Faust II v.l. Helena [Lucia La Carra], Mephisto [Dann Wilkinson] Faust [Marlon Dino] Foto: ©Bettina Stöß, Stage Picture

Faust II v.l. Helena [Lucia La Carra], Mephisto [Dann Wilkinson] Faust [Marlon Dino]
Foto: ©Bettina Stöß, Stage Picture

[jpg] Napoleon und Goethe begegneten sich 1808 in einem Vieraugengespräch in Erfurt, es war ein Gespräch auf gleicher Augenhöhe. Goethe der Mann des Geistes und Napoleon der Mann der Macht. Napoleon soll von Goethe danach gesagt haben, als er nach dem Treffen einmal gefragt wurde: „Voilà un homme!“. Goethe war begeistert von Napoleon, auch noch als Napoleon so schmählich in Europa unterging. Man darf dabei nicht vergessen, was Napoleon damals für Europa alles geleistet hatte, viel zu wenig wird auf die positiven Änderungen eingegangen die Europa zu dem gemacht hat, was es heute ist. Napoleon auf seine Schlachten und Kriege zu reduzieren ist nicht redlich.

 

1832, kurz nach Goethes Tod, erschien Faust II, ein Stoff an dem Goethe über 25 Jahre ab und an mal gearbeitet hatte und den Goethe, inspiriert durch die Person Napoleons,  zu einem Ende brachte. Goethes vielfältigen Äußerungen zufolge könnte man meinen, Napoleon wäre der neue Messias gewesen.

 

So schrieb Johann Peter Eckermann: „Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens“1824:

 

„Um Epoche in der Welt zu machen, dazu gehören bekanntlich zwei Dinge: erstens, dass man ein guter Kopf sei, und zweitens, dass man eine große Erbschaft tue. Napoleon erbte die Französische Revolution, Friedrich der Große den schlesischen Krieg. Luther die Finsternis der Pfaffen, und mir ist der Irrtum der Newton`schen Lehre zutheil geworden.“

Foto: ©Bettina Stöß, Stage Picture

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Goethe wusste also wovon er sprach und schrieb,  er wusste um der menschlichen Höhen und Niederungen aber auch Widersprüche.

 

Xin Peng Wang ist ein Choreograf in Dortmund der sowohl in der realen als auch in der Welt des Geistes zuhause ist, mit offenen Augen und offenem Geist nimmt er die fast revolutionären Umwälzungen unserer Gesellschaft wahr, reflektiert sie um sie dann mit seiner Ballettcompagnie umzusetzen.

 

Da sind die Kriegsflüchtlinge die er täglich am Bahnhof Dortmund gesehen hat, die täglichen Nachrichten aus den syrischen und irakischen Kriegsgebieten und Aylan Kurdi der kleine syrische kurdische tote Junge am Strand von Bodrum (Türkei). Damals als das Bild des toten Jungen um die Welt ging, hielt die Welt einen Augenblick den Atem an, um dann aber im gewohnten Trott weiter zu machen.

 

Soweit der Hintergrund vom Ballett Faust II – Erlösung in Dortmund.

 

Wang machte aus Faust II eine Ballett-Uraufführung im doppelten Sinne indem er klassisches Ballett spartenübergreifend erweiterte und indem er zeitgenössisches Ballett Theater, das eine strenge Erzählstruktur hat, in einzelne „Short Stories“ teilte. Da ist das Bild der Kriegsflüchtlinge die ins Innere Europas streben und letztendlich erschöpft am Strand zusammenbrechen und eine diffuse Menge von Menschenleibern bildet. Düsternis legt sich über die Szenerie, die Düsternis der Menschheit, die doch nach dem hellen Reinen streben will.

Foto: ©Bettina Stöß, Stage Picture

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Und da ist das Bild von Faust und Helena (Margarethe), dargestellt von Lucia Lacarra (Helena und Margaretha) und Marlon Dino (Faust) die das Bild des Reinen und Absoluten darstellen. Man ahnt bei den Beiden die göttliche Berührung , im Pas de deux macht sich die Sehnsucht bemerkbar, die doch in der Überwindung des menschlich Unzulänglichem liegt. Die Dualität von Gut und Böse  wird durch die Liebe aufgehoben.

 

Wenn da nicht Mephisto (Dann Wilkinson) wäre, der bemerkt wie sich etwas tut, er ist unsicher und irrlichtert. Aber was soll es. Mephisto rockt die Party und zeigt jubelnd die Europafahne hoch. Ein Europa der Hilflosigkeit? Es regnet Geldscheine und alle sind begeistert. Und da ist da noch Homunculus (Giacomo Altovino), er der die Schranken aufhebt, er der den Menschen zum Gott machen kann, aber noch nicht frei ist, er ist ein Gedanke, eine Idee.

