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Es geht um die Qualität des deutschen Fernsehens

v.l.: Kamman, Spies Foto: © Linde Arndt

v.l.: Uwe Kammann und Uli Spies, Foto: © Linde Arndt



[jpg] Der Grimme Preis ist 50 Jahre geworden. Herzlichen Glückwunsch.
Viele Deutsche haben den Eindruck, Fernsehen zeigt nur Mittelmaß. Zu viele US-amerikanische Serien, viele zugekaufte Filme und wenig eigene Produktionen. Jetzt gerade wurde eine Studie durchleuchtet, nach der die Deutschen durchschnittlich 3 – 4 Stunden am Tag Fernsehen sehen. Das die Studie sich der „Alten“ bedienten die den Fernseher den ganzen Tag über laufen ließen, wirft ein denkbar schlechtes Licht auf diese Studie, die vom deutschen Fernsehen in Auftrag gegeben wurde.

Das die Jungen sich des Internets bedienen und sich vom Programmfernsehen abwenden wird verschwiegen. Technisch kann man über Smartphone seine Unterhaltung organisieren. Alles wächst halt zusammen. Deshalb auch die Finanzierung des deutschen Fernsehens über Haushalte. Für andere Zuschauer sind viele Programme Spitze, kommen jedoch zu einer viel zu späten Sendezeit. Zu viel wird auf die Quote geachtet, zu wenig wird dem Zuschauer zugemutet. Auch hier sieht man „The German Angst“, die es nicht erlaubt mutig etwas Neues zu wagen. Ein deutscher Einheitsbrei wird einem anscheinend vorgesetzt, nach dem die Filmschaffenden bestimmte unsichtbare Grenzen nicht überschreiten. Man möchte die Förderung nicht verlieren.
In diesem Umfeld sucht die Jury des Grimme Instituts unter (z.Zeit noch) Uwe Kammann und Grimme-Preis-Referent Uli Spies, Jahr für Jahr, und das seit 50 Jahren, preiswürdige Produktionen heraus.

Lassen wir uns einige Produktionen anschauen.

Unter der Rubrik Fiktion/Spezial finden wir den Film „Eine mörderische Entscheidung“
Hannah Ley, Raymond Ley (Buch) und Reymond Ley (Regie),
Matthias Brandt spielt den damaligen Oberst Klein.
ARD (NDR/ARTE)

v.l.: Brandt, Ley, Ley  Foto: © Linde Arndt

v.l.:Matthias Brandt, Raymond Ley, Hannah Ley Foto: © Linde Arndt

Der Film zeigt eindrucksvoll wie die militärischen Akteure des Krieges sich gegenseitig motivieren ihr blutiges Handwerk in die Realität umzusetzen. Hautnah ist man auf verschiedenen Ebenen der Handlung verbunden. Da sind die Akteure im Feldlager Kunduz, Bundesnachrichtendienst,verschiedene Waffengattungen der Bundeswehr oder Verbindungseinheiten. Immer wieder werden zwei festgefahrene Tanklastzüge in ihrer Gefahr für das Feldlager bewertet. Informationen aus unterschiedlichen Quellen werden gesichtet. Die Informationslage führt letztendlich zu der Aussage, es besteht für das Feldlager eine hohe Gefahr, dass die Tanklaster als fahrende Bomben auf das Feldlager eingesetzt werden. Die Abwehr dieser Gefahr soll mittels Bombenabwurf von 500 Kilo Bomben beseitigt werden. Letztendlich geht es noch um die Zivilisten die sich evtl. um die Tanklaster herum aufhalten. Als die Abwesenheit von Zivilisten bestätigt wird, werden 2 Bomben geworfen. Durch diesen Bombenwurf werden 142 Zivilisten ermordet. Es wurde damit ein völkerrechtswidriger militärischer Akt nach der Genfer Konvention ausgeführt. Damit war, zwar zweifelhaft, das Geschehen als Kriegsverbrechen einzuordnen.
Der Film betrachtet jedoch nur den Bereich der Umstände die mehr oder weniger durch den vorhandenen Gruppenzwang zu diesem Sachverhalt führen. Die Entscheidung wurde als „alternativlos“ dargestellt. Es gab nur zwei Optionen, bombardieren ja oder nein.
Oberst Klein, der Entscheider, wurde in seiner menschlichen Dimension heraus gearbeitet, sodass man nur Mitleid mit seiner Person haben konnte und damit das Geschehen entschuldigen musste.
So wurde die staatlich offizielle Geschichte (Sprachregelung) erzählt!
Buch und Regie waren frei die Geschichte auch anders zu erzählen. Einen Obersten der dieser Situation nicht gewachsen war und durch einen erfahrenen Befehlshaber abgelöst wurde. Oder Oberst Klein, der zu einem späteren Zeitpunkt vom internationalen Gerichtshof angeklagt wurde.

