H.A.M.L.E.T – Die Geburt des Zorns. Ballett Uraufführung in Dortmund

[jpg] Was haben der 17-jährige Tim Kretschmer aus Winnenden, der 19-jährige Robert Steinhäuser  aus Erfurt, der 18-jährige Bastian B. aus Emsdetten und der 25-jährige Hamlet, Prinz von Dänemark miteinander zu tun? Vorerst einmal nichts. Die drei ersten waren Amokläufer die eine Zeit lang durch die Nachrichten geisterten. Und Hamlet ist eine Titelfigur in einem Shakespeare Drama.

Und doch sind viele Analogien zwischen den Personen und deren Handlungen deutlich zu erkennen.
Der Dortmunder Ballettdirektor Xin Peng Wang war durch die Amokläufer und ihre Tat zutiefst betroffen und hatte das Bedürfnis diese Taten aufzuarbeiten. Hier kam ihm die Tragödie Hamlet von Shakespeare, dessen Inhalt er in seinen Verstrickungen als gleichartig einstufte, zu Hilfe. Hier wie dort kam es zu einem finalen Ende, welches unsägliches Leid erbrachte – für Andere als auch für jene, die dieses Leid auslösten. Hier wie dort waren es Menschen, die in ihrer Einsamkeit und ihrem Anderssein sich in diese Handlungen hineinsteigerten. Hier wie dort waren es die Beziehungen Gesellschaft, Einzelpersonen die solche Handlungen begünstigten, ja geradezu einen Zwang auf die Akteure ausübten.

               
   Foto: ©Bettina Stoess  

Wang tat sich mit dem Dramatur Christian Baier zusammen um ein abendfüllendes Ballett zu erarbeiten. Christian Baier war zuerst kritisch, ließ sich aber von Wang überzeugen als er die ersten Gedanken und deren Umsetzung auf der Probenbühne sah. Gesucht und gefunden hatte Wang den in Estland geborenen Arvo Pärt,  der in der musikalischen Erlebnis-Tradition der Minimalisten der 70er Jahre steht. "Pärts Werke machen das menschliche Grundbedürfnis nach einer Verbindung von Ästhetik, Ethik und Spiritualität, die in unserer überwiegend säkularisierten Gesellschaft so oft der Politik und Ökonomie untergeordnet werden, deutlich und erlebbar", so die Jurybegründung des internationalen Brücke-Preises. Damit waren die drei Eckpunkte für eine herausragende Ballettaufführung gegeben – eine Uraufführung. Die szenischen Stationen des Stückes ergaben  mit:
Honesty (Ehre), Agony (Agonie,Teilnahmslosigkeit), Mother (Mutter also Eltern), Love (Liebe), Eternity(Ewigkeit,  Sinnhaftigkeit, Dauer, Bestand), Truth (Wahrheit) letztendlich ein Psychodrama welches ein gesellschaftliches Phänomen tragisch skizziert. Freuds Traumdeutungen haben hier offensichtlich Pate gestanden.

Die Besetzung:

Hamlet: Mark Radjapov
Ophelia: Jelena-Ana Stupar
Mutter:Monica Fotescu-Uta
Stiefvater: Howard Lopez Quintero

Drei Geister: Eugeniu Cilenco,Sergio Caraecci, Adrian Robos
Drei Schatten: Svetlana Robos, Esther Perez Samper, Sayo Yoshida
Drei Schauspieler:Rosa Ana Chanza Hernandez, Philip Woodman, Luke Forbes

Zur Handlung:

Hamlet , dänischer Prinz, kehrt aus der Fremde (Wittenberg) an den dänischen Hof zurück. Sein Vater ist tot und seine Mutter an der Seite eines anderen Mannes. Er fühlt sich fremd und alleine zu Hause. Schlafend erscheinen ihm drei Geister die die Geschichte vom Tod seines Vaters erzählen. Sie liefern ihm das was ihm sein Fremdsein erklärt, den nicht natürlichen Tod seines Vaters. Das Schmeicheln seiner Mutter sich ihrem neuen Glück doch hinzuwenden empfindet er als Täuschung.

Da erscheint Ophelia die er früher umworben hatte und die er auch noch liebt. Nur er möchte den vermeintlichen Mord an seinem Vater erst aufgeklärt wissen.

Auf einer Hofgesellschaft ( Corps de ballet ) wird durch drei Schauspieler ein "Königsmord" gespielt. Der Mord wird durch das Einträufeln von Gift in das Ohr des Königs dargestellt.
Hamlet erkennt die Szene aus seinem Traum wieder und beschuldigt seine Mutter des Mordes an dem Vater. Sein Stiefvater weist ihn vor der versammelten Gesellschaft zurecht. Hamlet fühlt sich gedemüdigt und ausgestoßen. Ophelia versucht ihn mit ihrer Liebe zu ihm aus der Einsamkeit und Traurigkeit zu befreien. Hamlet empfindet die Liebe Ophelias als weitere Kränkung, denn ihre Liebe ist nunmehr nur Mitleid für ihn. Ophelia sieht sich brutal zurück gelassen und dem Inhalt ihrer reinen Liebe beraubt. Dem Inhalt ihres Lebens beraubt sucht Ophelia den Freitod.

