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Ein Schmetterling schwebte . . .

Eröffnungspressekonferenz der Ruhrtriennale 2013 am15. 08.2013  Foto: Linde Arndt

Eröffnungspressekonferenz der Ruhrtriennale 2013 am15. 08.2013
Foto: Linde Arndt

schmetterling[jpg]. . . und suchte einen Weg. Kein Luftzug war im Raum um ihm eine Richtung anzuzeigen.

So schwebte er unablässig über unseren Köpfen, von kurzen Pausen der Stärkung wegen unterbrochen.

Die Köpfe der Journalisten, der Künstler und Organisatoren drehten sich ab und an um dem Schmetterling mit den Augen zu folgen. Manch einer dachte sicher: He, flieg zur Tür und du bist frei. Und dann war er weg – spurlos. Es war während des Pressegespräches vor der Eröffnung der Ruhrtriennale 2013.

Mit einer Europapremiere wird die diesjährige Ruhrtriennale am 23. August eröffnen. „Delusion of the Fury“ von Harry Partch in der Jahrhunderthalle Bochum steht auf dem Programm – Uraufführung war 1969 an der Kalifornischen Universität Los Angeles.


Unter der Regie von Prof.Heiner Goebbels kommt ein Stück zur Aufführung was gut und gerne als revolutionär bezeichnet werden kann.

Revolutionär, weil der Komponist Harry Partch für sein 90 minütiges Musiktheater sämtliche Musikinstrumente neu entworfen und gebaut hatte. Warum? Weil er mit den Möglichkeiten der ihm zur Verfügung stehenden Instrumente nicht zufrieden war. Alle Musikinstrumente wurden von der musikFabrik neu und teilweise verbessert gebaut. So wurden ein Chromelodeon, Crychord, Diamant Marimba oder Eucal Blossom gebaut. Nebenbei bemerkt, die Schreibweise der Musikinstrumente entspricht in etwa dem Klang der Instrumente. Durch den Bau der Instrumente wurden auch die Möglichkeiten des Spielens mit diesen Instrumenten erlernt. Damit entstand ein einzigartiges „Ensemble MusikFabrik“.



Hier haben wir für Sie noch ein ausführliches Video über die aussergewöhnlichen Instrumente eingefügt:




Die chromatische 12 Ton Tonleiter wurde in viele kleinere Töne unterteilt. Das Revolutionäre zeigt sich immer dann wenn man bestehendes über Bord wirft um etwas Neues zu erschaffen. So kann man Partch auch als Erfinder und Visionär sehen dessen Kompositionen eine betörende Schönheit hervorbringen. Durch die feinsten Abstufungen, die Partch mit seinen neuen Instrumenten schaffte, entsteht eine wunderschöne „körperliche Musik“. Aber auch die Art wie er ein Musiktheater aufbaut entspricht nicht den Theatertheorien wie wir es bis dato gewohnt waren. Da werden die Musiker als Chor eingesetzt, Darsteller sollen pantomimisch, tänzerisch und darüber hinaus sängerisch eingesetzt werden. Pausen mochte Partch überhaupt nicht, weil der Erzählfluss unterbunden wird.  Zwei Akte gibt es und ein „Exordium“. Der erste Akt, also nach dem Exordium, ist dem japanischen Noh Theater nachempfunden, hält sich aber nicht daran. Der zweite Akt ist eine Art afrikanisches Märchen. Das Exordium ist eine musikalische Einstimmung auf die Musik und die beiden folgenden Akte. Der Gesang wird von einem Tenor-Bariton, Sopran, Bass und einem Chor ( Musiker ) vorgetragen. Dazu gelangen noch zahlreiche Tänzer und Komparsen. Das Bühnenbild wird durch die alles überragenden Musikinstrumente dominiert die eine wunderbare Landschaft darstellen.