Stattdessen wurde wieder wie schon einmal in der Geschichte der Befehlsnotstand herbei geschrieben.
Ich denke der Film hat seinen Preis nur deshalb verdient, weil er eindrucksvoll die wahnhaften Gruppenzwänge
in diesem „Männerclub“ aufzeigt, da wo man kein Weichei oder Feigling sein darf. Man funktioniert nach festen Regeln, wobei ein gewisses Maß an Menschlichkeit als Farbtupfer erlaubt ist. Aber so war der Film nicht angelegt. Es fehlte der Mut den Weg der schon vorgezeigten Geschichte zu verlassen und mit diesem Film eine Anklage zu verfassen, eine Anklage gegen den Krieg.

 

Zweites Beispiel: „Restrisiko – Ein Film über Menschen im Maßregelvollzug“
ARD Bayrischer Rundfunk
Katrin Bühlig (Buch/Regie) und Dagmar Biller (Produktion)

v.l.: Kathrin Bühlig und Dagmar Biller  Foto: © Linde Arndt

v.l.: Kathrin Bühlig und Dagmar Biller Foto: © Linde Arndt

Es geht um Menschen, die nie mehr wieder den Strafvollzug verlassen dürfen, weil deren Taten so schwer waren und eine Resozilialisierung nicht möglich ist. Es sind Sexualstraftäter, Mörder oder aber Täter, die sich des sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig gemacht haben. Bei all diesen Tätern stand immer das Entsetzen, die Wut und die Ohnmacht der Gesellschaft Pate.
Katrin Bühlig hatte die Möglichkeit im LWL (Landschaftsverband Westfalen-Lippe) Zentrum für Forensische Psychiatrie in Lippstadt einen Film über diese Menschen zu machen die im Maßregelvollzug leben.
Der Film will nur dokumentieren, einordnen, ist kühl und mehr kopfgesteuert, ein paar Einstellungen mehr und er könnte als wissenschaftlicher Film durch gehen.

Alltag in einer Anstalt in der der Begriff Alltag eine ganz andere besondere Bedeutung bekommt. Die einsitzenden Täter bauen sich Schritt für Schritt mit ihren Therapeuten ihre eigene Welt in der sie bestehen können, die sie aber auch  selber in die durch die anderen auferlegte Strafe führt. Strafe, nein, es ist eine Therapie ohne Heilungsaussicht, heute zumindest. Es gibt keine Welt da draußen und da drinnen mehr, es gibt nur noch diese eine Welt. Teilweise ist diese Welt so gemütlich, dass die Insassen sich wie in einer WG fühlen. Wenn da nicht die Umstände der im Hintergrund mitschwingenden Tat wären.
88 Minuten von 57 Stunden Dreharbeiten werden dem Zuschauer gezeigt. Humanistisches Gedankengut wird in dieser Anstalt umgesetzt, Perspektiven gibt es nicht, kann es nicht geben und darf es nicht geben.

Hätte es doch etwas mehr Mut über die 88 Minuten hinaus sein dürfen, so denkt man sich. Wenn man den Fall des Jürgen Bartsch, der durch den amerikanischen Journalisten Charles Paul Moor aufgearbeitet wurde, als Sekundärfall hinzuzieht, so bleiben viele Fragen für diesen Film. Aufgearbeitet in dem Sinn, dass die Vita solch eines „Monsters“ wie Jürgen Bartsch keineswegs aus dem Nichts begründet werden konnte. Bartsch war immer auch Opfer, indem er z.B.von seiner Adoptivmutter mit 19 Jahren noch gebadet wurde. Es waren so viele Indizien die zur Entschuldung eines Jürgen Bartsch sprachen. Der Wuppertaler Richter der Jugendstrafkammer Walter Wülfing geißelte Jürgen Bartsch und hätte ihm gerne eine andere Strafe zu gewiesen, verurteilte ihn nach dem Erwachsenenstrafrecht, weil ein paar oberflächliche Gutachten Bartsch als Täter sahen. Erst der BGH erkannte die unzureichende mehr oberflächliche Aufarbeitung des Falles in Wuppertal und verwies den Fall zurück an die Kammer.

