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Berührungen, die nicht immer gelingen

[jpg] An und für sich wäre die Bochumer Synagoge ganz einfach zu finden gewesen, die Adresse hatte ich auf der Presseeinladung, Bochumer Synagoge, Erich-Mendel-Platz 1, 44791 Bochum. Nur die von mir befragten Bochumer kannten weder den Erich-Mendel-Platz noch die Bochumer Synagoge. Ich wusste aber, dass ich ganz in der Nähe sein musste. Als ich in einer Stichstraße bis zum Ende fuhr sah ich die Synagoge. Die Architektur ist immer unverkennbar. Aber, und das ist für mich immer das beschämende, die Sicherheitsvorkehrungen auch. Hohe Zäune, fast unüberwindbar, an jeder Ecke Beleuchtung mit Kameras. Durch die Sicherheitsvorkehrungen weiß man manchmal nicht wo der Eingang ist. Die Synagoge steht auf einem Hügel, wie gesagt mit Sicherheitseinrichtungen.
Neben dem Hügel, ein weiterer Hügel, auf dem das Bochumer Planetarium steht, übrigens ohne diese Sicherheitsvorkehrungen. Jüdisches Gemeindeleben ist noch immer nicht ein normales Gemeindeleben in dem Gläubige ihrer Religion ohne Einschränkungen nachgehen können.
Wann wird wieder Normalität über deutsche Bürger mit jüdischer Religion einkehren?
 
"Musik & Kultur der Synagoge" die II.Biennale, sollte nach dem erfolgreichen Auftakt 2008, in Bochum und Gelsenkirchen im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres inhaltlich und regional erweitert präsentiert werden.
Das Programm haben wir als Flyer im PDF angehängt (Musik_und_Kultur_der_Synagoge.pdf)

Zum Gespräch standen bereit:

  • Hanna Sperling, Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden Westfalen-Lippe, Mitglied im Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland
  • Dr. Fritz Pleitgen, Vorsitzender der Geschäftsführung der RUHR.2010 GmbH
  • Dr. Manfred Keller, Evangelischen Forum Westfalen, Künstlerischer Leiter Biennale Musik & Kultur der Synagoge

Eine musikalische Kostprobe erfuhren wir vom Chor "Bat Kol David" der Jüdischen Gemeinden Westfalen-Lippe, der uns in die Vielfalt der synagogalen Musik einführte.

Der Chor wurde 1996 von Rabi Henry G. Brandt gegründet und hat heute 25 Mitglieder die aus den unterschiedlichsten Gemeinden, hauptsächlich des Ruhrgebietes, kommen. Im Zusammenhang mit der II. Biennale wird der Chor 2 Konzerte geben.

Dr. Keller von der evangelischen Kirche Westfalen betonte: Kulturarbeit ist auch das Gespräch zwischen den Religionen, wobei die Musik eine Brückenfunktion hat. Es gilt den kulturellen Wert der  Minderheitsgesellschaft in die Mehrheitsgesellschaft zu transportieren, was letztendlich zu einem Mehrwert in der Gesamtgesellschaft führt.

 

   Synagogal Ensemble Berlin

Durch diese Kulturarbeit wird der Funke auf die anderen Kulturträger überspringen. Wandel durch Kultur, dazu gehört auch das gegenseitige Befruchten mit den unterschiedlichen kulturellen Bereichen, wie Musik, Literatur oder Theater.

