Selbstmord auf Raten in Schwelm?

Foto: Linde Arndt

vlnr.:Marcel Gießwein (Grüne), Michael Schwunk (FDP), Gerd Philipp (SPD), Ralf Schweinsberg (Kämmerer) | Foto: Linde Arndt

[jpg] Es gibt Phasen auf der lokalen Ebene, die sind suizidal. Parteien, Verwaltung, beobachten sich ob der andere Fehler macht, man provoziert, setzt Gerüchte in die Welt und wartet die Reaktionen ab. In der Regel werden Fehler gemacht, wenn der Gegner richtig in die Enge getrieben wird. Nichts geht mehr in diesen Städten. Warum diese nicht gerade konstruktiven Handlungen? Die finanzielle Manövriermasse der Städte ist äußerst gering, politische Entwicklungen für eine Stadt sind daher kaum möglich. Dazu kommen noch persönliche Aversionen, die die Akteure über die Jahre gerne entwickelt haben. Jeder braucht halt seinen Feind auf den er seine eigene Unzulänglichkeit abwälzen kann und über den er sich auch noch profiliert.

Haushaltsberatungen stehen an. Millionen müssen eingespart werden. Nur woher nehmen. Die freiwilligen Leistungen die man kürzt, werden einem vom politischen Gegner am nächsten Tag als kalt und grausam vorgeworfen. Die Schließung einer Bibliothek fordert einen Aufschrei heraus der die sofortige Rücknahme erfordert. Das Hallenbad, schon an vielen Ecken sanierungsbedürftig, kann auch nicht geschlossen werden, die armen SchülerInnen müssten in die Nachbarstadt gefahren werden. Dann sind da noch die Sportvereine, denen die städtischen Immobilen nicht mehr kostenfrei überlassen werden. Geschenke werden offeriert, trotz der kritischen Finanzlage. Wütend zieht man durch die Stadt um den politischen Gegner anzugreifen und Kompetenz zu signalisieren. Wobei der Verwaltung gleich die Gegnerschaft auch angedient wird.
Dazu kommt noch eine boulevardisierende Lokalpresse die gerne Öl ins Feuer gießt um die Auflage zu steigern.

Foto: Linde Arndt

vlnr.: Ernst Walter Siepmann (BfS), Jochen Stobbe (Bürgermeister), Eleonore Lubitz (Linke), Oliver Flüshöh (CDU) | Foto: Linde Arndt

Jeder Tag kostet aber an Zinsen, Fixkosten aber auch variable Kosten und jeder Sparvorschlag kann die Macht kosten. Es müssten Entscheidungen getroffen werden, die letztendlich die nächste Wahl kosten würden. Ein Dilemma in der Lokalpolitik. Politik und Verwaltung stehen vor einem Haufen von Jobs die nicht abgearbeitet werden können. Die nicht getroffenen Entscheidungen sind teuer und zwar sehr teuer.

Geht es so weiter droht der Stadt ein Sparkommissar, wie schon vier anderen Städten in NRW. Nur dann hat die Stadt etwas verloren, was unbezahlbar ist, ihre Würde und ihren Stolz. Denn ein Sparkommissar ordnet an, der Rat braucht darüber nicht mehr zu beraten und abzustimmen. Und die Verwaltung muss dies dann ausführen, und zwar stante pede.

So steht es in vielen Städten Deutschlands wie im bergisch-märkischen Schwelm.

Um aus dem Dilemma herauszukommen, haben alle Ratsparteien sich zusammen getan und in einer Klausurtagung die überfällige Organisation der Schulen zur Entscheidung gebracht. Mit dabei war die Verwaltung. Heraus kam die Schließung von zwei Grundschulen für 2018. Begründung der Schließung: Die Stadt habe diese Entscheidung aus Kostengründen getätigt. Das die Eltern der Kinder aufgrund dieser Begründung auf die Palme gehen, ist doch klar. Kinder mit Kosten zusammen zu bringen, geht doch gar nicht. Ein gefundenes Fressen für die Lokalpresse die letztendlich noch das Thema aufheizte (Für die kurzfristige Auflage tun wir alles) und ihre „Human touch“ Artikel unterbrach. „Doch die alten Schulgebäude, ihre Schulhöfe, die Spielgeräte – all das haben sie schon längst ins Herz geschlossen.“, so die Lokalpresse. Es kommen einem die Tränen, wurde die Westfalenpost eigentlich von dem Springerverlag aufgekauft? Informationen oder Hintergründe zu diesem Thema wollte die Lokalpresse nicht bringen. Dabei erscheint das Thema mit einer einfachen journalistischen Recherche in einem ganz anderen Licht.

