Es waren insgesamt peinliche Momente, die der Rat in Brüssel den versammelten Journalisten bot. Europa mit 500 Millionen Einwohnern hätte mehr Selbstbewusstsein seiner Regierungschefs erwarten dürfen, stattdessen Hilflosigkeit auf allen Kanälen.

Die Konsequenzen

Plötzlich war allen Teilnehmern klar, die EU hat bei den US-amerikanischen „Partnern“ keinen Respekt. Wofür auch? Wer sich so ohne Gegenwehr abhören lässt wie die EU muss sich über die mangelnde Respektlosigkeit der USA nicht wundern. Was sollte die EU auch tun? Das Swift Abkommen aussetzen oder die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen ruhen lassen? Das würde die Datenabgreiferei nicht stoppen. Ein Antispyabkommen mit den USA abschließen? Klar, aber wer sollte die Einhaltung kontrollieren? Alles untaugliche Mittel. Kurzfristig waren keine Optionen vorhanden.
Eine Option ist die Unabhängigkeit und eine Distanz zu den USA auf zu bauen.Wir erinnern uns: Bei der öffentlichen Ausschreibung für die US-amerikanischen Tankflugzeuge hatte Airbus mit seinem A330 /KC-45 in der dritten Ausschreibung gegenüber Boing das Nachsehen. Damals wusste Boing auf einmal wichtige Daten des Airbus Produktes und konnte sein Angebot dementsprechend anpassen. Ein Auftrag von immerhin 100 Milliarden ging für Airbus verloren. Wirtschaftsspionage? Schon damals hätte die EU eine dementsprechende Abwehr gegenüber Cyberangriffen aufbauen müssen. Hat sie aber nicht. Grotesk wird das ganze wenn die belgische „Belgacom“, die die gesamte digitale Infrastruktur in Brüssel bereithält, immer mal wieder von Trojanern der vorgenannten Dienste heimgesucht wird. Belgacom hat keine Techniker um den Trojaner aus dem Netz zu entfernen und heuert dann einen Spezialisten der NSA oder des britischen GCHQ (Government Communications Headquarters) an. Bis heute ist nicht geklärt wer die Schadsoftware freisetzt.
Dieser Vorfall der belgischen Belgacom ist aber typisch für die derzeitige digitale Situation in den 28 EU Staaten. Was fehlt ist eine gemeinsame digitale Agenda, die die europäischen Resourcen bündelt und als Gegenpol aufbaut. Es sind ja nicht nur die USA die sich in den europäischen Netzen tummeln. China und Russland, ja selbst Indien sind inzwischen in der Lage Daten abzugreifen. Was also fehlt ist entschlossenes Vorgehen um die Netze gegenüber anderen Mächten sicher zu machen.

USA versus Europa

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den USA und der EU ist die Vielfalt der EU. Während die USA sich wirtschaftlich auf nur wenige Industriebereiche mit einer nur geringen Tiefe konzentrieren, sieht man die EU mit einem riesigen Tableau von Industriebereichen, die mehr auf Qualität als auf Quantität ausgerichtet sind. Die europäischen Infrastrukturen, wie Energie oder Verkehr, sind in einem weitaus besseren Zustand als die der USA. Reserven werden wie selbstverständlich in der EU vorgehalten. In den USA bricht schon mal das Stromnetz für riesige Gebiete für einige Tage zusammen. Das Bewusstsein, dass unsere Wirtschaft an ihren Grenzen angekommen ist, ist in den USA nur in elitären Kreisen vorhanden. In der EU wird seit zwei Jahren über die Konzeption eines intelligenten Wachstums gesprochen. Erste Handlungsanweisungen sind auf dem Weg.

Es sind die unterschiedlichen Philosophien, die die USA von den Europäern trennen und die auf beiden Seiten zu Irritationen führt. Beispiel: Das Gesundheitssystem von US Präsident Obama ist für uns Europäer eine Alltäglichkeit die in Europa noch weiterführt. Erstaunt blicken die Europäer über den Atlantik wenn es regelmäßig zu Streitereien über dieses Gesundheitssystem kommt.

Epilog

Es muss den USA klar gemacht werden, dass die Europäer keine schwache Staatengemeinschaft sind. Und wenn die Europäer die komplette Infrastruktur aufbauen um ein Ausspähen zu verhindern, damit aber auch selber zum Ausspäher werden. In dem Moment liegen wir aber auch alle in einem Schützengraben, der mit Misstrauen gefüllt ist. Beide Parteien können nur eines – verlieren. Die USA mehr als die EU. Ob das aber der kurze Erfolg, den die USA durch diese Ausspäherei hat, wert ist, kann ruhig bezweifelt werden.

Im Verhältnis beider Parteien muss jetzt eine Kontrollinstanz installiert werden, die jederzeit Zugang zu den sensiblen Bereichen der Spionage und der Spionageabwehr hat um über die Aktivitäten zu berichten. Das geht, ohne konkrete Sachverhalte zu veröffentlichen.
Die Sowjetunion und die Mauer brauchen wir sicher dafür nicht.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik und european-mosaic aus Brüssel

 

Der Whistleblower Edward Snowden, Held oder Verräter?