Ophelias Freitod wird entdeckt und es beginnt das was beginnen musste. Die geschlagenen Wunden   verlangen Opfer. Es gibt keine Versöhnung mehr, da die Liebe gestorben ist. Jetzt haben die schon immer vorhandenen Geister freien Lauf. Schweigen.

Fassungslos sieht der Zuschauer auf die Bühne: Wie konnte es dazu kommen?

So tanzt Mark Radjapov den Hamlet stolz und mit einer Traurigkeit der ihn blind für die Liebe macht. Der Pas de deux mit  Jelena-Ana Stupar als Ophelia wird so zu einem innigen und rührend anmutenden Tanz, der die reine Liebe verkörpern könnte. Inniglich schmiegt sich Ophelia an Hamlet der scheinbar sich ihr hinwenden will, es aber nicht schafft. Und  Jelena-Ana Stupar in ihrem Tanz der zu dem Freitod führt, der den Kampf zwischen dem Leben und der Hingabe zum Tod darstellt ist eine herausragende eindrucksvolle Leistung die überzeugt. Monica Fotescu-Uta als Mutter, die ja nur ihr eigenes Glück will, überzeugt mit ihrer Zurückhaltung in der Bewegung und erzeugt dadurch die Ernsthaftigkeit einer Königin. Sie will Leben in ihrer neuen Liebe.
Das Corps de ballet stellt mit seinem Tanz  beklemmend die Uniformität der Gesellschaft dar, Bewegungen sind synchron wie kopiert, nur die Hüllen der Tetraeder, ob groß oder klein, lassen eine Unterscheidung zu. Der vermeintliche Mord an dem Vater Hamlets, der von den drei Schauspielern gespielt wird, ist faszinierend wie der König wie beiläufig ermordet wird.  Rosa Ana Chanza Hernandez, zieht die Schultern ein, so als wenn sie sagen wollte, sorry, es sollte wohl so sein. Unwohl fühlt sie sich aber doch und begibt sich wieder in die Reihe der Gesellschaft zurück.

Das Dortmunder Ballett hat wieder einmal mehr ein außerordentliches und herausragendes Thema zur Aufführung gebracht, welches den Zuschauer an die Grenzen seiner Gefühle führt. Es fordert zum Nachdenken auf und die bequemen Denkschematas zu verlassen und sich letztendlich den Fragen zu stellen, die dieses Stück fordert. Kann es sein, dass wir immer wieder Menschen in ihrer Einsamkeit der Depression überlassen, nur weil sie anders sind? Sollten wir nicht etwas vorsichtiger mit jedem von uns umgehen? Das Schweigen am Ende lässt uns allein. Jeder muss sich dieser Frage stellen um zu einer eigenen Antwort zu kommen. Machen wir es uns nicht zu leicht, indem wir alles als Schicksal abtun? Die Frage der Schuld steht auch vor uns ganz persönlich. Xin Peng Wang hat sich dieser Frage gestellt. Tun wir es auch.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Dortmund.


Info:

Die nächsten Vorstellungen sind:

November 2010    06., 10., 13., 19.
Dezember 2010    03., 19., 19., 30.
Januar       2011    02., 08., 14., 20.
Februar     2011    05., 09., 18.

Karten unter  ticket-hotline: 0231/50 27 222

oder im Internet unter:http://www.theaterdo.de/tickets.php

sowie an der Theater- und Abendkasse.

 

 


 

Beeindruckende Bilder vom Theater Dortmund
[Fotos: ©Bettina Stoess]

Ein kleines Land mit großem Ballett – NL-RUHR 2010

[jpg] Es war ein fulminanter Galaabend mit großen TänzerInnen, wobei der Programmablauf alles bot, was man sich beim Ballett nur wünschen darf.

Vom klassischen Ballett mit Giselle bis hin zum modernen Ausdruckstanz mit tué oder element x:bottom´s dream, eine beeindruckende Vielfalt.

Durch das Programm führte Hannes Brock unterhaltend und kurzweilig mit vielen Hintergrundinformationen, so dass auch ein Zuschauer der das erste mal einem Ballettabend beiwohnte ohne Schwierigkeiten dem Abend folgen konnte und seine helle Freude daran haben musste.

Zu Gast am Theater Dortmund waren die großen Häuser der Niederlande, das Het National Ballet und das Nederlands Dans Theater. Sie schickten ihre großen Solisten auf Einladung von Xin Peng Wang dem Dortmunder Ballettdirektor. Aber nicht nur das, denn mit Sue Jin Kang und Marijn Rademaker sowie Bridget Breiners und Howard Lopez Quintero waren vom Stuttgarter Ballett vier weitere herausragende Solisten eine Bereicherung des Galaabends.