Gerne hätte man damals Bartsch vor dem Landgericht aufgehängt oder erschlagen. Diese dumpfe Angst, die damals in Wuppertal, Langenberg-Velbert und Umgebung herrschte, war eine ganze Zeitlang noch spürbar.

Und heute? Es hat sich nicht viel verändert, es fehlt die Aufklärung – man spricht nicht mehr darüber. Noch immer gibt es die unendlichen abstrakten „Opfer, Täter“ Diskussionen die zu nichts führen. Noch immer sieht eine so schnelllebige Gesellschaft wie die unsrige keine Möglichkeit solche Kinder/Menschen zu integrieren. Die Konsequenz –  unsere Gesellschaft produziert seine Täter zumindest teilweise selber. Charles Paul Moor wird später in einem Gespräch berichten, dass er sich in dem Prozess gegen Bartsch sehr einsam gefühlt hat, denn seine Einstellung zum Prozess und der Tat standen konträr zu den Einstellungen der Richter und des Prozessumfeldes.
So hat NRW heute noch große Probleme Standorte für forensische Anstalten zu planen. Niemand will diesen Personenkreis in seinem Umfeld.

Es gibt neue Personenkreise, wie die jungen Brandstifter von Solingen aus dem Jahre 1993, die mal so eben 5 „Ausländer“ verbrannt hatten oder die NSU, die im vorbeigehen 10 Menschen (auch „Ausländer“) erschossen. Die Taten werden nicht dadurch erklärbar, wenn man ihnen ein politisches oder rassistisches Motiv zuordnet. Es sind immer Taten die mit den gesellschaftlichen Verhältnissen korrespondieren. Und weil es diese Korrespondenz gibt, sollte in einer Betrachtung die Gesellschaft befragt werden dürfen. Stellt denn die Gesellschaft nicht auch ein Restrisiko dar? Denn es geht nur um eines, wie kann ich die Opferzahlen senken wenn nicht gar vermeiden. Nur das erfordert Mut, Mut nicht die 90 Minuten im Blick zu haben, Mut die Gesellschaft in ihrer „Hängematte“ abzuholen, Mut zu provozieren. Wie sagte der Journalist Charles Paul Moor nach dem Bartsch Prozess: Ich fühlte mich während des Prozesses so einsam, weil ich nicht die gleiche Einstellung wie die anderen Prozessbeteiligten hatte. Lassen wir also unsere alte Denke wieder zu, die uns durch eine übergeordnete Instanz verboten wurde?

Tatort: „Angezählt“ (ORF/rbb)
Martin Ambrosch (Buch) Sabine Deflinger (Regie)
Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer (DarstellerIn)

v.l.: Sabine Deflinger, Harald Krasznitzer, Neubauer

v.l.: Sabine Deflinger, Harald Krassnitzer, Adele Neuhauser Foto: © Linde Arndt

 

44 Jahre ist der Tatort alt geworden. Er ist in die Jahre gekommen und das Format wurde kaum oder nie verändert.
Die Tatorte leben von den Personen bzw. DarstellerInnen, die die Kommissare mehr oder weniger mit Leben an den Zuschauer bringen.
So ist das Ermittlerteam aus Wien eine der „guten“ Sendungen. Bibi Fellner (Adele Neuhauser) ist das emotional aufgeladene Pendant zu dem mehr oder weniger kauzigen Kollegen Moritz Eisner (Harald Krasnitzer). Es sind aber auch die Drehbücher, die die ORF den beiden Darstellern an die Hand gibt, die spannende Handlungen versprechen.

Angezählt behandelt das Thema Prostitution im bulgarisch-türkischen Milieu der Hauptstadt Wien. Mädchen müssen sich in einer türkischen Teestube für 30,–Euro anbieten, wobei ihre Dienste im Hinterzimmer ausgeführt werden.
Es gibt ein unerschöpfliche Reservoire an jungen Sexarbeiterinnen aus Bulgarien, Rumänien und dem Balkan. In der Regel werden die jungen Frauen mit Gewalt nach Wien oder anderen europäischen Städten gebracht und dort zur Prostitution gezwungen.
Bibi bringt eine der Prostituierten dazu gegen ihren Zuhälter auszusagen der letztendlich auch verurteilt wird. Kaum ist dieser aus dem Gefängnis raus übt er grausame Rache an der Prostituierten. Er lässt die Prostituierte von einem Roma Kind mit Benzin anzünden.
Es ist ein spannender Krimi, der dazu auch noch in seinem Dramenaufbau und seiner Erzählung zu den Meisterwerken gehört.
Dieser Krimi „Angezählt“ hat sicher zurecht einen Preis bekommen. Nur, war es nicht der Tatort der den Grimme Preis bekommen hat? Und bekam nicht der Film „Angezählt“ den Preis stellvertretend  für den gesamten Tatort?
Es ist nicht der erste Tatort der im Rotlichtmilieu spielt. Aber es sind immer wieder die gleichen Wissensstände. Tatsächlich hat sich das mafiöse Milieu verändert. Menschenhandel bedeutet nicht mehr nur Sexualarbeiterinnen in die Städte zu verbringen. Nein, seit Jahren gibt es auch Kinder zum Betteln oder zum Sex, Waffen, Drogen alles aus einer Hand. Ein Anruf genügt. Da muten die Bilder, die da vermittelt werden, doch ziemlich naiv an. Nur andeutungsweise erfährt man in diesem Film von einer weltweit agierenden organisierten Kriminalität. Ein Krieg der schon längst von der Gesellschaft aufgegeben wurde.