Inhaltlich geht es um die Versöhnung der Lebenden mit den Toten. Typisch für asiatische Kulturen spielen die Toten eine starke Rolle im Leben der Menschen, das Obon-Fest oder das hinduistische Dīvalī-Fest, wo einmal im Jahr die Verstorbenen Ahnen gewürdigt werden. Es gibt Tänze und am Ende werden mit schwimmenden Laternen den Verstorbenen der Weg gezeigt.

Und so trifft sich im ersten Akt der Lebende unbeabsichtigt mit dem Toten, der Lebende dringt quasi in das Reich des Toten ein. Die Wut (Fury) des Toten gegenüber dem Lebenden wird in einem wild einsetzenden Tanz gezeigt der mit einer Einsicht endet. Das Festhalten an dem Gefühl von Wut macht keinen Sinn; sie (die Wut) erzeugt einen unruhigen Geist der die eigene Mitte verlässt. So kann nur der Schluss des Toten mit der Aufforderung enden: Betet für mich!

Der zweite Akt ist geprägt von einer Verwechselung die sich durch die gesamte Szenerie zieht.

Ein gehörloser Hobo (Landstreicher) sitzt und macht sich etwas zu essen, als eine Frau kommt und ihn nach ihrem entlaufenen Kind fragt. Da der Hobo (Landstreicher) nichts hören kann macht er der Frau mit Handbewegungen deutlich sie solle verschwinden. Die Handbewegungen versteht die Frau als Richtungsanzeige wo sie ihr Kind finden kann. Die Frau findet das Kind in der angegebenen Richtung. Als sie sich bei dem gehörlosen Hobo (Landstreicher) bedanken will, kriegt der es mit der Angst zu tun. Er meint die Frau will ihn wegen Kindesdiebstahls belangen. Ein Friedensrichter muss her um alles wieder ins Lot zu bringen. Der Richter ist aber kurzsichtig und meint die Frau und der Hobo wollen ihn auf den Arm nehmen. So verurteilt er den Hobo die Frau mit dem süßen Kind zu nehmen und sein Gericht nie wieder zu betreten. Alle sind es zufrieden und finden das Urteil gerecht. Ein Freudentanz wird von einem Unwetter unterbrochen welches die Akteure in die Realität zurück ruft. Als der Sturm vorbei ist, ertönt aus dem Hintergrund: Betet für mich. Es folgen die letzten Themen des „Exordium“ , Tänze, was letztendlich zum Abschluss des Musiktheaters führt.

Es ist eine schöne aber auch schrille und versöhnliche Wahnwelt (Delusion) auch im afrikanischen II. Akt, der ja die Handlung in das Metasphysische überleiten lässt. Jedoch wird man durch Instrumente voll überzeugt, die erahnen lassen um was für Inhalte es geht. Manchmal meint man in den Instrumenten leben Geister die mit dem Publikum verkehren.  Aber keine Sorgen es sind friedfertige Geister.

rAndom International Tower (Urbane Künste Ruhr)  Foto: Linde Arndt

rAndom International Tower (Urbane Künste Ruhr)
Foto: Linde Arndt

Am 23. August wird es um und in der Jahrhunderthalle Bochum im Westpark die Lichtinstallation Agora/Arena von Mischa Kuball geben. Im Foyer der Jahrhunderthalle Bochum werden wir auf Dan Perjovschis mit www 2013 und seine Zeichnungen treffen. Bereits ab 13:00 Uhr werden 20 Personen im Situation Room die erste Runde eröffnen, hier darf man gespannt auf die neue Arbeit des Theaterkollektivs „Rimini Protokoll“ sein. Für weitere jeweils 20 Personen sind hier noch Karten frei.

 

Über 150 Veranstaltungen, 43 Produktionen, darunter 30 Urauafführungen, Neuproduktionen, Europäische Erstaufführungen und Deutschlandpremieren werden an 14 Spielstätten die Ruhrtriennale 2013 ausmachen, sowie 800 Künstlerinnen und Künstler aus ca. 25 Länder, darunter 400 Künstler aus NRW.