Es war ein Wechselbad der Gefühle in die uns diese großen Tänzer tauchten und die Besucher in ihren Bann zogen. So tanzte Bridget Breiner und Howard Lopez Quintero die Giselle nach der Choreografie von Paul Chalme den Pas de Deux Bauerntanz in einer Anmut, dass man schon ins schwärmen über soviel Romantik kam. Dieselbe Bridget Breiner trat aber sodann in tué nach der Musik der unvergesslichen Barbara und der Choreografie von Marco Goeke in einem zeitgenössichen Tanz auf, der einen ob des vibrierenden Körpers in Erstaunen und Schrecken versetzte. Die Gegensätze konnten nicht größer sein. Aber das macht erst eine große Tänzerin und einen großen Tänzer aus. Es gelten nicht mehr die Einteilungen im heutigen Ballett. Und überhaupt die Breite des Dargebotenen war gewaltig.

Dann wieder komödienhaft mit "mozart:quartett", Choreografie Xin Peng Wang nach der Musik Mozarts. Es war schon eine Augenweide wie Rosa Ana Chanza Hernandez sich von den drei Herren Philip Woodman, Eugeniu Cilenco und Arsen Azatyan vom Dortmunder Ballett umgarnen lies, wobei sie alles unter Kontrolle hatte. Lachend spielte sie mit ihren Verehrern, die nicht von ihr lassen konnten. Es war ein Quartett das einem vor Lachen die Tränen in die Augen treiben konnte – herrlich.

              
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Rubinald Pronk und Drew Jacoby vom Nederlands Dans Theater tanzten "one" nach der Choreografie von Annabel Lopez Ochoa und der  Musik von Jacob Ter Veldhuis. Danach jedoch "softly as i leave you" nach der Choreografie von Lightfoot/Leon und der Musik J.S. Bach sowie Arvo Pärt. Absolute Körperbeherrschung bei den Sprüngen, den Hebefiguren der Gestik, eine Spannung ohne Gleichen. Gebannt folgte man den beiden Stücken.

Primaballerina Monica Fotescu-Uta und Mark Radjapov tanzten "element X:Bottom dream" nach der Choreografie von Xin Peng Wang und der Musik von Hans Werner Henze hochkonzenztriert in sich versammelt – excelent. Der Gitarrist Hans Werner Huppertz begleitete musikalisch. Ich fand diese Aufführung im Harenberg Center Dortmund allerdings etwas eindrucksvoller, was allerdings dem Gebäude geschuldet war.

Igone de Jongh und Alexander Zhembrowski vom Het National Ballet tanzten "vorbijgegaan" nach einer Choreografie von Rudi van Dantzig und der Musik Frédéric Chopin, sowie "frank bridge variations" nach der Choreografie von Hans van Manen und der Musik von Benjamin Britten.  Im Tanz der Beiden sah man die Formenstrenge die beide Choreografen auszeichnet. Beide Stücke erzählten Geschichten von Menschen die zueinander finden aber sich auch wieder trennen, das Glück des Findens aber auch der Schmerz der Trennung. Sehr eindrucksvoll tänzerisch umgesetzt.

Es waren insgesamt 18 Stücke die in dieser XII Ballettgala zur Aufführung gelangten, eine hervorragende Gala, die man nicht missen mag. Es war dem Namen nach ein Holland Panorama und diesem Namen wurde mehr als nur gerecht getan. Wahrlich, ein kleines Land mit einer Größe die beeindruckt und überzeugt.

Zu guter letzt möchte ich noch betonen, dass ich nicht alle Tänzer erwähnen konnte, ich habe die Leistung der Nicht Erwähnten in keinster Weise damit schmälern wollen – niemals. Es war ein wunderbarer Abend, der schon nach über 4 Stunden wie im Fluge zu Ende ging. Das Publikum dankte es auch mit stehendem Applaus und begeisterten Rufen.

Was aber auch einmal gesagt werden sollte und meiner Meinung immer wieder bei Kritiken untergeht, die Technik. Die Leistungen der Beleuchtungs- und der Tontechniker, die die Solisten immer ins rechte Licht setzten aber auch den rechten Ton brachten und damit den hervorragenden Tanz noch verstärkten, dies sollte wirklich einmal erwähnt werden. Denn die im Dunklen sieht man nicht, dieses Wort sollte einmal nicht gelten.

 

 

       
Photo by Bill Cooper

Drew Jacoby of Jacoby & Pronk,

   Oper Dortmund  

Lassen wir uns auf die XIII Ballettgala mit internationalen klassischen Traumpaaren freuen, wenn es am 24. Oktober im Dortmunder Opernhaus heißt: Vorhang auf.

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Dortmund.