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Was macht den Frieden so schwierig?

[jpg]  Goethe schrieb in seiner Gedichtssammlung unter "Sprichwörtliches"  schon im 19ten Jahrhundert: "Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen." Goethe meinte damit, wir sind unfähig unser eigenes Glück, und damit den Frieden,  zu organisieren. Schopenhauer wird da sogar sarkastischer, indem er sagt: "In einem Schlaraffenland würden die Menschen zum Teil vor langer Weile sterben oder sich aufhängen."  Sind wir Menschen wirklich so unfähig?

Über die Auslandsgesellschaft NRW wurden wir zu den Dortmunder Montagsgesprächen eingeladen. Alexandra Senfft wollte eines Teils ihre Bücher vorstellen und andererseits über ihre Erfahrung mit Menschen im Nahostkonflikt erzählen. Ich kam relativ früh und unterhielt mich mit der Veranstalterin der "Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dortmund e.V". Und auf einmal stand Alexandra Senfft mitten unter uns und beteiligte sich an unserem Gespräch.

Die Augen schauten mich mit einem einnehmenden Lächeln an, ein Lächeln welches sämtliche Probleme vergessen macht. Auch die Körperhaltung war auf Kommunikation ausgerichtet. Ich habe bisher nur einen Menschen so erlebt, den ehemalige Bremer Oberbürgermeister Henning Scherf. Auch er hatte diese Gabe jeden Menschen für sich einzunehmen.

Und so ging es auch sofort ans Panel und ins Thema. "Was die Nachrichten nicht erzählen – Wege zur Verständigung in Israel" Frau Senfft ist keine Unbekannte, immerhin war sie Beobachterin und Pressesprecherin des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge (UNRWA, the United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East). Als solche erlebte sie die Intifada und den Golfkrieg 1991. Was sie auszeichnet,  sie pflegte sowohl Verbindung zu den Palästinensern als auch zu den Israelis. Dadurch lernte sie Menschen kennen, die versuchten aus der Spirale des Hasses auszubrechen. Aus diesen Verbindungen ergaben sich Gespräche die das Bild des Konfliktes veränderten.

 Durch ihre Art zuhören zu können, entwickelte sich mit der Zeit ein Netz von Menschen über die Frau Senfft berichten konnte. Es entstanden Geschichten die letztendlich zu dem  Buch "Fremder Feind, so nah – Begegnungen mit Palästinensern und Israelis" führte.

Herausgegeben wurde dieses Buch von der renommierten Körber Stiftung in deren  Edition Körber Stiftung unter ISBN 978-3896840752 und kostet   Euro 20,–.

Es werden Begriffe und Sprachregelungen verwendet die für Europäer fremd sind: Ramallah als "Fünf Sterne Gefängnis"; Jugendliche haben einen Heidenspaß aber keine Arbeit; beide Gruppen, Israelis als auch Palästinenser befinden sich in selbst gebauten Ghettos aus denen es kein Entkommen gibt.

 
Alexandra Senfft

Die "Ghettos" werden von beiden Seiten durch bewaffnete Kräfte überwacht. Checkpunkte mit Mauern führen nur in Sackgassen, an deren Ende wieder die Gewalt steht. In einem Europa ohne Grenzschranken welches nun seit 60 Jahren Frieden hat, sind diese Geschichten nicht nachvollziehbar.

Ein Israeli der im Gazastreifen Friedensarbeit macht und im Dialog mit den Palästinensern steht, der aber nur ein Jude bei den Palästinensern ist, wäre hier in Europa undenkbar. Es sind die Dialoge an der Grassroots-Ebene die Mut machen den Hass zu überwinden. Bis diese Gespräche jedoch bei den Entscheidern in der Knesset (Israelisches Parlament) oder der Hamas und Fatah ankommen, vergehen Jahre – aber sie kommen zunehmend an. Eine Organisation in Israel, die "Schalom Achschaw" in Europa bekannt unter dem Namen "Peace Now" entstand aus solchen Dialogen in der Armee. Leider gibt es bis heute keine Analogie auf der palästinensischen Seite. Aber, so Alexandra Senfft, da gibt es noch die Dialoge die dazu führen, dass der Andere erkennt, es gibt eine gemeinsame Trauerarbeit zu leisten, die am Ende zu Gemeinsamkeiten führen. So die Geschichte von  Dalia Golomb, einer 81-jährige Israelin die an den Checkpoints gegen die Israelische Besatzung protestiert und mit dieser Arbeit zu Rawda Sliman, einer palästinensischen Schauspielerin findet. Beide verbindet heute eine tiefe Freundschaft.  Oder  der Palästinenser Khaled Abu Awwad und der Israeli Rami Elhanan die sich  um verwaiste Eltern kümmern und darüber Freunde wurden obwohl sie Familienmitglieder durch den "Anderen" verloren haben.