 

Menschen, die wie die Bremer Stadtmusikanten etwas besseres als den Tod finden wollen werden an den Strand wie Strandgut angespült, ein Kind (Madita Herzog), in Anspielung des kurdischen Jungen Aylan, liegt hingestreckt am Strand. Die Gestrandeten nehmen das Kind in ihre Mitte und geleiten es in eine bessere Zukunft.

 

Mephisto entgleitet Faust indem dieser seinen Trugschluss bemerkt, er kann die Welt, sprich die Menschen, nicht ändern, der Mensch schreitet fort, rücksichtslos ohne Moral, er will die Natur überwinden und selber Gott sein. Auch Fausts freies Land rettet nichts, trotzdem es war ein schöner Traum.

 

„Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn. / Zum Augenblicke dürft’ ich sagen; / Verweile doch, du bist so schön!“ so, sagt Faust.

 

Und der Faust des Choreographen Wang? Wang sieht eine Zukunft für „seinen“ Faust, indem die Menschen sich irgendwie an die Hand nehmen und in ein unbestimmtes Land schreiten lässt. Für Wang ist diese Hoffnung begründet und real, als er am Bahnhof Dortmund Menschen sieht, die selbstlos und ohne Aufforderung aus eigenem Antrieb fremde Menschen, Kriegsflüchtlinge, versorgt haben ( Und das war nicht nur in Dortmund zu beobachten.- d.Red.). Und Faust reiht sich ein in die Menschengruppe, und das erst als er sich Mephisto (dem Teuflischen in uns) entledigt hat. Er hat seine Daseinsberechtigung verloren. Mephisto hat keine Macht mehr.

 

Alles Vergängliche Ist nur ein Gleichnis; Das Unzulängliche, Hier wird’s Ereignis; Das Unbeschreibliche, Hier ist’s getan; Das Ewig-Weibliche (Die Liebe- d. Red.), Zieht uns hinan“

 

Faust hat begriffen und findet seine Erlösung durch die höhere Macht durch:

 

Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“

 

Wang hat mit der von ihm gewählten „Crossover“ Produktion Brücken überschritten um dem Stück mehr Sinnhaftigkeit zu geben. Auch unsere heutige Zeit, ist eine Zeit an der der Menschheitsgedanke zerbrechen könnte.

 

Der Lichtinstallation von Li Hui, die eine traumhafte anmutende Situation erschuf, die mal den Besucher auf die Bühne zog aber auch die Akteure einschloss – dem Streben nach dem Göttlichen wurde dadurch ein besonderer Raum geschaffen. Es war schon eine beeindruckende Ästhetik durch die Laser geschaffen worden, die den Zuschauer in seinen Bann zog.

 

Der Ballettabend war ein wunderschönes Erlebnis und Wangs pädagogisches Konzept kam auch an, nur es war, wie Goethe es auch in seinem Faust machte,  zu naiv, wenn man auf göttlichen Beistand hofft. Goethe hatte eine gewisse Altersmilde in seinem Faust II gehabt, was auch verständlich und natürlich war. Goethe wollte nie das Negative eines Napoleon sehen, wie auch heute, wir nicht das Negative des Kapitalismus sehen wollen.  Den Forderungen nach Reformen am System, wird ein“ weiter so“  entgegengehalten.

 

Foto: ©Bettina Stöß, Stage Picture

 

Der Junge Aylan Kurdi starb am Strand von Bodrum, die Welt hielt den Atem an, um sich zu besinnen? Nein, weil sie gesehen hat, dass sich mit Kindern eine gute Kriegspropaganda machen ließ. Nach Aylan Kurdi wurden Kinder instrumentalisiert um Stimmung für die eigene Partei zu machen.

 

Goethe und Wang sind sich einig, indem sie eine hoffnungsfrohe Stimmung verbreiten und der Menschheit die Vernunft unterstellen, die sie nicht haben wollen.

 

Der Mensch ist von seiner Natur aus frei und gut, so die Aufklärung um Jean-Jacques Rousseau, tja, aber die Verhältnisse erlauben es nicht, so Bert Brecht.

 

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Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Dortmund

 


 

Hier noch einige Bilder der Inszenierung vom Premieren-Abend – Alle Fotos: ©Bettina Stöß, Stage Picture