Frau Hanna Sperling betonte den Gewinn für die deutschen jüdischen Gemeinden, denn sie sind in einer Phase des stetigen Auf- und Umbaus. Seit dem Fall des eisernen Vorhangs haben sich viele osteuropäische Juden auf den Weg gemacht und die deutschen Gemeinden verstärkt. Es sind überwiegend sehr gut ausgebildete Künstler, die der Zentralrat in einem Künstlerpool führt und auf die die Gemeinden jederzeit zu greifen können. Aber das jüdische Gemeindeleben ist noch sehr weit entfernt um von einem normalen Gemeindeleben sprechen zu können. Waren es am Anfang nach der Shoa noch die Probleme die wenigen Überlebenden zu einem Neubeginn zu bewegen, so steht man heute vor dem Problem, die neuen Gemeindemitglieder aus der ehemaligen Sowjetunion zu integrieren. Die Leistungen die die einzelnen Gemeinden in den letzten 20 Jahren erbracht haben, sind immens. So hat Bochum heute wieder 1.200 Gemeindemitglieder, allerdings gehören die Gemeinden Hattingen und Herne zu der Gemeinde Bochum.
 
Am 9.Mai 2010 geht es atemberaubend los, mit: "We will remember them" im Museum Bochum mit Avitall Gerstetter. Diese unvergleichliche Stimme eröffnet den Biennale Reigen im Kulturhauptstadtjahr mit ihrem reichhaltigen und umfangreichen Repertoire traditioneller Lieder aber auch eigener Kompositionen. Begleitet wird sie von Mike Lindup, bekannt durch die Band "Level 42". Rhani Krija sorgt für den richtigen Rhythmus, Krija spielt in der WDR Big Band, spielte aber auch schon mit Musikgrößen wie Sting, HerbieHancock, Annie Lenno, Charlie Mariano oder Klaus Doldinger.

Drei renommierte hochkarätige Chöre werden auftreten, wie das Synogogal Ensemble Berlin welches am 30. Mai um 18:00 Uhr in der Synagoge Dortmund auftrat.

 

Dann wird der international anerkannte Leipziger Synagogalchor unter der Leitung von Kammersänger Helmut Klotz am 19. und 20. Juni in Essen und Gelsenkirchen auftreten. Und als letztes wird der schon vorgenannte Chor "Bat Kol David" der Jüdischen Gemeinden Westfalen-Lippe am 16.Mai in Dorsten und am 27.Juni in Bochum auftreten.
Aber es sind nicht nur diese beiden Bereiche die unser Kulturhauptstadtjahr bereichern, es ist dieses Mal ein wahres Füllhorn an kulturellen jüdischen Ereignissen die uns dargeboten werden. Es lohnt sich.

Neu ist auch, dass bei einigen Veranstaltungen kulinarische Spezialitäten aus der jüdischen Küche auf den Besucher warten.

Avitall Gerstetter, © Jim Rakete    

Es sind unsere jüdischen Gemeinden die sich im Ruhrgebiet einbringen, die unser Ruhrgebiet noch reicher machen. Die Spannung die das Kulturhauptstadtjahr aufbietet scheint nicht aufzuhören, ein Höhepunkt jagt den anderen und macht damit den Reichtum unserer Ruhrgebietsregion sichtbar. Jetzt nach vier Monaten ist schon sichtbar, welchen Gewinn dieses Kulturhauptstadtjahr gebracht hat und das Jahr ist noch nicht zu Ende.

Ich würde mir wünschen, dass die Zäune und Kameras oder auch die Polizeistreifen vor den Synagogen nicht mehr notwendig sind, so dass Religionsangehörige ihrer selbstgewählten Religion nachgehen können. Das Ruhrgebiet war immer eine Region der Toleranz, hier war und ist vieles möglich was wo anders nicht geht. Diese Zäune, Kameras und Polizeistreifen waren zuerst im Kopf und mit unserer Solidarität können sie eingerissen werden.

Lassen Sie sich von den vielen Veranstaltungen inspirieren und nehmen Sie an dem Teil, was unsere jüdischen Gemeinden zum Kulturhauptstadtjahr beitragen.

Als ich mich  im Gemeindesaal  mit den anderen Teilnehmern unterhielt merkte ich, es sind noch immer unsichtbare Mauern zwischen uns, und diese Mauern verhindern die Berührungen. Ich muss mir eingestehen, dass ich sehr wenig über meine jüdischen Mitmenschen weiß.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Bochum