70% der 43.000 Karten sind inzwischen verkauft,  50% Ermäßigung auf alle Karten gibt es  für Schüler/Studenten (unter 27 Jahren) auf alle verfügbaren Karten.

Weiteres über Tickets und Vertrieb im Netz – www.ruhrtriennale.de

Das beste zu Letzt:

No Education
Hier soll durch renommierte Künstler  den Kindern eine zwangloser Erfahrung mit der Kunst ermöglicht werden. Es sind nicht Kenner gefragt, es werden Heranwachsende gesucht die Mut haben in die Welt der Kunst einzutauchen. Grenzen sollen fallen, etwa zwischen den Generationen, Sprachen oder Kulturen. Profis und Amateure, Wissen und Nicht-Wissen ergänzen und inspirieren sich.

No Education ist ein Laborversuch der ästhetischen Erfahrung, der in eingefahrene Verhältnisse neue Bewegung bringt.

No Education 2013 sind: Die Stockholmer Gruppe Hidden Mother, der rumänische Zeichner Dan Persovschi, der Kanadier Darren O´Donnel, die von ihm mitgegründete Gruppe Mammalian Diving

Reflex mit den Children´s Choice Awards.

Dramaturgie wird bei Frau Marietta Piekenbrock liegen und die Produktionsleitung macht Frau Cathrin Rose

Über allem steht der Schirmherr – Dr. Gerad Motier Gründungsintendant der Ruhrtriennale.

 

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Bochum

No education and adults only

 

[jpg] In The Wall von Pink Floyd gibt es einen Titel „We don’t need no education“ der unmissverständlich das Gefühl vieler junger Erwachsener ausdrückt. Dagegen grenzt sich die Welt der sogenannten Erwachsenen ab mit „Adults only“. Unversöhnlich stehen sich diese beiden Welten in unserer Gesellschaft gegenüber. Gibt es denn noch eine Möglichkeit des Brückenbaus zwischen diesen Welten? Agressionen und Gewaltausübungen sind die erste Wahl der Erwachsenenwelt um eine Unter- oder Einordnung in die „Adults only“ Welt zu erreichen. Schien es Ende der sechsziger Jahre mir Riesenschritten nach vorne in eine gemeinsame gewaltfreie Welt zu gehen, konstatieren wir heute Rückschritte die gesellschaftlich sogar toleriert werden. Es sind die einzelnen Steine die wieder diese Mauern für Kinder entstehen lassen. Wobei jeder Stein eben nur ein Stein sein soll und nicht so schlimm sein kann – so sagt man.

 Was soll das?

Nun, uns geht dieser Artikel in der Westfälischen Rundschau vom 21. September 2012 nicht aus dem Kopf, nachdem ein Kind in Ennepetal Urlaub bis Weihnachten von der Prügelei seines Vaters bekommt. Nun hat die Stadt Ennepetal eine etwas eigenwillige und konservative Einstellung zu Kindern, Jugendlichen oder Heranwachsenden. Was heißt Einstellung? Sie müssen nur das machen was man ihnen sagt. Mehr nicht.

Da mutet es doch etwas komisch an, wenn man sich ein paar Kilometer weiter im Zusammenhang mit der Ruhrtriennale 2012 mit dem Projekt „no education“ befasst. Es faszinierte schon ungemein, wie die Intendanz der Ruhrtriennale mit Heranwachsenden umging. So hatte sich die Intendanz entschieden, Jugendliche als offizielle Festivaljury einzusetzen und sie zu anmieren im Rahmen des „The Children’s Choice Awards“ Preise in unterschiedlichen Klassen zu vergeben. Die Jugendliche der Gesamtschule Gelsenkirchen Ückendorf, der Herbert Grillo-Gesamtschule Duisburg und der Erich-Kästner Gesamtschule Bochum reisten von Stadt zu Stadt und von Aufführung zu Aufführung um unvoreingenommen und mit kritischem Blick die Aufführungen zu prüfen.