Claudia Steinbach
  Es sind ergreifende Geschichten in einem Umfeld voller Hass und Gewalt, die man so nicht für möglich hält.  Alexandra Senfft zeichnet sehr sensibel und verständnisvoll die Menschen die einen Weg gefunden haben an dem tagtäglichen Leid nicht zu zerbrechen, vielmehr sich aktiv in die notwendige Friedensarbeit von unten einbinden und damit die Politik zumindest nachdenklich macht.

Alexandra Senffts Botschaft ist eindeutig: Es ist genug gelitten worden, es ist Zeit für den Frieden. Und mal ehrlich, so schwierig kann ein Frieden doch nicht sein?

Projektleiterin dieses Gespräches war Claudia Steinbach, der wir an dieser Stelle Dank aussprechen für ein gelungenes Gespräch mit einer wunderbaren Persönlichkeit.

  Hier noch mal die Informationen zum Buch:

Alexandra Senfft

"Fremder Feind, so nah"
Begegnungen mit Palästinensern und Israelis

336 Seiten mit 23 s/w-Fotografien von Judah Passow
Gebunden mit Schutzumschlag | 14,5 x 22 cm
Edition Körber Stiftung

ISBN: 978-3-89684-075-2

20,00 € (D) Versandkostenfrei

Alle Fotos © EN-Mosaik Pool

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Dortmund.

 

Plädoyer für einen neuen Gesellschaftsentwurf

[jpg] In einer Zeit, in der die Wirtschaft das Zusammenleben dominiert, kommt einem ein Henning Scherf wie ein Anachronismus vor. Das Wirtschaftswachstum soll auf 9% hoch getrieben werden, alles soll sich diesem Ziel unterordnen. Wer die meisten Gewinne macht, der ist derjenige der gesellschaftlich anerkannt ist. Kaufen und verkaufen um jeden Preis, auch um den Preis des Untergangs des Einzelnen. Wer nicht mehr mithalten kann, wird ausgegrenzt und als nutzlos ausgesondert. Ein Lächeln oder das reichen der Hand ist das Vorspiel für ein evtl. viel versprechendes Geschäft. Gefühle oder menschliche Bindungen werden nach ihrem marktwirtschaftlichen Wert bemessen. Beziehungen werden nur zeitweise eingegangen und nach erreichen eines vorher definierten Zieles wieder getrennt. Nichts Menschliches hat Bestand außer dem abstrakten Gewinnstreben. Trotz allem wissen wir, so kann es nicht weiter gehen, der soziale Zusammenhalt, der Kitt, der eine Gesellschaft am Leben erhält geht verloren. Tief im Inneren sehnen wir uns nach einer Zeit, wo der Mensch sich wieder dem Menschen zuwenden kann und ihn in seiner Würde erkennt. Aber wir machen weiter. Die Angst treibt uns, dass wir sonst zu den Versagern gehören, den Ausgegrenzten. Zuflucht gibt es nicht. Verständnis der Verantwortlichen, nein. Weiter so! Ein neuer Liberalismus, subtiler als der Manchesterkapitalismus, hat uns alle erfasst. Wo Hoffnung Bestand haben sollte, greift Angst um sich. Wie soll die Gesellschaft in der Zukunft funktionieren? Welche Werte sollen noch Bestand haben?

Da kommt es schon komisch, wenn ein Wirtschaftsliberaler folgende Sätze formuliert und diese der Öffentlichkeit zuruft:

"Wenn wir nicht wollen, dass unsere Zukunft, die Zukunft unserer Kinder, die Zukunft künftiger Generationen durchsetzt ist von Finanz-, Wirtschafts-, Umwelt- und sozialen, letztendlich also menschlichen Katastrophen, dann müssen wir unsere Art zu leben, zu konsumieren, zu produzieren ändern. Und wir müssen die Kriterien unserer gesellschaftlichen Organisation und unserer öffentlichen Politiken ändern. Eine großartige Revolution erwartet uns. Jeden von uns."
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