[jpg] Geht man nach der offiziellen Regierungsmeinung, ist Snowden ein Verräter. So versucht die Obama Administration mit allen Mitteln Snowden in die Ecke des kriminellen Verräters zu bringen. Überwiegend gelingt ihr dies ja auch. Selbst die Washington Post, die ja immerhin die „Watergate Papiere“ veröffentlichte, ist da nicht mehr ganz so sicher. Man spricht allerdings fast überall von Snowden und dem Journalisten Glenn Greenwald, der die Papiere im Guardian veröffentlichte.

codeeyeVon der Ungeheuerlichkeit der Einschränkung unserer im Grundgesetz und Verfassungen verbrieften Bürgerrechte spricht niemand mehr. Man legt sich halt nicht mit „Big Brother“ USA an; denn die Drohnen mit den Raketen fliegen über der ganzen Welt. Und so ein Seal Team kann auch schnell auf den Weg gebracht werden.
Und Deutschland? Immerhin wurde unsere aller Kanzlerin von ihrem Staatsfernsehen befragt. Sie meinte nur, sie wüsste nicht, dass sie ausgespäht würde. Unser Innenminister meinte gar, so schlimm wäre das nun auch nicht. Und dann sprachen alle noch von der Verhältnismäßigkeit der Mittel, ein Grundsatz der staatlichen Gewalt. Damit wird zum Beispiel geregelt, dass wenn jemand einen Apfel klaut, dieser nicht von dem verfolgenden Polizisten gleich erschossen wird – das wäre unverhältnismäßig.

Jetzt sagen unsere „lieben Freunde“ in den USA, sie hätten mit diesem „Prism“ Spionageprogramm in den letzten Jahren 45 Terroristen, darunter 5 in Deutschland, dingfest gemacht.
Damit soll diese ungeheure Datenspionage gerechtfertigt werden?
Unser Innenminister nahm es dankbar hin und überbrachte uns als treuer Untertan der USA die gute Nachricht. Wie dankbar müssten wir den USA doch sein.

Bleiben wir bei der Verhältnismäßigkeit. 45 Terroristen dingfest gemacht, mit einem Aufwand innerhalb der Jahre nach der Jahrtausendwende von über 1 Billion Euro also tausend Milliarden Euro, ist doch ein starkes Stück Unverhältnismäßigkeit. Setzt man das in Relation zu einem anderem Bereich unserer Gesellschaft, kommt man schon ins Grübeln. Über 7.000 tödliche Unfälle sind Jahr für Jahr in deutschen Haushalten zu beklagen. Auf die 13 Jahre betrachtet, wurden soviel Menschen getötet wie eine Kleinstadt aufbieten kann. Und das nur in Deutschland. Wäre es da nicht an der Zeit, wenn der BND, MAD, NSA, CIA und was für eine noch so geheime Organisation seine Bevölkerung überwacht, ob eine Leiter auch richtig aufstellt wurde, im Haushalt nichts rumliegen gelassen wurde oder die Treppe so aufwischt wurde, damit auch niemand ausrutscht? Denn diese Leute im Haushalt sind die eigentliche Bedrohung die ein Land nachhaltig dezimiert. 150 mal mehr Tote im Haushalt als in diesem Terrorgeflecht welches uns immer wieder von irgendwelchen Regierungsstellen serviert wird. Ich persönlich habe mehr Angst vor einer Treppe putzenden Person als vor einem langbärtigen Islamisten.

Was also soll diese ganze Datensammelei der Schlapphüte aller Länder? Man kann das nur mit einer pathologischen Paranoia erklären. Und die entsteht in diesem Falle aus Angst vor Bedeutungs-und Machtverlust. Und dieser Befund ist ein Befund der die USA und andere Länder von innen bedroht.

Ein mit Phobie und Paranoia ausgestatteter RegierungschefIn ist sicher nicht in der Lage Bedrohungen von außen oder innen richtig einzuschätzen und dem gemäß zu reagieren.

Ich denke wir sollten dem Whistleblower Edward Snowden und dem Journalisten Glenn Greenwald dankbar sein, haben sie uns doch die Augen über diejenigen geöffnet, die uns und unsere Rechte beschützen sollten, uns aber kläglich verraten haben und weiter verraten. Für mich sind die beiden Männer Helden, haben sie doch dem Druck der Administrationen widerstanden und uns die Augen noch weiter geöffnet. Wie sagte der US amerikanische Regisseur Oliver Stone: Diese gigantische Überwachung frisst unsere Freiheiten. Und der größte Whistleblower der vorherigen Generation Daniel Ellsberg (82) schreibt in der Washington Post:

„Snowden believes that he has done nothing wrong. I agree wholeheartedly. More than 40 years after my unauthorized disclosure of the Pentagon Papers, such leaks remain the lifeblood of a free press and our republic. One lesson of the Pentagon Papers and Snowden’s leaks is simple: secrecy corrupts, just as power corrupts.“

Dies ist ein eindeutiges Credo für eine freie Presse und für ein transparentes demokratisches System. Ellsbergs “Pentagon Papiere” landeten vorm obersten Gericht der USA die eine Freigabe dieser Papiere anordnete.

Um auch unseren Usern die Möglichkeit zu geben, die Beweggründe des Whistleblower Edward Snowden zu erfahren, hier der Link zu dem Interview welches Glenn Greenwald, Ewen MacAskill und Laura Poitras für den Guardian am 10. Juni in Hongkong mit Ed Snowden führten: http://www.guardian.co.uk/world/2013/jun/09/edward-snowden-nsa-whistleblower-surveillance

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Ennepetal