Und das lief dann so ab: Der rote Teppich lag schon vom Eingang bis zur ersten Reihe. Die Gäste mit der Presse setzten sich. Eine Musikeinspielung ertönte und die Jury wurde angekündigt. Die Jugendlichen kamen herein und setzten sich wie selbstverständlich in die erste Reihe. Die Aufführung begann. Zum ersten mal war das Folkwang Museum in Essen Spielstätte mit dem Stück „12 Rooms“ einer Live Art Gruppenschau.

   

Auch hier der rote Teppich, Aufregung, die Jugendlichen wurden angekündigt und kamen herein, hier konnten wir einzelne Jugendliche interviewen.

Am 30. September 2012 war es dann soweit, die 72 Jugendlichen, die zur Festivaljury gehörten, kamen mit Musik, tanzend herein um die 31 Preise zu verleihen. Preise die sie selber benannt hatten und dazu auch noch gestaltet hatten. Während des gesamten Zeitraumes hatten sie Darren O´Donnel als künstlerischen Leiter und keinen geringeren als Dr. Gerard Alfons August Mortier, den Gründungsindendanten der Ruhrtriennale, als Schirmherrn an ihrer Seite. Mortier kam extra aus Madrid, wo er Leiter des Theadro Real ist.

Die Preise der Jugendlichen hatten es in sich, da gab es Preise für

 

  • das peinlichste Kostüm

  • die beste Geschichte

  • die meiste Phantasie

  • die Show in der ich eingeschlafen bin

  • die schlechtesten Sitze

  • die kreativste Show

  • die perverseste Pose

  • der beste Schnurrbart

  • die witzigeste Stimme

  • und, und, und

 

Hinter allem stehen Menschen, die sich Gedanken machen über das Verhältnis von Macht und Ohnmacht und sich Fragen zu Fairness, Ausgrenzung und der Würde des Kindes stellen.

Gemeint ist die Mammalian Diving Reflex Forschungs- und Performancegruppe aus Toronto unter der Leitung von Darren O´Donnel, Eva Verity und Jenna Winter. Es entstand das Mammalian Protokoll für die Zusammenarbeit mit Kindern die einen anderen Blick auf Kinder ermöglichen soll und letztendlich eine utopische Situation schaffen soll wo die gegenseitigen Erwartungen aneinander angeglichen werden. Im Endstadium soll sich die Erwachsenen- und Kinderwelt  emanzipieren und auf Augenhöhe begegnen. Dieses von einander lernen wird ein neuer Weg sein der nicht nur zwischen Erwachsenen und Kindern  eine neue Qualität des Zusammenlebens ermöglicht, vielmehr entsteht  auch unter Erwachsenen eine neue Akzeptanz des Zusammenlebens.

EN-Mosaik hat erlebt wie 72 Kinder/Jugendliche die Erwachsenenwelt durchdrang und zumindest einen positiven Effekt des Nachdenkens erreichte.

Warum dies alles? Es ist beschämend und stimmt traurig wenn in der Stadt in der ich meinen Wohnort habe Kinder wie im vorigen Jahrhundert verprügelt werden. Diese Stadt es aber nicht interessiert,  den Vater zu einer Therapie zu bewegen. Auf der anderen Seite diese Stadt sich über den Kauf einer Tribüne in Millionenhöhe in einem Fußballstadion erregt, jedoch kein Geld für die Maßnahmen übrig hat, die den Kindern in ihrer Stadt ermöglicht  zumindest ein würdevolles Leben zu führen.

Ennepetal hat sich damit seiner Verantwortung gegenüber seinen Kindern nicht gestellt und lässt diese mit ihrem Schmerz alleine. Dies in unserer heutigen Zeit und mit den materiellen Mitteln die uns zur Verfügung stehen. Die Stadt sollte sich schämen. Es bleibt zu hoffen die Stadt würde sich der Verantwortung gegenüber den Kindern und Jugendlichen in ihren Stadtmauern stellen und die finanziellen Prioritäten so verändern, dass diese Gruppe ein würde-und angstfreies Leben in Ennepetal führen kann.

 

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Ennepetal und Bochum.