Die gesamten Tatorte sind in die Jahre gekommen. Da nützt es nichts wenn mal ein guter Krimi dazwischen ist. Es geht grundsätzlich um das Format „Tatort“. Die ewigen langwierigen Einstellungen, die Erzählabläufe kommen immer mit dem gleichen klassischen Schema (Kleist lässt grüßen). Kameraführungen, Schnitte, Lichteffekte werden konservativ eingesetzt. Da bereiten die Skandinavischen Filme alleine durch die Kameraführung schon eine viel größere Spannungskurve. Die Protagonisten sind anders ausgesucht worden. Schnitte vermitteln dort eine Dynamik die das Verbrechen ja auch hat. Oder die englischen Serien, auch hier ganz andere Techniken.

Nicht in deutschen Tatorten, da läuft alles in der Regel gemütlich ab, der Täter wartet auf die richtige, alles befreiende Frage, die ihn zum Schuldigen macht. Spannung kaum, eher Befreiung, die einem endlich den befreienden Gang zur Toilette erlaubt. Warum ist man nicht früher gegangen? Die Filme hätten sich ja noch berappeln können und zu einem guten Krimi werden können.

Ob es den Programmverantwortlichen bewusst ist das jedes Produkt, und wir reden im Fernsehen von Produkten, einen bestimmten Zyklus hat? Und wenn der Zyklus abgelaufen ist, geht es bergab mit dem Zuspruch. Aufhalten kann der Produzent das nur, wenn er ein Upgrade oder ein Relaunch seines Produktes macht und zwar in Allem. Man kann den Deutschen wirklich keinen Mut bescheinigen, vielmehr muss man ihnen absolute Reformunwilligkeit attestieren. Was spricht dagegen wenn der Tatort total verjüngt würde? Nichts. Es würden sich neue Zuschauer erschließen. Wäre das so schlimm?

Nehmen wir ein zweites Format „Wetten,das…?“. Von ehedem 20 Millionen Zuschauer auf 6 Millionen Quote in 2014 gekommen. Warum? Auch hier, kein Relaunch und kein Upgrade. Man hat die Sendung einfach ins Nichts laufen lassen. Der Letzte, Markus Lanz, muss Ende des Jahres das Licht ausmachen.
Immer wieder sieht man bei den politischen Sendungen, entweder 30 Minuten oder 90 Minuten Formate. Da werden manchmal heiße Diskussionen geführt, die abgebrochen werden müssen, weil die Zeit um ist. Unmöglich. Der alte Kuhlenkampf hatte öfter seine Sendung bis zu 45 Minuten verlängert um dann mit einem treuherzigen Blick sich zu entschuldigen.

Zu guter Letzt muss man mal eine Lanze für die Fantasie und die Kreativität brechen, die ach so oft in dem Einheitsbrei der Fernsehanstalten verloren geht. Ob das nun die DarstellerInnen oder die Kamera, die Requisite, Kostüme, Musik, Drehbuch und, und, und alles sind Menschen die ausgewiesene KünstlerInnen sind. Und die ZuschauerInnen warten auf diese Leistungen, die einmal freigegeben, zu Verzückungen oder auch Nachdenklichkeiten führen. Beide haben es verdient zueinander zu finden. Die Intendanz muss sie nur einmal lassen und die Rahmenbedingungen schaffen, dann kann man auch die Flucht der Zuschauer vermeiden oder aufhalten.

Und was hat das mit dem Grimme Institut zu tun? Das Grimme Institut sollte den Mut haben, einmal keinen Preis zu vergeben. Ich denke es wäre ein Weckruf für die Sender und diejenigen die sich mit Kultur befassen.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Marl