Foto-Collage: Linde Arndt

Foto-Collage: Linde Arndt

Sieht man sich die Zahlen der zukünftigen Schulanfänger an, so stellt man fest, den Schulen stehen immer weniger Kinder als Schulanfänger zur Verfügung. Es müsste aber eine bestimmte Anzahl von Kindern an einer Grundschule angemeldet werden. Werden die Zahlen unterschritten, kann die Schule nicht mehr fort geführt werden. So auch in Schwelm. Die Konsequenz: Das Land finanziert keine unterbelegte Schule. Rund 80% der Kosten werden jedoch vom Land getragen. Werden diese Landesmittel gestrichen, könnten die Eltern vielleicht (!) mit rund 300,– Euro pro Kind ins Obligo treten. Dazu kommen die Kosten für die Schulgebäude, die renoviert oder teilweise saniert werden müssen.

Wenn also der Rat der Stadt Schwelm die Zusammenlegung von Grundschulen beschließt, haben die Schüler zwei Vorteile dadurch. Die Substanz der zukünftigen Gebäude ist geeignet einen Schulbetrieb über Jahre störungsfrei zu gewährleisten. Und, darüber hinaus wird das Land den erarbeiteten Schulbetrieb anstandslos genehmigen. Die Zuweisung von Lehrkräften ist auch dadurch gesichert. Und die Entscheidung, dass die Schließung erst 2018 umgesetzt wird, sichert den heutigen Kindern den Verbleib in ihrer derzeitigen Klasse.

Allerdings war die Formulierung der interfraktionellen Einigung etwas unglücklich, nur auf die Kosten abzustellen, die man einsparen wolle. Auch war es organisatorisch unglücklich die Eltern, oder zumindest die Schulpflegschaftsvorsitzenden, von Anfang an nicht mit an den Beratungen teilnehmen zu lassen. Das jetzt die Eltern auf die Straße gegangen sind, ist deshalb auch nachvollziehbar. Politiker alles Couleur stehen nun „etwas betroffen“ wegen ihrer fehlenden Sensibilität da. Trotzdem war die interfraktionelle Klausurtagung als auch die Entscheidung der Zusammenlegung und Schließung in Schwelm überfällig und richtig.

Was sich aber noch aus diesem Vorfall ergibt, es gibt eine politische Vernunftebene im Schwelmer Rathaus. Und dies führt uns direkt zu dem Haushalt 2014 der auf unbequeme Entscheidungen wartet. Hier müssen noch Millionen eingespart werden um der Aufsichtsbehörde einen ausgeglichenen Haushalt 2014, der genehmigt werden muss, vorzulegen. Es müssen unbequeme Entscheidungen getroffen werden, die man, so meinen wir, gemeinsam entscheiden sollte. So würde man dem politischen Gegner keine offene Flanke bieten und letztendlich für die anvertraute Stadt arbeiten können. Der politische Gegensatz zwischen den Parteien wird dadurch nicht zerstört. Und unterhalb der Gürtellinie können die Parteien sich auch nachher wieder beharken, damit die Auflage der Lokalpresse wieder gesichert ist.

Warum also ziehen sich die Fraktionsvorsitzenden und die Verwaltungsspitzen nicht zu einer Klausurtagung zurück? Das Schwelmer Schloß Martfeld bietet hierfür eine angenehme Arbeitsatmosphäre mit angeschlossenen Restaurantbetrieb.

Rat der Stadt Schwelm und die Verwaltung können jedoch den Weg des Suizid einschlagen und letztendlich die Politik und die Verwaltung weiter diffamieren. Ob das aber Sinn macht, wage ich zu bezweifeln.

 

Jürgen Gerhardt für EN-Mosaik aus Schwelm